Urteil des BGH vom 26.11.1999
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 74/05 Verkündet
am:
15. März 2006
P o t s c h ,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 535 Abs. 1 Satz 2, 536
Zur Frage, ob dem Mieter von Wohnraum ein Anspruch gegen den Vermieter auf
Unterlassung des Betriebs einer Mobilfunksendeanlage zusteht, wenn die Anlage die
in der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegten Grenzwerte für elektro-
magnetische Felder nicht überschreitet.
BGH, Urteil vom 15. März 2006 - VIII ZR 74/05 - LG Freiburg
AG
Freiburg
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. März 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter
Ball, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des
Landgerichts Freiburg vom 3. März 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens einschließ-
lich der Kosten der Streithelferin zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger sind Mieter einer im Haus des Beklagten gelegenen Dachge-
schosswohnung. Der Kläger zu 2 ist aufgrund einer Erkrankung bettlägerig und
auf einen Herzschrittmacher angewiesen. Durch Nutzungsvertrag vom
11./24. September 1999 gestattete der Beklagte der D.
GmbH (nunmehr: T. GmbH) - die dem
Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten als Streithelferin beigetreten ist - gegen
ein Nutzungsentgelt, im Speicher und auf dem Dach des Hauses eine Mobil-
funksendeanlage einzurichten. Für dieses Vorhaben erteilte die Regulierungs-
behörde für Telekommunikation und Post am 26. November 1999 und am
25. März 2003 Standortbescheinigungen.
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Mit ihrer Klage haben die Kläger vom Beklagten verlangt, die Einrichtung
und den Betrieb der Mobilfunksendeanlage zu unterlassen. Das Amtsgericht hat
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der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht
nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Mit
ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren die Kläger die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Kläger hat keinen Erfolg.
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I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in GE 2005, 547 veröffent-
licht ist, hat zur Begründung ausgeführt:
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Die Kläger hätten die Voraussetzungen für den geltend gemachten Un-
terlassungsanspruch nicht bewiesen. Zwar könnten dem Mieter einer Wohnung
Abwehransprüche nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB gegen Immissionen zuste-
hen, die vom Betrieb einer Mobilfunksendeanlage ausgingen. Der Anspruch sei
jedoch ausgeschlossen, wenn der betroffene Mieter die von der Mobilfunkanla-
ge ausgehenden Beeinträchtigungen durch elektromagnetische Felder als un-
wesentlich dulden müsse (§ 906 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB). Dies sei nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme der Fall. Der Sachverständige Prof.
Dr. W. habe in seinem Gutachten unter Berücksichtigung der Standort-
bescheinigungen vom 26. November 1999 und vom 25. März 2003 ausgeführt,
dass die Anlage die maßgeblichen Grenzwerte der 26. Bundesimmissions-
schutzverordnung (BImSchV) sowie des Entwurfs DIN VDE 0848-3-1 (VDE
0848 Teil 3-1): 2002-05 einhalte und die Wohnung der Kläger außerhalb des
Sicherheitsabstandes liege. In seinem Ergänzungsgutachten habe der Sach-
verständige weiter ausgeführt, dass die Störfestigkeit von Herzschrittmachern
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entsprechend den Werten der DIN VDE 0848-3-1 eingehalten sei und die Woh-
nung der Kläger außerhalb des Einwirkungsbereichs für aktive Körperhilfen
gemäß § 10 Abs. 1 der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begren-
zung elektromagnetischer Felder (BEMFV) liege. Ausweislich des Gutachtens,
dem sich die Kammer anschließe, und der Standortbescheinigung vom
25. März 2003 werde damit den geltenden Grenz- und Richtwerten eindeutig
genügt. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich einer Gesund-
heitsgefährdung im Bereich der hier in Rede stehenden Einwirkungen unterhalb
der derzeit geltenden Grenzwerte lägen auch unter Berücksichtigung der von
beiden Parteien vorgelegten Gutachten nicht vor.
Die Kläger könnten sich zur Begründung ihres Unterlassungsanspruchs
auch nicht auf eine gesteigerte vertragliche Fürsorgepflicht des Beklagten beru-
fen. Der Vermieter sei aufgrund des Mietvertrags verpflichtet, die Richt- und
Grenzwerte nach der Bundesimmissionsschutzverordnung einzuhalten, die sich
an nachweisbaren Gesundheitsgefahren durch Hochfrequenzfelder orientierten.
Eine weitergehende Fürsorgepflicht des Vermieters, allen denkbaren abstrakten
Gefahren entgegenzuwirken, bestehe nicht. Maßgeblich sei das Empfinden ei-
nes verständigen Durchschnittsmenschen; die Befürchtung des Mieters, die
Anlage sei dennoch gesundheitsgefährdend, reiche nicht aus. Im vorliegenden
Fall sei weder eine Störbeeinflussung der Funktion des Herzschrittmachers
noch eine Gesundheitsgefährdung des Klägers zu 2 bewiesen.
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II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand, so dass
die Revision der Kläger zurückzuweisen ist. Die Kläger haben keinen Anspruch
gegen den Beklagten auf Unterlassung des Betriebs der Mobilfunksendeanlage,
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deren Einrichtung der Beklagte seiner Streithelferin aufgrund des Nutzungsver-
trags vom 11./24. September 1999 gestattet hat.
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Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch der
Kläger entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB verneint; hiergegen erhebt die
Revision keine Beanstandungen. Entgegen der Auffassung der Revision steht
den Klägern auch kein Unterlassungsanspruch auf mietvertraglicher Grundlage
zu. Dieser lässt sich im vorliegenden Fall nicht mit der Verpflichtung des Ver-
mieters begründen, dem Mieter die Wohnung in einem zum vertragsgemäßen
Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB).
1. a) Maßgebend für die Frage, ob die Wohnung eine vertragsgemäße
Beschaffenheit aufweist, sind in erster Linie die vertraglichen Vereinbarungen
der Parteien. Die Revision macht nicht geltend, dass die Parteien eine Verein-
barung getroffen haben, die es dem Beklagten untersagt, auf seinem Haus-
grundstück einem Dritten den Betrieb einer Mobilfunksendeanlage zu gestatten.
Dies ist auch im Übrigen nicht ersichtlich. Fehlt eine vertragliche Vereinbarung
über die Beschaffenheit der gemieteten Wohnung - wozu auch Einwirkungen
durch Immissionen gehören können -, ist die Einhaltung der einschlägigen
technischen Normen geschuldet (Senat, Urteil vom 6. Oktober 2004 - VIII ZR
355/03, WuM 2004, 715, unter II 1). Dem entsprechend ist in der Rechtspre-
chung und im Schrifttum anerkannt, dass eine Mietwohnung keinen Sachman-
gel (§ 536 BGB) aufweist, wenn eine in der Nähe gelegene Mobilfunksendean-
lage die in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte für elektromagnetische
Felder nicht überschreitet (LG Berlin, NZM 2003, 60; LG Karlsruhe, DWW 2004,
57 m.w.Nachw.; MünchKommBGB/Schilling, 4. Aufl., Vor § 535 Rdnr. 60; Pa-
landt/Weidenkaff, BGB, 65. Aufl., § 536 Rdnr. 20 m.w.Nachw.; Staudinger/
Emmerich, BGB (2003), § 536 Rdnr. 30; a.A. AG München, WuM 1999, 111;
Kniep, WuM 2002, 598, 600).
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Dass das Berufungsgericht die Einhaltung der in der 26. BImSchV sowie
in den unangegriffen herangezogenen DIN-Normen festgelegten Grenzwerte
als ausreichend angesehen hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Ein anderer Beurteilungsmaßstab ist entgegen der Auffassung der Revision
nicht deshalb anzulegen, weil die wissenschaftliche Diskussion über die von
Mobilfunksendeanlagen ausgehenden Gefahren noch nicht abgeschlossen ist.
Die vom Verordnungsgeber in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte beru-
hen auf den übereinstimmenden Empfehlungen internationaler und nationaler
Sachverständigengremien, unter anderem der Strahlenschutzkommission, die
sich an nachweisbaren Gesundheitsgefahren orientieren. Der Verordnungsge-
ber hatte weiter gehende Schutzmaßnahmen abgelehnt, weil sie sich nicht auf
verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse stützen könnten (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 28. Februar 2002 - 1 BvR 1676/01, NJW 2002, 1638, unter I 1
m.w.Nachw.; BGH, Urteil vom 13. Februar 2004 - V ZR 217/03, NJW 2004,
1317, unter II zur nachbarrechtlichen Duldungspflicht gemäß § 906 Abs. 1
BGB). Die Revision, die auf von den Klägern in den Tatsacheninstanzen vorge-
tragene wissenschaftliche Stellungnahmen verweist, zeigt nicht auf, dass bisher
nicht berücksichtigte Forschungsergebnisse vorliegen, wonach die vom Verord-
nungsgeber in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte unzureichend sind,
weil sie nicht mehr dem heutigen Erkenntnisstand entsprechen würden. Hierfür
bestehen auch im Übrigen keine Anhaltspunkte; insbesondere wird laufend eine
Risikobewertung durch internationale und nationale Fachkommissionen vorge-
nommen (vgl. dazu BVerfG, aaO, unter I 1 und III 1 c m.w.Nachw.; vgl. auch
OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 1544 f.; Wahlfels, DRiZ 2006, 51, 52).
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b) Das sachverständig beratene Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei
festgestellt, dass die vorgenannten Grenzwerte betreffend die Mietwohnung der
Kläger - auch hinsichtlich der Störfestigkeit des vom Kläger zu 2 verwendeten
Herzschrittmachers - nicht überschritten werden. Soweit die Revision rügt, das
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Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt, die Kläger hät-
ten das vom Sachverständigen Prof. Dr. W. in seinem Gutachten
zugrunde gelegte Vorhandensein von Aluminiumfolie und Mineralwolle als
Dämmstoff im Haus des Beklagten in Abrede gestellt, hat der Senat diese Rüge
geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet; von einer weiteren Begründung
wird abgesehen (§ 564 Satz 1 ZPO).
2. Entgegen der Auffassung der Revision liegt ein Mangel der Mietwoh-
nung auch nicht darin begründet, dass die Kläger dem "Restrisiko" einer Ge-
sundheitsgefährdung ausgesetzt seien. Zwar kann nach der Verkehrsanschau-
ung gegebenenfalls bereits die begründete Besorgnis einer Gesundheitsgefahr
die Gebrauchstauglichkeit der Mieträume zu Wohnzwecken beeinträchtigen
(vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1987, 968, 969 und NZM 2003, 395, 396; Bay-
ObLG, NJW-RR 1999, 1533, 1534; Kraemer in Bub/Treier, Handbuch der Ge-
schäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III Rdnr. 1333; Staudinger/Emmerich,
aaO, Rdnr. 8, 12 f.). Dass die Gesundheit der Kläger durch den Betrieb der Mo-
bilfunksendeanlage (konkret) gefährdet wird, hat das Berufungsgericht jedoch
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rechtsfehlerfrei verneint; auch die Revision zeigt eine solche auf wissenschaftli-
chen Erkenntnissen gründende Gefahr nicht auf.
Dr. Deppert
Ball
Dr. Leimert
Wiechers
Dr. Wolst
Vorinstanzen:
AG Freiburg, Entscheidung vom 20.12.2000 - 4 C 717/00 -
LG Freiburg, Entscheidung vom 03.03.2005 - 3 S 19/01 -