Urteil des BGH vom 18.06.2003

BGH (einfache streitgenossenschaft, zahlung, antrag, zeitpunkt, zpo, verhandlung, höhe, teil, leistung, forderungsverzicht)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 158/03
Verkündet am:
28. September 2004
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. September 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Rich-
ter Raebel, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Bautzen vom 18. Juni 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Rückzahlungsanspruch aus
Insolvenzanfechtung geltend. Die A. GmbH (fortan: Schuldnerin) be-
fand sich Ende 1998 in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Mit Rund-
schreiben vom 28. April 1999 wandte sich die Schuldnerin an insgesamt
101 Gläubiger, darunter auch die Beklagte. In dem Schreiben hieß es, die
Schuldnerin sei "durch erhebliche Forderungsverluste sowie durch den Preis-
verfall der Baustoffe, der Transportleistungen und der erheblich gestiegenen
Lohnnebenkosten unverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. [...]
Die erheblichen Forderungsausfälle und die, die bis Mitte 1999 noch zu erwar-
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ten sind, konnten bzw. können wir nicht kurzfristig verkraften. [...] Obwohl eine
vollständige Zahlung der Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung nicht
möglich ist, freuen wir uns, Ihnen eine dreißigprozentige Ablösung der einzel-
nen Hauptforderungen anbieten zu können. Um aber die Liquiditätssituation
des Unternehmens nicht zu gefährden, erlauben Sie uns, die Zahlungsquote
von 30 % der Hauptforderung in Raten [...] zu begleichen. [...] Sollten allerdings
nicht alle Gläubiger den vorgeschlagenen Maßnahmen zustimmen und auf ei-
nen Teil ihrer Forderungen verzichten, ist ein Insolvenzverfahren zu erwarten.
Ein hundertprozentiger Forderungsausfall der einzelnen Gläubiger ist in die-
sem Fall zu befürchten."
Unter dem 11. Mai 1999 übersandte die Schuldnerin den einzelnen
Gläubigern einschließlich der Beklagten eine "Vereinbarung über einen Forde-
rungsverzicht", in der jeweils die bestehenden Hauptforderungen gegenüber
der Schuldnerin sowie die Höhe des Vergleichsbetrages angegeben war. Am
28. Oktober 1999 unterzeichnete die Beklagte die Vereinbarung, wonach sich
die Schuldnerin dazu verpflichtet, einen Betrag in Höhe von 8.000 DM an die
Beklagte zu bezahlen. Am gleichen Tag stellte die Schuldnerin einen entspre-
chenden Verrechnungsscheck aus, der von der Beklagten eingelöst wurde. Auf
einen am 14. Februar 2000 eingegangenen Antrag hin eröffnete das Amtsge-
richt Leipzig am 4. April 2000 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der
Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.
Mit einem am 2. April 2002 beim Oberlandesgericht Dresden eingegan-
gen Schriftsatz beantragte der Kläger, ein gemeinsames Gericht für eine Klage
gegen 68 Gläubiger der Schuldnerin - darunter die Beklagte - zu bestimmen,
von denen der Kläger Beträge im Wege der Insolvenzanfechtung zurückforder-
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te. Das Oberlandesgericht wies den Antrag mit Beschluß vom 6. Mai 2002 zu-
rück, weil weder die Voraussetzungen für eine notwendige noch für eine einfa-
che Streitgenossenschaft vorlägen. Der Beschluß ging dem Kläger am 16. Mai
2002 zu. Gegenüber der vom Kläger am 14. August 2002 eingereichten und
der Beklagten am 20. August 2002 zugestellten Klage beruft sich die Beklagte
auf Verjährung und bestreitet die Anfechtungsvoraussetzungen.
Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit der
- zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Anfechtungsanspruch sei
gemäß § 146 InsO verjährt. Der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung beim
Oberlandesgericht Dresden habe die Verjährung nicht nach § 204 Abs. 1
Nr. 13 BGB hemmen können. Denn das Oberlandesgericht habe keine Sach-
entscheidung getroffen, sondern eine Gerichtsstandsbestimmung abgelehnt,
weil die Antragsgegner seiner Ansicht nach keine Streitgenossen sein konnten.
Der Bestimmungsantrag sei deshalb auch materiell wirkungslos. Nach dem
Wortlaut des § 204 Abs. 1 Nr. 13 BGB hemme ein Zuständigkeitsbestim-
mungsantrag die Verjährung nur, wenn das angerufene Gericht "das zuständi-
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ge Gericht zu bestimmen habe". Zwar sei die Entscheidung des Gerichts in den
Fällen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht immer sicher vorhersehbar, doch habe
der Gesetzgeber dieses Risiko verjährungsrechtlich dem Gläubiger zugewie-
sen.
II.
Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Der Anfechtungsanspruch ist nicht verjährt. Das Berufungsgericht hat
zwar zu Recht das seit 1. Januar 2002 geltende Verjährungsrecht angewendet
(Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB), dabei jedoch § 204 Abs. 1 Nr. 13 BGB zu
eng ausgelegt. Der Gerichtsstandsbestimmungsantrag hemmt nach dieser Vor-
schrift die Verjährung auch dann, wenn er erfolglos bleibt. Zur näheren Be-
gründung verweist der Senat auf sein heute verkündetes Urteil in der Sache IX
ZR 155/03, z.V.b. in BGHZ.
Die Verjährungsfrist des § 146 InsO lief am 4. April 2002 ab. Der am
2. April 2002 eingegangene Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung war daher
noch rechtzeitig. Die am 14. August 2002 eingereichte und demnächst zuge-
stellte Klage (§ 167 ZPO) wahrte die Drei-Monats-Frist des § 204 Abs. 1 Nr. 13
BGB, weil der Beschluß des Oberlandesgerichts Dresden dem Kläger erst am
16. Mai 2002 zugegangen ist.
III.
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Der Rechtsstreit ist noch nicht zur Endentscheidung reif, weil der Sach-
verhalt noch aufzuklären ist (§ 563 Abs. 1 ZPO). Für die neue Verhandlung
weist der Senat auf folgendes hin:
Eine Anfechtung kommt nur nach § 133 Abs. 1 InsO in Betracht. Die
Zahlung am 28. Oktober 1999 war kongruent, weil die Beklagte zu diesem Zeit-
punkt auch nach dem geschlossenen Vergleich einen fälligen und einredefrei-
en Anspruch in einer der Zahlung entsprechenden Höhe hatte. Die Verknüp-
fung der Zahlung mit einem vergleichsweisen Forderungsverzicht zugunsten
der Schuldnerin ändert daran nichts. Die Schuldnerin hätte mit Gläubigerbe-
nachteiligungsvorsatz gehandelt, wenn sie wenigstens mittelbar auch die Be-
günstigung des Gläubigers bezweckt hätte. Bei einer kongruenten Leistung
kommt dies in Betracht, wenn die Schuldnerin mit der Befriedigung gerade die-
ses Gläubigers Vorteile für sich erlangen oder Nachteile von sich abwenden
will (BGH, Urt. v. 17. Juli 2003 - IX ZR 272/02, ZIP 2003, 1799, 1800). Dies
wäre etwa der Fall bei einem massiven Druck durch die Beklagte. Hierzu wird
das Berufungsgericht gegebenenfalls die Hintergründe des Vergleichsab-
schlusses am 28. Oktober 1999 und der Zahlung aufklären müssen. Der ur-
sprünglich verfolgte Sanierungszweck schließt einen Benachteiligungsvorsatz
der Schuldnerin nicht mehr aus, wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits uner-
reichbar geworden war (vgl. BGH, Urt. v. 19. Dezember 2002 - IX ZR 377/99,
ZIP 2003, 488, 494; siehe außerdem noch BGH, Urt. v. 12. November 1992 - IX
ZR 236/91, ZIP 1993, 276, 279 f). Der Benachteiligungsvorsatz kann sich hier
jedoch nur dann ergeben, wenn die Beklagte gerade durch Abschluß und Erfül-
lung des Sanierungsvergleichs mit der Schuldnerin bessergestellt worden ist
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als die Gesamtheit der Gläubiger, diese also nur eine geringere Befriedigungs-
aussicht hatten, als sie der Vergleichsquote entsprach.
Weiterhin setzt die Vorsatzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO voraus,
daß "der andere Teil", hier also die Beklagte, zur Zeit der Handlung den Vor-
satz der Schuldnerin kannte. Die Beklagte muß mithin gewußt haben, daß die
Zahlung am 28. Oktober 1999 die übrigen Gläubiger der Schuldnerin benach-
teiligte und daß die Schuldnerin dies wollte. Hierbei wird das Berufungsgericht
neben dem Schreiben vom 28. April 1999 zu berücksichtigen und zu klären
haben, ob die Beklagte Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit und
einer etwaigen Besserstellung gegenüber den anderen Gläubigern im Zeit-
punkt der angefochtenen Rechtshandlung hatte (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO).
Fischer Raebel Vill
Cierniak Lohmann