Urteil des BGH vom 24.06.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 315/13
Verkündet am:
24. Juni 2014
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 823 Abs. 2 Bf.; KWG § 32 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3;
Lugano-Abk I Art. 5 Nr. 3, Lugano-Abk II Art. 5 Nr. 3; InsO §§ 335, 343;
Schweiz:SchKG Art. 303
a) Werden gegen das Organ einer Gesellschaft Ansprüche aus unerlaubter
Handlung geltend gemacht, so bilden den Gegenstand des Verfahrens nicht
ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne der Art. 5 Nr. 1
LugÜ I bzw. Art. 5 Nr. 1 Buchst. a LugÜ II. Eine internationale Zuständigkeit
kann sich aus Art. 5 Nr. 3 LugGÜ I/II ergeben.
b) Beim Schweizer Nachlassverfahren handelt es sich um ein ausländisches
Insolvenzverfahren im Sinne des deutschen internationalen Insolvenzrechts
(Anschluss an Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, WM
2012, 852 Rn. 32 ff.).
c) Die gerichtliche Bestätigung eines Schweizer Nachlassvertrages wird gemäß
§ 343 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 InsO im Inland anerkannt.
d) Der Verlust der Rechte gegen Mitverpflichtete gemäß Art. 303 Abs. 2 SchKG
ist eine Wirkung, die als insolvenzrechtlich zu qualifizieren und daher gemäß
§ 335 InsO nach Schweizer Recht zu beurteilen ist.
BGH, Urteil vom 24. Juni 2014 - VI ZR 315/13 - OLG Braunschweig
LG Göttingen
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 24. Juni 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner,
Pauge und Stöhr und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 27. Juni 2013 aufge-
hoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von den Beklagten zu 2 bis 4 (im Folgenden: Beklag-
te) Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Vermögens-
verwaltungsvertrags mit der in der Schweiz ansässigen M. AG. Die Klage ge-
gen den Beklagten zu 1 wurde erstinstanzlich zurückgenommen. Bezüglich der
M. AG ist die Klage in erster Instanz abgetrennt worden.
Die M. AG verfügte nicht über eine Erlaubnis zur Erbringung von Finanz-
dienstleistungen gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG. Sie hatte sich aber auf die
Akquise deutscher Anleger spezialisiert und kooperierte hierfür mit zwei Call-
Centern, die durch unaufgeforderte Anrufe bei potenziellen Kunden Hausbesu-
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che von Vertretern anbahnten. Der Beklagte zu 2 war seit Februar 2000 zum
stellvertretenden Direktor der M. AG bestellt, die Beklagten zu 3 und 4 gehörten
seit Januar 1999 als Vizepräsident bzw. Delegierter deren Verwaltungsrat an.
Am 6. Juli 2000 wurde der Kläger, der nach einem vorausgegangenen
Anruf eines Call-Centers ein Beratungsgespräch vereinbart hatte, an seinem
Wohnsitz in Deutschland von H. aufgesucht. Dieser warb dafür, mit der profes-
sionellen Hilfe der M. AG Kapital gewinnbringend in der Schweiz anzulegen. Im
Zuge dieser Beratung unterzeichnete der Kläger ein als "Zeichnungsschein mit
Wiederanlageauftrag Schweizer Sicherheitspaket für den Mittelstand im An-
spar- und Anlageprogramm (SSPA)" bezeichnetes Formular der M. AG. In die-
sem war die Zeichnungssumme mit 96.000 CHF, die Laufzeit mit 20 Jahren und
der Anlagebeginn mit dem 1. Dezember 2000 angegeben. Als Zahlungen waren
im ersten Jahr 12.800 CHF sowie in den elf Folgejahren je 8.000 CHF vorgese-
hen. Das Formular enthielt die der M. AG erteilte Ermächtigung, "alle anfallen-
den Erträge einschließlich Kapitalrückzahlungen im Rahmen des erteilten Ver-
mögensverwaltungsauftrags wieder anzulegen". Ferner hieß es, dass der Klä-
ger "heute die Auslands-Bearbeitungsgebühr in Höhe von CHF 1.600,- gegen
Quittung an den M.-Vertriebsbeauftragten" zahle. Der Zeichnungsschein ent-
hielt zudem eine von H. unterschriebene Quittung über die Auslands-Bear-
beitungsgebühr, die mit 2.080 DM angegeben ist. Gemäß Ziffer 20 und 21 der
beigefügten AGB sollten für alle Rechtsbeziehungen des Kunden mit der M. AG
Schweizer Recht gelten und Gerichtsstand Zürich sein.
Mit Schreiben vom 17. Juli 2000 teilte die M. AG dem Kläger mit, sie
freue sich, für ihn als schweizerische Vermögensverwaltung tätig zu sein. Unter
dem 14. Mai 2001, wobei als Ort der Unterschrift Zürich angegeben ist, unter-
zeichnete der Kläger ein als "Anlageauftrag - Schweizer Vermögensaufbaupro-
gramm (SV)" überschriebenes Schriftstück der M. AG. In diesem beantragte er
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die "Erstanlage aufgrund des erteilten Vermögensverwaltungsauftrags" mit An-
lagebeginn 1. Mai 2001. Depotsumme, Laufzeit und jährliche Zahlungen ent-
sprachen im Übrigen dem Zeichnungsschein vom 6. Juli 2000. Ebenfalls unter
dem 14. Mai 2001 und der Ortsangabe Zürich unterzeichnete der Kläger einen
Vermögensverwaltungsauftrag an die M. AG bezüglich der Verwaltung eines
näher bezeichneten Wertschriftendepots bei einer Schweizer Privatbank. Fer-
ner unterschrieb der Kläger ein als "Antrag zur Absicherung des Schweizer Si-
cherheitspakets" überschriebenes Formular, welches tatsächlich einen Antrag
auf Abschluss einer Kapitallebensversicherung zum Inhalt hatte. Zudem leistete
der Kläger 16.500 DM an die M. AG.
Mit Anwaltsschreiben vom 11. Januar 2007 widerrief der Kläger sämtli-
che Verträge und forderte die M. AG unter Fristsetzung - vergeblich - zur Rück-
zahlung der geleisteten Betr
äge in Höhe von 18.580 DM (= 9.499,81 €) auf.
Das für den Kläger angelegte Depot bei der Schweizer Bank weist kein Gutha-
ben auf; die Kapitallebensversicherung ist ohne Wert erloschen.
Am 22. Dezember 2010 gewährte das Bezirksgericht Zürich der M. AG
eine vorläufige Nachlassstundung, die am 7. November 2011 zum Abschluss
eines Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung zwischen der M. AG und ihren
Gläubigern führte. Der Nachlassvertrag wurde am 11. Februar 2012 vom Nach-
lassrichter beim Bezirksgericht Zürich bestätigt. Der Kläger stimmte ihm vorbe-
haltlos zu.
Das Landgericht hat die Beklagten zur Rückzahlung der geleisteten An-
lagebeträge sowie zur Zahlung entgangenen Gewinns verurteilt. Die Berufung
der Beklagten hatte lediglich hinsichtlich der Zahlung entgangenen Gewinns
Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Be-
klagten ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Ge-
richte nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ I (Übereinkommen über die gerichtliche Zustän-
digkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Han-
delssachen, geschlossen in Lugano am 16. September 1988, BGBl. II 1994
S. 2660) bejaht. Der Kläger habe schlüssig unerlaubte Handlungen der Beklag-
ten in Deutschland vorgetragen, indem diese hier als Organe der M. AG verbo-
tene Bankgeschäfte betrieben hätten. Mit dem Vortrag, die M. AG habe durch
ihren Vertriebsbeauftragten H. den Abschluss eines Vermögensverwaltungsver-
trages im Rahmen eines Besuchs am 6. Juli 2000 vorbereitet, sei eine uner-
laubte Handlung im Gerichtsbezirk schlüssig behauptet. Sowohl Handlungs- als
auch Erfolgsort befänden sich in Deutschland. Die M. AG habe ihre Bankge-
schäfte bereits mit dem Abschluss des Vermögensverwaltungsvertrages am
Wohnsitz des Klägers begonnen. Die späteren Aufträge hätten keine eigen-
ständige Bedeutung, weil sie lediglich das bereits begründete Rechtsverhältnis
modifiziert hätten und die unerlaubte Handlung im Betreiben eines Bankge-
schäfts in Deutschland zu sehen sei. Auch der Erfüllungsort liege in Deutsch-
land, weil der Kläger bereits bei Unterzeichnung des Vermögensverwaltungs-
auftrages eine Bearbeitungsgebühr erbracht habe. Die Gerichtsstandvereinba-
rung erfasse keine Ansprüche aus unerlaubter Handlung gegenüber den Orga-
nen der M. AG und sei überdies unwirksam.
Die Anwendbarkeit deutschen Rechts folge aus Art. 40 Abs. 1 Satz 1
EGBGB, weil die für den Eintritt der Rechtsgutsverletzung maßgebenden Ursa-
chen - erstes Beratungsgespräch und Antrag auf Abschluss eines Vermögens-
verwaltungsauftrags - in Deutschland durch das unerlaubte Betreiben von
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Bankgeschäften (Portfoliogeschäfte nach § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG
)
ge-
setzt worden seien. Der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Be-
klagten ergebe sich aus § 823 Abs. 2 BGB, § 32 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1
Nr. 2, Abs. 2, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Haf-
tung der Beklagten folge aus Art. 1 EGStGB, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der Be-
klagte zu 2 sei Vertreter, die Beklagten zu 3 und 4 seien Mitglieder eines vertre-
tungsberechtigten Organs der M. AG gewesen. Die Beklagten hätten jedenfalls
fahrlässig gehandelt.
Die Beklagten könnten sich nicht auf einen Entfall der Haftung nach
Art. 303 des Schweizer Gesetzes über die Schuldbetreibung und den Konkurs
(SchKG) berufen. Diese Vorschrift finde keine Anwendung, weil nach Art. 40
EGBGB das Deliktsstatut gelte. Die Vorschriften des Schweizer Insolvenzrechts
fänden auch nicht über § 343 InsO Anwendung, da die Anknüpfung für die Haf-
tung der Beklagten nicht im Insolvenzrecht liege, sondern in einem Verstoß ge-
gen Vorschriften des KWG.
II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings die internationale Zu-
ständigkeit deutscher Gerichte, die auch im Revisionsrechtszug von Amts we-
gen zu prüfen ist (vgl. Senatsurteile vom 2. März 2010 - VI ZR 23/09, BGHZ
184, 313 Rn. 7; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, BGHZ 190, 28 Rn. 16 jeweils
mwN), für die gegen die Beklagten gerichtete Klage bejaht.
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a) Diese Zuständigkeit besteht nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ unabhängig da-
von, ob - wie das Berufungsgericht meint - das Lugano-Übereinkommen I oder
das Lugano-Übereinkommen II (Übereinkommen über die gerichtliche Zustän-
digkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 30. Oktober 2007, ABl. EU L
339 S. 3, nachfolgend LuGÜ II) Anwendung findet.
Im vorliegenden Fall erfolgte die Einreichung der Klageschrift, nicht je-
doch deren Zustellung, vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Lugano-Über-
einkommens II für die Europäische Gemeinschaft am 1. Januar 2010 (BGBl. I
2009 S. 2862; vgl. Senatsurteile vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, BGHZ 190,
28 Rn. 16; vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, WM 2012, 852 Rn. 15; vom
23. Oktober 2012 - VI ZR 260/11, BGHZ 195, 166 Rn. 7). Auf die umstrittene
Frage, ob für eine Klageerhebung im Sinne des Art. 63 Abs. 1 LugÜ II entspre-
chend Art. 30 Nr. 1 LugÜ II - wie vom Berufungsgericht angenommen - auf den
Zeitpunkt der Einreichung der Klage (so zu Art. 66 Abs. 1 der Verordnung (EG)
Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zustän-
digkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen - ABl. EG 2001 L 12 S. 1, nachfolgend: EuGVVO, jeweils
zur Abgrenzung EuGVÜ/EuGVVO: BGH, Urteile vom 19. Februar 2004 - III ZR
226/03, NJW 2004, 1652, 1653; vom 1. Dezember 2005 - III ZR 191/03, BGHZ
165, 172, 175; Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht,
3. Aufl., Art. 66 EuGVVO Rn. 2; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilpro-
zessrecht, 9. Aufl., Art. 66 EuGVO Rn. 2; jetzt auch Hüßtege in Thomas/Putzo,
ZPO, 35. Aufl., Art. 66 EuGVVO Rn. 2; offen gelassen von BGH, Urteil vom
30. März 2006 - VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83 Rn. 10; BGH, Beschluss vom 16.
November 2006 - IX ZR 206/03, DStRE 2007, 1000 Rn. 2) oder auf die lex fori
des Gerichtsstaates und damit auf den Zeitpunkt der Zustellung der Klage ab-
zustellen ist (so Domej in Dasser/Oberhammer, LugÜ, Art. 54 Rn. 4; inzident
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auch Senat, Urteil vom 23. Oktober 2012 - VI ZR 260/11, aaO Rn. 6 f.; zu Art.
66 Abs. 1 EuGVVO auch BGH, Urteil vom 16. Dezember 2003 - XI ZR 474/02,
BGHZ 157, 224, 228 f.; vom 7. Dezember 2004 - XI ZR 366/03, WM 2005, 339,
340; zu Art. 54 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zu-
ständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen vom 27. September 1968 - BGBl. II 1972 S. 774, im Folgenden:
EuGVÜ bereits BGH, Urteil vom 28. Februar 1996 - XII ZR 181/93, BGHZ 132,
105, 107; ebenso zu Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ EuGH, Urteil vom 7. Juni 1984, Slg.
1984, 2397 Rn. 10 ff. - Zelger/Salinitri), kommt es nicht an. Denn nach beiden
Übereinkommen sind deutsche Gerichte nach den - soweit im Streitfall von Be-
deutung - gleichlautenden Art. 5 Nr. 1, Nr. 3 LugÜ I und Art. 5 Nr. 1 Buchst. a,
Nr. 3 LugÜ II international zuständig.
Die Übereinkommen finden gemäß Art. 54b Abs. 2 Buchst. a LugÜ I bzw.
Art. 64 Abs. 2 Buchst. a LugÜ II jeweils mit Vorrang vor dem nationalen Pro-
zessrecht Anwendung (vgl. Senatsurteile vom 20. Dezember 2011 - VI ZR
14/11, aaO Rn. 16; vom 5. Oktober 2010 - VI ZR 159/09, BGHZ 187, 156 Rn. 9;
vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO; jeweils mwN).
Bei der Anwendung und Auslegung der Übereinkommen ist den Grund-
sätzen gebührend Rechnung zu tragen, die in maßgeblichen Entscheidungen
von Gerichten der anderen Vertragsstaaten sowie in Entscheidungen des Ge-
richtshofs der Europäischen Gemeinschaften entwickelt worden sind (vgl.
- jeweils - Präambel und Art. 1 Protokoll Nr. 2 zu LugÜ I und LugÜ II).
Die in den Übereinkommen verwendeten Begriffe sind grundsätzlich au-
tonom, d.h. ohne Rückgriff auf die lex fori oder lex causae auszulegen, wobei in
erster Linie die Systematik und die Zielsetzung des Übereinkommens zu be-
rücksichtigen sind, um die einheitliche Anwendung des Übereinkommens in
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allen Vertragsstaaten zu gewährleisten; dies gilt insbesondere für die Begriffe
des "Vertrags" in Art. 5 Nr. 1 LugÜ I/II und der "unerlaubten Handlung" in Art. 5
Nr. 3 LugÜ I/II (vgl. Senatsurteile vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO
Rn. 17; vom 27. Mai 2008 - VI ZR 69/07, BGHZ 176, 342 Rn. 11; vom 5. Okto-
ber 2010 - VI ZR 159/09, aaO Rn. 13; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO
Rn. 17, 31; jeweils mwN).
b) Die Voraussetzungen für eine internationale Zuständigkeit deutscher
Gerichte aus Art. 5 Nr. 3 LugÜ I/II liegen vor.
aa) Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist begründet,
wenn der Kläger die erforderlichen Tatsachen für eine im Inland begangene
unerlaubte oder dieser gleichgestellten Handlung des Beklagten schlüssig be-
hauptet (vgl. zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I Senat, Urteile vom 27. Mai 2008 - VI ZR
69/07, aaO; vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, VersR 2008, 1129 Rn. 14,
jeweils mwN; zu Art. 5 Nr. 3 EuGVVO BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - XI ZR
57/08, ZIP 2010, 2004 Rn. 19 und - XI ZR 28/09, WM 2010, 1590 Rn. 21; vom
12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, WM 2010, 2214 Rn. 21; vom 15. November
2011 - XI ZR 54/09, BKR 2012, 78 Rn. 21; vom 12. Dezember 2013 - I ZR
131/12, WRP 2014, 548 Rn. 17; jeweils mwN). Entgegen der Auffassung der
Revision muss vom Kläger nicht eine unerlaubte Handlung im Sinne des deut-
schen Deliktsrechts schlüssig vorgetragen werden. Vielmehr kommt es auf den
schlüssigen Vortrag einer unerlaubten Handlung im Sinne der autonom auszu-
legenden Vorschrift des Art. 5 Nr. 3 LugÜ I/II an (so zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I Se-
nat, Urteil vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 20; vgl. zu Art. 5 Nr. 3
EuGVVO EuGH, Urteil vom 19. April 2012 - C-523/10, GRUR 2012, 654
Rn. 26 f. - Wintersteiger; BGH, Urteile vom 12. Dezember 2013 - I ZR 131/12,
aaO; zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ - bereits EuGH, Urteil vom 27. Oktober 1998
- C-51/97, Slg.1998, I-6511 Rn. 22 f. - Réunion Européenne u.a.).
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bb) Für die Auslegung der Lugano Übereinkommen I und II gelten im
Wesentlichen dieselben Auslegungsgrundsätze wie für die Auslegung des
Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Voll-
streckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom
27. September 1968 (EuGVÜ) und der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates
vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerken-
nung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(EuGVVO). Nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Euro-
päischen Union (zukünftig: Gerichtshof) beziehen sich die Begriffe "unerlaubte
Handlung" und "Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist" im
gleichlautenden Art. 5 Nr. 3 EuGVVO auf jede Klage, mit der eine Schadenshaf-
tung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1
EuGVVO anknüpft (vgl. EuGH, Urteile vom 18. Juli 2013 - C-147/12, RIW 2013,
617 Rn. 32 - ÖFAB; vom 13. März 2014 - C-548/12, ZIP 2014, 843 Rn. 20
- Brogsitter; jeweils mwN; ebenso zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I Senat, Urteil vom 27.
Mai 2008 - VI ZR 69/07, aaO; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO Rn. 32;
jeweils mwN; zu Art. 5 Nr. 3 EuGVVO Senat, Urteil vom 8. Mai 2012 - VI ZR
217/08, VersR 2012, 994 Rn. 13; BGH, Urteile vom 24. Oktober 2005 - II ZR
329/03, NJW 2006, 689 Rn. 6; vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08, aaO Rn. 21
mwN, und - XI ZR 28/09, aaO Rn. 23 mwN; vom 12. Oktober 2010 - XI ZR
394/08, aaO Rn. 23 mwN; vom 15. November 2011 - XI ZR 54/09, aaO Rn. 23
mwN; vom 29. Januar 2013 - KZR 8/10, GRUR-RR 2013, 228 Rn. 12 mwN).
Außerdem muss zwischen dem geltend gemachten Schaden und dem ihm zu-
grunde liegenden Ereignis ein ursächlicher Zusammenhang feststellbar sein
(EuGH, Urteile vom 18. Juli 2013 - C-147/12, aaO Rn. 34; vom 16. Juli 2009
- C-189/08, Slg. 2009, I-6917 Rn. 28 - Zuid-Chemie; jeweils mwN).
cc) Eine solche unerlaubte Handlung macht der Kläger geltend. Er nimmt
die Beklagten mit der Begründung in Anspruch, diese hätten selbst als Organe
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seiner Vertragspartnerin - der M. AG - verbotene Finanzdienstleistungsgeschäf-
te betrieben, weil sie das zielgerichtete, auf einen rechtswidrigen Kundenfang
unter Einsatz von Call-Centern und Kundenberatern in Deutschland ausgerich-
tete Geschäftsmodell der Gesellschaft als verantwortliche Geschäftsführungs-
organe bewusst mitverantwortet und forciert, jedenfalls aber in Kauf genommen
oder insoweit zumindest (grob) fahrlässig gehandelt und damit letztlich den Be-
klagten geschädigt hätten
dd) Im Streitfall knüpft die Klage nicht an einen Vertrag im Sinne des
Art. 5 Nr. 1 LugÜ I bzw. Art. 5 Nr. 1 Buchst. a LugÜ II an.
(1) Zwar hat der erkennende Senat auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32
KWG gestützte Schadensersatzansprüche gegen den Vertragspartner als An-
sprüche aus einem Vertrag im Sinne des Art. 15 Abs. 1 LugÜ II qualifiziert. Für
die Begründung des Verbrauchergerichtsstands ist danach nicht die Geltend-
machung eines vertraglichen Anspruchs im engeren Sinn erforderlich. Vielmehr
genügt es, dass sich die Klage allgemein auf einen Vertrag bezieht und eine so
enge Verbindung zu diesem Vertrag aufweist, dass sie von ihm nicht getrennt
werden kann (Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO Rn. 22;
vgl. auch zu Art. 13 Abs. 1 LugÜ I Senatsurteile vom 5. Oktober 2010 - VI ZR
159/09, aaO Rn. 23; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO Rn. 32; jeweils
mwN).
Die erforderliche enge Verbindung war in den vom Senat entschiedenen
Fällen gegeben, weil der Kläger geltend machte, ihm sei ein Vermögensscha-
den durch das Handeln seines Vertragspartners, gegen den sich damals die
Klage richtete, entstanden, da dieser den Vertrag aufgrund eines gesetzlichen
Verbots nicht habe abschließen dürfen (vgl. Senatsurteile vom 5. Oktober 2010
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- VI ZR 159/09, aaO Rn. 24 ff. mwN; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO Rn.
33; vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO Rn. 23).
(2) So liegt es hier aber nicht. Bei der vorliegenden Fallgestaltung fehlt
es an einer engen Verbindung der Klage gegen die Beklagten zu dem von der
M. AG mit dem Kläger geschlossenen Vertrag. Denn die Beklagten sind nicht
Vertragspartner des Klägers. Werden gegen das Organ der Vertragspartnerin
Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend gemacht, so bilden den Gegen-
stand des Verfahrens nicht ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im
Sinne der Art. 5 Nr. 1 LugÜ I bzw. Art. 5 Nr. 1 Buchst. a LugÜ II.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum insoweit gleichlauten-
den Art. 5 Nr. 1 Buchst. a EuGVVO (EuGH, Urteile vom 14. März 2013
- C-419/11, RIW 2013, 292 Rn. 46 f. -
Česká spořitelna; vom 18. Juli 2013
- C-147/12, aaO Rn. 33; jeweils mwN) kann der Begriff "Vertrag oder Ansprüche
aus einem Vertrag" nicht so verstanden werden, dass er eine Situation erfasst,
in der es an einer von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegan-
genen Verpflichtung fehlt. Demnach setzt die Anwendung der besonderen Zu-
ständigkeitsregel, die für einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag vor-
gesehen ist, voraus, dass eine von einer Person gegenüber einer anderen frei-
willig eingegangene rechtliche Verpflichtung bestimmt werden kann, auf die sich
die betreffende Klage stützt (vgl. zu Art. 5 Nr. 1 LugÜ I Senatsurteil vom 27. Mai
2008 - VI ZR 69/07, aaO; zu Art. 5 Nr. 1 EuGVVO BGH, Urteile vom 22. April
2009 - VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606 Rn. 13; vom 29. November 2011
- XI ZR 172/11, NJW 2012, 455 Rn. 14; vom 29. Januar 2013 - KZR 8/10, aaO;
jeweils mwN).
Wird eine Klage gegen ein Organ einer Gesellschaft, mit dem dieses für
Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftbar gemacht werden soll, nicht auf eine
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von diesem freiwillig eingegangene Verpflichtung gestützt, sondern auf die Be-
hauptung, das Organ sei seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen, dann
handelt es sich beim Gegenstand der Klage folglich nicht um einen Vertrag oder
Ansprüche aus einem Vertrag (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - C-147/12, aaO
Rn. 36 ff.). Bei auf ein Fehlverhalten von Organmitgliedern gestützten Klagen
liegt vielmehr die erforderliche enge Verbindung nicht vor (vgl. EuGH, Urteil
vom 18. Juli 2013 - C-147/12, aaO Rn. 39 ff.).
Damit fehlt es im vorliegenden Fall bei dem gegen die Beklagten gerich-
teten Anspruch an einem Vertrag oder Ansprüchen aus einem Vertrag im Sinne
des Art. 5 Nr. 1 LugÜ I bzw. Art. 5 Nr. 1 Buchst. a LugÜ II als Klagegegenstand.
Denn der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gründet nicht auf ein
Handeln der Beklagten im Zusammenhang mit einer von ihnen eingegangenen
freiwilligen Verpflichtung, sondern auf einen behaupteten Verstoß gegen eine
Verbotsnorm als Organe der M. AG.
ee) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 5 Nr. 3
EuGVVO beruht die besondere Zuständigkeit am Ort der unerlaubten Handlung
darauf, dass zwischen der Streitigkeit und anderen Gerichten als denen des
Staates, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, eine besonders enge Bezie-
hung besteht, die aus Gründen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichte-
ren Beweisaufnahme eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt. Dabei ist
der Begriff "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist" in Art. 5 Nr. 3
EuGVVO so zu verstehen, dass er sowohl den Ort des ursächlichen Gesche-
hens (Handlungsort) als auch den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs
(Erfolgsort) meint. Beide Orte können demnach unter dem Aspekt der gerichtli-
chen Zuständigkeit eine signifikante Verknüpfung begründen, da jeder von bei-
den je nach Lage des Falles für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des
Prozesses einen besonders sachgerechten Anhaltspunkt liefern kann (EuGH,
28
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- 14 -
Urteile vom 16. Juli 2009 - C-189/08, aaO Rn. 23 f. mwN; vom 25. Oktober
2011 - C-509/09 und C-161/10, Slg. 2011, I-10269 Rn. 40 f. mwN - eDate
Advertising u.a.; vom 19. April 2012 - C-523/10, aaO Rn. 18 ff.; vom 25. Okto-
ber 2012 - C-133/11, NJW 2013, 287 Rn. 37 ff. mwN - Folien Fischer und
Fofitec; vom 16. Mai 2013 - C-228/11, WM 2013, 1257 Rn. 25 ff. mwN - Melzer;
vom 18. Juli 2013 - C-147/12, aaO Rn. 49 ff.; vom 3. Oktober 2013 - C-170/12,
NJW 2013, 3627 Rn. 26 f. - Pinckney; zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I bereits Senat,
Urteil vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 17, 24; zu Art. 5 Nr. 3
EuGVVO BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08, aaO Rn. 19, 23, und
- XI ZR 28/09, aaO Rn. 21, 25; vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO
Rn. 21, 25; vom 15. November 2011 - XI ZR 54/09, aaO Rn. 21, 25; jeweils
mwN).
Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob der Handlungsort in Deutsch-
land liegt, da jedenfalls der Erfolgsort in Deutschland belegen ist.
(1) Erfolgsort ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Ort, an
dem aus einem Ereignis, das für die Auslösung einer Schadensersatzpflicht
wegen unerlaubter Handlung oder wegen einer gleichgestellten Handlung in
Betracht kommt, ein Schaden entstanden ist. Gemeint ist damit der Ort, an dem
das auslösende Ereignis seine schädigende Wirkung entfaltet, d.h. der Ort, an
dem sich der durch das Ereignis verursachte Schaden konkret zeigt (EuGH,
Urteil vom 16. Juli 2009 - C-189/08, aaO Rn. 27 mwN; vgl. auch Urteil vom
19. April 2012 - C-523/10, aaO Rn. 21; zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I vgl. Senatsurteil
vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 17 mwN). Die Bestimmung des
Erfolgsorts hat nach der Rechtsprechung zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ, die entspre-
chend für die Auslegung der nahezu gleichlautenden Bestimmung des Art. 5
Nr. 3 EuGVVO (vgl. EuGH, Urteile vom 16. Juli 2009 - C-189/08, aaO Rn. 18 f.
mwN; vom 25. Oktober 2011 - C-509/09 und C-161/10, aaO Rn. 39; vom
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- 15 -
25. Oktober 2012 - C-133/11, aaO Rn. 31 f.; vom 18. Juli 2013 - C-147/12, aaO
Rn. 28) und damit auch von Art. 5 Nr. 3 LugÜ II herangezogen werden kann,
losgelöst von nationalen Vorschriften über die außervertragliche zivilrechtliche
Haftung zu erfolgen (so EuGH, Urteil vom 19. September 1995 - C-364/93,
Slg. 1995, I-2719 Rn. 18 f. - Marinari; vgl. auch EuGH, Urteil vom 16. Mai 2013
- C-228/11, aaO Rn. 34 mwN).
(2) Der Begriff des Erfolgsortes im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO wird
aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift in der Rechtsprechung des
Gerichtshofs restriktiv ausgelegt. Der Schadenserfolg ist in diesem Zusammen-
hang an dem Ort verwirklicht, an dem das haftungsauslösende Ereignis den
unmittelbar Betroffenen direkt schädigt. Die Wendung "Ort, an dem das schädi-
gende Ereignis eingetreten ist" kann also nicht so weit ausgelegt werden, dass
sie jeden Ort erfasst, an dem die schädigenden Folgen eines Umstands spürbar
werden können, der bereits an einem anderen Ort einen primären Schaden
bzw. eine primäre Rechtsgutsverletzung verursacht hat; lediglich mittelbare
Schadensfolgen stellen keinen Erfolgsort im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO dar
(vgl. zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ EuGH, Urteile vom 11. Januar 1990 - C-220/88, Slg.
1990, I-49 Rn. 20 f. - Dumez France und Tracoba; vom 19. September 1995
- C-364/93, aaO Rn. 14 f.;vom 27. Oktober 1998 - C-51/97, aaO Rn. 30 f.
- Réunion Européenne u.a.; vom 10. Juni 2004 - C-168/02, Slg. 2004, I-6009,
Rn. 19 - Kronhofer; ebenso zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I Senatsurteile vom
6. November 2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 17 mwN; vom 27. Mai 2008 - VI ZR
69/07, aaO Rn. 16).
Die bloße Belegenheit des Vermögens des Geschädigten zum Zeitpunkt
der Entstehung der Schadensersatzpflicht kann nach dieser Rechtsprechung
für die Ermittlung des Erfolgsorts nicht maßgeblich sein, da es hier an einer Be-
ziehung zu dem dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt und damit
32
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- 16 -
an der erforderlichen Sachnähe fehlen kann (EuGH, Urteil vom 19. September
1995 - C-364/93, aaO Rn. 20). Auch bei Kapitalanlagedelikten kann der Er-
folgsort demgemäß nicht schon deshalb am Klägerwohnsitz liegen, weil dort der
Mittelpunkt von dessen Vermögen liegt, da dies dem Ziel der Rechtssicherheit
für die Parteien hinsichtlich des Gerichtsstandes und der grundsätzlichen Zu-
ständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten zuwiderliefe (vgl. EuGH,
Urteil vom 10. Juni 2004 - C-168/02, aaO Rn. 20 f. - Kronhofer; BGH, Urteile
vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08, aaO Rn. 29, und - XI ZR 28/09, aaO Rn. 31;
vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO Rn. 31; vom 15. November 2011
- XI ZR 54/09, aaO Rn. 31; ebenso zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I Senatsurteil vom 6.
November 2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 21).
(3) Dem vorstehend genannten Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juni
2004 lag allerdings ein wesentlich anderer Sachverhalt als im vorliegenden Fall
zugrunde, weil die unerlaubte Handlung erst nach Überweisung des Anlageka-
pitals von einem Konto am Wohnsitz des Anlegers auf ein im Ausland geführtes
Konto verübt wurde (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08, aaO,
und - XI ZR 28/09, aaO; vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO; vom
15. November 2011 - XI ZR 54/09, aaO; jeweils mwN).Dieser - einen besonde-
ren Fall betreffenden - Entscheidung kann aber auch entnommen werden, dass
unter anderen Umständen der Erfolgsort durchaus im Wohnsitzstaat des Klä-
gers gelegen sein kann (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08,
aaO, und - XI ZR 28/09, aaO; vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO; vom
15. November 2011 - XI ZR 54/09, aaO; jeweils mwN). So ist etwa bei einem
Geschäftsmodell, das von vornherein bewusst darauf abzielt, uninformierte,
leichtgläubige Menschen unter sittenwidriger Ausnutzung ihres Gewinnstrebens
und ihres Leichtsinns als Geschäftspartner zu gewinnen und sich auf deren
Kosten zu bereichern, und das auf Seiten des Anlegers einen Kenntnisrück-
stand voraussetzt, ohne den ein vernünftig denkender Anleger sich auf die
34
- 17 -
Geldanlage nicht eingelassen hätte, bereits die durch den Anleger veranlasste
Überweisung des Anlagekapitals der Deliktserfolg, so dass der den Gerichts-
stand begründende Erfolgsort im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO dann der Ort
der Minderung des Kontoguthabens ist (BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - XI ZR
57/08, aaO Rn. 30, und - XI ZR 28/09, aaO Rn. 32; vom 12. Oktober 2010
- XI ZR 394/08, aaO Rn. 32; vom 15. November 2011 - XI ZR 54/09, aaO
Rn. 32; jeweils mwN; vgl. auch Beschluss des Senats vom 15. Februar 2011
- VI ZR 189/10, juris, mit dem er sich der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats
angeschlossen hat).
(4) Im vorliegenden Fall ist - unabhängig vom Ort des Mittelpunkts des
Vermögens des Klägers - von einem in Deutschland gelegenen Erfolgsort aus-
zugehen.
(a) Bei reinen Vermögensdelikten ist in Anknüpfung an die Rechtspre-
chung des Gerichtshofs zum Primärschaden mangels einer primären Rechts-
gutsverletzung der Ort des ersten unmittelbar verletzten Interesses maßgeblich
(vgl. PG/Pfeiffer, ZPO, 6. Aufl., Art. 5 EuGVO Rn. 12; Wagner in Stein/Jonas,
ZPO, 22. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rn. 161). Ist schon die Herbeiführung oder An-
bahnung eines Rechtsgeschäfts rechtswidrig, so stellt der Ort den Erfolgsort
dar, an dem dieses Fehlverhalten des Schädigers die erste Wirkung entfaltet
hat (sog. "Handlungswirkungsort", vgl. Huber, IPrax 2009, 134, 137; Ten Wolde/
Knot/Weller in Simons/Hausmann, Brüssel I-Verordnung, Art. 5 Nr. 3 Rn. 50).
(b) Dieser Ort liegt nach dem Vortrag des Klägers in Deutschland. Da-
nach haben die Beklagten hier den Tatbestand einer unerlaubten Handlung
verwirklicht, weil sie als Organe der M. AG ohne Erlaubnis in Deutschland Fi-
nanzdienstleistungen erbrachten. Zudem hat der Kläger an seinem Wohnsitz
den ersten Vermögensverwaltungsauftrag unterzeichnet, also die (Erst-)Anlage-
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- 18 -
entscheidung getroffen, die Grundlage für seine Geldanlage war (ähnlich OLG
Hamm, Urteil vom 18. Juli 2013 - 6 U 215/11, aaO). Auch alle weiteren Ver-
tragsunterzeichnungen erfolgten nach dem Klägervorbringen an seinem Wohn-
sitz. Darüber hinaus hat er mit Abschluss des ersten Vermögensverwaltungs-
auftrags dort auch die erste Zahlung in Gestalt der sog. Auslandsbearbeitungs-
gebühr an den Vertriebsmitarbeiter der M. AG entrichtet, wodurch bereits unmit-
telbar sein im Inland belegenes Vermögen geschädigt wurde (vgl. OLG Dres-
den, IPRspr 2007, Nr. 140, 392, 395; OLG München, Urteil vom 30. Oktober
2013 - 20 U 603/12, juris Rn. 24; dies übersieht Thole, AG 2013, 913, 916 f.; für
einen Erfolgsort am Ort des Erstvermögensschadens bei aufsichtsrechtlich un-
zulässigem Vertrieb auch Engert/Groh, IPrax 2011, 458, 463 f.). Der Schwer-
punkt seiner Interessenverletzung liegt demnach in Deutschland als Ort der ers-
ten Anlageentscheidung und des Eintritts des Erstvermögensschadens.
(5) Ein in Deutschland gelegener Erfolgsort wird den vom Gerichtshof
angeführten Zielsetzungen der europäischen Zuständigkeitsvorschriften - und
damit auch den Zielen der entsprechenden Bestimmungen der Lugano Über-
einkommen - gerecht.
Die geforderte Nähe zum Streitgegenstand und die Möglichkeit einer
leichteren Beweisaufnahme (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-189/08,
aaO Rn. 24 mwN; vom 16. Mai 2013 - C-228/11, aaO Rn. 27) liegen bei einer
Zuständigkeit deutscher Gerichte vor, da im Zentrum des Rechtsstreits das oh-
ne die erforderliche Erlaubnis zur Erbringung von Finanzdienstleistungen ge-
mäß § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG erfolgte Handeln des Vertriebsbeauftragten in
Deutschland und der vom Kläger dort unterschriebene Vermögensverwaltungs-
auftrag stehen. Auch der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften für
beide Parteien und der Gewährleistung von Rechtssicherheit (EuGH, Urteile
vom 25. Oktober 2011 - C-509/09 und C-161/10, aaO Rn. 50 mwN; vom
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19. April 2012 - C-523/10, aaO Rn. 23; vom 25. Oktober 2012 - C-133/11, aaO
Rn. 45 mwN; vom 16. Mai 2013 - C-228/11, aaO Rn. 28; vom 18. Juli 2013
- C-147/12, aaO Rn. 52; vom 16. Januar 2014 - C-45/13, NJW 2014, 1166
Rn. 28 - Kainz) ist hierdurch Genüge getan. Denn der Ort, an dem durch die
Erbringung unerlaubter Finanzdienstleistungen eine Auftragserteilung und eine
(erste) Zahlung durch den Anleger vorgenommen wurden, wodurch das Inte-
resse des Klägers zuerst unmittelbar verletzt worden ist, ist sowohl für den Klä-
ger als auch für die Beklagten ersichtlich. Insbesondere führt ein in Deutschland
gelegener Erfolgsort zur Zuständigkeit desjenigen Gerichts, das objektiv am
besten in der Lage ist, die Begründetheit der geltend gemachten Verletzung zu
beurteilen (vgl. EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2013 - C-170/12, aaO Rn. 34
mwN; vom 16. Mai 2013 - C-228/11, aaO Rn. 28 mwN; vom 16. Januar 2014
- C-45/13, aaO Rn. 24). Denn der Kläger stützt seine Klage gerade auf die Ver-
letzung einer inländischen Vorschrift des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts,
die nach deutschem Deliktsrecht zu einer Schadensersatzverpflichtung der Be-
klagten führen soll.
(6) Die Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen dem Kläger und der
M. AG haben auf die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte hinsicht-
lich der vorliegenden Klage schon deshalb keinen Einfluss, weil sie das Ver-
hältnis des Klägers zu seiner Vertragspartnerin, nicht jedoch zu deren Organen,
betreffen.
(7) Der erkennende Senat ist nicht gehalten, den Gerichtshof gemäß
Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV um eine Vorabentscheidung zur Auslegung des
Art. 5 Nr. 3 LugÜ zu ersuchen. Für das LugÜ II besteht zwar eine Auslegungs-
zuständigkeit des Gerichtshofs (Präambel zum Protokoll 2 nach Art. 75 LugÜ II
über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens und den ständigen Aus-
schuss, ABl. EU 2007 L 339 S. 27; vgl. auch Senatsurteile vom 20. Dezember
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- 20 -
2011 - VI ZR 14/11, WM 2012, 852 Rn. 28 mwN; vom 23. Oktober 2012 - VI ZR
260/11, BGHZ 195, 166 Rn. 22). Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte
der Mitgliedstaaten entfällt aber, wenn die betreffende gemeinschaftsrechtliche
Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war
oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig
ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr bleibt (vgl. EuGH,
Urteile vom 6. Oktober 1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 13 ff. - C.I.L.F.I.T/
Ministero della Sinita und vom 15. September 2005 - C-495/03, Slg. 2005,
I-8191 Rn. 33 und ständig; Senat, Urteile vom 20. Dezember 2011 - VI ZR
14/11, aaO mwN; vom 23. Oktober 2012 - VI ZR 260/11, aaO; vom 25. Februar
2014 - VI ZR 144/13, VersR 2014, 593 Rn. 23; BGH, Beschluss vom 22. März
2010 - NotZ 16/09, BGHZ 185, 30 Rn. 33). Dies ist hier der Fall. Insbesondere
ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt, dass die Entscheidung,
ob finanzielle Verluste eines Klägers in seinem Heimatstaat eingetreten sind,
den nationalen Gerichten obliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Februar 2004
- C-18/02, Slg. 2004, I-1417, Rn. 43 - DFDS Torline, zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ; zu
Art 5 Nr. 3 LugÜ I Senatsurteil vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, VersR
2008, 1129 Rn. 22; zu Art. 5 Nr. 3 EuGVVO BGH, Urteil vom 12. Oktober 2010
- XI ZR 394/08, aaO Rn. 36). Eine Auslegungszuständigkeit des EuGH für das
LugÜ I besteht bereits nicht (Senat, Urteile vom 27. Mai 2008 - VI ZR 69/07,
aaO Rn. 9; vom 5. Oktober 2010 - VI ZR 159/09, BGHZ 187, 156 Rn. 10; vom
20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10,
BGHZ 190, 28 Rn. 17).
2. a) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass sich der
vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch im Ansatz nach deut-
schem Recht beurteilt (Art. 40 Abs. 1 EGBGB). Dagegen wenden sich die Par-
teien nicht.
42
- 21 -
b) Die Beklagten können als Organe der M. AG an nicht erlaubter Fi-
nanzportfolioverwaltung (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG) mitgewirkt haben und
deshalb persönlich wegen Verletzung eines Schutzgesetzes haften (§ 823
Abs. 2 i.V.m. § 32 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2, Abs. 2 KWG, § 14
Abs. 1 Nr. 1 StGB).
aa) Handelt es sich bei dem Schutzgesetz um ein Strafgesetz, so kommt
als Schadensersatzpflichtiger in Betracht, wer als Täter oder Teilnehmer gegen
eine entsprechende Strafvorschrift verstoßen kann (BGH, Urteil vom 11. Juni
2013 - II ZR 389/12, NJW 2013, 3303 Rn. 13). Ein Verstoß gegen § 32 Abs. 1
Satz 1 KWG ist gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG strafbewehrt, wobei sich im Falle
juristischer Personen die Verantwortlichkeit insbesondere nach § 14 Abs. 1
Nr. 1 StGB richtet, der darauf abstellt, dass jemand als vertretungsberechtigtes
Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs handelt
(vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 2006 - VI ZR 339/04, VersR 2006, 1374 Rn. 25,
- VI ZR 340/04, WM 2006, 1896 Rn. 23 und - VI ZR 341/04, EBE/BGH 2006,
302, 304; vom 19. März 2013 - VI ZR 56/12, BGHZ 197, 1 Rn. 30).
bb) Die Frage der Organstellung der Beklagten nach § 14 Abs. 1 Nr. 1
StGB ist, da es sich bei der M. AG um eine ausländische Gesellschaft handelt,
nach dem Gesellschaftsstatut zu beurteilen (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Juni
2013 - II ZR 389/12, aaO Rn. 19).
Dem ist das Berufungsgericht nachgekommen. Es hat - von der Revision
unangegriffen - den Inhalt des Schweizer Rechts dahingehend ermittelt, dass
der Beklagte zu 2 als stellvertretender Direktor Vertreter der M. AG war. Ebenso
waren demnach die Beklagten zu 3 und 4 als Mitglieder des Verwaltungsrats
der M. AG deren vertretungsbefugte Organe.
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- 22 -
cc) Indem die Beklagten als Organe der M. AG Finanzdienstleistungen
ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis erbrachten, verstießen sie gegen § 32
Abs. 1 Satz 1 KWG; zugleich erfüllten sie den Straftatbestand des § 54 Abs. 1
Nr. 2 Fall 2, Abs. 2 KWG i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Für den von ihnen als
Organe begangenen Verstoß haften sie persönlich (vgl. Senatsurteile vom 11.
Juli 2006 - VI ZR 339/04, VersR 2006, 1374 Rn. 25, 28 mwN, - VI ZR 340/04,
WM 2006, 1896 Rn. 23, 26 mwN, und - VI ZR 341/04, aaO).
3. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht nicht geprüft, ob dem
Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32
Abs. 1 Satz 1 KWG ein Einwand nach Schweizer Recht entgegen steht. Es
kommt in Betracht, dass der Anspruch nach Art. 303 Abs. 2 des Bundesgeset-
zes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) untergegangen ist.
Diese Vorschrift bestimmt, dass ein Gläubiger, welcher dem Nachlass-
vertrag zugestimmt hat, seine Rechte gegen Mitschuldner und andere [nur
dann] wahrt, sofern er ihnen mindestens zehn Tage vor der Gläubigerversamm-
lung deren Ort und Zeit mitgeteilt und ihnen die Abtretung seiner Forderung ge-
gen Zahlung angeboten hat.
a) Im Streitfall stimmte der Kläger dem vom Nachlassrichter beim Be-
zirksgericht Zürich bestätigten Nachlassvertrag über das Vermögen der M. AG
vorbehaltlos zu. Ob der Kläger dadurch zugleich seine Schadensersatzansprü-
che gegen die (mit-)haftenden Beklagten verlor, bestimmt sich gemäß § 335
InsO nach Schweizer Recht (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 18. Juli 2013 - 6 U
215/11, juris Rn. 31; OLG Brandenburg, Urteil vom 27. März 2014 - 12 U
182/12, juris Rn. 21; OLG München, Urteile vom 30. Oktober 2013 - 20 U
603/12, juris Rn. 28 ff., - 20 U 605/12, juris Rn. 50 ff., und - 20 U 1699/13,
ZInsO 2014, 785, 787). Nach § 335 InsO unterliegen das Insolvenzverfahren
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und seine Wirkungen, soweit nichts anderes bestimmt ist, dem Recht des
Staats, in dem das Verfahren eröffnet worden ist.
b) Zwar findet grundsätzlich für alle Voraussetzungen und Rechtsfolgen
einer deliktischen Haftung - hier die Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2
BGB i.V.m. § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG - das Deliktsstatut und damit deutsches
Recht Anwendung (so bereits Senatsurteil vom 14. Juni 1960 - VI ZR 81/59,
VersR 1960, 990, 991). Das Deliktsstatut umfasst im Regelfall alle Einreden
und Einwendungen, die dem Anspruch entgegengehalten werden können, wie
etwa eine Verjährung des Anspruchs (vgl. Senat, Urteil vom 31. Mai 1983
- VI ZR 182/81, VersR 1983, 858, 859), einen Verzicht (Senat, Urteil vom
10. Februar 2009 - VI ZR 28/08, VersR 2009, 558 Rn. 8, 15 ff.) oder eine Ver-
wirkung (zum Ganzen MünchKomm-BGB/Junker, 5. Aufl., Art. 40 EGBGB,
Rn. 100; BeckOK-EGBGB/Spickhoff, Art. 40 Rn. 10 (Stand: 1. Februar 2013);
Staudinger/von Hoffmann, BGB Neubearb. 2001, Vorbemerkung zu Art. 40
EGBGB Rn. 46 f.). Im vorliegenden Fall ist aber, worauf die Revision zu Recht
hinweist, gemäß § 335 InsO das Insolvenzstatut maßgeblich, da es sich bei
einem etwaigen Untergang des Anspruchs gegen Mitschuldner nach Schweizer
Recht um einen als insolvenzrechtlich zu qualifizierenden Erlöschensgrund
handelt.
c) Die gerichtliche Bestätigung des Schweizer Nachlassvertrages wird
gemäß § 343 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 InsO im Inland anerkannt.
aa) Der Senat hat bereits entschieden, dass es sich beim Schweizer
Nachlassverfahren um ein ausländisches Insolvenzverfahren im Sinne des
deutschen internationalen Insolvenzrechts handelt (Versäumnisurteil vom
20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO Rn. 32 ff. mwN). Die Eröffnung dieses
ausländischen Insolvenzfahrens wird damit nach § 343 Abs. 1 Satz 1 InsO
51
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ebenso wie Sicherungsmaßnahmen nach dem Antrag zur Eröffnung des Insol-
venzverfahrens und Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung des
Insolvenzverfahrens (§ 343 Abs. 2 InsO) im Inland anerkannt.
bb) Eine solche Entscheidung im Sinne des § 343 Abs. 2 InsO stellt auch
die gerichtliche Bestätigung des Nachlassvertrags gemäß Art. 304 Abs. 2
SchKG dar, da hiermit - ähnlich wie im nationalen Recht nach § 254 Abs. 1 In-
sO - eine Forderungsmodifikation aufgrund des von den Gläubigern beschlos-
senen (Art. 302 Abs. 2 SchKG) und gegebenenfalls vom Gericht nach Art. 306
Abs. 3 SchKG geänderten Nachlassvertrags einhergeht (vgl. MünchKomm-
InsO/Thole, 2. Aufl., § 343 Rn. 82 f.). Die Forderungsmodifikation ergibt sich
daraus, dass der bestätigte Nachlassvertrag für alle Gläubiger - mit Ausnahme
der Pfandgläubiger, soweit sie durch das Pfand gesichert sind - verbindlich ist,
deren Forderungen vor der Bekanntmachung der Nachlassstundung oder seit-
her ohne Zustimmung des Sachwalters entstanden sind (Art. 310 Abs. 1
SchKG). Im Falle des Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung verzichten die
Gläubiger dabei insbesondere auf den Forderungsbetrag, der nicht durch die
Liquidation oder den Erlös aus der Abtretung des Vermögens gedeckt ist
(Art. 318 Abs. 1 Nr. 1 SchKG).
cc) Die für die Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens er-
forderliche Voraussetzung, dass das ausländische Insolvenzverfahren eine
extraterritoriale Geltung beansprucht, ist bei der Nachlassstundung ebenso wie
beim Konkurs gegeben (Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11,
aaO Rn. 37 mwN).
Zwar hat das Schweizerische Bundesgericht (Pra 66 (1977), 623, 625 f.
= BGE 103 III 54) in der Vergangenheit die Auffassung vertreten, die Wirkungen
eines in der Schweiz bestätigten Nachlassvertrags beschränkten sich grund-
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sätzlich auf das Gebiet der Schweiz. Es hat allerdings schon damals - weiter-
gehend als beim Konkurs - eine Erfassung ausländischer Vermögenswerte
durch den Nachlassvertrag als zulässig erachtet und ist von einer auch im Aus-
land zu beachtenden Verfügungsbefugnis der Liquidatoren ausgegangen
(Schweizerisches Bundesgericht, aaO, 626 f.). Soweit hierin eine (teilweise)
Absage an eine extraterritoriale Geltung des Nachlassverfahrens zu sehen sein
sollte, ist diese Auffassung durch die neuere Rechtsprechung des Bundesge-
richts überholt. Denn zwischenzeitlich hat es sogar für den Konkurs ausdrück-
lich festgestellt, dass er Auslandswirkung beansprucht (BGE 130 III 620, 629).
Auch die Schweizer Literatur geht von dieser sog. aktiven Universalität aus (vgl.
zum Konkurs und zur Nachlassstundung KUKO SchKG-Kren Kostkiewicz,
Art. 197 Rn. 22 ff.; BSK IPRG-Berti, 2. Aufl., Vor Art. 166 ff. Rn. 2; Kren
Kostkiewicz, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, Rn. 1152 ff.; Spühler/Dolge,
SchKG II, 5. Aufl., Rn. 373, 408; Siehr, SJZ 95 (1999), 85, 88 ff.; ebenso Se-
natsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO). Soweit teilweise die
Auslandswirkung eines in der Schweiz bestätigten Nachlassvertrags von der
Anerkennung durch das ausländische Recht abhängig gemacht wird (vgl. etwa
Kren Kostkiewicz, aaO, Rn. 1153; Siehr, aaO, 88 f.), stellt dies den grundsätz-
lich bestehenden Anwendungswillen des Schweizer Insolvenzrechts nicht in
Frage (vgl. Siehr, aaO, 89) und ist dies im Hinblick auf § 343 Abs. 2, Abs. 1
Satz 1 InsO unerheblich.
dd) Im Übrigen ergibt sich der Anspruch des Schweizer Nachlassverfah-
rens auf Auslandsgeltung auch aus dem am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen
schweizerischen Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG).
Zwar regelt Art. 175 IPRG lediglich die Anerkennung ausländischer Nachlass-
verträge oder ähnlicher Verfahren in der Schweiz. Aus der nach Art. 175 Satz 2,
Art. 166 Satz 1 Buchst. c IPRG erforderlichen Gegenseitigkeit ergibt sich aber,
dass das Schweizer Nachlassverfahren auf extraterritoriale Geltung angelegt ist
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(ebenso Stadler, KTS 1995, 539, 555). Anderenfalls wäre die Vorschrift ohne
Sinn. Dies gilt insbesondere auch für die schuldbefreiende Wirkung nach Ver-
säumen der im Nachlassverfahren gesetzten Frist. So hat der Bundesgerichts-
hof die restschuldbeschränkende Wirkung eines Schweizer Konkursverfahrens
anerkannt, weil eine gesetzlich vorgesehene Restschuldbeschränkung - wie ein
vereinbarter Schuldnachlass - die beabsichtigte Wirkung nur erreichen kann,
wenn sie gegenüber allen Gläubigern wirkt. Zugleich diene dies der Gläubiger-
gleichbehandlung (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 1993 - IX ZR 254/92, BGHZ
122, 373, 378). Dieser Gedanke ist auf die schuldbefreiende Wirkung des
Nachlassvertrages zu übertragen (Stadler, aaO, 556).
d) Nach § 335 InsO unterliegen auch die materiell-rechtlichen Folgewir-
kungen des Insolvenzverfahrens (BGH, Urteil vom 14. November 1996 - IX ZR
339/95, BGHZ 134, 79, 87) grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem das
Verfahren eröffnet worden ist (sog. "lex fori concursus", vgl. BGH, Beschluss
vom 30. April 2013 - VII ZB 22/12, WM 2013, 1225 Rn. 33; LSZ-Smid, Internati-
onales Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 343 InsO Rn. 2; MünchKomm-InsO/Reinhart,
aaO, § 335 Rn. 9; FK-InsO/Wenner/Schuster, 7. Aufl., § 343 Rn. 36). Hiervon
werden alle materiell-rechtlichen Wirkungen des ausländischen Insolvenzver-
fahrens erfasst, sofern diese nach deutschem internationalen Privatrecht als
insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind (LSZ-Smid, aaO, § 335 InsO Rn. 6;
MünchKomm-InsO/Reinhart, aaO Rn. 8, 11; FK-InsO/Wenner/Schuster, aaO,
§ 335 InsO Rn. 1; Kreft/Stephan, InsO, 7. Aufl., § 335 Rn. 9; Hess, InsO,
2. Aufl., § 335 Rn. 3; Braun/Tashiro, 5. Aufl., § 335 InsO Rn. 6 f.; Gottwald/
Kolmann, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 132 Rn. 2; Schluck-Amend in
Pape/Uhländer, InsO, § 335 Rn. 12).
e) Der Verlust der Rechte gegen Mitverpflichtete gemäß Art. 303 Abs. 2
SchKG ist eine materiell-rechtliche Folgewirkung, die als insolvenzrechtlich zu
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qualifizieren und daher gemäß § 335 InsO nach Schweizer Recht zu beurteilen
ist, das insoweit keine Rückverweisung vorsieht.
aa) Für die Qualifikation von Rechtsfragen, die sich an der Grenze zwi-
schen Insolvenzrecht und anderen Rechtsgebieten befinden, ist zunächst die
ausländische Rechtsvorschrift nach Sinn und Zweck zu erfassen, ihre Bedeu-
tung vom Standpunkt des ausländischen Rechts her zu würdigen und mit der
deutschen Einrichtung funktional zu vergleichen. Auf dieser Grundlage ist sie
den aus den Begriffen der deutschen Rechtsordnung aufgebauten Merkmalen
der deutschen Kollisionsnorm zuzuordnen (BGH, Urteile vom 19. Dezember
1958 - IV ZR 87/58, BGHZ 29, 137, 139; vom 22. März 1967 - IV ZR 148/65,
BGHZ 47, 324, 332; vom 21. September 1995 - VII ZR 248/94, NJW 1996, 54;
MünchKomm-InsO/Reinhart, aaO, Vor §§ 335 ff. Rn. 37, 101; vgl. auch Gott-
wald/Kolmann, aaO, § 129 Rn. 24).
Für eine insolvenzrechtliche Qualifikation sprechen solche Wirkungen,
die auf dem Insolvenzverfahren als Gesamtabwicklung der Vermögens- und
Haftungsverhältnisse eines Schuldners in einer Mangelsituation zu Gunsten
seiner grundsätzlich gleich zu behandelnden Gläubiger beruhen und für die
Aufgabenerfüllung eines Insolvenzverfahrens wesentlich sind (Gottwald/
Kolmann, aaO, § 132 Rn. 9; LSZ-Smid, Internationales Insolvenzrecht, aaO).
Einen weiteren Anhaltspunkt vermag der Umstand zu geben, ob die fragliche
Norm auch außerhalb der Insolvenz gilt oder eine spezielle Regelung für den
Fall der Insolvenz aufstellt (Braun/Tashiro, aaO Rn. 8). Anerkannt ist insbeson-
dere, dass sich die Wirkungen eines Insolvenzplanes oder (Zwangs-)Vergleichs
gemäß § 335 InsO nach der lex fori concursus richten (MünchKomm-InsO/
Reinhart, aaO, § 335 Rn. 116; Gottwald/Kolmann, aaO Rn. 103; FK-InsO/
Wenner/Schuster, aaO Rn. 5).
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bb) Art. 303 Abs. 2 SchKG regelt den Schutz von Mitschuldnern und das
Schicksal der gegen diese bestehenden Forderungen. Der Schweizer Gesetz-
geber erachtete es als ungerecht, wenn der Gläubiger dem Nachlassvertrag nur
zustimmt, weil er den Mitschuldner für die ganze Schuld belangen kann, wäh-
rend der Mitschuldner sein Regressrecht nur bis zum Betrag der Nachlassdivi-
dende ausüben kann und somit letztlich den Forderungsbetrag trägt. Demzufol-
ge sei es für den Gläubiger einfach, den Nachlassvertrag zu Lasten des Mit-
schuldners anzunehmen und ihm ein Opfer aufzuerlegen, zu welchem er sich
selbst nicht bereit erklärt hatte (Schweizerisches Bundesgericht, Pra 85 (1996),
246, 247 = BGE 121 III 191; BSK SchKG II-Vollmar, 2. Aufl., Art. 303 Rn. 1).
Das Schweizer Recht verlangt daher vom Gläubiger, dem Schuldner Ort und
Zeit der Gläubigerversammlung rechtzeitig mitzuteilen und ihm das Angebot zu
unterbreiten, seine Forderung gegen - volle (BSK SchKG II-Vollmar, aaO
Rn. 13; KUKO SchKG-Hardmeier, Art. 303 Rn. 3) - Zahlung an diesen abzutre-
ten. Damit erhalten die Mitverpflichteten vor der Gläubigerversammlung Gele-
genheit zum Studium der Akten und durch das Angebot der Forderungsabtre-
tung die Möglichkeit, selbst zum Gläubiger zu werden und über den Nachlass-
vertrag mitzuentscheiden (BSK SchKG II-Vollmar, aaO Rn. 11, 13; vgl. auch
Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, SchKG, 4. Aufl., Art. 303 Rn. 3). Kommt der
Gläubiger seiner Verpflichtung nicht nach, verliert er alle seine Rechte gegen-
über dem Mitschuldner (Schweizerisches Bundesgericht, aaO 251; BSK SchKG
II-Vollmar, aaO Rn. 10; Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, aaO Rn. 17; KUKO
SchKG-Hardmeier, aaO Rn. 2; Kren Kostkiewicz/Walder, SchKG, 18. Aufl.,
Art. 303 Rn. 6). Diese Folge tritt ein, wenn der Nachlassvertrag zustande
kommt und rechtskräftig wird (BSK SchKG II-Vollmar, aaO Rn. 5).
cc) Damit regelt das Schweizer Konkursrecht in Art. 303 Abs. 2 SchKG
eine als insolvenzrechtlich zu qualifizierende Fragestellung (ebenso OLG Mün-
chen, Urteile vom 30. Oktober 2013 - 20 U 603/12, aaO, - 20 U 605/12, aaO,
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und - 20 U 1699/13, aaO 788). Die Fragen der Einbeziehung von Mitverpflichte-
ten in das Verfahren und der Folgerungen für die gegen sie gerichteten Forde-
rungen der Gläubiger im Fall einer Insolvenz und eines sich anschließenden
(Zwangs-)Vergleichs stellen sich aus autonomer Sicht typischerweise in dieser
Mangelsituation und sind daher im Insolvenzrecht zu regeln. Darüber hinaus gilt
Art. 303 Abs. 2 SchKG ausschließlich für den Fall des als insolvenzrechtlich zu
qualifizierenden Nachlassverfahrens.
III.
Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562
Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies gibt dem Berufungsgericht insbesonde-
re Gelegenheit, die notwendigen Ermittlungen zum Schweizer Recht vorzu-
nehmen und die hierzu erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Galke
Wellner
Pauge
Stöhr
von Pentz
Vorinstanzen:
LG Göttingen, Entscheidung vom 26.06.2012 - 9 O 81/11 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 27.06.2013 - 8 U 118/12 -
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