Urteil des BGH vom 16.08.2012

BGH: werbung, aufwand, adresse, schweigen, koch, auskunft, zugang, sicherheitsleistung, einverständnis, anfechtbarkeit

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZB 2/12
vom
16. August 2012
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
- 2 -
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. August 2012 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Prof.
Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff, Dr. Koch und Dr. Löffler
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts
Darmstadt - 21. Zivilkammer/Berufungskammer - vom 12. Dezem-
ber 2011 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt
300
€.
Gründe:
I. Der Kläger macht geltend, ihm seien am 30. März und 9. April 2011
ohne sein Einverständnis E-Mails mit Werbung für Reiseangebote der Beklag-
ten zugesandt worden. Das Amtsgericht hat der auf Unterlassung und Zahlung
von Abmahnkosten gerichteten Klage stattgegeben und den Streitwert auf
3.000
€ festgesetzt.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig
verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600
€ nicht übersteige
(§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Der Wert der Beschwer der Beklagten werde durch
Aufwand und Kosten bestimmt, die für sie damit verbunden seien, dem titulier-
1
2
- 3 -
ten Unterlassungsanspruch nachzukommen. Dieser Wert überschreite bei der
Unterlassung von E-Mail-Werbung aber keinesfalls 600
€. Vielmehr schätze die
Kammer den Aufwand für die Beklagte derart gering ein, dass der Ansatz der
Mindestbeschwer von 300
€ ausreiche.
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1
Satz 4 ZPO). Sie ist aber unzulässig, weil die Sache weder grundsätzliche Be-
deutung hat noch eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fort-
bildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung er-
fordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Entgegen dem Vortrag der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsge-
richt nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechts-
schutzes dadurch verletzt, dass es ihr den Zugang zu einer in der Verfahrens-
ordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr
zu rechtfertigender Weise erschwert hat.
Das Berufungsgericht hat sich mit dem Vortrag der Beklagten im Schrift-
satz vom 30. November 2011 zum Aufwand, der mit der Umsetzung des Unter-
lassungsgebots verbunden ist, ausdrücklich auseinandergesetzt. Es ist ohne
Rechtsfehler davon ausgegangen, dass es keinen nennenswerten Aufwand
erfordert, die Daten des Klägers im System der Beklagten zu löschen und die
E-Mail-Adresse des Klägers in eine Liste der für den Versand von Werbung ge-
sperrten E-Mail-Adressen aufzunehmen. Damit ist auch für die Zukunft sicher-
gestellt, dass der Kläger keine elektronische Werbung der Beklagten erhält,
solange er sich nicht ausdrücklich und in einer gemäß den Anforderungen der
Senatsrechtsprechung dokumentierten Weise damit einverstanden erklärt hat
3
4
5
- 4 -
(vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - I ZR 164/09, GRUR 2011, 936
Rn. 30 ff. = WRP 2011, 1153 - Double-opt-in-Verfahren).
Das Berufungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die
Beklagte die a. GmbH (nachfolgend: a. GmbH) an
der Nutzung der E-Mail-Adresse des Klägers hindern kann, soweit die Beklagte
die a. GmbH als Partner- oder Werbedienstleistungsunternehmen mit Wer-
bung für sich beauftragt hat. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt
hat, ist dafür nicht mehr zu tun als dann, wenn ein zunächst erteiltes Einver-
ständnis zum Empfang von Werbemitteilungen später widerrufen wird. Es ist
deshalb insbesondere nicht ersichtlich, dass es einer von der Beklagten einzu-
holenden strafbewehrten Unterlassungserklärung der a. GmbH bedarf, um
diese zu veranlassen, die E-Mail-Adresse des Klägers nicht für Werbung der
Beklagten zu verwenden.
2. Der Beklagten ist der Zugang zur Berufungsinstanz auch nicht
dadurch in zulassungsrelevanter Weise versagt worden, dass das Berufungsge-
richt nicht geprüft hat, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung
nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind. Dem Berufungsgericht ist in
diesem Zusammenhang zwar ein Verfahrensfehler unterlaufen; dieser Fehler ist
jedoch nicht entscheidungserheblich.
a) Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung ist, wie sich aus
§ 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO ergibt, grundsätzlich dem Gericht des ersten Rechts-
zugs vorbehalten. Hat - wie im Streitfall - keine Partei die Zulassung beantragt,
ist eine ausdrückliche Entscheidung entbehrlich; das Schweigen im Urteil be-
deutet zumindest in diesem Fall Nichtzulassung (BGH, Urteil vom 10. Februar
2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 15). Ist das erstinstanzliche Gericht
6
7
8
- 5 -
allerdings davon ausgegangen, dass die Beschwer der unterlegenen Partei
600
€ übersteigt, und hat es deswegen keine Prüfung der Zulassung der Beru-
fung vorgenommen, so hat das Berufungsgericht, bevor es das Rechtsmittel
mangels ausreichender Beschwer verwirft, grundsätzlich diese Zulassungsprü-
fung nachzuholen (BGH, Urteil vom 14. November 2007 - VIII ZR 340/06, NJW
2008, 218 Rn. 12; Beschluss vom 21. April 2010 - XII ZB 128/09, NJW-RR
2010, 934 Rn. 18).
Abweichendes gilt allerdings dann, wenn das erstinstanzliche Gericht
den Beklagten zur Erteilung einer Auskunft verurteilt und den Streitwert der
Auskunftsklage auf mehr als 600
€ festgesetzt hat. Denn der Streitwert der
Auskunftsklage und die Beschwer des zur Auskunft verurteilten Beklagten fallen
häufig so erheblich auseinander, dass kein Raum für die Annahme ist, der erst-
instanzliche Richter habe aufgrund seiner Streitwertfestsetzung keinen Anlass
gehabt, über die Zulassung der Berufung zu befinden. Das gilt insbesondere
dann, wenn das erstinstanzliche Gericht das Urteil ohne Sicherheitsleistung und
ohne Anordnung der Abwendungsbefugnis für vorläufig vollstreckbar erklärt und
damit zum Ausdruck gebracht hat, dass nach seiner Auffassung die Vorausset-
zungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft
nicht vorliegen (§ 713 ZPO), oder wenn der Einzelrichter den Rechtsstreit ent-
schieden und ihn nicht nach § 348 Abs. 3 ZPO der Zivilkammer zur Entschei-
dung über eine Übernahme vorgelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar
2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 15 ff.; Beschluss vom 15. Juni 2011
- II ZB 20/10, NJW 2011, 2974 Rn. 14 ff.). In diesen Fällen verbleibt es bei dem
allgemeinen Grundsatz, dass das Schweigen im erstinstanzlichen Urteil Nicht-
zulassung der Berufung bedeutet, wenn keine Partei die Zulassung beantragt
hat.
9
- 6 -
b) Nach diesen Grundsätzen war im Streitfall eine ausdrückliche Ent-
scheidung des Berufungsgerichts darüber geboten, ob die Voraussetzungen für
die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO erfüllt waren.
Das Amtsgericht hat sein Urteil nur gegen Sicherheitsleistung und mit
Anordnung der Abwendungsbefugnis für vorläufig vollstreckbar erklärt. Diesen
Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist bei objektiver Betrachtung zu
entnehmen, dass das Amtsgericht von einer Anfechtbarkeit seines Urteils aus-
gegangen ist und - mangels Zulassung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO - die
Zulässigkeit der Berufung schon aufgrund seiner Wertfestsetzung für die Klage
auf 3.000
€ angenommen hat. Dann ist davon auszugehen, dass das Schwei-
gen zur Zulassung der Berufung im erstinstanzlichen Urteil nicht im Sinne einer
Nichtzulassung zu verstehen ist, weil das erstinstanzliche Gericht keine Veran-
lassung gesehen hatte, über die Zulassung der Berufung zu entscheiden. Das
Berufungsgericht hatte diese Entscheidung deshalb nachzuholen.
c) Der Verfahrensfehler des Berufungsgerichts ist jedoch nicht erheblich,
weil eine Zulassung der Berufung - wie der Senat selbst entscheiden kann -
ohnehin nicht in Betracht gekommen wäre (vgl. BGH, NJW-RR 2010, 934
Rn. 21).
Es ist nicht ersichtlich, dass die für die Entscheidung des Amtsgerichts
tragenden Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung haben oder dass die Fort-
bildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Insbesondere sind die Anforde-
rungen an die Darlegung der Voraussetzungen einer Zustimmung zu E-Mail-
Werbung im Double-opt-in-Verfahren durch die Rechtsprechung des Senats
hinreichend geklärt (vgl. Urteil vom 10. Februar 2011 - I ZR 164/09, GRUR
10
11
12
13
- 7 -
2011, 936 = WRP 2011, 1153 - Double-opt-in-Verfahren). Dasselbe gilt für die
Frage des Einstehenmüssens beim E-Mail-Versand durch Dritte gemäß § 8
Abs. 2 UWG. Insoweit finden die geklärten Grundsätze der Haftung für Beauf-
tragte, insbesondere Dienstleistungsunternehmen der Werbebranche, Anwen-
dung, die auch im Rahmen von Partnerprogrammen für die E-Mail-Werbung
gelten (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1972 - I ZR 19/72, GRUR 1973,
208, 209 = WRP 1973, 23
– Neues aus der Medizin; Urteil vom 25. November
1993 - I ZR 259/91, GRUR 1994, 219, 220 = WRP 1994, 175 - Warnhinweis;
Urteil vom 7. Oktober 2009 - I ZR 109/06, GRUR 2009, 1167 Rn. 21 ff. = WRP
2009, 1520 - Partnerprogramm). Der Streitfall war auf der Grundlage dieser be-
reits entwickelten Grundsätze zu entscheiden.
Die von der Rechtsbeschwerde vorgetragene Befürchtung, dass mit der
Begründung des Berufungsgerichts eine Verurteilung zur Unterlassung von E-
Mail-Werbung praktisch nie berufungsfähig wäre, ist unbegründet. In allen Fäl-
len, in denen ein Zulassungsgrund nach § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO vorliegt, hat
das Gericht des ersten Rechtszugs die Berufung zuzulassen. In allen anderen
Fällen ist es auch unter Berücksichtigung des Verfahrensgrundrechts auf effek-
tiven Rechtsschutz nicht geboten, den Berufungsrechtszug zu eröffnen.
14
- 8 -
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Bornkamm
Schaffert
Kirchhoff
Koch
Löffler
Vorinstanzen:
AG Langen (Hessen), Entscheidung vom 25.08.2011 - 56 C 167/11 (10) -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 12.12.2011 - 21 S 176/11 -
15