Urteil des BGH vom 14.02.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 16/09
Verkündet
am:
7.
Juli
2010
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VBL-Satzung § 38 Abs. 1; § 85 Satz 1
Die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Bereich
der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung für Arbeitnehmer des öffentliches
Dienstes, die bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder zusatzversi-
chert sind, ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar (Aufgabe des Senatsurteils vom
14. Februar 2007 - IV ZR 267/04 - VersR 2007, 676, im Anschluss an BVerfG, Be-
schluss vom 7. Juli 2009 - 1 BvR 1164/07 - VersR 2009, 1607). Dem Partner einer
eingetragenen Lebenspartnerschaft steht jedenfalls seit dem 1. Januar 2005 ein An-
spruch auf Hinterbliebenenrente nach § 38 Abs. 1 VBLS sowie auf Sterbegeld ge-
mäß § 85 Satz 1 VBLS zu.
BGH, Urteil vom 7. Juli 2010 - IV ZR 16/09 - LG Karlsruhe
AG Karlsruhe
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Richter
Wendt, die Richterinnen Dr. Kessal-Wulf, Harsdorf-Gebhardt, die Richter
Dr. Karczewski und Lehmann auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli
2010
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers wird das Urteil der
6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 24. Ok-
tober 2008 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts
Karlsruhe vom 4. Mai 2007 geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Sterbegeld
in Höhe von 600 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsver-
fahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der am 15. September 1945 geborene Kläger begehrt von der be-
klagten Zusatzversorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) die
Gewährung einer Hinterbliebenenrente sowie die Zahlung von Sterbe-
geld. Er lebte seit Juli 2005 in eingetragener Lebenspartnerschaft mit ei-
nem am 13. Januar 2006 verstorbenen Mann. Dieser war bei der Beklag-
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ten zusatzversichert und bezog von ihr zuletzt eine Betriebsrente von
232,50 €. Der Kläger erhält neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus
eigener Versicherung von der gesetzlichen Rentenversicherung des bei
der Beklagten Versicherten eine so genannte "große Witwerrente".
Mit der Klage macht der Kläger die Zahlung von Hinterbliebenen-
rente für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 30. April 2006 in Höhe von
monatlich 232,50 € sowie für den Zeitraum ab 1. Mai 2006 von monatlich
127,88 € zuzüglich eines Sterbegeldes von 600 € geltend. Amts- und
Landgericht haben die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die zu-
gelassene Revision des Klägers.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe weder
ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 38 der Satzung der Be-
klagten (im Folgenden: VBLS) noch auf Zahlung von Sterbegeld gemäß
§ 85 VBLS zu, weil er mit dem verstorbenen Versicherten nicht verheira-
tet gewesen sei. Eingetragene Lebenspartner im Sinne des Lebenspart-
nerschaftsgesetzes seien nicht als verheiratet im Sinne der Bestimmun-
gen der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes anzusehen. Die Sat-
zungsbestimmungen verstießen auch nicht gegen Grundrechte oder hö-
herrangiges europäisches Recht.
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II. Die Revision ist begründet. Dem Kläger steht grundsätzlich ein
Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 38 Abs. 1 VBLS zu (zu 1.). Ob
ein derartiger Anspruch nach § 38 Abs. 2 VBLS ausgeschlossen ist, be-
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darf weiterer tatrichterlicher Feststellung (zu 2.). Schließlich hat der Klä-
ger einen Anspruch auf Zahlung von Sterbegeld in Höhe von 600 € nach
§ 85 Satz 1 VBLS i.V. mit § 58 Abs. 1 Satz 1 a VBLS a.F. (zu 3.).
1. Das Bundesverfassungsgericht hat mit nach den angefochtenen
Entscheidungen ergangenem Beschluss vom 7. Juli 2009 (VersR 2009,
1607) entschieden, dass die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetra-
gener Lebenspartnerschaft im Bereich der betrieblichen Hinterbliebenen-
versorgung für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die bei der Be-
klagten zusatzversichert sind, mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Wie
es im Einzelnen ausgeführt hat (aaO Tz. 97 ff.), lassen sich jedenfalls
seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Überarbeitung des Lebenspart-
nerschaftsrechts vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3396; im Folgen-
den: Überarbeitungsgesetz) am 1. Januar 2005, mit dem das Recht der
eingetragenen Lebenspartnerschaften noch näher an das Eherecht an-
geglichen worden ist und das (unter anderem) die Einbeziehung der ein-
getragenen Lebenspartner in die Hinterbliebenenversorgung der gesetz-
lichen Rentenversicherung regelt, keine sachbezogenen und gemeinsa-
men Gründe der Tarifvertragsparteien für eine Ungleichbehandlung im
Bereich der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung belegen. Auch ob-
jektiv seien keine tragfähigen sachlichen Gründe für eine Ungleichbe-
handlung gegeben. Unter Berücksichtigung der mit der Hinterbliebenen-
versorgung verfolgten Ziele seien keine einfachrechtlichen oder tatsäch-
lichen Unterschiede erkennbar, die es rechtfertigten, eingetragene Le-
benspartner in Bezug auf die Hinterbliebenenversorgung der VBL
schlechter zu behandeln als Ehegatten.
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Zu
den
Rechtsfolgen des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG hat es
ausgeführt (aaO Tz. 124):
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"Verstoßen Allgemeine Versicherungsbedingungen - wie
hier die Satzung der VBL - gegen Art. 3 Abs. 1 GG, so führt
dies nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden-
den Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Unwirksamkeit
der betroffenen Klauseln (vgl. BGHZ 174, 127, <175>).
Hierdurch entstehende Regelungslücken können im Wege
ergänzender Auslegung der Satzung geschlossen werden
(BGHZ 174, 127, <177>). Auch im vorliegenden Fall ist es
zwar nicht durch den bewussten Ausschluss der Lebens-
partner bei der Formulierung des § 38 VBLS, wohl aber
durch die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Vertrags-
gestaltung aus verfassungsrechtlichen Gründen zu einer
ungewollten Regelungslücke bei der Hinterbliebenenver-
sorgung gekommen. Der Gleichheitsverstoß kann nicht
durch bloße Nichtanwendung des § 38 VBLS beseitigt wer-
den, weil ansonsten entgegen der zugrunde liegenden
Konzeption Hinterbliebenenrenten auch für Ehegatten aus-
geschlossen wären. Der mit der Hinterbliebenenversorgung
nach § 38 VBLS verfolgte Regelungsplan lässt sich mithin
nur dadurch vervollständigen, dass die für Ehegatten gel-
tende Regelung mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 auch
auf eingetragene Lebenspartner Anwendung findet. Dies
entspricht auch dem hypothetischen Willen sowohl der VBL
wie auch der Tarifvertragsparteien, die die eingetragenen
Lebenspartner in die Hinterbliebenenversorgung einbezo-
gen hätten, wäre ihnen der hier festgestellte Gleichheits-
verstoß bewusst gewesen. …"
Den
Erwägungen
des
Bundesverfassungsgerichts hat sich der Se-
nat in seiner Entscheidung vom 7. Juli 2010 (IV ZR 267/04 - unter 1, zur
Veröffentlichung vorgesehen) angeschlossen. Hiermit im Einklang steht
die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach eingetragene
Lebenspartner in der betrieblichen Altersversorgung hinsichtlich der Hin-
terbliebenenversorgung ab dem Jahre 2005 Ehegatten gleichzustellen
sind (vgl. dazu Urteil vom 14. Januar 2009 - 3 AZR 20/07 - MDR 2009,
698), sowie des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (vgl. Ur-
teil vom 1. April 2008 - C-267/06 - NJW 2008, 1649 Tenor zu 2.).
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2. Ob der Kläger die der Höhe nach unstreitige Hinterbliebenen-
rente verlangen kann, hängt indessen davon ab, ob der Anspruch wegen
der kurzen Dauer der eingetragenen Lebenspartnerschaft zwischen dem
Kläger und dem verstorbenen Versicherten von weniger als 12 Monaten
nach § 38 Abs. 2 VBLS ausgeschlossen ist. Von seinem Standpunkt aus
folgerichtig hat das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getrof-
fen. Diese werden, gegebenenfalls nach weiterem Vortrag der Parteien,
nachzuholen sein.
3. Schließlich hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von Ster-
begeld in Höhe von 600 € gemäß § 85 Satz 1 VBLS i.V. mit § 58 Abs. 1
Satz 1 a VBLS a.F.
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a) Nach § 85 Satz 1 VBLS wird ein Sterbegeld entsprechend dem
Zusatzversorgungsrecht des bisherigen Gesamtversorgungssystems ge-
zahlt, das allerdings der Höhe nach jährlich gestaffelt abgesenkt wird
und nach § 85 Satz 2 VBLS ab dem Jahre 2008 gänzlich entfällt (vgl.
Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT Teil VII - ATV 179. ErgL [Stand
Oktober 2002] Erl. 35.1). Für einen - wie hier - Sterbefall im Jahre 2006
wird ein Sterbegeld in Höhe von 600 € erbracht, das auch der Kläger als
eingetragener Lebenspartner verlangen kann.
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Nach der Regelung des § 85 Satz 1 VBLS i.V. mit § 58 Abs. 1
Satz 1 a VBLS a.F. ist ein Sterbegeld zwar ausdrücklich nur für den
überlebenden Ehegatten, nicht auch für den eingetragenen Lebenspart-
ner vorgesehen. Die Regelung führt aber zu einer Ungleichbehandlung,
die entsprechend den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in
dem genannten Beschluss vom 7. Juli 2009 (aaO Tz. 77 ff.) gegen Art. 3
Abs. 1 GG verstößt. Dieser Verstoß hat - wie bei der Hinterbliebenenren-
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te nach § 38 VBLS - zur Folge, dass die genannte Regelung zum Ster-
begeld mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 auch auf eingetragene Le-
benspartner Anwendung findet.
Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) ergibt
sich, dass Ehegatten und eingetragene Lebenspartner im Bereich der
betrieblichen Hinterbliebenenversorgung für Arbeitnehmer des öffentli-
chen Dienstes, die bei der Beklagten zusatzversichert sind, ab dem Jah-
re 2005 gleich zu behandeln sind. Das betrifft neben der Hinterbliebe-
nenrente auch das - in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht vorge-
sehene - Sterbegeld. Dafür, dass eine Gleichstellung auch insoweit mit
dem Willen des Gesetzgebers im Einklang steht, spricht die im Bereich
der gesetzlichen Unfallversicherung durch Art. 5 Abs. 35 Nr. 1 des Über-
arbeitungsgesetzes mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 eingefügte Re-
gelung des § 63 Abs. 1 a SGB VII, die die Anwendbarkeit der für Ehegat-
ten geltenden Vorschriften über die Hinterbliebenenleistungen, zu denen
auch ein Sterbegeld gehört (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VII), auf
eingetragene Lebenspartner erstreckt.
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b) Da die Zahlung von Sterbegeld unabhängig davon ist, ob die
Ehe bzw. Lebenspartnerschaft bis zum Tod des Versicherten bereits ein
Jahr bestanden hat, kann über diesen selbständigen Anspruch durch das
Revisionsgericht selbst entschieden werden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Üb-
rigen ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Wendt Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski Lehmann
Vorinstanzen:
AG Karlsruhe, Entscheidung vom 04.05.2007 - 2 C 265/06 -
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 24.10.2008 - 6 S 22/07 -