Urteil des BGH vom 04.04.2007
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 34/07
vom
4. April 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 177 Abs. 4 Nr. 1, § 24
Ein "Teilrücktritt" von der Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB kommt nicht in
Betracht, wenn das Qualifikationsmerkmal bereits verwirklicht ist.
BGH, Urteil vom 4. April 2007 - 2 StR 34/07 - Landgericht Aachen
in der Strafsache
gegen
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wegen besonders schwerer sexueller Nötigung u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. April 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Aachen vom 28. August 2006
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der
besonders schweren sexuellen Nötigung (§ 177 Abs. 4 Nr. 1
StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig ist und
b) im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tat-
einheit mit Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Straf-
aussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Re-
vision die Verletzung materiellen Rechts und erstrebt einen Schuldspruch we-
gen besonders schwerer sexueller Nötigung. Das vom Generalbundesanwalt
vertretene Rechtsmittel hat im Wesentlichen Erfolg.
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Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts bele-
gen, dass der Angeklagte bei seiner Tat den Qualifikationstatbestand der be-
sonders schweren sexuellen Nötigung (§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB) erfüllt hat, weil
er bei der Tat ein Messer verwendet hat.
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1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:
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Der Angeklagte begleitete die Nebenklägerin B. nachts auf dem Heim-
weg. Als die Nebenklägerin die Haustür geöffnet hatte, folgte ihr der Angeklagte
unvermittelt, forderte sie auf, ihn zu küssen und bedrängte sie körperlich. Als
die Nebenklägerin das energisch ablehnte, packte der Angeklagte sie an den
Schultern und schubste sie in den Hausflur. Dabei war er entschlossen, die Ne-
benklägerin auch gegen ihren Willen mit Gewalt zur Duldung von sexuellen
Handlungen zu zwingen. Gegen ihren heftigen körperlichen Widerstand fasste
er sie an verschiedenen Körperstellen an und drückte sie gegen die Wand. Der
Angeklagte beschimpfte sie und warf ihr Geschlechtsverkehr mit anderen Män-
nern vor. Es gelang ihm die Nebenklägerin gegen deren heftigen Widerstand zu
sich heranzuziehen. Er küsste sie wiederholt im Mund- und Halsbereich, fasste
sie mehrmals am Hals sowie über der Kleidung an den Brüsten an und kniff
auch mehrfach in ihre Brüste. Mindestens zweimal fasste er der Nebenklägerin,
die sich nicht aus dem Griff des Angeklagten befreien konnte, über der Kleidung
fest an die Scheide. Zudem schlug er ihr im Verlauf des Geschehens mehrfach
mit der flachen Hand ins Gesicht, um ihren Widerstand zu brechen. Zeitweise
umfasste er sie auch von hinten. Den genauen Ablauf der heftigen körperlichen
Auseinandersetzung und die zeitliche Abfolge der einzelnen sexuellen Hand-
lungen des Angeklagten konnte das Landgericht nicht mehr sicher feststellen.
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Als die Auseinandersetzung bereits eine zeitlang gedauert hatte, hielt der
Angeklagte der Nebenklägerin ein aufgeklapptes kleineres Messer - möglicher-
weise ein Taschenmesser - mit einer einige Zentimeter langen Klinge vor den
Halsbereich, ohne die Nebenklägerin zu berühren und bedrohte sie damit. Da-
bei erklärte er ihr, er werde von ihr lassen, wenn sie ihm "einen blase" oder "ei-
nen runterhole" und wenn sie ihn küsse. Die Nebenklägerin leistete jedoch wei-
terhin heftige Gegenwehr. Nach kurzer Zeit steckte der Angeklagte das Messer
wieder weg. Nach 10 bis 15 Minuten ließ der Angeklagte von der Nebenklägerin
ab und verließ das Haus.
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2. Nach diesen Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin mit
Gewalt genötigt, sexuelle Handlungen des Angeklagten an sich zu dulden und
damit den Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Das Landgericht ist
ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Handlungen des Angeklagten
im Sinne von § 184 f Nr. 1 StGB im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut er-
heblich waren.
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Darüber hinaus hat der Angeklagte die Nebenklägerin aber auch mit ge-
genwärtiger Gefahr zumindest für ihren Leib bedroht, indem er ihr das aufge-
klappte Messer vor den Halsbereich gehalten hat, um sie zu weiteren sexuellen
Handlungen zu nötigen. Als Mittel der Bedrohung der Nebenklägerin hat er ein
gefährliches Werkzeug verwendet und somit die Qualifikation des § 177 Abs. 4
Nr. 1 StGB erfüllt. Auch wenn nach den Feststellungen des Landgerichts das
Tatmesser möglicherweise nur ein Taschenmesser mit einer einige Zentimeter
langen Klinge war, war es doch durch die konkrete Art der Verwendung im
Halsbereich der Nebenklägerin geeignet, erhebliche - wenn nicht gar lebensge-
fährliche - Verletzungen zuzufügen (vgl. BGHSt 46, 225, 228; BGH NStZ 2000,
419; 2005, 35; NStZ-RR 2002, 108). Der Angeklagte hat das Messer auch zur
Bedrohung "bei der Tat" verwendet. Die gesetzliche Formulierung in § 177
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Abs. 4 Nr. 1 StGB entspricht dem insoweit gleichlautenden § 250 Abs. 2 Nr. 1
StGB. Es liegt deshalb nahe, den notwendigen zeitlich-örtlichen Zusammen-
hang zwischen der den Grundtatbestand erfüllenden Handlung und dem qualifi-
zierenden Verwenden einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs ebenso
zu umschreiben wie dort. Qualifiziert ist die Tat danach dann, wenn das gefähr-
liche Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Been-
digung der Tat eingesetzt wird (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 177
Rdn. 85; § 250 Rdn. 18; vgl. auch BGH, Beschl. vom 8. Februar 2006 - 2 StR
575/05). Die Nebenklägerin bemerkte das Messer spätestens, als der Ange-
klagte von ihr unter dem Eindruck der Bedrohung mit dem Messer den Oral-
oder Handverkehr verlangte. Die Drohung wurde daher von der Nebenklägerin
auch wahrgenommen (vgl. hierzu BGH NJW 2004, 3437).
Das Nötigungsmittel der Drohung mit dem Messer führte zwar nicht zu
der vom Angeklagten angestrebten weiteren sexuellen Handlung. Es ist auch
nicht festgestellt, dass der Angeklagte während oder nach der Bedrohung der
Nebenklägerin mit dem Messer über die tätliche Auseinandersetzung hinaus
andere sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin vorgenommen hat. Deshalb
wird die Tat des Angeklagten, die materiell-rechtlich eine Einheit bildet, aber
nicht zur versuchten sexuellen Nötigung, denn die Tat war bereits durch die vo-
rausgegangenen durch Gewalt erzwungenen sexuellen Handlungen vollendet.
Ein strafbefreiender Rücktritt von der versuchten sexuellen Nötigung war daher
nicht mehr möglich, so dass es nicht mehr darauf ankommt, ob der Angeklagte
schließlich freiwillig davon Abstand nahm, die Nebenklägerin weiter sexuell zu
bedrängen oder ob er sein Vorhaben als fehlgeschlagen ansah, weil er mit den
ihm verfügbaren Nötigungsmitteln den angestrebten weiteren Erfolg nicht errei-
chen konnte.
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In Betracht kommen könnte unter diesen Umständen allenfalls ein "Teil-
rücktritt" (vgl. hierzu Lilie/Albrecht LK 11. Aufl. § 24 Rdn. 339; Eser in Schön-
ke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 24 Rdn. 113; jew. m.w.N.) von der Qualifikation
des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB, weil der Angeklagte das Messer nach kurzer Zeit
wieder wegsteckte, ohne dass er die erstrebte weitere sexuelle Handlung nach
§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB erreicht hatte. Ein solcher "Teilrücktritt" scheidet hier
jedoch aus, weil der Angeklagte nicht nur das Grunddelikt der sexuellen Nöti-
gung, sondern durch den Gebrauch des Messers auch die Qualifikation bereits
vollendet hatte und die qualifikationsbegründende erhöhte Gefahr schon einge-
treten war (vgl. BGH NStZ 1984, 216 m. abl. Anm. von Zaczyk, zust. hingegen
Lilie/Albrecht aaO Rdn. 341). Anders wäre es, wenn die Qualifikation selbst nur
versucht wäre (Tröndle/Fischer aaO § 24 Rdn. 27).
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3. Der Schuldspruch des Landgerichts ist daher dahin zu ändern, dass
der Angeklagte der besonders schweren sexuellen Nötigung in Tateinheit mit
Körperverletzung schuldig ist. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung
nicht entgegen, weil das Landgericht dem Angeklagten bereits in der Hauptver-
handlung einen entsprechenden Hinweis erteilt hat.
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4. Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung des Strafaus-
spruchs zur Folge. Die hierzu getroffenen Feststellungen können jedoch
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- entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts - bestehen bleiben. Ergän-
zende Feststellungen in der neuen Hauptverhandlung sind zulässig, soweit sie
den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen.
Rissing-van Saan Bode Fischer
Roggenbuck Appl