Urteil des BGH vom 08.08.2001

BGH (wohnung, staatsanwaltschaft, stgb, einlassung, zeuge, wegnahme, strafkammer, richtigkeit, auseinandersetzung, hilfeleistung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 124/01
vom
8. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
18. Juli 2001 in der Sitzung vom 8. August 2001, an denen teilgenommen ha-
ben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
Dr. Bode,
die Richterinnen am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
Elf
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
in der Verhandlung,
Bundesanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Land-
gerichts Aachen vom 13. Oktober 2000 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch
entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tra-
gen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten schweren Raub in Tatein-
heit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zur Last. Der
Angeklagte habe am 11. November 1994 mit einem unbekannten Mittäter den
Zeugen M. in seiner Wohnung aufgesucht, mit einem Messer oder Schrau-
benzieher bedroht und ihn aufgefordert, das Versteck seines Tresors zu offen-
baren. Da M. ein Versteck nicht genannt habe, hätten die beiden Täter die
Wohnung nach Geld durchsucht und M. gezwungen, die Wegnahme von
2.500 DM Bargeld und Schmuck im Wert von 10.000 DM zu dulden, indem ei-
ner der Täter das Tatopfer mit dem Griff des Messers oder Schraubenziehers
auf den Kopf geschlagen habe. Danach hätten die Täter ihr Opfer gefesselt
und die Wohnung verlassen.
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freige-
sprochen und im wesentlichen festgestellt: Der Angeklagte und sein Mittäter
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suchten - nach telefonischer Voranmeldung durch den Angeklagten - den Zeu-
gen M. in seiner Wohnung auf. Im Verlauf des Besuchs kam es zu einer tätli-
chen Auseinandersetzung, deren genauer Verlauf nicht geklärt werden konnte.
Ebensowenig konnte geklärt werden, inwieweit der Angeklagte an der Ausein-
andersetzung, den Angriffen gegen M. und der Wegnahme von Geld und
Schmuck beteiligt war. M. erlitt Prellungen, einen Bluterguß und Schürfwun-
den. Nachdem der Angeklagte und sein Begleiter die Wohnung verlassen hat-
ten, wurde M. von seinem Sohn gefesselt aufgefunden.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestütz-
ten Revision, die der Generalbundesanwalt nicht vertritt, gegen den Freispruch
und beanstandet die Beweiswürdigung sowie eine Verletzung der Pflicht zur
umfassenden rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhalts auch un-
ter dem rechtlichen Gesichtspunkt der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323 c
StGB). Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts läßt keinen Rechtsfehler er-
kennen. Der Angeklagte hat zwar eingeräumt, in der Wohnung des M. gewe-
sen zu sein, aber eine Mitwirkung an dem ihm zur Last gelegten Tatgeschehen
bestritten. Zur Überführung des Angeklagten standen dem Landgericht allein
die Angaben des inzwischen verstorbenen Tatopfers M. bei zwei poli-
zeilichen Vernehmungen am 11. und 18. November 1994 zur Verfügung, die in
der Hauptverhandlung verlesen wurden. Damals hat sich der Zeuge M. im
Sinne des Anklagevorwurfs geäußert. Bei der damit gegebenen Konstellation
von "Aussage gegen Aussage" sind an die tatrichterliche Überzeugungsbildung
besonders hohe Anforderungen zu stellen. Der Tatrichter ist zwar nicht grund-
sätzlich schon dann aufgrund des Zweifelssatzes an der Verurteilung gehin-
dert, wenn "Aussage gegen Aussage" steht und außer der Aussage des einzi-
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gen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Der
Tatrichter muß jedoch erkennen lassen, daß er alle Umstände, die die Ent-
scheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat
(BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 15, 17, 23 m.w.N.). Diesen Anforde-
rungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
Die Strafkammer legt die Gründe, die jeweils für und gegen die Richtig-
keit der sich gegenüberstehenden Aussagen sprechen, hinreichend dar und
stellt schließlich rechtsfehlerfrei darauf ab, daß sie sich kein persönliches Bild
von der Glaubwürdigkeit des Zeugen M. machen konnte, weil sie ihn nicht
mehr selbst befragen konnte. Sonstige Angaben und beweiskräftige Eindrücke
von der Zuverlässigkeit des Zeugen, der jahrelang im Rotlichtmilieu tätig war
und deswegen 1996 auch verurteilt wurde, standen nicht zur Verfügung. Die
Ermittlungsbeamten, die den Zeugen M. 1994 vernommen hatten, hatten so
gut wie keine Erinnerung mehr an das protokollierte Geschehen. Der Sohn und
die Ehefrau des Tatopfers waren als Zeugen unerreichbar. Die Kammer hielt es
aufgrund einer Äußerung des Zeugen M. bei seiner polizeilichen Verneh-
mung rechtsfehlerfrei nicht für ausgeschlossen, daß er ein Motiv gehabt haben
könnte, sich durch eine Falschbelastung an dem Angeklagten für Strafverfol-
gungsmaßnahmen zu rächen, die er im Zusammenhang mit gemeinsamen Ge-
schäften erlitten habe. Der Strafkammer schien es auch zu Recht schwer nach-
vollziehbar, daß der Zeuge M. , der von dem Angeklagten und seinem Be-
gleiter angeblich schwer mißhandelt und beraubt worden war, anschließend die
Täter darauf hingewiesen haben will, sie müßten einen Schlüssel für eine klei-
nere Tür mitnehmen, um nicht durch das Öffnen des großen Hoftors aufzufal-
len. Insgesamt konnten wichtige Details für die Beurteilung eines etwaigen
strafbaren Verhaltens des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht geklärt
werden.
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Demgegenüber waren die von der Beschwerdeführerin angeführten Um-
stände nicht geeignet, zum Tatnachweis beizutragen und die Einlassung des
Angeklagten zu widerlegen. Daß der Zeuge M. die Wohnungstür öffnete,
nachdem er den Angeklagten erkannt hatte, wird von dem Zeugen und dem
Angeklagten im wesentlichen übereinstimmend geschildert, ist aber für das
weitere Tatgeschehen nicht von Belang. Hieraus läßt sich auch nicht auf die
Richtigkeit der Tatschilderung des Zeugen oder des Angeklagten im übrigen
schließen. Ebensowenig ergibt sich eine Belastung des Angeklagten daraus,
daß er und das Tatopfer geschildert haben, der Angeklagte habe versucht,
Schläge des Mittäters gegen den Zeugen zu unterbinden. Dies stützt vielmehr
die Einlassung des Angeklagten.
Auch sonst läßt die Beweiswürdigung des Landgerichts Lücken, Wider-
sprüche oder sonstige Rechtsfehler nicht erkennen.
2. Die Pflicht zur umfassenden rechtlichen Bewertung des festgestellten
Sachverhalts hat das Landgericht nicht verletzt. Für den Tatbestand der unter-
lassenen Hilfeleistung fehlt es bereits an einem Unglücksfall im Sinne von
§ 323 c StGB, weil das Tatopfer nach den Urteilsfeststellungen lediglich leich-
tere Verletzungen erlitt (vgl. hierzu BGHR StGB § 323 c Unglücksfall 1). Soweit
ein Unglücksfall wegen der Fesselung des Tatopfers in Betracht kommt, konnte
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dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden, daß ihm diese bekannt war.
Denn nach seiner unwiderlegbaren Einlassung hat er die Wohnung nach miß-
lungenen Schlichtungsversuchen verlassen, weil er Angst hatte, von seinem
Begleiter ebenfalls angegriffen zu werden.
Jähnke Detter Bode
Otten Elf