Urteil des BGH vom 03.08.2000

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 235/00
Verkündet am:
19. September 2001
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
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VVG § 43
Die Zurechnung der Kenntnis des Agenten setzt voraus, daß dieser bei der Entge-
gennahme des Antrags in Ausübung der Stellvertretung für den Versicherer tätig
geworden ist. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Agent dem Versicherer bei An-
tragstellung als rechtsgeschäftlicher Vertreter des Versicherungsinteressenten ge-
genübertritt.
BGH, Urteil vom 19. September 2001 - IV ZR 235/00 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting und Seiffert, die Rich-
terin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Ver-
handlung vom 19. September 2001
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom
3. August 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfah-
rens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Testamentsvollstrecker für den Nachlaß des am
31. Oktober 1996 verstorbenen Dr. L.. Er macht in dieser Eigenschaft
Versicherungsleistungen aus einem Gebäudeversicherungsvertrag gel-
tend, hilfsweise Ansprüche wegen der Verletzung vorvertraglicher
Pflichten.
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Der Erblasser war Eigentümer eines bei dem früher zuständigen
Gebäudemonopolversicherer versicherten Geschäftshauses in P.. Nach
Aufhebung des Gebäudeversicherungsmonopols beauftragte und be-
vollmächtigte er seine Hausverwaltung, die A. GmbH, mit dem Abschluß
eines neuen Versicherungsvertrages. Die A. GmbH war auch Versiche-
rungsagentin der Beklagten.
Die A. GmbH holte zunächst ein Angebot der Gebäudeversiche-
rung B. AG, der Rechtsnachfolgerin des Monopolversicherers, auf Ab-
schluß eines Gebäudeversicherungsvertrages zum Neuwert ein. Das An-
gebot enthielt ausweislich des Anschreibens des Versicherers vom
31. August 1995 einen Verzicht auf den Einwand der Unterversicherung.
Die A. GmbH übermittelte das Angebot der Beklagten, nach Behauptung
des Klägers einschließlich des Anschreibens vom 31. August 1995, und
erklärte, einen Versicherungsvertrag zu gleichlautenden Bedingungen
mit der Beklagten abzuschließen, falls diese eine günstigere Prämie an-
biete. Die Beklagte, für die ihr Bezirksdirektor F. verhandelte, legte im
September 1995 ein Angebot mit einer Versicherungssumme von
3.197.000 DM vor, das den Verzicht auf den Einwand der Unterversiche-
rung nicht enthielt. Sie überließ der A. GmbH einen von einem Mitarbei-
ter der Bezirksdirektion K. bereits ausgefüllten Versicherungsantrag, den
der Geschäftsführer der A. GmbH für den Erblasser unterzeichnete und
an die Beklagte zurückgab. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1995 er-
klärte die Beklagte die Übernahme der Deckung ab dem 1. Januar 1996
und stellte am 8. März 1996 einen Versicherungsschein auf Grundlage
der Allgemeinen Bedingungen für die Gebäudeversicherung von Ge-
schäften und Betrieben (VBGB 94) und der Besonderen Bedingungen für
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die Versicherung weiterer Elementarschäden bei gewerblichen Risiken
(BEG-Klausel 9050) aus. Die A. GmbH erhielt von der Beklagten eine
Provision.
Am 1. April 1996 entstand an dem versicherten Gebäude ein
Brand- oder Explosionsschaden in Höhe von 1.403.728,60 DM. Da der
Neuwert des Gebäudes 4.980.000 DM betrug, erhob die Beklagte den
Einwand der Unterversicherung und zahlte lediglich 901.053,38 DM.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung der restlichen
502.675,22 DM verurteilt. Ihre dagegen gerichtete Berufung ist erfolglos
geblieben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf
Klagabweisung weiter.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Ent-
scheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsge-
richt.
I. Das Berufungsgericht führt aus: Der geltend gemachte Anspruch
sei nach Grund und Höhe aufgrund des abgeschlossenen Versiche-
rungsvertrages gerechtfertigt. Auf eine Unterversicherung gemäß § 56
VVG könne die Beklagte sich nicht berufen. Der Versicherungsschein
enthalte zwar keinen Verzicht auf den Einwand der Unterversicherung.
Jedoch weiche er insoweit vom Versicherungsantrag ab. Der Erblasser
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habe über die von ihm bevollmächtigte A. GmbH seinen schriftlichen
Antrag um den Ausschluß des Unterversicherungseinwandes mündlich
ergänzt. Die A. GmbH, der das Anschreiben der Gebäudeversicherung
B. AG vom 31. August 1985 vorgelegen habe, sei gleichzeitig Versiche-
rungsagentin der Beklagten und als solche für diese tätig geworden.
Was gegenüber dem Versicherungsagenten erklärt werde, wirke auch
gegenüber dem Versicherer. Es komme daher nicht mehr darauf an, ob
der Inhalt des Anschreibens auch den Mitarbeitern der Bezirksdirektion
der Beklagten bekannt gewesen sei. Die Auffassung der Beklagten, die
A. GmbH sei ausschließlich als Bevollmächtigte des Erblassers aufge-
treten, könne schon deshalb nicht geteilt werden, weil sie der A. GmbH
ihre Tätigkeit mit einer Provision vergütet habe. Das bestätige deren
Doppelstellung als Bevollmächtigte des Erblassers einerseits und als
Versicherungsagentin der Beklagten andererseits. Die Vorschrift des
§ 181 BGB stehe dem nicht entgegen, da beide Parteien das Handeln
der A. GmbH genehmigt hätten. Da die Beklagte im Versicherungsschein
weder auf die Abweichung vom Versicherungsantrag noch darauf hinge-
wiesen habe, daß die Abweichung bei fehlendem schriftlichen Wider-
spruch als genehmigt gelte, sei der Versicherungsvertrag gemäß § 5
Abs. 3 Satz 3 VVG nach dem Inhalt des einen Verzicht auf den Einwand
der Unterversicherung einschließenden Versicherungsantrages zustande
gekommen.
II. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
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1. Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts.
Der gemäß § 43 Abs. 1 VVG empfangsbevollmächtigte Versicherungsa-
gent steht bei der Entgegennahme eines Antrages auf Abschluß eines
Versicherungsvertrages dem Antragsteller als Auge und Ohr des Versi-
cherers gegenüber. Was ihm mit Bezug auf die Antragstellung gesagt
und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt. Mit der
bloßen Verwendung eines - vorbereiteten - Antragsformulars ist zudem
keine erkennbare Beschränkung der Empfangsvollmacht auf schriftliche
Erklärungen verbunden (BGHZ 102, 194, 197 ff.), so daß auch mündli-
che Ergänzungen, die vor dem Versicherungsagenten zum schriftlichen
Versicherungsantrag abgegeben werden, gegenüber dem Versicherer
erklärt sind. Fertigt der Versicherer einen Versicherungsschein aus, der
inhaltlich nicht dem vom Agenten entgegengenommenen - mündlich er-
gänzten - Versicherungsantrag entspricht, so liegt darin keine unverän-
derte Annahme des Antrags; es finden die Vorschriften des § 5 VVG An-
wendung. Unterläßt der Versicherer die in § 5 Abs. 2 VVG vorgeschrie-
bene Rechtsbelehrung, weil er irrigerweise glaubt, der Versicherungs-
schein entspreche dem vom Versicherungsnehmer gestellten Antrag,
dann gilt der Antrag gemäß § 5 Abs. 3 VVG als unverändert angenom-
men, ohne daß es auf ein Verschulden des Versicherers in diesem Zu-
sammenhang ankäme (Senatsurteil vom 25. März 1987 - IVa ZR 224/85 -
NJW 1988, 60 unter II 1 a).
2. Das Berufungsgericht geht indessen rechtsfehlerhaft davon aus,
daß die A. GmbH im Zusammenhang mit der Entgegennahme des Versi-
cherungsantrags als Agentin der Beklagten gehandelt hat. Die Zurech-
nung der Kenntnis des Agenten setzt voraus, daß dieser bei der An-
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tragsentgegennahme in Ausübung der Stellvertretung für den Versiche-
rer tätig geworden ist (Senatsurteil vom 22. September 1999 - IV ZR
15/99 - VersR 1999, 1481 unter 2 b). Daran fehlt es in der Regel, wenn
der Agent dem Versicherer als rechtsgeschäftlicher Vertreter des Versi-
cherungsinteressenten gegenübertritt, demgemäß im Lager des Antrag-
stellers und nicht des Versicherers steht. So liegt es hier.
Die A. GmbH war vom Erblasser beauftragt und bevollmächtigt,
den Versicherungsvertrag nach seinen Weisungen (§ 662 BGB) abzu-
schließen. In Ausführung des Auftrages, ein möglichst günstiges Ange-
bot für eine Gebäudeversicherung einzuholen, ist die A. GmbH an die
Beklagte herangetreten. In den sich anschließenden Verhandlungen wa-
ren die jeweiligen Aufgabenbereiche deutlich getrennt. Die A. GmbH
nahm ausschließlich die Interessen des Erblassers wahr, während auf
seiten der Beklagten die zuständige Bezirksdirektion auftrat. Auch den
Versicherungsantrag hat der Geschäftsführer der A. GmbH allein für den
Versicherungsinteressenten unterzeichnet. Eine Doppelstellung der A.
GmbH, wie vom Berufungsgericht angenommen, war somit nicht gege-
ben. Auch sonst sind keine Feststellungen getroffen, die es rechtfertigen
könnten, die A. GmbH zusätzlich der Sphäre des Versicherers zuzuwei-
sen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht
darauf an, daß die A. GmbH nach Abschluß des Versicherungsvertrages
eine Provision von der Beklagten erhielt. Das allein begründet noch
nicht die Stellung als Versicherungsagentin (vgl. BGHZ 94, 356, 359;
Kollhosser in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 43 Rdn. 4, Anhang zu
§§ 43-48 Rdn. 22). Vielmehr ist entscheidend, daß hier bei Anbahnung
und Abschluß des Versicherungsverhältnisses eine klare Rollenvertei-
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lung bestand. Der Beklagten war die Stellung der A. GmbH als Vertrete-
rin des Versicherungsnehmers bekannt. Bei einer solchen Sachlage ver-
bietet es sich, ihr die Kenntnis der A. GmbH von dem Inhalt des An-
schreibens vom 31. August 1995 zuzurechnen. Die vom Berufungsge-
richt gegebene Begründung trägt eine Verurteilung der Beklagten mithin
nicht.
III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
Das Berufungsgericht wird zunächst unter Auswertung des Ergeb-
nisses der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme zu prüfen
haben, ob den Mitarbeitern der Bezirksdirektion der Inhalt des Schrei-
bens vom 31. August 1995 im Zuge der Vertragsverhandlungen zur
Kenntnis gelangt ist. Für diesen Fall wären bei Vorbereitung des Versi-
cherungsantrages, der der A. GmbH bereits ausgefüllt zur Verfügung ge-
stellt worden ist, die vom Versicherungsinteressenten zuvor geäußerten
Wünsche hinsichtlich der Ausgestaltung des Versicherungsverhältnisses
nicht vollständig berücksichtigt worden. Das könnte zu Ansprüchen aus
culpa in contrahendo führen (Prölss in Prölss/Martin, § 3 VVG Rdn. 15).
Dabei wird das Berufungsgericht andererseits zu berücksichtigen haben,
daß die Beklagte eine sorgfältige und sachkundige Prüfung des Versi-
cherungsantrages durch die A. GmbH erwarten konnte. Sollte das Beru-
fungsgericht eine Pflichtverletzung bejahen, wäre daher ein Mitverschul-
den auf seiten des Versicherungsnehmers zu erwägen.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
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Dr. Kessal-Wulf Felsch