Urteil des BGH vom 11.07.2005
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 166/05 Verkündet
am:
26. September 2006
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 823 Ac, Bf; 683 Satz 2, 1004; KrW-/AbfG §§ 10, 16
Der persönliche Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht des Abfallerzeugers
umfasst regelmäßig nicht den Besitzer eines Grundstücks, der das Grundstück zum
Betrieb einer Abfallrecyclinganlage vermietet.
BGH, Urteil vom 26. September 2006 - VI ZR 166/05 - Pfälzisches OLG Zweibrücken
LG Landau
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. September 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter
Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Pfälzischen
Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 11. Juli 2005 wird auf Kos-
ten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung von Aufwendungen in
Höhe von 26.726,40 € in Anspruch, die ihr für die Entsorgung von Altreifenma-
terial entstanden sind. Die Klägerin ist Leasingnehmerin eines Grundstücks,
das sie an die Firma G. E. untervermietet und dieser im Sommer 2002 zum Be-
trieb einer Altautoreifenrecyclinganlage überlassen hatte. Auf dem Grundstück
sammelten sich in der Folgezeit ca. 550 Tonnen Altreifen und geschredderte
Reifenreste, die verschiedene Unternehmen dort anlieferten. Ein Teil davon,
nämlich von der Firma L. gelieferte 319,39 Tonnen, stammt nach dem bestritte-
nen Vortrag der Klägerin von der Beklagten. Die Beklagte hatte im Sommer
2002 größere Mengen geschredderte Altreifenreste zur Entsorgung an die Fir-
ma R. S. weitergegeben, welche sich hierzu der Firma L. bediente, die ihrer-
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seits die Altreifen an die Firma G. E. lieferte. In der Folgezeit kündigte die Klä-
gerin ihrer Untermieterin wegen Zahlungsverzugs. Diese kam ihrer Pflicht zur
Räumung des Grundstücks jedoch nicht nach. Das Landratsamt E. forderte
deshalb die Klägerin mit Bescheid vom 30. Juni 2003 auf, das Reifenmaterial
ordnungsgemäß zu entsorgen. Die Klägerin beauftragte hiermit ihrerseits die
Firma L., welche die Altreifenreste gegen Zahlung des Klagebetrags entsorgte.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen und die Berufung der
Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die ent-
sorgten Reifenteile von der Beklagten stammten, da ein Anspruch auf Kosten-
erstattung nicht gegeben sei.
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Soweit auf das Einbringen der Reifenteile auf das Grundstück abgestellt
werde, sei ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Besitzstörung jedenfalls
deshalb zu verneinen, weil diese Handlung nicht von der Beklagten, sondern
von selbständigen Entsorgungsunternehmen vorgenommen worden sei. Ein
Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer Verkehrssiche-
rungspflicht der Beklagten, müsse deshalb abgelehnt werden, weil die Klägerin
nicht in den Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht einbezogen gewesen
sei. In den Schutzbereich seien diejenigen nicht einbezogen, die ihrerseits
selbst verkehrssicherungspflichtig seien und hinsichtlich der Verkehrssiche-
rungspflicht sozusagen auf einer Stufe stünden. Dies gelte zunächst für die di-
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rekt an der "Entsorgungskette" beteiligten Firmen R. S., L. und G. E. Aber auch
die Klägerin als Vermieterin der G. E. werde vom Schutzbereich nicht erfasst.
Ein Anspruch ergebe sich nicht aus Verletzung des Rechts am eingerichteten
und ausgeübten Gewerbebetrieb, da es an der Betriebsbezogenheit des Ein-
griffs fehle. Ein deliktischer Anspruch könne schließlich nicht aus § 823 Abs. 2
BGB in Verbindung mit § 10 Abs. 4 des Gesetzes zur Förderung der Kreislauf-
wirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz
- KrW-/AbfG) vom 6. Oktober 1994 - BGBl. I 2705 - hergeleitet werden, da kei-
nes der dort genannten Rechtsgüter betroffen gewesen sei.
Ein auf die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag gestütz-
ter Anspruch der Klägerin komme nur dann in Betracht, wenn die Beklagte im
Innenverhältnis zur Klägerin dieser gegenüber verpflichtet gewesen sei, die Alt-
reifenteile zu entfernen. Eine solche Verpflichtung der Beklagten könne aber
entgegen einer Entscheidung des OLG Dresden (VersR 1995, 836) nicht dem
§ 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB entnommen werden. Zivilrechtlich sei die Beklagte
nicht als Störerin anzusehen. Darauf, ob die Beklagte nach dem polizeirechtli-
chen Störerbegriff verantwortlich gemacht werden könne, komme es nicht an.
Der zivilrechtliche Störer dürfe mit dem polizeirechtlichen nicht gleichgesetzt
werden.
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II.
Die hiergegen gerichtete Revision hat keinen Erfolg.
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1. Die Beklagte hat nicht nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des
Rechts der Klägerin zum mittelbaren Besitz an dem vermieteten Grundstück
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Schadensersatz dafür zu leisten, dass sie Reifenteile zur Entsorgung an die
Firma R. S. weitergegeben hat, die sie über die Firma L. der Mieterin G. E. der
Klägerin überlassen hat.
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a) R. S. und L. waren selbstständige Entsorgungsunternehmen und
mangels Weisungsgebundenheit keine Verrichtungsgehilfen der beklagten Ab-
fallerzeugerin. Das Verhalten dieser Firmen ist der Beklagten daher nicht über
§ 831 BGB zurechenbar (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1975 - VI ZR 43/74 -
VersR 1976, 62, 64; OLG Düsseldorf, VersR 1995, 1363, 1364 mit Nichtan-
nahmebeschluss des erkennenden Senats vom 19. März 1996 - VI ZR 272/95;
dasselbe RuS 1997, 194, 195 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden
Senats vom 19. November 1996 - VI ZR 136/96; Wilmowsky, NuR 1991, 253,
257), so dass sich insoweit die Frage eines Auswahl- und Überwachungsver-
schuldens der beauftragten Firma R. S. nicht stellt.
b) Das Berufungsgericht hat auch im Ergebnis zu Recht einen Anspruch
der Klägerin aus § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung der Verkehrssiche-
rungspflicht der Beklagten verneint.
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aa) Zwar hat ein Produzent von Industrieabfällen, die ohne besondere
Vorkehrungen eine Quelle von Umweltgefahren sind, die allgemeine Verkehrs-
sicherungspflicht, im Rahmen des Zumutbaren und Verkehrsüblichen das Er-
forderliche zu tun, damit sich diese (potentiellen) Gefahren nicht zum Schaden
Dritter auswirken können. Dabei nehmen die Anforderungen an die Sorgfalt bei
Lagerung und Vernichtung mit der Gefährlichkeit der Abfallstoffe zu (vgl. Senat,
Urteil vom 7. Oktober 1975 - VI ZR 43/74 - aaO; OLG Hamm, VersR 1988, 804
mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats vom 10. Mai 1988
- VI ZR 236/87; OLG Stuttgart, VersR 1991, 1375, 1376 mit Nichtannahmebe-
schluss des erkennenden Senats vom 9. Oktober 1990 - VI ZR 54/90; OLG
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Düsseldorf, VersR 1995, 1363, 1364 mit Nichtannahmebeschluss des erken-
nenden Senats vom 19. März 1996 - VI ZR 272/95).
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bb) Der Abfallproduzent muss die Entsorgung nicht stets selbst über-
nehmen. Nach ständiger Rechtsprechung können Verkehrssicherungspflichten
delegiert werden. Wer sie übernimmt, wird seinerseits deliktisch verantwortlich,
während sich die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich (allein) Verant-
wortlichen auf Auswahl- und Überwachungspflichten verengt. Deren Umfang
richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei wiederum eine erhöhte
Gefährlichkeit ebenso wie ein verringerter Einfluss des Produzenten auf den mit
der Entsorgung bzw. Verwertung beauftragten Unternehmer aufgrund dessen
Selbstständigkeit zu einer gesteigerten Sorgfaltspflicht des Delegierenden führt
(vgl. Senatsurteile vom 9. November 1982 - VI ZR 129/81 - VersR 1983, 152;
vom 12. März 1985 - VI ZR 215/83 - VersR 1985, 666, 667 und vom 17. Januar
1989 - VI ZR 186/88 - VersR 1989, 526 m.w.N.; vgl. auch BGH, BGHZ 142,
227, 233). Der Beaufsichtigung eines Fachunternehmens sind allerdings durch
das Erfordernis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie durch die Selbst-
ständigkeit und Weisungsunabhängigkeit des Beauftragten Grenzen gesetzt.
Eine Kontrolle auf Schritt und Tritt kann nicht verlangt werden (vgl. Senatsurtei-
le vom 7.
Oktober 1975 -
VI
ZR
43/74
- aaO; vom 12.
März 1985
- VI ZR 215/83 - aaO; vom 30. September 1986 - VI ZR 247/85 - RuS 1987,
130, 131). Diese Grundsätze - von denen das Berufungsgericht ausgegangen
ist - gelten auch, wenn der Abfallerzeuger ein selbstständiges Unternehmen mit
der Entsorgung beauftragt. Ihn treffen dann abgestufte Auswahl- und Überwa-
chungspflichten, die nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu bestim-
men sind und umso strenger werden, je gefährlicher die Abfälle für die Umwelt
sind und je geringer die Gewähr ist, dass das eingeschaltete Unternehmen die
erforderlichen Sicherheitsvorschriften beachtet (vgl. Senat, Urteil vom
7. Oktober 1975 - VI ZR 43/74 - aaO, 64 f.; OLG Düsseldorf, VersR 1995, 1363,
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1364 f. mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats vom 19. März
1996 - VI ZR 272/95; Wilmowsky aaO; vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 1974,
285, 286). Dass der Beauftragte im Besitz der erforderlichen abfallrechtlichen
Genehmigungen ist, ist Voraussetzung für eine entlastende Pflichtendelegation,
kann den Abfallerzeuger aber entgegen einer gelegentlich vertretenen Ansicht
(vgl. Dombert, PHI 1992, 42, 45 f.; Ekrutt, NJW 1976, 885 f.; ähnlich Klingelhö-
fer, VersR 2002, 530, 538; Wilmowsky, NuR 1991, aaO; a.A. Birn, NJW 1976,
1880 f.; vgl. auch OLG Hamm, VersR 1988, 804 mit Nichtannahmebeschluss
des erkennenden Senats vom 10. Mai 1988 - VI ZR 236/87) nicht ohne weitere
Umstände entlasten (vgl. auch Senat, Urteil vom 31. Mai 1994 - VI ZR 233/93 -
VersR 1994, 996, 997 m.w.N.). Eines näheren Eingehens auf diese Frage be-
darf es hier jedoch aus den nachfolgenden Erwägungen nicht.
cc) Ob die Beklagte mit Beauftragung der Firma R. S. und bei der nicht
näher festgestellten weiteren Abwicklung des Geschäfts ihren Auswahl- und
Überwachungspflichten nachgekommen ist, durfte das Berufungsgericht zu
Recht unbeantwortet lassen. Diese Verkehrssicherungspflichten hatten nach
den besonderen Umständen des Streitfalls nämlich nicht den (Schutz-) Zweck,
die Klägerin vor denjenigen Schäden zu bewahren, deren Ausgleich sie nun
verlangt (zur Eingrenzung von Verkehrssicherungspflichten über den Schutz-
zweck vgl. Senat, Urteil vom 27. Januar 1987 - VI ZR 114/86 - NJW 1987,
2671, 2672; Soergel/Spickhoff, BGB, 13. Aufl., § 823 Rdn. 28).
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(1) Es ist bereits fraglich, ob der bei der Klägerin entstandene Schaden
seiner Art nach vom Schutzzweck der der Beklagten obliegenden Verkehrssi-
cherungspflicht erfasst ist. Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht eines Pro-
duzenten von Industrieabfällen soll verhindern, dass sich Umweltgefahren zum
Schaden Dritter auswirken (vgl. Senat, Urteil vom 7.
Oktober 1975
- VI ZR 43/74 - aaO, 64). Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendun-
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gen haben ihre Ursache darin, dass ihre Untermieterin ihrer Räumungspflicht
nicht nachgekommen ist. Räumungskosten wären deshalb auch dann angefal-
len, wenn G. E. keinen Abfall, sondern Wirtschaftsgüter gelagert hätte. Damit
haben sich nicht die von den geschredderten Altreifen ausgehenden Umweltge-
fahren verwirklicht, sondern das allgemeine Risiko eines Vermieters, dass der
Mieter die ihm überlassene Sache nicht in ordnungsgemäßem Zustand zurück-
gibt und seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommt (vgl. OLG Düs-
seldorf, RuS 1997, 194 f. mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats
vom 19. November 1996 - VI ZR 136/96). In derartigen Fällen wird es deshalb
regelmäßig an einem inneren Zusammenhang des Schadens mit der vom Ab-
fallerzeuger geschaffenen Gefahrenlage fehlen.
(2) Jedenfalls umfasst der persönliche Schutzbereich der Verkehrssiche-
rungspflicht der Beklagten nicht die Klägerin.
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(a) Bereits die Firma R. S. war nicht in diesen Schutzbereich einbezogen,
soweit ihr als Entsorger die gefahrlose Beseitigung des Abfalls übertragen wur-
de (vgl. Senat, Urteil vom 27. November 1984 - VI ZR 49/83 - VersR 1985, 243,
244 zur Streupflicht). Der Entsorger ist selbst Teil der Gefahr, für die der Abfall-
erzeuger in gewissem Umfang verantwortlich bleibt; er wird nicht selbst ge-
schützt.
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(b) Ob sich dieser Ausschluss aus dem Schutzbereich unter dem Aspekt
der Übertragung der Verkehrssicherungspflicht stets bei weiteren Entsorgern
innerhalb der "Entsorgungskette" fortsetzt, kann offen bleiben. Die Klägerin wird
vom Schutzzweck der Verkehrssicherungspflicht bereits deshalb nicht erfasst,
weil sie sich der Umweltgefahr freiwillig ausgesetzt hat.
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Sie hat ihrer Untermieterin das Grundstück zum Betrieb einer Altautorei-
fenrecyclinganlage zur Nutzung überlassen. Dies setzt das vorübergehende
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Lagern von Altreifen zwingend voraus. Die Klägerin hat also die von den
geschredderten Altreifen ausgehenden Umweltgefahren aus wirtschaftlichem
Eigeninteresse freiwillig in Kauf genommen und sich dadurch selbst außerhalb
des Schutzbereichs der dem Abfallerzeuger für den Abfall obliegenden Ver-
kehrssicherungspflicht gestellt. Mit dieser Eröffnung einer Gefahrenquelle ist sie
nicht mehr ein Dritter, den der Abfallerzeuger durch besondere Vorkehrungen
vor den erkennbaren Umweltgefahren des Abfalls schützen muss (vgl. OLG
Düsseldorf, VersR 1995, 1363, 1364 mit Nichtannahmebeschluss des erken-
nenden Senats vom 19. März 1996 - VI ZR 272/95; dasselbe RuS 1997, 194 f.
mit Nichtannhmebeschluss des erkennenden Senats vom 19. November 1996
- VI ZR 136/96; vgl. ferner OLG Hamm, VersR 2002, 1298; OLG Stuttgart,
TranspR 1998, 488, 489 f.). An diesem Einverständnis der Klägerin, das den
Schutz vor den Umweltgefahren der Altreifenteile ausschließt, hat sich nichts
dadurch geändert, dass durch die Zahlungsunfähigkeit des Untermieters oder
etwa vorhandener Unzulänglichkeiten in der Handhabung des Recyclingge-
schäfts die Altreifen nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft und - wie die
Revision meint - vertrags- und vorschriftswidrig gelagert wurden. Darin hat sich
lediglich eine wirtschaftliche Gefahr verwirklicht, der typischerweise jeder Ver-
mieter eines Industriegrundstücks ausgesetzt ist (vgl. OLG Düsseldorf, VersR
1995, 1363, 1364 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats vom
19. März 1996 - VI ZR 272/95; dasselbe RuS 1997, 194, 195 mit Nichtannah-
mebeschluss des erkennenden Senats vom 19.
November 1996
- VI ZR 136/96). Die Verkehrssicherungspflicht des Abfallerzeugers schützt
nicht das Vertrauen eines Vermieters in die fachliche Eignung bzw. in die fort-
dauernde wirtschaftliche Gesundheit und Existenz des in der Entsorgungsbran-
che tätigen Vertragspartners und damit letztlich in die ordnungsgemäße Erfül-
lung der eingegangenen vertraglichen Pflichten.
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2. An denselben Erwägungen zum Schutzzweck scheitert auch ein An-
spruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 10 Abs. 4 KrW-
/AbfG. Der Streitfall gibt daher keine Veranlassung zu prüfen, ob und bejahen-
denfalls zum Schutz welcher Rechtsgüter § 10 Abs. 4 KrW-/AbfG überhaupt als
Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB angesehen werden kann (ver-
neinend Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl., § 10 Rdn. 32 a.E.; Gei-
gel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., Kap. 15 Rdn. 5; a.A. noch zu
§ 2 AbfG OLG Hamm, VersR 1991, 676, 677; OLG Düsseldorf, VersR 1995,
1363, 1364 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats vom
19. März 1996 - VI ZR 272/95; dasselbe RuS 1997, 194, 195 mit Nichtannah-
mebeschluss des erkennenden Senats vom 19.
November 1996
- VI ZR 136/96; Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearbeitung, § 823 Rdn. G 43).
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3. Der Hauptangriff der Revision, dass die Beklagte gegenüber der Klä-
gerin jedenfalls gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Beseitigung der Reifen-
teile verpflichtet gewesen sei, bleibt gleichfalls ohne Erfolg. Der Umstand, dass
die Klägerin mit der Räumung des Grundstücks nicht nur dessen erneute wirt-
schaftliche Nutzung nach dem Scheitern des Mietverhältnisses ermöglichte,
sondern als sogenannte Zustandsstörerin auch einer abfallrechtlichen Anord-
nung des Landratsamtes E. nachkam, begründet auch dann keinen Anspruch
gegen die Beklagte auf Kostenerstattung, wenn die Beklagte als Verhaltensstö-
rerin von der Ordnungsbehörde gleichfalls hätte zur Räumung verpflichtet wer-
den können.
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a) Soweit die Revision eine Verpflichtung der Beklagten zur Räumung
des Grundstücks aus § 1004 BGB herleiten will (vgl. insoweit BGH, BGHZ 110,
313, 315; 142, 227, 237; Urteil vom 4. Februar 2005 - V ZR 142/04 - VersR
2005, 839 m.w.N.; Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 3. Aufl., § 3
Rdn. 106; vgl. auch Bamberger/Fritzsche, BGB, § 1004 Rdn. 76; Münch-
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KommBGB/Seiler, 4. Aufl., § 677 Rdn. 34), ist bereits fraglich, ob der Anwen-
dungsbereich dieser Vorschrift überhaupt eröffnet ist. Die Klägerin ist nicht Ei-
gentümerin des Grundstücks, sondern lediglich Leasingnehmerin. Soweit sich
die Klägerin auf Besitzverletzung beruft, ist eine Anwendbarkeit des § 1004
Abs. 1 Satz 1 BGB zu verneinen. Insoweit verschafft jedoch § 862 BGB dem
Besitzer einen vergleichbaren Schutz wie § 1004 BGB dem Eigentümer (vgl.
BGH, BGHZ 147, 45, 50; MünchKommBGB/Joost, aaO, § 862 Rdn. 1; Münch-
KommBGB/Medicus, aaO, § 1004 Rdn. 5; Staudinger/Bund, BGB, Neubearbei-
tung 2000, § 862 Rdn. 1; Staudinger/Gursky, BGB, Neubearbeitung 2006,
§ 1004 Rdn. 87) und geht insbesondere von einem nahezu identischen Störer-
begriff aus (MünchKommBGB/Joost, aaO, § 862 Rdn. 9; Staudinger/Bund, aaO,
§ 858 Rdn. 14).
b) Es ist - entgegen der Ansicht der Revision - auch nicht zu entschei-
den, ob die Beklagte hinsichtlich der Lagerung von Altreifen auf dem Grund-
stück zivilrechtlich als Störerin angesehen werden kann. Im vorliegenden Fall
scheidet eine etwaige Verpflichtung der Beklagten zur Beseitigung der Störung
durch den Reifenabfall jedenfalls im Hinblick auf den Rechtsgedanken des
§ 254 BGB aus (vgl. BGH, BGHZ 110, 313, 317; 131, 95, 101; Urteil vom
21. Oktober 1994 - V ZR 12/94 - NJW 1995, 395, 396; OLG Dresden, VersR
1995, 836, 837; Bamberger/Fritzsche, aaO, §
1004 Rdn.
68; Münch-
KommBGB/Oetker, aaO, § 254 Rdn. 25; Staudinger/Schiemann, BGB, Neube-
arbeitung 2005, § 254 Rdn. 28 sowie die zahlreichen Nachweise bei Staudin-
ger/Gursky, aaO, Rdn. 157, selbst a.A.)
.
21
Ebensowenig wie der Beseitigungsanspruch aus §§ 862, 1004 Abs. 1
Satz 1 BGB an ein schuldhaftes Verhalten des Störers anknüpft, setzt die Mit-
verantwortlichkeit des Gestörten im Sinne des § 254 BGB einen Schuldvorwurf
voraus (vgl. BGH, BGHZ 110, 313, 317 m.w.N.). Es genügt vielmehr, dass er
22
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die Störung selbst ermöglicht und im Verhältnis der Parteien die entscheidende
Ursache gesetzt hat. Das trifft hier zu. Die Klägerin hat die vorübergehende
Verbringung von geschredderten Altreifenteilen auf das Grundstück durch des-
sen Vermietung zum Betrieb einer Altautoreifenrecyclinganlage erst ermöglicht.
Damit hat sie im Verhältnis der Parteien eine entscheidende Ursache für ihre
späteren Aufwendungen gesetzt. Die spätere Entwicklung, die durch die Kündi-
gung des Untermietverhältnisses veranlasst wurde, hat nicht die Beklagte, son-
dern die Untermieterin der Klägerin zu verantworten. Die Verletzung mietver-
traglicher Pflichten der Untermieterin liegt - wie bereits im Zusammenhang mit
der Prüfung einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Abfallerzeugers
ausgeführt - nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten. Darin liegt auch der
wesentliche Unterschied zu dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des
OLG Dresden (VersR 1995, 836) zugrunde lag. Die dortige Klägerin war ledig-
lich Lagerhalterin und nicht Entsorgerin (aaO 837) und der Abfall, dessen Ent-
sorgungskosten sie ersetzt verlangte, war bei ihr nicht als Abfall, sondern als
Farben und Lacke/Gefahrgüter für eine bestimmte Vertragszeit eingelagert
worden. Im hier zu entscheidenden Streitfall hat die Klägerin dagegen die (ein-
getretene) Gefahr, mit den Entsorgungskosten für die Reifenteile belastet zu
werden, dadurch ermöglicht, dass sie die Nutzung des Grundstücks für eine
Altreifenrecyclinganlage selbst eröffnet hat.
4. Schließlich scheiden auch sonstige Ansprüche der Klägerin gegen die
Beklagte aus.
23
a) Ein allgemeiner zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch des in Anspruch
genommenen Störers gegen andere Pflichtige entsprechend § 426 BGB wird
von der Rechtsprechung und Teilen der Literatur wegen fehlender Vergleich-
barkeit der Sachverhalte zu Recht abgelehnt (BGH, BGHZ 98, 235, 239 f.; 110,
313, 318; Urteil vom 11. Juni 1981 - III ZR 39/80 - VersR 1981, 980, 982; OLG
24
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Düsseldorf, NVwZ 1989, 993, 997; OLG Stuttgart, NJW-RR 1996, 850, 851 mit
Nichtannahmebeschluss des BGH vom 24. April 1996 - XII ZR 203/94; LG Trier,
UPR 1994, 118; Bockwoldt, Rechtmäßigkeit und Kostentragungspflicht polizeili-
chen Handelns, 2003, S. 220 ff., 225; Hoeft, Die Entschädigungsansprüche des
Störers im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, 1995, S. 258 ff., 262;
Frenz, aaO, § 3 Rdn. 105; Knoche, Altlasten und Haftung, 2001, S. 104 ff., 110;
Jochum, NVwZ 2003, 526, 529; Johlen, DStR 1994, 1897, 1900; Papier, NVwZ
1986, 256, 263; Schwachheim, NVwZ 1988, 225 ff., 227; Schwerdtner, NVwZ
1992, 141, 143; a.A. Haller, ZUR 1996, 21, 25 f.; Haibt/Rinne, ZIP 1997, 2113,
2115 f.; Kloepfer/Thull, DVBl. 1989, 1121, 1125 f.; Kohler-Gehrig, NVwZ 1992,
1049 ff.; Leinemann, VersR 1992, 25, 28 ff.; Raeschke-Kessler, DVBl. 1992,
,
b) Es besteht auch kein Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Be-
klagte aus §§ 683 Satz 2, 679, 670 BGB oder aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.
25
aa) Wird von mehreren polizeirechtlichen Störern nur einer in Anspruch
genommen, kann er im Allgemeinen einen Aufwendungsersatzanspruch gegen
weitere - nicht in Anspruch genommene - Störer nicht aus Geschäftsführung
ohne Auftrag geltend machen. Mit der Beseitigung der Störung besorgt er re-
gelmäßig nur ein eigenes und nicht zugleich auch ein Geschäft des anderen
Störers (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1981 - III ZR 39/80 - aaO, 981 f.; OLG
Düsseldorf, NVwZ 1989, 993, 997; OLG Stuttgart, NJW-RR 1996, 850 mit
Nichtannahmebeschluss des BGH vom 24. April 1996 - XII ZR 203/94; Bam-
berger/Fritzsche, aaO, Rdn. 76; zustimmend mit teils abweichender Begrün-
dung Frenz, aaO, § 3 Rdn. 106; Hoeft, aaO, S. 257; Knoche, aaO, S. 111 f.;
Staudinger/Wittmann, BGB, 13. Bearbeitung, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rdn. 37;
Haller, ZUR 1996, 21, 25; Johlen, DStR 1994, 1897, 1901; Kloepfer/Thull,
DVBl. 1989, 1121, 1123 f.; Papier, NVwZ 1986, 256, 263).
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Ein Anspruch aus § 683 Satz 2 BGB könnte allerdings dann zu bejahen
sein, wenn die Klägerin zugleich auch ein fremdes Geschäft geführt, nämlich
eine Verpflichtung der Beklagten erfüllt hätte (vgl. BGH, BGHZ 98, 235, 240).
Dass sie durch die Beseitigung der geschredderten Altreifen der ihr gegenüber
ergangenen Polizeiverfügung nachkam, steht der Annahme einer Fremdge-
schäftsführung nicht entgegen (vgl. BGH, BGHZ 110, 313, 314 f.). Es ist in der
Rechtsprechung anerkannt, dass eine Geschäftsführung i.S. des § 677 BGB
möglich ist, wenn der Handelnde vornehmlich zur Wahrnehmung eigener Be-
lange und nur nebenbei im Interesse eines Anderen tätig wird. Insbesondere
hindert der Umstand, dass der Geschäftsführer einer eigenen öffentlich-
rechtlichen Pflicht nachkommt, nicht die Annahme, dass er damit zugleich das
privatrechtliche Geschäft eines Dritten besorgt (vgl. BGH, BGHZ 40, 28, 30; 63,
167, 169 f.; 65, 354, 357 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 15. Dezember 1977
- III ZR 159/75 - NJW 1978, 1258 f.; MünchKommBGB/Seiler, 4. Aufl., § 677
Rdn. 9 m.w.N.; Staudinger/Wittmann, aaO, Rdn. 23).
27
bb) Hat die Klägerin mit der Räumung des Grundstücks zugleich eine
Verpflichtung der Beklagten erfüllt, kommt daneben ein Ausgleichsanspruch
nach § 812 BGB in Betracht (vgl. BGH, BGHZ 142, 227, 237, 238 f.; Urteile vom
21. Oktober 1994 - V ZR 12/94 - NJW 1995, 395, 396; vom 1. Dezember 1995
-
V
ZR
9/94
- VersR 1996, 759, 760 m.w.N.; vom 4.
Februar 2005
- V ZR 142/04 - aaO; MünchKommBGB/Medicus, aaO, § 1004 Rdn. 90; ableh-
nend Staudinger/Gursky, aaO, § 1004 Rdn. 159, beide m.w.N.).
28
cc) Einer Anwendung der §§ 683 Satz 2, 812 BGB steht jedoch entge-
gen, dass hier - wie bereits zu Ziff. 3 ausgeführt - kein Anspruch der Klägerin
gegen die Beklagte auf Beseitigung der Störung bestand. Die Klägerin hat mit
der Beseitigung der Altreifenteile weder ein Geschäft der Beklagten geführt
29
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noch eine Verpflichtung der Beklagten erfüllt, sondern lediglich die ihr auferlegte
Verwaltungsanordnung befolgt.
Müller Greiner Diederichsen
Pauge Zoll
Vorinstanzen:
LG Landau, Entscheidung vom 22.07.2004 - 2 O 83/04 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 11.07.2005 - 7 U 131/04 -