Urteil des BGH vom 26.11.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZB 13/12
vom
26. November 2013
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 233 Fc, Fd
Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört eine klare Anweisung,
dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetra-
gen werden müssen, bevor ein entsprechender Erledigungsvermerk in der Akte
eingetragen werden kann.
BGH, Beschluss vom 26. November 2013 - II ZB 13/12 - OLG München
LG München I
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. November 2013 durch den
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Strohn als Vorsitzenden, die Richterin
Dr. Reichart sowie die Richter Dr. Drescher, Born und Sunder
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des
7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 7. Mai 2012 wird
als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens mit
Ausnahme der durch die Nebenintervention verursachten Kosten. Diese
hat die Nebenintervenientin zu tragen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 8.883,70
Gründe:
I. Die Klägerin begehrt Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist. Das klageab-
weisende Urteil des Landgerichts wurde der Klägerin am 3. Februar 2012 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 9. März 2012 hat die Klägerin Berufung eingelegt und mit Schrift-
satz vom gleichen Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Die Klägerin begründet ihren Antrag auf Wiedereinsetzung mit einem Verse-
hen der mit der Eintragung der Fristen und Führung des Fristenkalenders im Büro
ihres Prozessbevollmächtigten beauftragten Rechtsanwalts- und Notargehilfin U.
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. Diese sei zusammen mit der Rechtsanwaltsgehilfin N. bürointern für die
Bearbeitung von etwa 135 vergleichbaren Klageverfahren, die verstreut bei diversen
Landgerichten in Deutschland anhängig seien, zuständig. Am 6. Februar 2012 habe
ihr Prozessbevollmächtigter Frau U. die Handakte mit dem Diktat eines
Übersendungsschreibens und dem - diktierten - Hinweis übergeben, eine Vorfrist
(Wiedervorlagefrist) zum 27. Februar 2012 ebenso wie die am 5. März 2012 ablau-
fende Berufungsfrist in beiden Fristkalendern und in der Akte einzutragen. Trotz der
klaren Anweisung sei es nicht zur Eintragung der beiden Fristen in die betreffenden
Kalender gekommen. Aus dem Übersichtsblatt zur Berufungsakte sei zu entnehmen,
dass die Wiedervorlagefrist zum 27. Februar 2012 dort eingetragen und auch mit ei-
nem Erledigungs-Häkchen versehen gewesen sei. Es sei nicht mehr rekonstruierbar,
wie es zur unterlassenen Fristeneintragung gekommen sei. Frau U. könne
sich - rückblickend - das Fristversäumnis nur so erklären, dass sie nach Eintragung
der Wiedervorlagefrist auf dem Übersichtsblatt die Bearbeitung habe unterbrechen
müssen. Möglicherweise habe sie auch den Arbeitsplatz kurzfristig verlassen und bei
ihrer Rückkehr die Akte als erledigt angesehen und entsprechend abgelegt.
Mit Beschluss vom 7. Mai 2012 hat das Berufungsgericht nach vorherigem
Hinweis die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag
zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1
Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Vorausset-
zungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder ent-
scheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie
eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
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1. Das Berufungsgericht (OLG München, 7 U 960/12, juris) hat seine Ent-
scheidung wie folgt begründet: Es sei nicht auszuschließen, dass die Fristversäumnis
auf ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurück-
zuführen sei. Vorliegend sei die Sorgfaltspflicht des Anwalts - auch bezogen auf die
Kontrolle der Fristeintragung - erhöht, weil ca. 135 Verfahren parallel bei unterschied-
lichen Gerichten geführt würden. Die büromäßige Bearbeitung solcher Massenver-
fahren bedürfe besonderer organisatorischer Regelungen, Vorgaben, Anweisungen
und Kontrollen durch den Rechtsanwalt. Dass und in welcher Weise diese erfolgt
seien, werde nicht vorgetragen. Nach dem Vortrag der Klägerin seien im Büro ihres
Prozessbevollmächtigten zwei Mitarbeiterinnen mit der Bearbeitung dieser Verfahren
befasst. Dabei sei bereits nicht hinreichend erkennbar, welche der beiden Mitarbeite-
rinnen welches Verfahren verantwortlich bearbeite und ob vorliegend die genannte
Mitarbeiterin U. mit der büromäßigen Bearbeitung und insbesondere der
Fristenbearbeitung beauftragt worden sei. Auch die Erklärung des Prozessbevoll-
mächtigten in seiner Stellungnahme, es sei nicht ausgeschlossen, dass eine andere
Kanzleiangestellte während der Unterbrechung des Arbeitsgangs die Akte an sich
genommen habe, um ein Telefonat oder etwas anderes zu erledigen, und es deshalb
zur Ablage der Akte ohne Eintrag der Vor- und der Berufungsfrist gekommen sei, sei
ein Indiz dafür, dass die Büroorganisation der Klägervertreter eine hinreichende kon-
krete Arbeitsteilung und bürointerne Abgrenzung unter den Mitarbeiterinnen bezogen
auf die einzelnen Verfahren nicht vorgesehen beziehungsweise nicht gewährleistet
habe. Es sei daher nicht auszuschließen, dass die fehlende Fristeintragung darauf
zurückzuführen sei, dass neben der Anwaltsgehilfin U. auch eine andere
Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten, die ebenso mit der Bearbeitung der Mas-
senverfahren beauftragt gewesen sei, in den noch nicht abgeschlossenen Bearbei-
tungsvorgang eingegriffen und die Ablage vorgenommen habe.
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2. Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen den Angriffen der Rechtsbe-
schwerde standhalten. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung
jedenfalls im Ergebnis zu Recht versagt und die Berufung der Klägerin zu Recht als
unzulässig verworfen.
a) Die Klägerin hat die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt. Die einmo-
natige Berufungsfrist begann gemäß § 517 ZPO mit der Zustellung des Urteils des
Landgerichts am 3. Februar 2012. Sie ist daher gemäß § 222 Abs. 1 und 2 ZPO,
§ 188 Abs. 2 BGB am 5. März 2012, einem Montag, abgelaufen. Innerhalb dieser
Frist ist keine Berufung eingelegt worden.
b) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 233 ZPO voraus,
dass eine Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhal-
ten. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil nicht auszuschließen ist, dass an der
Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Prozessbevoll-
mächtigten der Klägerin bei der Fristenkontrolle mitgewirkt hat; dieses muss sich die
Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
aa) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt alles
ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten.
Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als
zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Dann
hat der Rechtsanwalt aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzu-
stellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur
Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der
Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte
notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder
auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetra-
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gen worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW
2003, 1815, 1816; Beschluss vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670
Rn. 6; Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 Rn. 7; Be-
schluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rn. 10).
Soweit die Rechtsprechung Erledigungsvermerke des Büropersonals zu den
jeweils in den Handakten eingetragenen Fristen fordert, soll sichergestellt werden,
dass die Fristen tatsächlich eingetragen sind und dem Anwalt eine entsprechende
Kontrolle anhand der Handakten möglich ist. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorga-
nisation gehört daher eine klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen
zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechen-
der Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr,
dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in einen
Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt (BGH, Beschluss vom
10. März 1992 - VI ZB 4/92, NJW-RR 1992, 826; Beschluss vom 4. März 2004
- IX ZB 71/03, FamRZ 2004, 1552; Beschluss vom 10. März 2011 - VII ZB 37/10,
NJW 2011, 1597 Rn. 13; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013
- XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rn. 12; Musielak/Grandel, ZPO, 10. Aufl.,
§ 233 Rn. 18).
bb) Dass im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin solche organisa-
torischen Anweisungen bestanden, lässt sich dem Vorbringen im Wiedereinset-
zungsverfahren nicht entnehmen. Der geschilderte Geschehensablauf, dass zu-
nächst auf dem Übersichtsblatt zur Berufungsakte die Wiedervorlagefrist zum
27. Februar 2012 eingetragen und mit einem Erledigungs-Häkchen versehen wurde,
bevor die Eintragung der Frist tatsächlich erledigt wurde, spricht für das Gegenteil.
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Eines vorherigen Hinweises der anwaltlich vertretenen Klägerin auf diesen
Gesichtspunkt bedurfte es nicht. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine
wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind bekannt und müssen einem
Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Tragen die zur Begründung
des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht
Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die auf-
zuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entspre-
chende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (vgl. BGH, Beschluss vom
24. Januar 2012 - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 12 mwN).
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cc) Die unzureichende Organisation im Büro des Prozessbevollmächtigten der
Klägerin war auch kausal für das Fristversäumnis. Hätte die Büroangestellte U.
die Vorfrist zunächst in den Fristenkalender eingetragen, wäre die Akte dem
Prozessbevollmächtigten bei unterstellt im Übrigen ordnungsgemäßem Vorgehen am
27. Februar 2012 vorgelegt worden und die Berufungsfrist hätte eingehalten werden
können.
Strohn
Reichart
Drescher
Born
Sunder
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 30.01.2012 - 35 O 12413/11 -
OLG München, Entscheidung vom 07.05.2012 - 7 U 960/12 -
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