Urteil des BGH vom 26.02.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 59/12
vom
26. Februar 2013
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1, § 104 Abs. 2 Satz 1
Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines weder im Rechtsstreit noch im Kostenfest-
setzungsverfahren vorgelegten Privatgutachtens.
BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - VI ZB 59/12 - OLG Frankfurt/Main
LG Frankfurt/Main
- 2 -
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Februar 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner, Pauge und Stöhr und die Rich-
terin von Pentz
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des
18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
26. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu
tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
755,77
€.
Gründe:
I.
Die Klägerin hat die Beklagte als Haftpflichtversicherer des an einem
Verkehrsunfall beteiligten Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch ge-
nommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung aus-
geführt, die Klägerin habe den Unfallhergang nicht schlüssig und nachvollzieh-
bar dargelegt, denn die behaupteten Schäden an ihrem Pkw könnten nicht alle
aus dem primären Zusammenstoß der Fahrzeuge herrühren. Mit erheblicher
1
- 3 -
Wahrscheinlichkeit habe es sich um einen gestellten Unfall gehandelt. Die ge-
gen dieses Urteil eingelegte Berufung hat die Klägerin nach einem für sie in der
Sache ungünstigen Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts zurückgenom-
men. Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Beklagte zunächst die Festset-
zung von Rechtsanwaltskosten und mit ergänzendem Antrag vom 3. Februar
2012 zusätzlich die Erstattung von Kosten
in Höhe von 755,77 € für die Einho-
lung eines schriftlichen DEKRA-Gutachtens "zur Plausibilität von Schadenab-
läufen" beantragt. Aus der von ihr vorgelegten Rechnung vom 25. Februar 2010
geht hervor, dass sie das Gutachten hinsichtlich des Unfalls vom 4. April 2009
am 12. Februar 2010, dem Tag nach der Klagezustellung, in Auftrag gegeben
hat. Zur Begründung der insoweit begehrten Kostenfestsetzung hat die Beklag-
te geltend gemacht, dass sie Zweifel an dem Unfallablauf und den in diesem
Zusammenhang behaupteten Beschädigungen gehabt habe und von einer Un-
fallmanipulation ausgegangen sei. Der Rechtspfleger des Landgerichts hat die
Gutachterkosten mit Beschluss vom 5. April 2012 antragsgemäß festgesetzt.
Der dagegen eingelegten sofortigen Beschwerde hat er nicht abgeholfen und
die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die
sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit
der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie ihr Ziel, die Aufhebung des
Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 5. April 2012 zu erreichen, weiterverfolgt.
II.
1. Das Beschwerdegericht hält die geltend gemachten Kosten für die
Einholung des Privatgutachtens für erstattungsfähig, weil sie prozessbezogen
und zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen seien.
Die Sachverhaltsdarstellung in der Klageschrift habe den Versuch eines Versi-
2
- 4 -
cherungsbetrugs befürchten lassen und damit begründeten Anlass zu einer
Prüfung des Unfallverlaufs und der Schadensverursachung gegeben. Da die
Mitarbeiter der Beklagten nicht selbst über entsprechende Sachkunde verfüg-
ten, sei die Einschaltung eines Sachverständigen unabdingbar gewesen. Der
Erstattungsfähigkeit der dadurch entstandenen Kosten stehe nicht entgegen,
dass die Beklagte das Gutachten als solches nicht zur Gerichtsakte gereicht
habe. Zwar möge aus diesem Umstand geschlossen werden können, dass das
Ergebnis des Gutachtens für die Prozesssituation der Beklagten nicht (oder
nicht in vollem Umfang) günstig gewesen sei, doch sei die Erforderlichkeit eines
Privatgutachtens aus der Sicht der Partei vor der Beauftragung des Gutachters
zu beurteilen. Deswegen seien die Kosten auch dann zu erstatten, wenn die
ergriffene Maßnahme zwar letzten Endes erfolglos, ex ante aber erfolgverspre-
chend gewesen sei. Ob die Erstattungsfähigkeit verlange, dass die aus der
Sachverständigentätigkeit gezogenen Folgerungen erkennbar in den Rechts-
streit eingeflossen seien, könne dahinstehen, denn diese Voraussetzung sei
vorliegend erfüllt. Die Beklagte habe nämlich vorgetragen, sie habe Lichtbilder
analysieren lassen, und sie habe das Ergebnis der Analyse referiert. Im Hinblick
auf die abweichende Auffassung des Oberlandesgerichts München (NJW-RR
1995, 1470) zu der Frage, ob Gutachterkosten nur dann erstattungsfähig seien,
wenn das Gutachten zur Gerichtsakte gereicht werde, sei die Rechtsbeschwer-
de zuzulassen.
2. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Üb-
rigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
a) Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten
des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kos-
ten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung notwendig waren. Dazu können nach der ständigen Recht-
3
4
- 5 -
sprechung des Senats auch die Kosten für die Einholung eines Privatsachver-
ständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind (vgl.
Senatsbeschlüsse vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02, BGHZ 153, 235 f.;
vom 20. Dezember 2011 - VI ZB 17/11, BGHZ 192, 140 Rn. 10; vom 23. Mai
2006 - VI ZB 7/05, VersR 2006, 1236 Rn. 6; vom 4. März 2008 - VI ZB 72/06,
VersR 2008, 801 Rn. 6 und vom 18. November 2008 - VI ZB 24/08, VersR
2009, 563 Rn. 6). Dies ist hier der Fall, denn das Privatgutachten ist von der
Beklagten am Tag nach der Klagezustellung in Auftrag gegeben worden. Die
Prozessbezogenheit kann entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde
nicht mit der Begründung verneint werden, die Beklagte habe schon vor Klage-
erhebung geltend gemacht, sie könne beweisen, dass nicht sämtliche Schäden
auf den Verkehrsunfall zurückzuführen seien. Aus diesem Vorbringen kann ins-
besondere nicht geschlossen werden, dass ihr das DEKRA-Gutachten schon
damals vorlag.
b) Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ist die Einho-
lung eines Privatgutachtens, wenn eine verständige und wirtschaftlich vernünf-
tig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich
ansehen durfte. Dabei darf die Partei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belan-
ge erforderlichen Schritte ergreifen (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Dezember
2011 - VI ZB 17/11, aaO Rn. 12 mwN). Da nach dem Klagevorbringen im Streit-
fall Anhaltspunkte für den Verdacht eines versuchten Versicherungsbetrugs
vorlagen, durfte die Beklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens
zur Klärung der Frage einer möglicherweise gegebenen Unfallmanipulation als
sachdienlich erachten. Dies gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwer-
de unabhängig davon, wie die Beklagte die Beweissituation vor Klageerhebung
eingeschätzt hat.
c) Zu Recht hat das Beschwerdegericht die Erstattungsfähigkeit der
5
6
- 6 -
durch die Einholung des DEKRA-Gutachtens entstandenen Kosten bejaht. Dem
steht nicht entgegen, dass die Beklagte das Gutachten weder im Rechtsstreit
noch im Kostenfestsetzungsverfahren vorgelegt hat.
aa) Die Frage, ob die Erstattungsfähigkeit der durch die Einholung eines
schriftlichen Privatgutachtens entstandenen Kosten voraussetzt, dass das Gut-
achten zur Gerichtsakte gereicht wird, wird in der Rechtsprechung unterschied-
lich beantwortet.
(1) Der früher teilweise vertretenen Auffassung, die Vorlage des Gutach-
tens sei schon deshalb erforderlich, weil die Kosten nur dann erstattungsfähig
seien, wenn das Gutachten den Verlauf des Rechtsstreits zugunsten der das
Privatgutachten vorlegenden Partei beeinflusst habe (vgl. etwa OLG Bamberg,
JurBüro 1990, 732; OLG Frankfurt am Main, JurBüro 1984, 1083, 1084), ist der
Senat entgegengetreten. Er hat klargestellt, dass für die Beurteilung der Erstat-
tungsfähigkeit maßgebend sei, ob die Partei die Einholung des Gutachtens ex
ante als sachdienlich ansehen durfte (Senatsbeschluss vom 20. Dezember
2011 - VI ZB 17/11, aaO Rn. 12 ff. mwN).
(2) Auch soweit die Vorlage des Gutachtens im Rechtsstreit mit der Be-
gründung verlangt wird, dass die Notwendigkeit eines Privatgutachtens zu ver-
neinen sei, wenn dieses nicht in den Rechtsstreit eingeführt werde und deshalb
weder vom Gericht noch von dem Gegner überprüfbar sei (OLG München,
NJW-RR 1995, 1470 f.), kann dem nicht gefolgt werden. Da für die Beurteilung
der Notwendigkeit auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem die Kosten auslö-
sende Maßnahme veranlasst wurde (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Dezember
2002 - VI ZB 56/02, aaO S. 238; vom 23. Mai 2006 - VI ZB 7/05, aaO Rn. 10;
vom 20. Dezember 2011 - VI ZB 17/11, aaO Rn. 12; BGH, Beschluss vom
1. April 2009 - XII ZB 12/07, NJW 2009, 2220 Rn. 11; BPatGE 51, 114, 118),
7
8
9
- 7 -
kann die Erstattungsfähigkeit weder von dem Ergebnis der Begutachtung noch
von deren Überzeugungskraft abhängig gemacht werden. Deshalb kann auch
nicht verlangt werden, dass die Partei den Inhalt des Privatgutachtens durch
entsprechenden Vortrag in den Rechtsstreit einführt oder das Gutachten selbst
im Laufe des Rechtsstreits vorlegt.
(3) Eine andere Frage ist, ob für die Erstattungsfähigkeit der Kosten ei-
nes Privatgutachtens dessen Vorlage im Kostenfestsetzungsverfahren erforder-
lich ist. Das könnte dann der Fall sein, wenn nur auf diese Weise nachgewiesen
werden könnte, dass der Partei die dafür erstattet verlangten Kosten tatsächlich
entstanden sind. Daran dürfte es aber regelmäßig dann fehlen, wenn die Partei
die Rechnung des Gutachters einreicht und die Entstehung der Kosten anwalt-
lich versichert wird.
bb) Nach diesen Grundsätzen hat das Beschwerdegericht die Erstat-
tungsfähigkeit der Kosten des von der Beklagten in Auftrag gegebenen DEKRA-
Gutachtens mit Recht bejaht. Da es dafür auf das Ergebnis des Gutachtens
nicht ankommt, steht der Erstattungsfähigkeit der Kosten nicht entgegen, dass
die Beklagte das "zur Plausibilität von Schadenabläufen" des betreffenden Un-
falls eingeholte Gutachten im Rechtsstreit nicht vorgelegt hat. Dass die in An-
satz gebrachten Kosten tatsächlich entstanden sind, hat das Beschwerdege-
richt aufgrund der von der Beklagten eingereichten Rechnung des Sachver-
ständigenbüros und der anwaltlichen Erklärung ihres Prozessbevollmächtigten
ersichtlich für glaubhaft gemacht erachtet (§ 294 iVm § 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Im Hinblick darauf bedurfte es auch im Kostenfestsetzungsverfahren nicht der
Vorlage des Gutachtens.
10
11
- 8 -
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Galke
Wellner
Pauge
Stöhr
von Pentz
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 05.04.2012 - 2-8 O 45/10 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 26.07.2012 - 18 W 114/12 -
12