Urteil des BGH vom 19.12.1979
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 216/02
Verkündet am:
8. Mai 2003
Heinzelmann,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGB § 242 (Cd)
Wird in einem Vergleich ein Teilverzicht unter der Voraussetzung vereinbart, daß
Ratenzahlungen zu bestimmten Terminen zu leisten sind, kann sich der Gläubiger
nach Treu und Glauben nicht auf Fristüberschreitungen berufen, wenn er einen Ver-
trauenstatbestand geschaffen hat, nach dem der Schuldner sich darauf verlassen
durfte, daß der Gläubiger aus einer Fristüberschreitung nicht die vereinbarten Folgen
herleiten werde (im Anschluß an BGH, Urteil vom 19. Dezember 1979 - VIII ZR
46/79, NJW 1980, 1043, 1044).
BGH, Urteil vom 8. Mai 2003 - VII ZR 216/02 - OLG Frankfurt
LG Frankfurt
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Mai 2003 durch die Richter Prof. Dr. Thode, Dr. Wiebel, Dr. Kuffer,
Prof. Dr. Kniffka und Bauner
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 21. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. Mai 2002 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt, die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil für un-
zulässig zu erklären.
Die Beklagte hatte wegen einer Werklohnforderung ein Urteil des Land-
gerichts Frankfurt erwirkt, in dem die Klägerin zur Zahlung von 75.722,63 DM
nebst Zinsen verurteilt worden war. Die Klägerin hatte Berufung eingelegt. Wäh-
rend des Berufungsverfahrens verglichen sich die Parteien am 29. März 2000
außergerichtlich dahin, daß die Klägerin die Berufung zurücknimmt. Die Kläge-
rin sollte, eingehend beim Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, bis zum
10. April, 21. April, 20. Mai und 15. Juni 2000 jeweils 10.000 DM zahlen. Die
Restforderung sollte erlassen werden.
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Die Klägerin nahm ihre Berufung zurück. Sie übergab je einen Scheck
über 10.000 DM am 30. März, 28. April, 23. Mai und 19. Juni 2000. Alle
Schecks wurden von der Beklagten eingelöst. Nach Erhalt des zweiten Schecks
bestätigte die Beklagte am 28. April 2000, daß "nach Einhaltung" der Zahlungs-
bedingungen die zu ihren Gunsten eingetragenen Sicherungen im Grundbuch
gelöscht würden.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß die erlassene Forderung wieder
aufgelebt sei, weil die Klägerin die vereinbarten Zahlungstermine nicht ein-
gehalten habe. Sie betreibt die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Land-
gerichts Frankfurt in Höhe von 61.143,93 DM.
Das Landgericht hat die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt. Die
Berufung ist erfolglos geblieben. Die Beklagte verfolgt mit ihrer zugelassen Re-
vision ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet.
Auf das Schuldverhältnis findet das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis
zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1
EGBGB).
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I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Beklagten sei es nach Treu
und Glauben verwehrt, sich auf die Überschreitung der Zahlungsfristen zu be-
rufen. Sie habe durch ihr Verhalten einen Vertrauenstatbestand geschaffen, auf
Grund dessen sich die Klägerin darauf habe verlassen dürfen, daß die gering-
fügigen Fristüberschreitungen nicht dazu führen würden, daß die Beklagte die
gesamte titulierte Forderung geltend machen werde.
Zwar könne sich nach der Rechtsprechung der verspätet zahlende
Schuldner nicht allein deshalb auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben be-
rufen, weil die Zahlungsfrist nur geringfügig überschritten sei. Dennoch seien
Fälle denkbar, in denen die Nichteinhaltung der Zahlungsfristen wegen eines zu
Gunsten des Schuldners wirkenden Vertrauenstatbestandes nicht zum Wieder-
aufleben der Hauptforderung führe. Ein solcher Fall liege vor. Die Beklagte ha-
be stets akzeptiert, daß abweichend vom Vertrag mit Scheck bezahlt werde,
was zu einer unvermeidlichen Verzögerung bei der Einlösung und damit Frist-
überschreitung führe. Sie habe zudem den verspäteten Zahlungen nicht wider-
sprochen. Vielmehr habe sie die Schecks ohne Beanstandungen eingelöst. Sie
habe zudem mit ihrem Schreiben vom 28. April 2000 den Eindruck erweckt, daß
die Abwicklung des Vergleichs ihren geordneten Gang gehe. Die Klägerin habe
danach darauf vertrauen dürfen, daß die Beklagte die geringfügigen Fristüber-
schreitungen nicht zum Anlaß nehmen werde, sich auf das Aufleben der Forde-
rung zu berufen. Die Beklagte hätte das bei der Klägerin entstandene Vertrauen
durch einen Hinweis zerstören müssen.
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II.
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil der Frage, ob im
Falle eines Vergleichs mit auflösend bedingtem Teilerlaß und Ratenzahlungs-
vereinbarung durch wiederholte widerspruchslose Hinnahme geringfügig ver-
späteter Ratenzahlungen ein Vertrauenstatbestand zu Gunsten des Vergleichs-
schuldners geschaffen wird, grundsätzliche Bedeutung zukomme. Diese Be-
gründung rechtfertigt die Zulassung nicht. Die vom Berufungsgericht abstrakt
formulierte Rechtsfrage stellt sich nicht. Das Berufungsgericht leitet den Ver-
stoß gegen Treu und Glauben aus einem Bündel von Umständen her. Die wi-
derspruchslose Hinnahme der Ratenzahlungen ist nur einer dieser Umstände.
Die Frage, ob in dem vom Berufungsgericht entschiedenen Einzelfall ein Ver-
stoß gegen Treu und Glauben vorliegt, ist nicht grundsätzlich. Der Senat ist
gleichwohl an die Zulassung gebunden, § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
III.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand.
1. Die Parteien haben nach den unangefochtenen Feststellungen des
Berufungsgerichts einen Vergleich geschlossen, nach dem der der Beklagten
zustehende Betrag in Höhe von 75.722,63 DM nebst Zinsen durch Rücknahme
der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt rechtskräftig tituliert
wurde und die Beklagte auf den 40.000 DM übersteigenden Betrag verzichtete.
Dieser Teilverzicht sollte unter der Bedingung entfallen, daß die Klägerin die
Raten nicht zu den vorgesehenen Zeitpunkten zahlte.
2. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß es bei einer sol-
chen Fallgestaltung grundsätzlich verfehlt ist, die an den Eintritt der Bedingung
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geknüpften nachteiligen Folgen für den Schuldner über eine Anwendung von
§ 242 BGB nur deshalb wieder aufzuheben, weil die Fristüberschreitung ge-
ringfügig ist (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1979 - VIII ZR 46/79, NJW 1980,
1043, 1044; Urteil vom 8. Juli 1981 - VIII ZR 247/80, NJW 1981, 2686, 2687).
Damit ist der Einwand des Schuldners, der Gläubiger verstoße gegen Treu und
Glauben, wenn er sich auf die geringfügige Fristüberschreitung berufe, nicht
generell ausgeschlossen. Der Gläubiger kann sich nach Treu und Glauben
(§ 242 BGB) nicht auf eine Fristüberschreitung berufen, wenn er selbst einen
Vertrauenstatbestand geschaffen hat, nach dem der Schuldner sich darauf
verlassen durfte, daß der Gläubiger aus einer Fristüberschreitung nicht die ver-
einbarten Folgen herleiten werde (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1979
- VIII ZR 46/79, NJW 1980, 1043, 1044). Ob der Gläubiger einen Vertrauenstat-
bestand geschaffen hat und die Berufung auf die Fristüberschreitung sich des-
halb als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt, kann nur unter Berücksich-
tigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Diese vom
Tatrichter vorzunehmende Beurteilung ist in der Revision nur eingeschränkt
überprüfbar (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1993 - V ZR 234/91, BGHZ 122,
308, 314; Urteil vom 7. Juli 1965 - VIII ZR 138/63, WM 1965, 799, 780).
3. Revisionsrechtlich ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Be-
klagte verstoße gegen Treu und Glauben, wenn sie sich angesichts ihres vorhe-
rigen Verhaltens bei der Abwicklung des Vergleichs auf die geringfügigen Über-
schreitungen der vereinbarten Fristen berufe, nicht zu beanstanden. Die Revisi-
on hat keine Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten aufgezeigt.
a) Soweit sie sich dagegen wendet, daß die Klägerin aufgrund der fest-
gestellten Umstände ein Vertrauen nicht habe bilden können, versucht sie er-
folglos, die tatrichterliche Beurteilung durch ihre eigene zu ersetzen. Die vom
Berufungsgericht vorgenommene Würdigung ist hinzunehmen. Sie hält sich in
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den Grenzen des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums. Daraus,
daß die Beklagte Scheckübergaben trotz des Umstandes akzeptierte, daß da-
mit die Zahlung im Sinne des Vertrages nicht rechtzeitig eingegangen ist, sie
die Schecks einlöste, die Fristüberschreitungen nicht rügte und im Schreiben
vom 28. April 2000 den Eindruck erweckte, die bereits erfolgte geringfügige
Fristüberschreitung sei für die Durchführung des Vergleichs ohne Belang,
konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler herleiten, die Klägerin habe
sich darauf verlassen dürfen, die Beklagte werde sich auf geringfügige Frist-
überschreitungen, auch bei der letzten Rate, nicht berufen. Dieser Schluß ver-
stößt entgegen der Auffassung der Revision weder gegen die Lebenserfahrung
noch gegen § 286 ZPO.
b) Unbegründet ist die Rüge, das Berufungsgericht lege den Vergleich
fehlerhaft dahin aus, daß allein die Scheckübergabe keine bei der Beklagten im
Sinne des Vertrages "eingehende" Zahlung darstelle und die Fristen allein da-
durch nicht gewahrt seien, sondern es auf die Einlösung der Schecks ankom-
me. Die dem Tatrichter vorbehaltene Auslegung durch das Berufungsgericht ist
möglich. Die Beklagte selbst hat den Vergleich so ausgelegt. Das Berufungsge-
richt konnte deshalb ohne Rechtsfehler die tatsächliche Handhabung als einen
den Vertrauenstatbestand mit bildenden Umstand würdigen.
c) Ohne Bedeutung ist entgegen der Auffassung der Revision, ob der
Ehemann der Klägerin von der Beklagten am 28. April 2000 darauf hingewiesen
worden ist, daß der Inhalt des den Vergleich vom 29. März 2000 bestätigenden
Schreibens vom 30. März 2000 maßgebend sei. Dieser von der Beklagten be-
hauptete Hinweis war auf der Grundlage der tatrichterliche Würdigung nicht ge-
eignet, den vom Berufungsgericht angenommenen Vertrauenstatbestand zu
verhindern. Denn er bestätigte lediglich den Inhalt des Vergleichs in der vom
Berufungsgericht vorgenommen Auslegung.
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Thode
Wiebel
Kuffer
Kniffka
Bauner