Urteil des BGH vom 10.06.1998
BGH (stgb, verfall, kokain, höhe, anordnung, staatsanwaltschaft, gewinn, bargeld, mitwirkung, prüfung)
5 StR 434/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 27. März 2003
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
27. März 2003, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Braunschweig vom 19. März 2002 wird ver-
worfen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das ge-
nannte Urteil insoweit aufgehoben, als – jenseits des an-
geordneten Verfalls von 26.915,75 DM als Wertersatz –
die Anordnung von Verfall und Verfall des Wertersatzes
unterblieben ist.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen und
wegen eines Vergehens nach dem Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheits-
strafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat den Verfall eines
Geldbetrages in Höhe von 26.915,75 DM als Wertersatz angeordnet. Die
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gegen die Verurteilung wegen der Verbrechen nach dem Betäubungsmittel-
gesetz gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist
unbegründet. Dagegen hat die – auf die Frage einer weitergehenden Anord-
nung des Verfalls beschränkte – Revision der Staatsanwaltschaft mit der al-
lein erhobenen Sachrüge Erfolg.
Das Landgericht hat im wesentlichen festgestellt:
Der Angeklagte verkaufte unter Mitwirkung des Zeugen T einmal
100 g Kokain (davon 10 g an T selbst) und zweimal 50 g Kokain, jeweils
mit einem Wirkstoffanteil von mindestens 15 %. Hierfür erhielt der Ange-
klagte insgesamt 25.000,00 DM (Fälle 1 bis 3). Im Fall 4 beauftragte der An-
geklagte den Zeugen T , 1 kg Kokain aus den Niederlanden zu beschaf-
fen, und übergab ihm hierfür 60.000,00 DM. T beschaffte unter Mitwir-
kung u. a. des Zeugen Z für 30.000,00 DM 500 g Kokain, das er dem
Angeklagten überreichte. In den Fällen 5 und 6 ließ der Angeklagte sich
durch den Zeugen T , dem er dafür vorab jeweils 60.000,00 DM übergab
und der sich der Mitwirkung des Zeugen Z bediente, jeweils
1 kg Kokain aus den Niederlanden beschaffen. In gleicher Weise erlangte
der Angeklagte im Fall 7 nach Vorabzahlung von 33.000,00 DM
500 g Kokain. Das in den Fällen 4 bis 7 gehandelte Kokain hatte einen Wirk-
stoffgehalt von mindestens 20 % und wurde vom Angeklagten – jeweils
überwiegend – mit Gewinn weiterverkauft. Am 17. September 2001 wurden
in der Wohnung des Angeklagten 139 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt
von 22,6 %, 26.915,75 DM Bargeld und eine Flinte mit 49 Patronen sicher-
gestellt.
I. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
1. Der Schuldspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung stand. Nament-
lich ist die Beweiswürdigung frei von Rechtsfehlern.
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Das Landgericht hat seine Überzeugung von den sieben Fällen des
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln insbesondere aufgrund einer umfas-
senden Würdigung derjenigen Angaben gewonnen, die der Zeuge T im
Laufe des Verfahrens gemacht hat. Stützend hat das Landgericht herange-
zogen, daß in der Wohnung des Angeklagten 139 g Kokain und
26.915,75 DM Bargeld in breitgestreuter Stückelung sichergestellt worden
sind.
Weshalb das Landgericht den Zeugen G und L nicht ge-
glaubt hat, hat es ausreichend dargelegt. Soweit die Revision die Beweis-
mittel anders würdigt, zeigt sie damit keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere
besteht der von der Revision gesehene Widerspruch nicht: Die Bezeichnung
der Fälle 1 bis 3 als (quantitativ) „am Gesamtkomplex gemessen relativ un-
bedeutendes Geschehen“ einerseits und die Bewertung der Bekundungen
des Zeugen T in diesen Fällen als (beweislich) „ferner entscheidend“ an-
dererseits ist keineswegs widersprüchlich.
Daß das Landgericht, während es die rechtskräftige Verurteilung des
Zeugen T wegen Betäubungsmitteldelikten zu drei Jahren und sechs Mo-
naten Gesamtfreiheitsstrafe und die Entwicklung der Aussage dieses Zeugen
umfassend mitteilt und seine Aussagemotivation ausführlich würdigt, ohne
dabei die Vorschrift des § 31 BtMG zu zitieren, begründet nicht die Besorg-
nis, daß der Tatrichter die von dieser Norm latent ausgehende Gefahr einer
Verführung zur Falschbezichtigung Dritter etwa übersehen hätte.
2. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung
stand.
Dies gilt namentlich für die Verfallsanordnung. Zutreffend geht die Re-
vision des Angeklagten davon aus, daß der für einen Verfall in
Betracht kommende Vermögensvorteil durch eine angeklagte und
festgestellte Tat erlangt sein muß (BGHSt 28, 369; BGH StV 1981, 627;
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BGH, Beschl. vom 10. Juni 1998 – 3 StR 182/98; BGH, Beschl. vom
17. Mai 1999 – 5 StR 155/99; W. Schmidt in LK 11. Aufl. § 73 Rdn. 17;
Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 73 Rdn. 6). Dem hat das Landgericht
Rechnung getragen, indem es sich davon überzeugt hat, daß das in den
Räumlichkeiten des Angeklagten sichergestellte Bargeld in Höhe von
26.915,75 DM Gewinn „aus den Straftaten“ – scil. aus den sieben festge-
stellten Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz – war. Einer Fest-
stellung derart, aus welcher einzelnen dieser Taten das Geld erlangt worden
war, bedurfte es nicht (BGHR StGB § 73 Vorteil 5).
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft dringt durch.
1. Aus den Feststellungen ergibt sich, daß der Angeklagte aus den
sieben Taten nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zumindest folgendes im Sinne
des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB „erlangt“ hat: In den Fällen 1 bis 3 erhielt
der Angeklagte von T als Erlös aus den Kokainverkäufen einmal
12.000,00 DM und zweimal 6.500,00 DM, insgesamt also 25.000,00 DM. In
den Fällen 4 bis 7 verkaufte der Angeklagte Heroin, das er zu Preisen
von 30.000,00 DM (Fall 4), zweimal 60.000,00 DM (Fälle 5 und 6) und
33.000,00 DM (Fall 7) erworben hatte, überwiegend mit Gewinn weiter; allein
der Einkaufspreis dieser vier Fälle beträgt zusammen 183.000,00 DM; der
Verkaufspreis lag jedenfalls insgesamt höher. Danach hat der Angeklagte
aus den genannten Taten jedenfalls mehr als 208.000,00 DM erlangt, näm-
lich aus den Fällen 1 bis 3 25.000,00 DM Verkaufserlös und aus den Fäl-
len 4 bis 7 den jedenfalls über dem Einkaufspreis von 183.000,00 DM lie-
genden Verkaufspreis. Dies hat das Landgericht übersehen, indem es ledig-
lich den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 26.915,75 DM als Werter-
satz angeordnet und gemeint hat, eine weitere Verfallsanordnung käme nicht
in Betracht, „weil insoweit sichere Feststellungen zur Höhe des Erlangten
nicht getroffen werden konnten“.
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2. Vielmehr war es zwingend geboten, in Höhe des sich nach dem
Bruttoprinzip ergebenden Geldbetrages den Verfall (des Wertersatzes) an-
zuordnen, soweit nicht die Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 StGB entgegen-
steht.
a) Hierfür ist zunächst maßgeblich, daß das Bruttoprinzip gilt,
wonach nicht nur der bloße, sich nach Abzug der Aufwendungen
ergebende Gewinn, sondern alles, was der Täter für die Tat oder aus ihr
erlangt hat, ohne Abzug gewinnmindernder Kosten dem Verfall unter-
liegt (BGH, Urt. vom 21. August 2002 – 1 StR 115/02, zur Veröffentlichung in
BGHSt vorgesehen = NJW 2002, 3339, 3340; BGHR StGB § 73d Strafzu-
messung 1; BGH NStZ 1996, 539; W. Schmidt aaO § 73 Rdn. 18; Eser in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 73 Rdn. 17; Tröndle/Fischer aaO
§ 73 Rdn. 3, 7).
b) Zudem ist die Anordnung des Verfalls (des Wertersatzes)
obligatorisch, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen (BGH, Urt. vom
21. August 2002 aaO; BGHR StGB § 73c Härte 5; BGHR StGB § 43a Kon-
kurrenzen 1, 2; W. Schmidt aaO § 73 Rdn. 49, § 73a Rdn. 14; Eser aaO § 73
Rdn. 44, § 73a Rdn. 9; Tröndle/Fischer aaO § 73 Rdn. 5, § 73a Rdn. 3).
c) Ob der Angeklagte den erlangten Vorteil noch immer hat,
ist hier einzig unter dem Gesichtspunkt der Härtevorschrift des § 73c
Abs.1 Satz 2 StGB von Bedeutung (BGH, Urt. vom 21. August 2002 aaO;
W. Schmidt aaO § 73c Rdn. 2 f.; Tröndle/Fischer aaO § 73 Rdn. 10). Für die
Anwendbarkeit dieser Ermessensvorschrift (BGHR StGB § 73c Härte 5)
kommt es zunächst darauf an, ob der Wert des Erlangten noch im Vermögen
des Angeklagten vorhanden ist. Die entsprechende Beurteilung setzt die
Feststellung der Vermögensverhältnisse des Angeklagten voraus. Hierzu
enthält das angefochtene Urteil lediglich die – insoweit unzulängliche – Fest-
stellung, daß der Angeklagte im Februar 2001 ein mit einem Wohnhaus be-
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bautes Grundstück erwarb, dessen Eigentümerin „mittlerweile“ seine Le-
bensgefährtin ist.
III. Danach hebt der Senat das angefochtene Urteil insoweit auf, als
– jenseits des rechtsfehlerfrei angeordneten Verfalls von 26.915,75 DM als
Wertersatz – die Anordnung von Verfall und Verfall des Wertersatzes unter-
blieben ist. Dies zieht nicht die Aufhebung von Feststellungen nach sich; sol-
che sind rechtsfehlerhafterweise unterblieben.
Die verhängten Strafen können bestehenbleiben; denn die mit dem
Verfall verbundene Vermögenseinbuße ist regelmäßig (BGHR StGB § 73d
Strafzumessung 1) und so auch hier kein Strafmilderungsgrund.
Der neue Tatrichter wird zunächst den Wert des aus den Straftaten
nach dem BtMG Erlangten festzustellen haben. Hierbei ist eine Schätzung
nach § 73b StGB möglich. Alsdann sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des
Angeklagten – soweit möglich – aufzuklären. Auf der Grundlage dieser Fest-
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stellungen wird – eingedenk des obligatorischen Charakters der Vorschriften
der §§ 73, 73a StGB , jedoch unter Berücksichtigung von § 73c Abs. 1
Satz 1 StGB (BGH, Urt. vom 10. Oktober 2002 – 4 StR 233/02, zur Veröf-
fentlichung in BGHSt vorgesehen = NJW 2003, 300) – über die Anordnung
eines Verfalls (als Wertersatz) nach Ermessensgrundsätzen zu entscheiden
sein.
Basdorf Häger Raum
Brause Schaal