Urteil des BGH vom 28.06.2012

Traum-Kombi Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 110/11
Verkündet am:
28. Juni 2012
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Traum-Kombi
UWG §§ 3, 4 Nr. 11; PAngV § 2 Abs. 1, § 9 Abs. 4 Nr. 2 und 4
Ein Lieferdienst, der neben der Lieferung von Speisen, die noch zubereitet wer-
den müssen (hier: Pizza), auch die Lieferung anderer, in Fertigpackungen ver-
packter Waren (hier: Bier, Wein oder Eiscreme) zu einem bestimmten Preis an-
bietet, muss in seinen Preislisten und in der Werbung für diese Angebote neben
dem Endpreis auch den Grundpreis dieser Waren angeben.
BGH, Urteil vom 28. Juni 2012 - I ZR 110/11 - OLG Köln
LG Köln
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 28. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandes-
gerichts Köln vom 1. Juni 2011 wird auf Kosten der Beklagten zu-
rückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagten bieten als Mitglieder eines Franchisesystems die Lieferung
frisch zubereiteter Speisen wie Pizza, Pasta, Salate und Aufläufe sowie von
verpackten Getränken und Desserts an, wobei die Speisen und Getränke auch
von den Kunden abgeholt werden können. Im Mai 2010 warben sie auf einem
als Postwurfsendung verteilten Faltblatt - wie aus dem nachstehend wiederge-
gebenen Tenor des Berufungsurteils ersichtlich - unter anderem für die Geträn-
ke
„5 l Fass Bitburger Premium Pils solo“ und „Chianti, Lambrusco, Soave
0,75 l
“ sowie die Eiscreme „Cookie Caramel Brownie Cup 500 ml“ unter Angabe
der jeweiligen Endpreise, aber ohne Angabe der entsprechenden Grundpreise.
Nach Ansicht des Klägers, des Vereins gegen Unwesen in Handel und
Gewerbe Köln, haben die Beklagten damit gegen die Pflicht zur Angabe des
Grundpreises gemäß § 2 Abs. 1 PAngV verstoßen und zugleich wettbewerbs-
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widrig gehandelt. Er hat beantragt, die Beklagten unter Androhung von Ord-
nungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen,
gegenüber Verbrauchern - wie nachstehend für die Produkte
„5 l Fass Bitburger
Premium Pils solo
“, „Chianti, Lambrusco, Soave 0,75 l“ sowie die Eiscreme
„Cookie Caramel Brownie Cup 500 ml“ wiedergegeben - Lebensmittel unter
Preisangabe zu bewerben, ohne den Grundpreis anzugeben:
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Ferner hat der Kläger die Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von
196,35
€ nebst Zinsen begehrt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klä-
gers hat das Berufungsgericht die Beklagten antragsgemäß verurteilt (OLG
Köln, GRUR-RR 2011, 472).
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurück-
weisung der Kläger beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungs-
antrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die Klage als begründet angesehen, weil für
die im Klageantrag genannten Produkte neben dem Verkaufspreis kein Preis je
Liter genannt sei. Die durch Art. 3 Abs. 2 Fall 1 der Richtlinie 98/6/EG über den
Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Er-
zeugnisse (Preisangabenrichtlinie) zugelassene und wegen ihres Ausnahme-
charakters eng auszulegende Vorschrift des § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV rechtfertige
unter den im Streitfall gegebenen Umständen keinen Verzicht auf die Angabe
des Grundpreises. Bei den streitgegenständlichen, von den Beklagten nicht zu-
bereiteten oder auch nur ausgeschenkten, sondern lediglich fertig abgepackt
vorgehaltenen und auf Bestellung gelieferten Getränken und Desserts stehe
jedoch das Warenangebot ganz im Vordergrund und stelle der Lieferservice
keine eigenständige Dienstleistung dar.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat zunächst mit Recht klargestellt, dass sich
das beantragte und ausgesprochene Verbot nicht auf die Werbung für die
Kombinationsangebote der Beklagten - wie etwa das Angebot eines aus einer
Familienpizza
und einem kleinen Fässchen Bier bestehenden „Party-Pakets“ -
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bezieht. Nach § 9 Abs. 4 Nr. 2 PAngV besteht keine Verpflichtung zur Nennung
des Grundpreises für Waren, die verschiedenartige, nicht miteinander vermisch-
te oder vermengte Erzeugnisse enthalten. Für solche zusammengesetzten An-
gebote - beispielsweise für ein Gebinde aus einer Flasche Wein und einer Kä-
se- oder Schinkenspezialität - muss kein Grundpreis angegeben werden, ob-
wohl für jedes von dem Angebot umfasste Erzeugnis bei gesonderter Abgabe
der Grundpreis nach § 2 Abs. 1 PAngV genannt werden müsste. Diese Aus-
nahmeregelung gilt erst recht für Angebote wie die Kombinationsangebote der
Beklagten; denn diese Angebote bestehen auch aus Speisen, bei denen es sich
- wie etwa bei der vom Kombinationsangebot erfassten Pizza - nicht um Waren
handelt, die „in Fertigpackungen, offenen Packungen oder als Verkaufseinhei-
ten ohne Umhüllung nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche“ angeboten
werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV); für sie muss daher selbst bei gesonderter
Abgabe kein Grundpreis genannt werden.
2. Die Revision zieht mit Recht nicht in Zweifel, dass die beanstandete
Werbung der Beklagten die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ein gewerbs-
mäßiger Anbieter von Waren in Fertigpackungen nach § 2 Abs. 1 PAngV
grundsätzlich neben dem Endpreis auch den Grundpreis anzugeben hat. Bei
der genannten Vorschrift handelt es sich auch um eine Marktverhaltensrege-
lung, die ihre unionsrechtliche Grundlage in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie
98/6/EG hat und deren Verletzung daher ein nach § 4 Nr. 11 UWG unlauteres
Verhalten darstellt. Insofern gilt nichts anderes als für die in § 1 PAngV enthal-
tenen Bestimmungen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - I ZR 140/07,
GRUR 2010, 251 Rn. 16 = WRP 2010, 245 - Versandkosten bei Froogle; Urteil
vom 10. Dezember 2009 - I ZR 149/07, GRUR 2010, 744 Rn. 25 = WRP 2010,
1023 - Sondernewsletter; Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 99/08, GRUR 2011,
82 Rn. 17 = WRP 2011, 55 - Preiswerbung ohne Umsatzsteuer, jeweils mwN).
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3. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die
Beklagten im Streitfall nicht auf die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 4 Nr. 4
PAngV stützen können.
a) Die Regelung des § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV setzt Art. 3 Abs. 2
1. Spiegelstrich der Richtlinie 98/6/EG über den Schutz der Verbraucher bei der
Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse in das deutsche Recht
um. Die genannte Richtlinienbestimmung gestattet es den Mitgliedstaaten, für
„bei Erbringen einer Dienstleistung gelieferte Erzeugnisse“ keine Verpflichtung
zur Grundpreisangabe vorzusehen.
b) Soweit die Beklagten Getränke und Eiscreme in Fertigpackungen ge-
sondert zu einem eigenen Preis - also nicht in Kombination mit Speisen (s. dazu
oben Rn. 9) - anbieten und bewerben, steht ihnen die Ausnahmeregelung des
§ 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV nicht zur Seite. Die Voraussetzungen dieser Bestim-
mung sind im Streitfall nicht gegeben.
c) § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV entbindet den Unternehmer grundsätzlich
nicht, für Waren, die er seinen Kunden im Rahmen eines Lieferservice anbietet
und die an sich unter die Bestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV fallen, den
Grundpreis anzugeben. Bei den vom Antrag erfassten Lebensmitteln - Bier,
Wein und Eiscreme - handelt es sich um Waren in Fertigpackungen, für die die
Verpflichtung zur Angabe des Grundpreises besteht. Allein der Umstand, dass
der Unternehmer anbietet, diese Waren dem Kunden nach Hause zu liefern,
führt nicht dazu, dass das Angebot im Sinne von § 9 Abs. 4 Nr.
4 PAngV „im
Rahmen einer Dienstleistung“ erfolgt. Mit Recht hat das Berufungsgericht da-
rauf hingewiesen, dass die Transportdienstleistung in diesem Fall gegenüber
der Lieferung der Waren zurücktritt. Entgegen der Auffassung der Revision
reicht es für den Dispens von der Verpflichtung zur Angabe des Grundpreises
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nicht aus, dass im Zusammenhang mit der Lieferung der Waren auch eine
Dienstleistung angeboten wird.
Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich auch dem Wortlaut der
Richtlinie 98/6/EG, insbesondere der Regelung in Art. 3 Abs. 2 (vgl. oben
Rn. 11), nichts anderes entnehmen. Mit der Richtlinie steht es jedenfalls im Ein-
klang, wenn das nationale Recht es nicht ausreichen lässt, dass neben den
Waren eine gegenüber der Lieferung in den Hintergrund tretende Dienstleistung
angeboten wird. Darüber hinaus stützt der Wortlaut der Richtlinie sogar diese
Auslegung. Denn sie spricht von
„bei Erbringen einer Dienstleistung gelieferten
Erzeugnissen
“ und legt damit nahe, dass es sich um ein Angebot handeln
muss, das von der Dienstleistung und nicht von der Warenlieferung geprägt ist.
Aus den englischen und französischen Sprachfassungen („products supplied in
the course of the provision of a service“ und „produits fournis à l‘occasion d‘une
prestation de service“), auf die die Revision verweist, ergibt sich nichts anderes.
Der französische Text lässt sogar noch deutlicher als der deutsche erkennen,
dass die Warenlieferung bei Gelegenheit der Erbringung einer Dienstleistung
erfolgen muss und dass es nicht ausreicht, wenn die Dienstleistung bei Gele-
genheit der Warenlieferung erbracht wird.
d) Auch der Umstand, dass die Beklagten den Wein, das Bier und die
Eiscreme im Zusammenhang mit der Lieferung von Speisen anbieten, die erst
noch zubereitet werden müssen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zuge-
schnitten ist die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV unter anderem
auf Gaststätten, deren Angebot sich nicht nur darauf bezieht, dass Speisen zu-
bereitet und dargereicht werden und dem Gast Räumlichkeiten zur Verfügung
gestellt werden, in denen er die zubereiteten Speisen verzehren kann, sondern
auch darauf, das beispielsweise Getränke in der Flasche, also in Fertigpackun-
gen, oder offen, also als nach Volumen bemessene Verkaufseinheit ohne Um-
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hüllung, angeboten werden. Hier tritt die Lieferung der Getränke gegenüber den
Dienstleistungen klar in den Hintergrund. Werden Lebensmittel (Bier, Wein und
Eiscreme) dagegen in Fertigpackungen neben den zubereiteten Speisen (Piz-
za) nach Hause geliefert, steht die Warenlieferung ähnlich wie beim Straßen-
verkauf durch eine Gaststätte (vgl. dazu Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht,
C 119, Lief. Juli 2006, § 9 PAngV Rn. 19; MünchKomm.UWG/Ernst, Anh.
§§ 1-7 G § 9 PAngV Rn. 15) im Vordergrund mit der Folge, dass die Ausnah-
meregelung hierauf keine Anwendung findet.
e) Ohne Erfolg beruft sich die Revision ferner darauf, dass die Beklagten
die Abgabe der von ihnen angebotenen Waren von der Erreichung eines Min-
destbestellwerts von 8
€ abhängig machen und Getränke in diesem Zusam-
menhang unberücksichtigt bleiben. Dies hat zwar zur Folge, dass ein Verbrau-
cher, der von den Beklagten etwa ein Fässchen Bier oder mehrere Flaschen
Rotwein geliefert bekommen möchte, zur Erreichung des Mindestbestellwerts
auch noch Speisen bestellen muss, für die nach § 2 Abs. 1 PAngV kein Grund-
preis angegeben werden muss (anders verhält es sich lediglich bei Eiscreme,
bei der bereits mit der Bestellung von zwei Bechern der Mindestbestellwert
überschritten wird). Die Verknüpfung der Warenlieferung mit dem Mindestbe-
stellwert, der im Normallfall nur mit der gleichzeitigen Bestellung von Speisen
erreicht wird, die noch zubereitet werden müssen, ändert aber nichts daran,
dass auch in einem solchen Fall in Bezug auf das Getränk oder das Speiseeis
ein Angebot im Sinne des § 2 Abs. 1 PAngV vorliegt. Ein Angebot im Sinne der
Preisangabenverordnung liegt immer dann vor, wenn eine Ankündigung so
konkret gefasst ist, dass sie nach der Auffassung des Verkehrs den Abschluss
eines Geschäfts aus der Sicht des Kunden ohne weiteres zulässt (vgl. BGH,
Urteil vom 3. Juli 2003 - I ZR 211/01, BGHZ 155, 301, 304 - Telefonischer Aus-
kunftsdienst,
mwN). Der Umstand, dass der Abschluss eines Geschäfts vom
gleichzeitigen Zustandekommen eines weiteren Geschäfts zwischen den Par-
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teien abhängig gemacht wird, steht der Annahme eines Angebots nicht entge-
gen.
4. Das nach § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 PAngV unlau-
tere Verhalten der Beklagten ist auch unzulässig im Sinne von § 3 UWG. Denn
es ist geeignet, die Interessen der Mitbewerber und insbesondere der Verbrau-
cher spürbar zu beeinträchtigen, weil es deren Möglichkeiten, Preisvergleiche
vorzunehmen, nicht unerheblich erschwert (vgl. BGH, GRUR 2011, 82 Rn. 27 -
Preiswerbung ohne Umsatzsteuer, mwN). Der Annahme eines wettbewerbs-
rechtlich irrelevanten Bagatellverstoßes steht zudem entgegen, dass die dem
Verbraucher bei einer Werbung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 PAngV zu gebenden
Informationen gemäß § 5a Abs. 4 UWG als wesentlich im Sinne von § 5a
Abs. 2 UWG gelten (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 3
Rn. 8e; Bornkamm in Köhler/Bornkamm aaO § 5a Rn. 44 und 56).
5. Die vom Kläger im Vorfeld des Rechtsstreits gegen die Beklagten
ausgesprochene Abmahnung war berechtigt. Der neben dem Unterlassungsan-
spruch geltend gemachte Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten ist daher
ebenfalls begründet (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG).
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Bornkamm
Pokrant
Schaffert
Kirchhoff
Koch
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 14.12.2010 - 33 O 196/10 -
OLG Köln, Entscheidung vom 01.06.2011 - 6 U 220/10 -
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