Urteil des BGH vom 27.07.2010

BGH (stgb, stpo, schwerer fall, wohnung, strafverfolgungsverjährung, opfer, nachprüfung, strafzumessung, grund, gesamtstrafe)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 319/10
vom
27. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchdiebstahls u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juli 2010 gemäß § 346
Abs. 2 StPO sowie § 349 Abs. 2 und 4 StPO und § 206a StPO beschlossen:
1. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 16. März 2010,
durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verwor-
fen worden ist, wird aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts München I vom 23. November 2009 aufgehoben, soweit
der Angeklagte im Fall I.5 der Urteilsgründe verurteilt worden
ist. Das Verfahren wird insoweit gemäß § 206a StPO einge-
stellt.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Revision zu tra-
gen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdieb-
stahls in 14 Fällen in Tatmehrheit mit versuchtem Wohnungseinbruchdiebstahl
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Dabei hat es Einzel-
strafen zwischen zehn Monaten und drei Jahren und acht Monaten verhängt.
Für den Fall I.5 der Urteilsgründe hat es eine Einzelstrafe von einem Jahr und
sieben Monaten festgesetzt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit
seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus dem
Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
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1. Die Revision wurde rechtzeitig begründet. Der Beschluss des Landge-
richts München I vom 16. März 2010, mit dem das Landgericht die Revision des
Angeklagten gemäß § 346 Abs. 1 StPO verworfen hat, ist daher auf den Antrag
des Beschwerdeführers hin gemäß § 346 Abs. 2 StPO aufzuheben.
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2. Auf die Revision des Angeklagten ist das angefochtene Urteil hinsicht-
lich der Verurteilung im Fall I.5 der Urteilsgründe wegen Wohnungseinbruch-
diebstahls gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO);
das Verfahren wird insoweit wegen eingetretener Strafverfolgungsverjährung
gemäß § 206a StPO eingestellt.
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a) Zum Betreten der Wohnung durch den Angeklagten in diesem Fall hat
das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
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„Am 29.01.1999 zwischen 14.00 Uhr und 18.00 Uhr brach
der Angeklagte in die im Erdgeschoss liegende Wohnung
der Zeugin A. … ein, indem er auf die an der
Rückseite des Hauses liegende Terrasse ging, dort durch
einen gekippten Terrassenflügel hindurch griff und so den
Griff der danebenliegenden weiteren Terrassentüre öffne-
te.“
Bei dieser Sachlage ist der Tatbestand des Wohnungseinbruchdiebstahls
nicht gegeben. Das Landgericht hat zu Unrecht ein „Einsteigen“ i.S.d. § 244
Abs. 1 Nr. 3 StGB angenommen. Einsteigen in einen Raum ist über den enge-
ren Sprachsinn hinaus jedes nur unter Schwierigkeiten mögliche Eindringen
durch eine zum ordnungsgemäßen Eintritt nicht bestimmte Öffnung (vgl. Fi-
scher, StGB 57. Aufl. § 243 Rdn. 6 mN). Eine im Erdgeschoss gelegene Ter-
rassentür ist demgegenüber allgemein zum Betreten des Gebäudes vorgese-
hen. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 16. Juni 2010
zutreffend ausgeführt hat, liegt in solchen Fällen ein Einsteigen selbst dann
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nicht vor, wenn der Täter zum Öffnen der Tür zunächst durch einen gekippten
Türflügel in die Wohnung hineingreifen muss (vgl. BGH, Beschl. vom 6. Sep-
tember 1968 - 4 StR 390/68; BGH, Urt. vom 5. Februar 1957 - 5 StR 526/56,
BGHSt 10, 132, 133; Vogel in LK StGB 12. Aufl. § 243 Rdn. 22). Der Angeklag-
te hätte deshalb insoweit nur wegen einfachen Diebstahls gemäß § 242 StGB
schuldig gesprochen werden dürfen.
b) Einer Änderung des Schuldspruchs in diesem Fall steht die eingetre-
tene Strafverfolgungsverjährung entgegen. Denn anders als der Wohnungsein-
bruchdiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) mit einer Verjährungsfrist von zehn
Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) verjährt der Diebstahl i.S.v. § 242 StGB auch
dann in fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB), wenn - was hier nahe liegt - ein
(unbenannter) besonders schwerer Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1
Satz 1 StGB gegeben ist. Die Eröffnung des Hauptverfahrens konnte die Straf-
verfolgungsverjährung nicht mehr gemäß § 78b Abs. 4 StGB hemmen, weil die
Verjährung hinsichtlich dieser Straftat bereits vor diesem Zeitpunkt eingetreten
war.
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3. Der Senat schließt angesichts der Vielzahl der von dem Angeklagten
im Rahmen zweier Tatserien im Übrigen begangenen Wohnungseinbruchdieb-
stähle aus, dass sich der Wegfall der im Fall I.5 der Urteilsgründe verhängten
Einzelstrafe auf die übrigen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auswirken
könnte, zumal da verjährte, aber prozessordnungsgemäß festgestellte Strafta-
ten bei der Strafzumessung berücksichtigt werden dürfen (vgl. BGHR StGB
§ 46 Abs. 2 Vorleben 19; Fischer, StGB 57. Aufl. § 46 Rdn. 38b und § 78
Rdn. 2).
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4. Die weitergehende Revision des Angeklagten ist unbegründet, weil die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung im Übrigen kei-
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nen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
StPO). Auch die Strafzumessung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Ein Ver-
stoß gegen das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) liegt nicht vor.
Das Landgericht durfte die konkret festgestellten psychischen Beeinträchtigun-
gen der Opfer der Wohnungseinbruchdiebstähle strafschärfend werten. Soweit
das OLG Köln (NStZ-RR 2002, 247) der Ansicht ist, die mit einem Wohnungs-
einbruch für die Opfer verbundenen psychischen Belastungen dürften auch
dann nicht zu Lasten des Täters strafschärfend berücksichtigt werden, wenn
psychische Folgen der Tat im Einzelfall festgestellt sind, folgt ihm der Senat
nicht.
5. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Revision zu tragen. Der
geringfügige Teilerfolg rechtfertigt kein anderes Ergebnis (§ 473 Abs. 4 StPO).
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Nack Wahl Graf
RiBGH Prof. Dr. Sander befindet
sich in Urlaub und ist deshalb
verhindert zu unterschreiben.
Jäger Nack