Urteil des BGH vom 03.07.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 109/02
Verkündet am:
3. Juli 2003
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 254
Bei einer Stufenklage kann der zunächst unbestimmte Antrag dritter Stufe
auf Herausgabe von Wertpapieren oder Zahlung des Erlöses oder Leistung
von Schadensersatz lauten.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 - III ZR 109/02 - OLG Oldenburg
LG Osnabrück
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Juli 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter
Dr. Wurm, Schlick, Dr. Kapsa und Galke
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers und die Anschlußrevision der Be-
klagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Oldenburg vom 5. März 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger und die Beklagte zu 1 sind Geschwister, der Beklagte zu 2 ist
der frühere Ehemann und Alleinerbe der während des Rechtsstreits verstorbe-
nen früheren Beklagten zu 2, einer weiteren Schwester des Klägers. Die Par-
teien streiten um den Verbleib von Aktien der L. Eismaschinen AG, die sich
ursprünglich in einem Wertpapierdepot ihrer Mutter und Schwiegermutter
A. C. befanden.
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Mit notariellem Vertrag vom 31. Dezember 1969 übertrug A. C.
ihren vier Kindern (außer den Parteien noch ein anderer, am Rechtsstreit nicht
beteiligter Bruder) neben einem von ihrem 1968 vorverstorbenen Ehemann
ererbten Grundbesitz auch 240 L. -Aktien im Nennbetrag von 12.000 DM.
Hierbei behielt sie sich an den Grundstücken ein "lebenslängliches Nieß-
brauchsrecht" und an den Aktien "die lebenslängliche Verwaltung und Nutznie-
ßung" vor. Die Kinder hatten von ihrem Vater ein weiteres, unter der Bezeich-
nung "Nachl. H. C. " geführtes Wertpapierdepot geerbt. Hierzu hatte
der Vater testamentarisch bestimmt:
"Meine Frau erhält daran den lebenslangen Nießbrauch. Sie ist
berechtigt, die Geldanlage nach ihrem Ermessen zu ändern. Zur
Rechnungslegung ist sie meinen Kindern gegenüber nicht ver-
pflichtet, ebensowenig zu einer Sicherheitsleistung."
Der Kläger, der zunächst die Wertpapierbestände seiner Mutter verwal-
tete, ließ auch die L. -Aktien in das Nachlaßdepot übertragen. Bis zum
1. Dezember 1976 erhöhte sich deren Bestand auf 370 Stück. Im Jahre 1979
übernahm der Steuerberater der Mutter in deren Auftrag die Verwaltung der
Wertpapiere.
Die Mutter der Parteien verstarb am 14. Februar 1990; sie wurde von
der Beklagten zu 1 und der früheren Beklagten zu 2 allein beerbt. Bei der Auf-
lösung des Wertpapierdepots nach ihrem Tode fanden sich noch 132 L. -
Aktien, die zu gleichen Teilen auf die vier Geschwister verteilt wurden.
Mit der vorliegenden Stufenklage nimmt der Kläger die Beklagten auf
Rechnungslegung über den Verbleib der fehlenden 238 Aktien, erforderli-
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chenfalls auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, sowie - abhängig
vom Inhalt der erteilten Abrechnung - auf Herausgabe der ihm zustehenden
Wertpapiere oder Zahlung des Erlöses oder Schadensersatz in noch zu be-
stimmender Höhe in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat die Beklagten zur Rechnungslegung über den
Verbleib von insgesamt 108 L. -Aktien verurteilt und die weitergehende
Klage abgewiesen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine An-
sprüche in vollem Umfang weiter. Die Beklagten haben Anschlußrevision ein-
gelegt und beantragen vollständige Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Revision und Anschlußrevision haben Erfolg.
I.
1.
Das Berufungsgericht hält die Klage als Stufenklage (§ 254 ZPO) für
unzulässig. Zwar werde in diesem Fall vom Kläger eine Bezifferung seines Lei-
stungsantrags nicht verlangt. Das entbinde ihn jedoch nicht von seiner nach
§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestehenden Verpflichtung, den Grund des Anspruchs
konkretisiert darzulegen. Hieran fehle es vorliegend. Der Kläger verlange mit
seinem Leistungsantrag nämlich alternativ Herausgabe, Auskehrung des Erlö-
ses oder Leistung von Schadensersatz.
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Hinzu komme, daß für eine Klage auf Auskunft über den Verbleib her-
auszugebender Sachen wegen § 883 Abs. 2 ZPO grundsätzlich ein Rechts-
schutzbedürfnis fehle, wenn der Kläger die herauszugebenden Sachen auch
ohne Durchsetzung eines Auskunftsanspruchs hinreichend bestimmt bezeich-
nen könne. Im Hinblick darauf fehle es an einem Rechtsschutzinteresse für den
alternativ geltend gemachten Herausgabeantrag, jedenfalls soweit der Kläger
die Herausgabe der L. -Aktien und nicht ihres Surrogats verfolge. Ähnliches
gelte für den Schadensersatzanspruch. Zur Bestimmung der Schadenshöhe
trage die Auskunftsklage nichts bei, was schon dadurch belegt werde, daß der
Kläger konkrete Angaben zum Wert der vermißten L. -Aktien machen könne.
Die Auskunftsklage diene mithin nicht der Vorbereitung (Bezifferung) des
Schadensersatzanspruchs, sondern der Klärung, ob ein solcher Anspruch
- etwa wegen unberechtigter Verfügungen der Mutter - überhaupt in Betracht
komme.
Allerdings könne die unzulässige Stufenklage in eine zulässige Klagen-
häufung im Sinne des § 260 ZPO umgedeutet werden, so daß sich eine Sach-
entscheidung über den Auskunftsantrag treffen lasse.
2.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Gegen
die Zulässigkeit der Stufenklage bestehen im Streitfall keine Bedenken.
a) § 254 ZPO betrifft einen Sonderfall der objektiven Klagenhäufung
(§ 260 ZPO). Danach kann der Kläger nicht nur mit der Klage auf Rechnungs-
legung oder auf Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses oder auf Abgabe
einer eidesstattlichen Versicherung die Klage auf Herausgabe desjenigen ver-
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binden, was ihm der Beklagte aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis
schuldet. Er kann sich hierbei vor allem auch, wenn und weil ihm das Geschul-
dete nicht oder nicht hinreichend bekannt ist, die bestimmte Angabe der von
ihm beanspruchten Leistungen bis zur Erteilung der geforderten Auskünfte
vorbehalten. Abweichend von der Regel des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist es
deswegen zulässig, einen insoweit noch unbestimmten Leistungsantrag zu
stellen (Senatsurteil vom 2. März 2000 - III ZR 65/99 - NJW 2000, 1645, 1646).
Dabei geht es nicht nur um den Vorbehalt einer späteren Bezifferung, mag dies
auch der Hauptanwendungsfall einer Stufenklage sein, und ebensowenig allein
um eine Herausgabe im engeren Sinn (vgl. RGZ 56, 116, 119 f.). Vielmehr
kann der Kläger, wie das Beispiel des § 667 BGB zeigt, aus dem zugrundelie-
genden Rechtsverhältnis Anspruch auf "Herausgabe" ganz unterschiedlicher
Gegenstände haben, neben der auch bei Auftrags- oder Geschäftsbesor-
gungsverhältnissen im Vordergrund stehenden Zahlung eines Geldbetrags et-
wa auf Übereignung beweglicher Sachen oder Grundstücke, auf Verschaffung
des Besitzes an Sachen, auf Abtretung von Forderungen oder Übertragung
sonstiger Rechte, auf Erteilung einer Gutschrift im Bankverkehr und anderes
mehr. In derartigen Fallgestaltungen ist der Kläger vielfach außerstande, sei-
nen Leistungsantrag in bezug auf die herausverlangten Gegenstände hinrei-
chend zu konkretisieren. Von einer bestimmten Bezeichnung seines Klageziels
stellt ihn das Gesetz aus diesem Grunde zunächst frei. Der Kläger darf sich
vielmehr darauf beschränken, in der letzten Stufe seiner Klage die "Herausga-
be" des ihm nach der Auskunft oder Rechnungslegung Geschuldeten zu bean-
tragen. Geht er, wie hier, einen Schritt weiter und stellt bereits jetzt klar, daß er
Herausgabe (im engeren Sinne) der gegenständlich noch vorhandenen Sachen
(Wertpapiere) verlangt, bei einer Veräußerung in deren Umfang Erstattung des
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Erlöses und andernfalls Zahlung von Schadensersatz, so bleibt dies im Rah-
men des zulässigen unbestimmten Antrags.
Zu Unrecht vermißt das Berufungsgericht unter diesen Voraussetzungen
im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die konkrete Angabe des Anspruchs-
grundes. Grund des prozessualen Anspruchs ist der vom Kläger darzulegende
Sachverhalt, aus dem er den Klageanspruch herleitet (Zöller/Greger, ZPO,
23. Aufl., § 253 Rn. 12). Unverzichtbar ist damit auch bei einer Stufenklage
lediglich die Bezeichnung des Tatbestandes, aus dem sich der Hauptanspruch
ergeben soll (vgl. Assmann, Das Verfahren der Stufenklage, 1990, S. 8). Im
Streitfall genügt hierfür die Darstellung, daß sich der Bestand der von A.
C. geschenkten Aktien während der Zeit ihrer Verwaltung vermindert hat.
Die Gründe hierfür will der Kläger mit seinem Auskunftsantrag gerade erst er-
mitteln; sie können ihm deswegen nicht bereits als Klagevortrag abverlangt
werden. Mit dem vom Berufungsgericht für seine gegenteilige Auffassung unter
Hinweis auf Zöller/Greger (aaO § 253 Rn. 12a) angeführten Beispiel, das
rechtsgestaltende Erklärungen des Gläubigers betrifft (Klage auf Zahlung des
Kaufpreises oder auf Schadensersatz oder auf Rückzahlung wegen Rücktritts)
und bei dem die Angabe "Anspruch aus Kaufvertrag" nicht genügen soll, ist die
vorliegende Fallgestaltung nicht vergleichbar, so daß dahinstehen kann, wie
hierüber bei Erhebung einer Stufenklage zu entscheiden wäre.
b) Ebenso fehlerhaft ist die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts.
Zwar ist richtig, daß ein Rechtsschutzinteresse für die Klage auf Erteilung einer
Auskunft fehlen kann, wenn der Kläger hierauf nicht angewiesen ist und er
sogleich auf Herausgabe klagen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember
1962 - II ZR 63/60 - LM Nr. 7 zu § 254 ZPO). Es stellt aber die Dinge auf den
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Kopf, wenn das Berufungsgericht mit dieser Begründung nunmehr ein Rechts-
schutzbedürfnis für den Herausgabeantrag verneint. Nicht nachvollziehbar ist
ferner die Annahme des Berufungsgerichts, zur Bestimmung der Schadenshö-
he trage die Auskunftsklage nichts bei. Der Kläger ist zumindest im unklaren
darüber, in welchem Umfang die streitgegenständlichen L. -Aktien noch
vorhanden sind, er also noch deren gegenständliche Herausgabe verlangen
kann, und inwieweit er sich auf einen Anspruch auf Herausgabe des Erlöses
oder auf Schadensersatz verweisen lassen muß. Dieser Klärung soll gerade
die Stufenklage dienen.
Demnach kann die teilweise erfolgte Prozeßabweisung keinen Bestand
haben.
II.
1.
In der Sache hält das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf
Rechnungslegung nur insoweit für begründet, als es um den ursprünglichen
Bestand von 240 L. -Aktien geht, nach Verteilung der bis 1990 verbliebe-
nen 132 Aktien jetzt noch um 108 Stück. Dazu führt das Berufungsgericht aus:
a) Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger seinen Auskunftsan-
spruch auf die Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 681, 666
BGB) oder die der angemaßten Eigengeschäftsführung (§§ 687 Abs. 2, 681,
666 BGB) stützen könne. Mit der Verwaltung der L. -Aktien habe die Mutter
des Klägers jedenfalls ein auch-fremdes Geschäft geführt, da sie nicht berech-
tigt gewesen sei, die Aktien für sich zu verwerten, insbesondere im eigenen
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Interesse zu veräußern. Ein solches Recht folge nicht aus der vorbehaltenen
"lebenslänglichen Verwaltung und Nutznießung". Darin liege zwar die Einräu-
mung eines Nießbrauchs, nicht aber eines Verfügungsrechts. Für eine derarti-
ge Befugnis hätte es einer klaren Regelung bedurft, nicht nur deshalb, weil ein
Recht zur Verfügung über den Gegenstand mit der Bestellung eines Nieß-
brauchs grundsätzlich nicht verbunden sei, sondern auch deswegen, weil die
Übertragung der Aktien in diesem Fall zunächst gleichsam ins Leere gegangen
und den Kindern jedenfalls zu Lebzeiten ihrer Mutter kein Vermögenswert zu-
geflossen wäre. Eine andere Beurteilung sei auch nicht wegen der Bezugnah-
me auf Wünsche des verstorbenen Ehemanns und Vaters im Vertrag vom
31. Dezember 1969 geboten. Dieser habe allerdings seiner Ehefrau an den
seinen Kindern vermachten Aktien einen Nießbrauch eingeräumt, verbunden
mit dem Recht, den Aktienbestand zu verändern, ohne den Kindern gegenüber
zur Rechenschaftslegung verpflichtet zu sein. Im Schenkungsvertrag hätten die
Parteien diese Regelung aber gerade nicht übernommen. Für ein engeres Ver-
ständnis sprächen zudem die Schreiben des Steuerberaters der Mutter an den
Kläger vom 11. Januar 1978 (richtig wohl 1979), wonach dieser die Auffassung
des Klägers teile, daß der Mutter lediglich die Dividenden aus dem Depot zu-
stünden, sowie ein weiteres Schreiben des Steuerberaters vom 24. August
1983 an den Kläger, in dem dieser von der Beachtung des "Nießbrauchs-
rechts" der Mutter an dem Nachlaßdepot spreche. Soweit die Beklagten in die-
sem Zusammenhang unter Beweisantritt behaupteten, das Verständnis der
Mutter und der beschenkten Kinder habe beim Vertragsschluß gleichwohl dar-
auf abgezielt, die Mutter hinsichtlich der L. -Aktien ebenso zu stellen wie im
Testament des Vaters, sei dies unsubstantiiert, die Beklagten hätten auch nicht
mitgeteilt, wie dieses Verständnis für die Vertragsparteien erkennbar geworden
sei. Eine Verfügungsbefugnis der Mutter lasse sich auch nicht daraus ableiten,
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daß der Kläger selbst die L. -Aktien in das Depot "Nachlaß H. C. "
überführt habe. Mindestens aber stelle sich eine Veräußerung der Aktien durch
die Mutter als "auch-fremdes Geschäft" dar. Denn selbst mit einer Verfügungs-
befugnis sei nicht ohne weiteres das Recht verbunden, den Erlös oder die neu
angeschafften Aktien zu behalten.
Ferner sei der Anspruch des Klägers auf Rechnungslegung nicht ver-
wirkt. Zwar sei dem Kläger die Verringerung des Aktienbestandes bereits 1983
bekannt gewesen und er habe auch nach dem Tode der Mutter 1990 noch
mehrere Jahre mit der Erhebung seiner Stufenklage zugewartet. Indessen sei
der Kläger nicht völlig untätig geblieben, sondern habe 1983 durch eine Anfra-
ge bei dem Steuerberater deutlich gemacht, daß er weiterhin an den ge-
schenkten Aktien interessiert gewesen sei. Jedenfalls aber lägen keine An-
haltspunkte dafür vor, daß die Mutter auf die Nichterhebung von Ansprüchen
vertraut und sich hierauf eingerichtet habe. Nach deren Tod am 14. Februar
1990 habe der Kläger schon frühzeitig mehrfach Auskunft über den Verbleib
der L. -Aktien verlangt. Aufgrund seiner durch eine Vielzahl von Rechtsstrei-
tigkeiten belegten offensichtlichen Streitlust hätten die Beklagten nicht davon
ausgehen dürfen, dieser werde es bei bloßen Aufforderungsschreiben belas-
sen. Eine Verwirkung lasse sich schließlich ebensowenig auf ein pflichtwidriges
Verhalten des Klägers gegenüber seiner Mutter stützen. Die von den Beklagten
behaupteten Untreuehandlungen des Klägers in seiner Verwaltung des Wert-
papierdepots reichten nicht aus, zumal die Mutter einen Widerruf ihrer Schen-
kung gemäß § 530 BGB nicht ausgesprochen habe.
b) Allerdings seien die Beklagten nur gehalten, Rechenschaft über die
ursprünglich übertragenen 240 L. -Aktien (abzüglich der verteilten 132
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Stück) zu legen. Eine wie auch immer geartete Berechtigung an den während
der Dauer seiner Verwaltung erworbenen zusätzlichen 130 Aktien habe der
Kläger nämlich nicht schlüssig dargetan. Es sei unklar, mit wessen Geld und in
wessen Namen diese erworben worden seien. Sofern im übrigen der Kläger als
mit der Verwaltung des Depots Beauftragter die zusätzlichen Aktien bestim-
mungswidrig mit den seiner Mutter zustehenden Dividenden erworben haben
sollte, wie die Beklagten behaupteten, wäre er überdies zu deren Herausgabe
verpflichtet. Auch dann wäre insoweit weder für einen Auskunfts- noch für ei-
nen Leistungsantrag Platz.
2.
Diese Beurteilung ist zum Nachteil beider Seiten ebenfalls von Rechts-
fehlern beeinflußt.
a) Hat der Kläger, was das Berufungsgericht im Grundsatz bejaht und
wovon vorab zugunsten der Revision für das Revisionsverfahren ebenso aus-
zugehen ist, einen Anspruch auf Rechnungslegung über den Bestand des von
seiner Mutter verwalteten Aktiendepots, so erweist sich die Beschränkung die-
ses Anspruchs auf die ursprüngliche Zahl von 240 L. -Aktien als verfah-
rensfehlerhaft. Die Revision rügt mit Recht das Vorbringen des Klägers als
übergangen, dieser Aktienbestand habe sich infolge von Kapitalerhöhungen
bis zum Ende der von dem Kläger geübten Verwaltung auf 370 Aktien erhöht;
das hatte in erster Instanz noch das Landgericht als unstreitig festgestellt. Die-
ses Klagevorbringen war schlüssig, gleichgültig, ob es sich um Kapitalerhö-
hungen gegen Einlagen (§§ 182 ff. AktG) oder aus Gesellschaftsmitteln
(§§ 207 ff. AktG) handelte. In den zuletzt genannten Fällen hätte sich der
Nießbrauch ohne weiteres kraft Gesetzes auf die neuen Aktien erstreckt (arg.
§ 212 AktG; vgl. Lutter in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., § 212
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Rn. 4). Bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen bestand er nach Ausübung
des Bezugsrechts (§ 186 AktG) entweder dinglich (so wohl BGH, Urteil vom 27.
September 1982 - II ZR 140/81 - GmbHR 1983, 148, 149; Lutter aaO § 186 Rn.
20) oder schuldrechtlich (Staudinger/Frank, BGB, Neubearbeitung 2002, An-
hang zu § 1068 Rn. 114; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 186
Rn. 74; Wiesner in Münch. Hdb. GesR IV, 2. Aufl., § 14 Rn. 57) an demjenigen
Teil
der
jungen
Aktien, der dem Wertverhältnis der Bezugsrechte zum Gesamtwert der neuen
Aktien entsprach. Mangels Anhaltspunkten für das Gegenteil ist hier davon
auszugehen, daß sich der Prozeßvortrag des Klägers gerade auf diesen, sich
aus dem Wert der Bezugsrechte ergebenden Anteil neuer Aktien bezog. Für
die Schlüssigkeit dieses Vorbringens ist es entgegen der Revisionserwiderung
ohne Belang, ob es durch die vorgelegten Unterlagen vollständig gestützt wird;
das ist eine nicht im Revisionsverfahren zu klärende Frage der Tatsachenfest-
stellung. Auch auf die vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ent-
sprechend dem Beklagtenvortrag angestellten Hilfserwägungen zur Finanzie-
rung der zusätzlichen Aktien womöglich aus der Mutter zustehenden Dividen-
den kommt es unter diesen Umständen nicht an.
b) Andererseits ist jedoch den von der Revisionserwiderung und An-
schlußrevision schon zur Auslegung des Schenkungsvertrags durch das Beru-
fungsgericht erhobenen Rügen der Erfolg ebensowenig zu versagen. Die Aus-
legung individualvertraglicher Willenserklärungen ist zwar grundsätzlich Sache
des Tatrichters. Für das Revisionsgericht ist sie aber nicht bindend, wenn ge-
setzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze,
Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt sind (vgl. nur BGH, Urteil
vom 23. April 2002 - XI ZR 136/01 - NJW-RR 2002, 1359, 1361 m.w.N.). Unter
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anderem ist der Tatrichter gehalten, alle für die Auslegung erheblichen Um-
stände umfassend zu würdigen (BGH, Urteil vom 29. März 2000 - VIII ZR
297/98 - NJW 2000, 2508, 2509).
Nach diesen Maßstäben rügen die Beklagten zunächst zu Recht, daß
das Berufungsgericht dem von den Vertragsparteien neben der vorbehaltenen
"Nutznießung" verwendeten Begriff der "Verwaltung" im Zusammenhang mit
einem Aktiendepot keine hinreichende Bedeutung beigemessen hat. Selbst
wenn es sich dabei nicht um spekulative Papiere handelt, besteht die Verwal-
tung eines Aktienbestands doch zu einem wesentlichen Teil darin, den Markt
zu beobachten und bei Bedarf die Papiere umzuschichten. Der eigenverant-
wortliche Verwalter von Aktien muß deswegen, soll er seinen Aufgaben nach-
kommen können, im allgemeinen befugt sein, den vorhandenen Bestand zu
veräußern und durch andere Aktien zu ersetzen. Es liegt darum im Streitfall
nahe, daß die beschenkten Kinder ihre Mutter in diesem Sinne über den be-
stellten Nießbrauch hinaus schuldrechtlich (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Juli
1981 - V ZR 51/80 - NJW 1982, 31, 32) auch zur Verfügung über das Aktien-
depot - im eigenen oder fremden Namen - ermächtigen wollten. Nicht die Ver-
äußerungsbefugnis, sondern umgekehrt deren Fehlen hätte deshalb einer kla-
ren vertraglichen Regelung bedurft. Ob dasselbe auch aus den von der An-
schlußrevision dargestellten steuerlichen Erwägungen folgen würde, für die es
allerdings an einem Sachvortrag der Beklagten in den Tatsacheninstanzen
fehlt, kann offenbleiben.
Der Anschlußrevision ist darüber hinaus zuzugeben, daß das Beru-
fungsgericht in bezug auf die weitere Frage, ob eine Pflicht der Schenkerin zur
Rechnungslegung (die bei einer Verfügungsbefugnis wohl schon unmittelbar
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aus § 666 BGB folgen würde) nach dem Parteiwillen ausgeschlossen sein
sollte, den Auslegungsstoff nicht ausgeschöpft hat. Das Berufungsgericht hat
zwar den von den Vertragsparteien eingangs der notariellen Urkunde vom
31. Dezember 1969 hergestellten Zusammenhang zwischen den Wünschen
des Ehemanns und Vaters und der schenkweise an die Kinder erfolgten Über-
tragung von Grundbesitz und Aktien gewürdigt, ihn für sich allein aber nicht
genügen lassen. Hierbei hat es indes nicht berücksichtigt, daß der Kläger je-
denfalls bis zum Tode seiner Mutter eine Abrechnung über ihre Verwaltung
nicht gefordert hatte, es hat diesen Umstand vielmehr erst unter dem
- nachrangigen - Gesichtspunkt einer Verwirkung in den Blick genommen. Auch
ein späteres Verhalten der Vertragsparteien kann indessen schon für die Aus-
legung ihrer Erklärungen von Bedeutung sein, sofern es Anhaltspunkte für ih-
ren ursprünglichen Vertragswillen enthält (BGH, Urteil vom 16. Oktober 1997
- IX ZR 164/96 - NJW-RR 1998, 259 m.w.N.). Diese Untätigkeit des Klägers
könnte für einen Ausschluß derartiger Ansprüche auch nach seinem eigenen
Rechtsverständnis sprechen. Zu einer solchen Bewertung würde ferner pas-
sen, daß der Kläger selbst die geschenkten L. -Aktie in das Nachlaßdepot
seines Vaters übertragen ließ, bei dem ebenfalls ein Nutznießungs- und Ver-
waltungsrecht seiner Mutter bestand, jedoch ausdrücklich eine Rechenschafts-
pflicht ausgeschlossen war. Das Berufungsgericht hat diesen letzten Gesichts-
punkt zwar gleichfalls nicht übersehen, es hat ihn aber rechtsfehlerhaft wieder-
um nur isoliert gewürdigt. In diesem Zusammenhang gewinnt schließlich auch
die unter Beweis gestellte weitere Behauptung der Beklagten Bedeutung, mit
der im Schenkungsvertrag getroffenen Regelung hätten die Vertragsparteien
nach dem Verständnis aller Beteiligten der Mutter die gleichen Rechte wie in
der testamentarischen Verfügung des Vaters einräumen wollen. Ein derart
übereinstimmender Wille würde jeder sonstigen Auslegung vorgehen. Diese
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Behauptung ist ebenfalls schlüssig. Sie wäre nur dann unsubstantiiert und un-
beachtlich, wie das Berufungsgericht meint, wenn sie ohne jeden tatsächlichen
Anhaltspunkt "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" und somit rechtsmiß-
bräuchlich aufgestellt worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2000 - X ZR
19/98 - NJW 2000, 2812, 2813 f.; vom 8. Mai 2002 - I ZR 28/00 - NJW-RR
2002, 1433, 1435; vom 20. Juni 2002 - IX ZR 177/99 - NJW-RR 2002, 1419,
1420 f.). Hiervon kann im Hinblick auf die dargestellten, von den Beklagten
vorgetragenen indiziellen Umstände keine Rede sein.
3.
Nach alledem läßt sich das Berufungsurteil auch in der Entscheidung
über die Sache selbst nicht aufrechterhalten; es ist aufzuheben. Da die Ver-
tragsauslegung vorrangig Aufgabe des Tatrichters ist, muß die Sache insge-
samt zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen werden.
Rinne
Wurm
Schlick
Kapsa
Galke