Urteil des BGH vom 10.01.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 231/05
vom
10. Januar 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 494 a, 269 Abs. 3
Die Kosten eines vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahrens gehören
auch dann zu den Kosten des Hauptsacheverfahrens, wenn dessen Streitge-
genstand und der Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens nur teilwei-
se identisch sind.
Dabei bleibt es auch dann, wenn die Hauptsacheklage zurückgenommen wur-
de. Die fehlende Kostengrundentscheidung im Hauptsacheverfahren kann nicht
durch eine Entscheidung nach § 494 a Abs. 2 ZPO ersetzt werden (im An-
schluss an Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2006 - XII ZB 176/03 -).
BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - XII ZB 231/05 - OLG Dresden
LG
Dresden
- 2 -
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2007 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Prof. Dr. Wagenitz, Fuchs, Dr. Ahlt
und die Richterin Dr. Vézina
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss
des 5. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Dresden vom 18. No-
vember 2005 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 2.345,52 €
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin wendet sich dagegen, dass das Beschwerdegericht
ihren Antrag, der Antragstellerin gemäß § 494 a Abs. 2 ZPO die Kosten des von
dieser betriebenen selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen, abgewiesen
hat.
1
Die Antragstellerin (Mieterin) hat nach Beendigung eines zwischen den
Parteien bestehenden Mietvertrages ein selbständiges Beweisverfahren gegen
die Antragsgegnerin (Vermieterin) u.a. zur Feststellung der Schäden, die in den
Mieträumen durch wiederholte Hochwassereinwirkung entstanden sind, durch-
geführt. Mit Beschluss vom 25. November 2003 hat das Landgericht der An-
tragstellerin gemäß § 494 a Abs. 2 ZPO die der Antragsgegnerin im selbständi-
2
- 3 -
gen Beweisverfahren entstandenen Kosten auferlegt, ohne ihr zuvor die von der
Antragsgegnerin beantragte Frist zur Klageerhebung gesetzt zu haben. Diesen
Beschluss hat das Oberlandesgericht auf die sofortige Beschwerde der Antrag-
stellerin wegen fehlender Fristsetzung aufgehoben. Das Landgericht hat dar-
aufhin der Antragstellerin Frist zur Klageerhebung bis 1. April 2004 gesetzt.
3
Mit Beschluss vom 30. Juni 2004 hat es der Antragstellerin die Kosten
des selbständigen Beweisverfahrens auferlegt. Es hat den Streitgegenstand der
bereits am 5. Dezember 2003 der Antragsgegnerin zugestellten Klage, mit der
die Antragstellerin beantragt hatte, festzustellen, dass sie nach Rückgabe der
Mieträume nicht verpflichtet sei, die Räume instand zu setzen bzw. zu renovie-
ren, für nicht identisch mit dem Gegenstand des selbständigen Beweisverfah-
rens gehalten. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das Be-
schwerdegericht die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und den An-
trag der Antragsgegnerin, der Antragstellerin die Kosten des selbständigen Be-
weisverfahrens aufzuerlegen, zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom
Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
4
1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, der Antragstellerin könnten die
Kosten des selbständigen Beweisverfahrens nicht gemäß § 494 a Abs. 2 ZPO
auferlegt werden, weil sie vor Fristablauf Hauptsacheklage erhoben habe. Für
die Hauptsacheklage genüge, dass der Gegenstand des selbständigen Beweis-
verfahrens und der Gegenstand des Hauptsacheverfahrens teilweise identisch
5
- 4 -
seien. Das sei hier der Fall. Damit seien die Kosten des selbständigen Beweis-
verfahrens Teil der Kosten des Hauptsacheverfahrens geworden. Daran ändere
die Rücknahme der Hauptsacheklage nichts. Zwar werde verbreitet angenom-
men, die nach Klagerücknahme ergehende Kostenentscheidung im Hauptsa-
cheverfahren gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO erstrecke sich nicht auf die im
selbständigen Beweisverfahren angefallenen Kosten. Es sei jedoch der Auffas-
sung zu folgen, dass auch bei Klagerücknahme die in der Hauptsache zu tref-
fende Kostenentscheidung die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens mit
umfasse. Hier sei es zwar mangels Antrags der Antragsgegnerin zu keiner Kos-
tenentscheidung im Hauptsacheverfahren gekommen. Das führe aber nicht da-
zu, dass die fehlende Kostengrundentscheidung im Hauptsacheverfahren durch
eine solche gemäß § 494 a Abs. 2 Satz 1 ZPO ersetzt werden könne.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
6
a) Zu Recht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die gesamten
Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auch dann zu den Kosten des
Klageverfahrens gehören, wenn nur Teile des Gegenstands eines selbständi-
gen Beweisverfahrens zum Gegenstand der anschließenden Klage gegen den
Antragsgegner gemacht werden. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (BGH Beschlüsse vom 24. Juni 2004 - VII ZB 11/03 -
NJW 2004, 3121 m.w.N.; vom 21. Oktober 2004 - V ZB 28/04 - NJW 2005, 294;
vom 9. Februar 2006 - VII ZB 59/05 - NJW-RR 2006, 810).
7
b) Das Beschwerdegericht geht weiter zu Recht davon aus, dass die
Rücknahme der Klage im Hauptsacheverfahren nichts an der einmal begründe-
ten Zugehörigkeit der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu den Kos-
ten des Hauptverfahrens ändert.
8
- 5 -
Wie der Senat mit Beschluss vom 13. Dezember 2006 (- XII ZB 176/03 -
zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden hat, werden die Kosten des selb-
ständigen Beweisverfahrens von der Kostenentscheidung des § 269 Abs. 3
Satz 2 ZPO im Hauptsacheverfahren umfasst, wenn die Parteien und der Ge-
genstand des selbständigen Beweisverfahrens und des Hauptsacheverfahrens
identisch sind. Das folgt aus dem Grundsatz, dass über die Kosten des selb-
ständigen Beweisverfahrens stets im Hauptsacheverfahren zu entscheiden ist
und nur ausnahmsweise, wenn trotz Fristsetzung keine Hauptsacheklage erho-
ben worden ist, eine Kostenentscheidung gemäß § 494 a ZPO ergehen darf
(Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2006 aaO; BGH Beschluss vom 24. Juni
2004 - VII ZB 11/03 - aaO). § 494 a ZPO ist nach Wortlaut sowie Sinn und
Zweck weder direkt noch analog anwendbar, wenn die Klage im Hauptsache-
verfahren zurückgenommen wird und die Parteien und der Streitgegenstand
des selbständigen Beweisverfahrens und des Hauptsacheverfahrens identisch
sind. Sinn und Zweck des § 494 a ZPO ist es, die Lücke zu schließen, die ent-
steht, wenn der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens nach der
Beweisaufnahme auf eine Hauptsacheklage verzichtet. Als Ausnahmevorschrift
ist § 494 a ZPO eng auszulegen. Er ist deshalb grundsätzlich auf die Fälle zu
beschränken, in denen der Antragsteller keine Klage erhoben hat (BGH Be-
schluss vom 24. Juni 2004 - VII ZB 11/03 - aaO m.w.N.). Einer Einbeziehung
der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu den Kosten des Hauptsa-
cheverfahrens nach Klagerücknahme steht auch nicht entgegen, dass der Klä-
ger erneut Klage erheben kann und die Kosten des selbständigen Beweisver-
fahrens dort entsprechend der Entscheidung in der Hauptsache aufgeteilt wer-
den können. Gleiches gilt für die Kosten einer Beweisaufnahme vor dem Pro-
zessgericht. Auch diese Kosten bleiben nach Klagerücknahme Kosten des
Rechtsstreits, obwohl das Beweisergebnis in einem späteren über denselben
9
- 6 -
Streitgegenstand geführten Prozess von den Parteien erneut verwertet werden
kann.
10
Auch die Fiktion des § 269 Abs. 3 ZPO, wonach der Rechtsstreit bei Kla-
gerücknahme als nicht anhängig geworden anzusehen ist, kann an der Zugehö-
rigkeit der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu den Kosten der
Hauptsache nichts ändern. Denn der Rechtsstreit bleibt wegen der Kosten an-
hängig (§ 269 Abs. 3 Satz 2 Abs. 4, 5 ZPO). Die bis dahin entstandenen Kosten
werden von der Kostenentscheidung deshalb stets umfasst (vgl. BGH Be-
schluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 59/03 - NJW 2004, 2309, 2010; OLG Celle
JurBüro 1984, 1581).
3. Ausgehend von diesen Grundsätzen gehören im vorliegenden Fall die
Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu den Kosten des Hauptsache-
verfahrens. Die Parteien und der Gegenstand des selbständigen Beweisverfah-
rens und des Hauptsacheverfahrens sind identisch. Die Antragstellerin hat sich
in der Klage auch auf Tatsachen berufen, über die im selbständigen Beweisver-
fahren Beweis erhoben worden ist (§ 493 ZPO), und hat auf das dort erstattete
Gutachten Bezug genommen.
11
Über die Kosten des Hauptsacheverfahrens war nach Klagerücknahme
nur auf Antrag zu entscheiden (§ 269 Abs. 5 ZPO). Da kein Antrag gestellt wur-
de, ist auch keine Kostenentscheidung ergangen. Das ändert allerdings nichts
12
- 7 -
an der Zugehörigkeit der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu den
Kosten des Hauptsacheverfahrens.
Hahne Wagenitz Fuchs
Ahlt
Vézina
Vorinstanzen:
LG Dresden, Entscheidung vom 30.06.2004 - 1 OH 4515/02 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 18.11.2005 - 5 W 901/04 -