Urteil des BGH vom 18.01.2010
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 29/10
Verkündet
am:
16. September 2010
Freitag
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 839 Cb Fe; BauGB § 36; BayBO Art. 74 a.F., Art. 67 n.F.
Im Baugenehmigungsverfahren obliegen der Gemeinde bei der Verweigerung
des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 BauGB keine den Bauwil-
ligen schützenden Amtspflichten, wenn die Baugenehmigungsbehörde nach
§ 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. landesrechtlichen Vorschriften das rechtswid-
rig verweigerte Einvernehmen ersetzen kann.
BGH, Urteil vom 16. September 2010 - III ZR 29/10 - OLG Nürnberg
LG Regensburg
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. September 2010 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dr. Herrmann, Wöstmann, Hucke und Seiters
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Nürnberg vom 18. Januar 2010 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche des Klägers wegen
eines verweigerten Einvernehmens des beklagten Markts (Gemeinde) in einem
Baugenehmigungsverfahren.
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Im September 2001 beantragte der Kläger beim Landratsamt S. -
B. die Baugenehmigung für einen im Außenbereich gelegenen Neubau ei-
nes Schweinestalles mit 1.489 Mastschweinplätzen im Gemeindeteil O. -
des Beklagten. Dieser verweigerte sein Einvernehmen im Sinne des § 36
BauGB, weil weder die Wasserversorgung noch die Abwasserbeseitigung gesi-
chert seien und das zur Bebauung vorgesehene Grundstück in der Nähe eines
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Waldes und eines Bodendenkmals liege. Daraufhin lehnte das Landratsamt
S. -B. im Februar 2002 den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung
unter Hinweis auf das Fehlen des gemeindlichen Einvernehmens ab. Dabei sah
es von dessen Ersetzung ab. Daraufhin erhob der Kläger Klage auf Erteilung
der Baugenehmigung beim Verwaltungsgericht Regensburg. Dieses hob den
ablehnenden Bescheid durch Urteil vom 20. Januar 2004 auf und verpflichtete
das Landratsamt, den Bauantrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu
zu bescheiden. Das Bauvorhaben des Klägers sei planungsrechtlich zulässig,
so dass der Beklagte sein Einvernehmen rechtswidrig verweigert habe. Im März
2004 erteilte das Landratsamt S. -B. die beantragte Baugenehmigung
bei gleichzeitiger Ersetzung des Einvernehmens des Beklagten nach Art. 74
BayBO a. F.
Der Kläger macht geltend, dass ihm durch die verzögerte Erteilung der
Genehmigung, deren Ursache das rechtswidrig verweigerte Einvernehmen des
Beklagten gewesen sei, ein Schaden in Höhe von 144.789,25 € entstanden sei.
Bei rechtmäßigem Verhalten des Beklagten wäre die Baugenehmigung bereits
im Februar 2002 erteilt worden. Unter Berücksichtigung der Bauzeit hätten die
von ihm geplanten Ställe bereits ab Juni 2003 und nicht erst ab Juni 2005 ge-
nutzt werden können.
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Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt er-
klärt. Die gegen das Grundurteil eingelegte Berufung des Beklagten hat Erfolg
gehabt.
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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger
sein Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
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I.
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch aus Amtshaftung und aus ent-
eignungsgleichem Eingriff verneint. Dem Beklagten habe bei der Versagung
seines Einvernehmens nach § 36 BauGB keine drittschützende Amtspflicht hin-
sichtlich des Klägers obgelegen. Die Versagung stelle keinen unmittelbaren
Eingriff in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition des Klägers dar.
Zwar sei die Verweigerung des Einvernehmens durch den Beklagten rechtswid-
rig gewesen. Dieses Einvernehmen stelle aber ein reines Verwaltungsinternum
dar, das nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. Art. 74 BayBO a.F. ersetzt wer-
den könne. Außenwirkung komme dem Verwaltungshandeln erst mit der ge-
nehmigenden oder versagenden Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde
zu. Dem stehe nicht entgegen, dass Art. 74 BayBO a.F. als Ermessensvor-
schrift ausgestaltet sei. Das Ermessen der Genehmigungsbehörde sei nämlich
auf Null reduziert, wenn das Einvernehmen angesichts der bauplanungsrechtli-
chen Zulässigkeit des Vorhabens nicht hätte versagt werden dürfen. Mangels
eines unmittelbaren Eingriffs des Beklagten in eine durch Art. 14 GG geschützte
Rechtsposition des Klägers scheide auch ein Anspruch aus enteignungsglei-
chem Eingriff aus.
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II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.
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1.
Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schadenser-
satz nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu.
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Die rechtswidrige Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach
§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB stellt hier keine Amtspflichtverletzung des Beklagten
gegenüber dem Kläger dar.
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a) Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 36 BauGB in der bis zum
Inkrafttreten des Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 vom 18. August 1997
(BGBl. 1997 I S. 2081) geltenden Fassung - durch dieses Gesetz ist in § 36
Abs. 2 BauGB der neue Satz 3 eingefügt worden - kommt eine Amtspflichtver-
letzung der das Einvernehmen versagenden Gemeinde in Betracht, wenn dies
Bindungswirkung für die Baugenehmigungsbehörde hat. Der auf der Planungs-
hoheit beruhenden Beteiligung der Gemeinde am Baugenehmigungsverfahren
kann nämlich im Falle der Versagung des Einvernehmens eine für den Bauwilli-
gen ausschlaggebende Bedeutung zukommen, wenn die Baugenehmigungsbe-
hörde nach der Rechtslage gehindert ist, eine Baugenehmigung auszuspre-
chen, solange die Gemeinde ihr Einvernehmen nicht erklärt hat (übereinstim-
ff;
Senatsurteile vom 29. September 1975 - III ZR 40/73, , 186; vom
18. Dezember 1986 - III ZR 174/85, BGHZ 99, 262, 273; vom 21. Mai 1992
- III ZR 14/91, BGHZ 118, 263, 265; vom 13. Oktober 2005 - III ZR 234/04,
NVwZ 2006, 1177). Vereitelt oder verzögert die Gemeinde durch eine unbe-
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rechtigte Versagung des Einvernehmens ein planungsrechtlich zulässiges Bau-
vorhaben, so berührt dies - sei es auch nur mittelbar - notwendig und bestim-
mungsgemäß die Rechtsstellung des Bauwilligen. Dies genügt, um eine beson-
dere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem Bauwilligen als
einem geschützten "Dritten" im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB zu bejahen.
Dessen Interessen werden durch die Amtspflicht, das Einvernehmen nicht zu
verweigern, wenn das Bauvorhaben nach den ,
zulässig ist, in individualisierter und qualifizierter Weise geschützt (Senat aaO
, 265 f m.w.N.).
b) Im vorliegenden Fall besteht die bislang in der Senatsrechtsprechung
noch nicht beurteilte Besonderheit, dass nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m.
Art. 74 Abs. 1 BayBO a.F. das rechtswidrig versagte aber erforderliche Einver-
nehmen durch die Baugenehmigungsbehörde, die nicht zugleich die Gemeinde
ist, ersetzt werden konnte. Offengelassen hat der Senat bisher, ob in einem
solchen Fall eine Amtshaftung der Gemeinde in Betracht kommt, wenn – wie
hier - die Baugenehmigungsbehörde davon absieht, das verweigerte gemeindli-
che Einvernehmen zu ersetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. März 2008
- III ZR 49/07, NVwZ 2008, 815, 816). Diese nunmehr entscheidungserhebliche
Frage ist zu verneinen (zustimmend für eine Amtshaftung allein der Baugeneh-
migungsbehörde Staudinger/Wurm, BGB, Neubearbeitung 2007, §
839
Rn. 606; Desens, DÖV 2009, 197, 205; Klinger, BayVBl. 2002, 481, 484 f; La-
sotta, Das Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 BauGB, 1998, S. 218 f; so
wohl auch Groß BauR 1999, 560, 571; a.A. de Witt/Krohn, in Handbuch des
öffentlichen Baurechts, [12. EL] M Rn. 97; Herrmann KommJur 2004, 286, 288;
Dolderer BauR 2000, 491, 498 f, wonach sich durch die Einführung der Erset-
zungsbefugnis die Maßstäbe für die Haftung der Gemeinde nicht geändert ha-
ben sollen).
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aa) Soweit der Baugenehmigungsbehörde die Befugnis eingeräumt ist,
das versagte gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen, wird ihre Prüfungs- und
Entscheidungskompetenz erweitert. Sie umfasst nicht nur die Frage, ob ein
gemeindliches Einvernehmen erforderlich ist, sondern auch, ob die Verweige-
rung der Gemeinde rechtswidrig ist. Die Bindungswirkung der negativen Ent-
scheidung der Gemeinde für die Baugenehmigungsbehörde ist aufgehoben. Die
Behörde ist mithin nicht mehr unter Umständen gezwungen, den Antrag auf
Genehmigung eines an sich genehmigungsfähigen Bauvorhabens sehenden
Auges allein wegen des rechtswidrig verweigerten Einvernehmens abzulehnen.
Der maßgebliche Grund für die Annahme einer drittgerichteten Amtspflicht sei-
tens der Gemeinde bei der Entscheidung über die Erteilung des Einvernehmens
und damit ihrer haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit zum Bauherren - die Bin-
dungswirkung ihrer Versagung für die Baugenehmigungsbehörde, obschon es
sich bei dem gemeindlichen Einvernehmen nur um ein Verwaltungsinternum
handelt - ist entfallen (vgl. Staudinger/Wurm aaO).
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bb) Ein Bedürfnis dafür, die der Gemeinde bei ihrer Entscheidung über
die Erteilung des Einvernehmens obliegenden Amtspflichten trotz fehlender
Bindungswirkung gleichwohl als drittgerichtet anzusehen und so auch weiterhin
eine (Mit-)Haftung der Gemeinde für möglich zu halten, lässt sich auch nicht
aus dem Umstand herleiten, dass § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB und der vorliegend
noch anwendbare § 74 Abs. 1 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung
vom 4. August 1997 (GVBl. 1997, 433) als Kann-Vorschriften ausgestaltet sind.
Insoweit spricht bereits vieles dafür, dass es sich bei diesen Vorschriften um
bloße Befugnisnormen handelt, bei denen auf der Rechtsfolgenseite kein Er-
messen besteht, sondern eine gebundene Entscheidung zu treffen ist (in die-
sem Sinne Roeser, in Berliner Kommentar zum BauGB, [September 2007] § 36
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Rn. 14; Klinger BayVBl. 2002, 481, 483; Dolderer BauR 2000, 491, 498; Horn
NVwZ 2002, 406, 414; Dippel NVwZ 1999, 921, 924; so wohl auch Groß, BauR
1999, 560, 570). Zudem hat der Bauwillige, dessen Vorhaben mit den materiell-
rechtlichen Vorschriften in Einklang steht, einen durch Art. 14 GG geschützten
Anspruch gegenüber der Baugenehmigungsbehörde auf Erteilung der Bauge-
nehmigung (Senat aaO BGHZ 65, 182, 186; vgl. Urteil vom 11. Januar 2007
- III ZR 302/05 - BGHZ 170, 260 Rn. 33 f m.w.N.). Hiermit wäre es nicht in Ein-
klang zu bringen, wenn die Baugenehmigungsbehörde unter Berufung auf ein
ihr eingeräumtes Ermessen die rechtswidrige Verweigerung des Einverneh-
mens durch die Gemeinde nicht ersetzen und deshalb mit der Ablehnung des
Bauantrages rechtswidrig in das Eigentumsrecht des Bauwilligen eingreifen
dürfte (Ermessenreduzierung auf Null, Desens DÖV 2009, 197, 203 f; Jach-
mann BayVBl. 1995, 481, 482 f; de Witt/Krohn aaO M Rn. 95; Lasotta, aaO
S. 209; ders. - allerdings zurückhaltender < Anspruch auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung> - BayVBl. 1998, 609, 615; vgl. auch Lechner, in Simon/Busse,
BayBO, 87. Ergänzungslieferung 2007, Art. 74 Rn. 61: Ermessenreduzierung
auf Null in besonders gelagerten Fällen; ähnlich VG Frankfurt NVwZ-RR 2001,
371; Schrödter/Rieger, BauGB, 7. Aufl., § 36 Rn. 23: bei offenkundig rechtswid-
riger Versagung ist Ersetzung "intendiert"; von einem größeren Entscheidungs-
spielraum der Behörde gehen insbesondere aus Söfker in
Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB § 36 Rn. 41;
Krautzberger in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl. § 36 Rn. 13; zur
Frage, inwieweit die Gemeinde einen Ermessensfehlgebrauch beanstanden
kann: VGH München ZfBR 2006, 684, 585 f; OVG Lüneburg BauR 2005, 679,
681 f; Jäde KommJur 2005, 368, 371 f).
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Es besteht daher nicht die Gefahr, dass der durch die rechtswidrige Ver-
sagung des gemeindlichen Einvernehmens entstandene Schaden deshalb nicht
zu erstatten ist, weil die Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde, das Einver-
nehmen nicht zu ersetzen, gleichwohl als ermessensfehlerfrei und damit als
nicht amtspflichtwidrig einzustufen ist.
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cc) Weiterhin besteht aus Sicht des geschädigten Bürgers auch keine
Notwendigkeit, wegen etwaiger Verzögerungsschäden, die der Bauaufsichtsbe-
hörde haftungsrechtlich nicht zugerechnet werden können, die Amtspflichten
der Gemeinde als drittgerichtet zu qualifizieren. Nach § 36 Abs. 2 Satz 2
BauGB gilt das Einvernehmen der Gemeinde als erteilt, wenn es nicht binnen
zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde oder
nach Einreichung des Bauantrags - sofern dieser nach Landesrecht bei der
Gemeinde und nicht bei der Genehmigungsbehörde einzureichen ist - verwei-
gert wird. Durch diese der Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens
dienende Vorschrift ist sichergestellt, dass die Entscheidung über die Verweige-
rung des Einvernehmens zeitnah nach Stellung des Baugesuchs getroffen wird.
Verweigert die Gemeinde das Einvernehmen, kann die Rechtmäßigkeit der
Verweigerung - und damit die Frage, ob das Einvernehmen zu ersetzen ist - im
Rahmen der ohnehin von der Bauaufsichtsbehörde anzustellenden Beurteilung
der bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen mitgeprüft werden. Zu erhebli-
chen zeitlichen Verzögerungen kann es eigentlich nur dann kommen, wenn die
Gemeinde gegen die trotz der Verweigerung des Einvernehmens erteilte Bau-
genehmigung mit einem Rechtsbehelf vorgeht. Durch die Ergreifung eines sol-
chen Rechtsbehelfs wird jedoch der Bereich des bloßen Verwaltungsinternums
verlassen. Insoweit gilt der in der Rechtsprechung des Senats anerkannte
Grundsatz, dass der Gebrauch von Rechtsmitteln zur Durchsetzung rechtswid-
riger oder zur Verhinderung rechtmäßiger behördlicher oder gerichtlicher Be-
schlüsse oder Entscheidungen eine selbständige Amtspflichtverletzung der das
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Rechtsmittel einlegenden Körperschaft zum Nachteil des von dem Rechtsmittel
nachteilig betroffenen Bürgers darstellen kann (siehe Staudinger/Wurm aaO
Rn. 607).
c) Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, ergeben sich für das
vorliegende Verfahren für die Frage der Amtshaftung des beklagten Markts we-
gen der rechtswidrigen Versagung des Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 1
BauGB keine relevanten Schlussfolgerungen daraus, dass Art. 74 BayBO a.F.
durch Art. 67 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August
2007 (GVBl. 2007, 588) ersetzt worden ist.
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In Art. 67 Abs. 1 Satz 2 BayBO wird nunmehr ausdrücklich bestimmt,
dass der Bauwillige keinen Rechtsanspruch auf die Ersetzung des gemeindli-
chen Einvernehmens hat. Diese Regelung hat der Bayerische Gesetzgeber ge-
schaffen, um der "Gefahr einer Verlagerung von Haftungsrisiken von der das
Einvernehmen verweigernden Gemeinde auf den Freistaat Bayern" entgegen-
zutreten (LT-Drucks. 15/7161 S. 70 zu Art. 71a BayBO-E).
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Entgegen den Intentionen des Gesetzgebers vermag indes die Neurege-
lung an der haftungsrechtlichen Alleinverantwortlichkeit der Baugenehmigungs-
behörde nichts zu ändern.
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(1) Auch wenn der Bauwillige keinen eigenständigen Anspruch auf Erset-
zung des rechtswidrig verweigerten gemeindlichen Einvernehmens hat, so
bleibt es dabei, dass in diesem Fall bei Ablehnung der Baugenehmigung seine
grundrechtlich geschützte Rechtsposition verletzt wird. Er hat einen grundrecht-
lich geschützten Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung gegenüber der
Baugenehmigungsbehörde. Das kann nicht durch die genannte landesrechtli-
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che Regelung in Frage gestellt werden. Wegen der unverändert bestehenden
Ersetzungsbefugnis und Ersetzungspflicht der Baugenehmigungsbehörde hat
Art. 67 Abs. 1 Satz 2 BayBO auf die Haftungslage keine Auswirkungen. Es
bleibt vielmehr bei dem vom erkennenden Senat aufgestellten Grundsatz, dass
die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Baugenehmigungsbehörde dann
begründet ist, wenn sie in eigener Verantwortung über die Baugenehmigung zu
befinden hat und die Prüfungskompetenz nicht hinter derjenigen der Gemeinde
zurückbleibt (Senatsurteil aaO. BGHZ 99, 262, 273 f). Dies ist gegeben, wenn
die Baugenehmigungsbehörde über die Frage der Ersetzung des gemeindli-
chen Einvernehmens entscheiden muss und zwar unbeschadet der Frage, ob
der Bauwillige einen eigenständigen Rechtsanspruch hierauf hat.
(2) Ohne Belang ist insoweit auch, dass nach der Vorstellung des Lan-
desgesetzgebers die Ersetzungsbefugnis materiell eine kommunalaufsichts-
rechtliche Regelung sein soll (LT-Drucks. 15/7161 aaO). Zwar beschränkt sich
die Aufsicht gegenüber der Gemeinde in weisungsfreien Angelegenheiten dar-
auf, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sicherzustellen (Art. 109 Abs. 1 Bay-
GO). Sie dient damit grundsätzlich nur dem Interesse des allgemeinen Wohls,
nicht aber dem Individualinteresse des Einzelnen. Durch die bloße Stellung ei-
nes Baugenehmigungsantrags wird zwischen dem Bauwilligen und der Kom-
munalaufsichtsbehörde – anders als gegenüber der Baugenehmigungsbehörde
- auch keine "besondere Beziehung" geschaffen, die ausnahmsweise eine
Pflicht zum Einschreiten zugunsten des Bauwilligen hätte begründen können
(Senatsurteil aaO BGHZ 118, 263, 274). Jedoch hat es der Bayerische Landes-
gesetzgeber trotz der bei der letzten Novellierung der Bauordnung geäußerten
rechtlichen Bewertung dabei belassen, dass die Ersetzungsbefugnis der Bau-
genehmigungsbehörde in das bauordnungsrechtliche Verfahren eingebettet
bleibt, und diese nicht in das kommunalaufsichtsrechtliche eingefügt. Bei Schaf-
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fung des Art. 81 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April
1994 (GVBl. 1994, 251), der Vorgängerregelung des Art. 74 BayBO a.F., hat
der Gesetzgeber jedoch eine Verbindung zwischen dem kommunalaufsichts-
rechtlichen und dem bauaufsichtsrechtlichen Genehmigungsverfahren herstel-
len wollen (LT-Drucks. 12/13482 S. 64 zu Art. 74a BayBO-E). Damit aber wir-
ken die im bauaufsichtrechtlichen Verfahren zu wahrenden Grundrechtspositio-
nen des Bauwilligen auch auf das Verfahren zur Ersetzung des gemeindlichen
Einvernehmens ein (vgl. Groß BauR 1999, 560, 570). Dies entsprach auch der
Absicht des Landesgesetzgebers im damaligen Gesetzgebungsverfahren, der
die Stärkung des Rechtsschutzes des Bürgers ausdrücklich als einen Zweck
der Regelung angesehen hat, und zwar in der Erkenntnis, dass insoweit die
- schon immer gegebenen - Möglichkeiten der Kommunalaufsicht nicht ausrei-
chend sind (LT-Drucks. 12/13482 S. 64 f).
(3) Im Übrigen darf bei der rechtlichen Würdigung des Art. 67 BayBO
n.F. der Zusammenhang dieser landesrechtlichen Vorschrift mit § 36 Abs. 2
Satz 3 BauGB nicht übersehen werden. Die bundeseinheitliche Vorgabe des
§ 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB überlässt dem Landesgesetzgeber zwar die Ausges-
taltung der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens. Dies ändert aber
nichts daran, dass diese Norm des Bundesrechts (schon aus Kompetenzgrün-
den; vgl. Roeser aaO) eine ureigene bauplanungsrechtliche Regelung enthält
mit entsprechenden Befugnissen der Fachbehörde und daran anknüpfenden
Haftungsfolgen. Dabei darf die auf den Bauwilligen gerichtete Schutzrichtung
der Vorschrift nicht dadurch abgeschwächt oder ausgehebelt werden, dass sie
durch die landesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften zu einem bloßen Mittel
der Kommunalaufsicht umgestaltet wird (Klinger BayVBl. 2002, 481, 484 zu
Art. 74 BayGO a.F.).
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2.
Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff
gegen den Beklagten zu. Wie bereits ausgeführt, stellt sich die Versagung des
gemeindlichen Einvernehmens wegen der gesetzlich vorgesehenen Erset-
zungsbefugnis der Baugenehmigungsbehörde als "behördeninterner" Vorgang
ohne Bindungswirkung für die Baugenehmigungsbehörde dar. Das hat zur Kon-
sequenz, dass der Eingriffstatbestand allein im außengerichteten Handeln der
Baugenehmigungsbehörde, nämlich in der Ablehnung des Bauantrags und der
unterlassenen Ersetzung des Einvernehmens, zu erblicken ist und diese auch
im Hinblick auf das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs alleinverantwort-
lich ist (Staudinger/Wurm aaO § 839 Rn. 452).
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Schlick Herrmann Wöstmann
Hucke Seiters
Vorinstanzen:
LG Regensburg, Entscheidung vom 08.06.2009 - 4 O 2635/07 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 18.01.2010 - 4 U 1182/09 -