Urteil des BGH vom 13.03.2017

BGH (stpo, staatsanwaltschaft, bezirk, antrag, anordnung, sitz, ort, gesellschaft, ermittlungsverfahren, niederlassung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 ARs 276/02
2 AR 142/02
vom
13. September 2002
in dem Ermittlungsverfahren
Unbekannt
wegen Beleidigung
Az.: 45 UJs 12239/02 Staatsanwaltschaft
Az.: 5 Gs 964/02 Amtsgericht
Az.: 25 Gs 804/02 Amtsgericht
Az.: 2 AR 9/02 Generalstaatsanwaltschaft
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts am 13. September 2002 beschlossen:
Zuständig für die Entscheidung über den Antrag der Staatsan-
waltschaft Göttingen ist das Amtsgericht Ulm.
Gründe:
1. Die Staatsanwaltschaft Göttingen hält in dem gegen einen unbe-
kannten Täter gerichteten Ermittlungsverfahren zur Ermittlung der Identität des
Täters eine Auskunft der T. AG über Telekommunikationsverbin-
dungsdaten gemäß §§ 100 g Abs. 1, 100 h Abs. 1 Satz 3, 100 b Abs. 1 Satz 1
StPO für erforderlich. Sie hat deshalb zunächst beim Amtsgericht Ulm, in des-
sen Bezirk sich die Niederlassung der Gesellschaft befindet, über deren tech-
nische Einrichtungen die Verbindungsdaten festzustellen sind, sodann beim
Amtsgericht Darmstadt, in dessen Bezirk sich die Zentrale der Gesellschaft
befindet, den Erlaß entsprechender richterlicher Anordnungen beantragt. Beide
Gerichte haben sich für unzuständig erklärt.
2. Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung durch den
Bundesgerichtshof gemäß § 14 StPO sind gegeben.
3. Zuständig für die Entscheidung ist hier, entgegen der Auffassung des
Generalbundesanwalts, das Amtsgericht Ulm. Die Zuständigkeit dieses Ge-
richts ergibt sich aus § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO; danach stellt die Staatsanwalt-
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schaft den Antrag auf Durchführung einer richterlichen Untersuchungshandlung
bei demjenigen Amtsgericht, in dessen Bezirk die für erforderlich gehaltene
Untersuchungshandlung vorzunehmen ist. Diese Regelung trägt dem Umstand
Rechnung, daß richterliche Untersuchungshandlungen im Ermittlungsverfahren
regelmäßig eilbedürftig sind; sie entspricht dem Grundsatz der Sachnähe und
trägt zur Rechtsklarheit bei, indem sie der Staatsanwaltschaft nicht auferlegt,
bei juristische Personen betreffenden Untersuchungshandlungen unter Um-
ständen aufwendige Ermittlungen über deren gesellschaftsrechtliche und orga-
nisatorische Struktur durchzuführen.
Handelt es sich um den Antrag auf Anordnung einer Auskunftserteilung,
so kommt es für die Zuständigkeit gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO darauf an,
wo die Auskunft zu erteilen und wo die Anordnung gegebenenfalls zu vollstre-
cken wäre. Das gilt auch für Auskünfte gemäß §§ 100 g Abs. 1 Satz 1, 100 h
Abs. 1 StPO. Hat ein Anbieter von Telekommunikationsdiensten an einem an-
deren Ort als am Sitz der Gesellschaft eine Niederlassung oder Abteilung er-
richtet, welche die Feststellung und den Abruf von Telekommunikationsdaten
technisch umsetzt (vgl. § 100 b Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 88 TKG), und steht
im Einzelfall der Ort fest, an welchem sich diese Niederlassung befindet, so
folgt aus § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO, daß in diesem Fall nicht das Amtsgericht
für die Anordnung gemäß §§ 100 g, 100 h StPO zuständig ist, in dessen Bezirk
sich der Sitz der (Verwaltungs-)Zentrale des Diensteanbieters befindet, son-
dern dasjenige Amtsgericht, in dessen Bezirk die Verbindungsdaten zu erhe-
ben und die Auskünfte zu erteilen sind. § 162 Abs. 1 StPO strebt eine einfache
und klare Feststellung der Zuständigkeit im Interesse einer sachnahen Ent-
scheidung und deren zeitnaher Umsetzung an. Hiermit wäre es nicht vereinbar,
wenn die Staatsanwaltschaft trotz Kenntnis des Ortes, an welchem die Unter-
suchungshandlung vorzunehmen ist, zunächst die Organisationsstruktur oder
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den Sitz einer juristischen Person - ggf. im Ausland - zu ermitteln und beim für
diesen Ort zuständigen Gericht den Antrag auf Anordnung einer Maßnahme zu
stellen hätte, deren Umsetzung oder Vollstreckung dort gar nicht erfolgen soll.
Rissing-van Saan Detter Otten
Rothfuß Fischer