Urteil des BGH vom 26.04.2004
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 120/02
Verkündet am:
26. April 2004
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
§§ 105, 123 Abs. 2 HGB a.F.
Eine offene Handelsgesellschaft wird gemäß § 123 Abs. 2 HGB bereits vor der
Eintragung in das Handelsregister dann wirksam, wenn die Gesellschafter ei-
nem Dritten gegenüber eine den vereinbarten Geschäftsbetrieb vorbereitende
Handlung vornehmen, sofern der Gesellschaftszweck auf den Betrieb eines
Handelsgewerbes gerichtet ist und ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen,
daß das Unternehmen eine entsprechende Ausgestaltung und Einrichtung in
Kürze erfahren wird.
BGH, Urteil vom 26. April 2004 - II ZR 120/02 - OLG Stuttgart
LG Heilbronn
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
Verhandlung
vom
26. April
2004
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Dr. Strohn und
Caliebe
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27. Februar 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die
Beklagte
beabsichtigte,
zusammen
mit
W. T.
und
D.
S. die G. GmbH zu gründen. Gegenstand des Unternehmens sollte der
Handel mit Naturwerksteinen sein. Als Geschäftsführer waren T. und S. in
Aussicht genommen. Diese schlossen - zugleich als vollmachtlose Vertreter
der Beklagten - am 6. Mai 1997 einen notariellen Gesellschaftsvertrag.
Am 15. Mai 1997 eröffneten sie bei der Klägerin für die "GmbH in
Gründung"
ein
Kontokorrentkonto.
In
der
Folgezeit
geriet
dieses
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Konto ins Soll. Am 23. November 2000 betrug der Sollsaldo 303.350,00 DM.
Nachdem als Folge eines Zerwürfnisses unter den Gesellschaftern eine Eintra-
gung der GmbH nicht zustande kam, kündigte die Klägerin das Konto und ver-
langt von der Beklagten Rückzahlung eines Teilbetrages in Höhe von
100.000,00 DM.
Die Parteien haben darüber gestritten, ob die Beklagte durch die Hand-
lungen von T. und S. verpflichtet worden ist. Die Beklagte behauptet,
von der Kontoeröffnung und insbesondere von den Kontoüberziehungen nichts
gewußt zu haben und dazu auch keine Vollmacht erteilt zu haben. Hilfsweise
hat sie die Aufrechnung erklärt mit einem Schadensersatzanspruch wegen
Pflichtverletzungen der Klägerin.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat
sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an
das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Klageabweisung
ausgeführt: Die Beklagte sei bei dem Abschluß des Kreditvertrages durch die
Mitgesellschafter T. und S. nicht wirksam vertreten worden. Zwar habe
zwischen den Gesellschaftern eine Vorgründungsgesellschaft bestanden. Die
Mitgesellschafter T. und S. hätten im Rahmen dieser Vorgründungs-
gesellschaft aber keine Vertretungsmacht gehabt. Aus § 125 Abs. 1 HGB habe
sich eine (Einzel-) Vertretungsmacht nicht ergeben, weil die Vorgründungsge-
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sellschaft gemäß § 123 HGB nicht die Voraussetzungen einer offenen Han-
delsgesellschaft erfüllt habe. Weder habe die Beklagte zum Zeitpunkt der Kon-
toeröffnung dem Geschäftsbeginn zugestimmt gehabt, noch habe zu jenem
Zeitpunkt die Gewähr dafür bestanden, daß die Gesellschaft ein vollkaufmänni-
sches Handelsgewerbe betreiben werde. Die Mitgesellschafter T. und
S. seien auch nicht von der Beklagten bevollmächtigt worden. Zwar könne
als wahr unterstellt werden, daß die Beklagte mit der Kontoeröffnung einver-
standen gewesen sei. Daraus ergebe sich aber noch keine Vollmacht auch zur
Kreditaufnahme. Die Voraussetzungen des § 177 BGB seien ebenfalls nicht
erfüllt. Zwar habe die Beklagte die Kontoeröffnung genehmigt, nicht aber auch
die Kontoüberziehung. Angesichts der geplanten Geschäftstätigkeit in dem
Vorgründungsstadium habe sie allenfalls mit geringfügigen und kurzfristigen
Unterdeckungen des Kontos rechnen müssen.
II. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern. Nach dem fest-
gestellten Sachverhalt hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf
Rückzahlung des Darlehens in Höhe des geltend gemachten Teilbetrages von
100.000,00 DM aus § 607 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden
Fassung i.V.m. § 128 HGB.
1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts,
daß zwischen der Beklagten und ihren Mitgesellschaftern T. und S.
mangels Genehmigung des auf die Gründung einer GmbH gerichteten Ver-
tragsschlusses lediglich eine Vorgründungsgesellschaft zustande gekommen
ist. Zutreffend ist weiter die Annahme, eine bloße Bevollmächtigung von T.
und S. durch die Beklagte zur Eröffnung eines Bankkontos begründe noch
nicht die Befugnis, auch einen Kredit in Anspruch zu nehmen. Das entspricht
ständiger Rechtsprechung. Danach kann aus einer Kontovollmacht nicht ohne
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weiteres auch das Recht hergeleitet werden, das Konto zu überziehen. Solche
Überziehungen sind allenfalls im banküblichen Rahmen wirksam, nicht aber
- wie hier - in einer darüber hinausgehenden Höhe (BGH, Urt. v. 10. März 1953
- I ZR 76/52, MDR 1953, 345, 346; Urt. v. 22. Januar 1991 - XI ZR 111/90, ZIP
1991, 224, 225; OLG Hamm NJW 1992, 378; OLG Köln ZIP 2001, 1709, 1710).
Damit ist zwar noch nicht ausgeschlossen, im Wege der Auslegung eine um-
fassendere Vollmacht anzunehmen, wenn von vornherein mit einem erhebli-
chen Kreditbedarf zu rechnen ist. Dafür spricht hier aber nichts.
2. Zutreffend ist schließlich noch die Annahme des Berufungsgerichts,
eine Vorgründungsgesellschaft sei gemäß §§ 105, 123 Abs. 2 HGB in der bis
zum 31. Juli 1998 geltenden Fassung als offene Handelsgesellschaft zu qualifi-
zieren, wenn sie mit ihren Geschäften beginnt und dabei der Betrieb auf den
Umfang eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes im Sinne des § 1 HGB
a.F. angelegt ist (BGHZ 10, 91, 96; 32, 307, 311). Das Berufungsgericht hat
jedoch nicht ausreichend berücksichtigt, daß nach § 123 Abs. 2 HGB a.F. eine
Gesellschaft nicht erst dann nach außen hin als offene Handelsgesellschaft
wirksam wird, wenn das den Gesellschaftszweck bildende Unternehmen in vol-
lem Umfang in Betrieb gesetzt wird. Vielmehr macht schon die erste dem Ge-
sellschaftszweck dienende, einem Dritten gegenüber vorgenommene Rechts-
handlung, auch wenn es lediglich eine Vorbereitungshandlung ist, die Gesell-
schaft zur Handelsgesellschaft, wenn nur der Gesellschaftszweck auf den Be-
trieb eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes gerichtet ist und ausreichen-
de Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß das Unternehmen eine entsprechende
Ausgestaltung und Einrichtung in Kürze erfahren wird (BGHZ 10, 91, 96; BGH,
Urt. v. 19. Februar 1990 - II ZR 42/89, ZIP 1990, 505, 507). Bereits die Eröff-
nung eines Bankkontos kann dafür ausreichen. Ebenso können Verhandlungen
über den Kauf eines Betriebsgrundstücks oder die Vorbereitung des notariellen
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Abschlusses des Grundstückskaufvertrages genügen (Baumbach/Hopt, HGB
31. Aufl. § 123 Rdn. 10; Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann, HGB § 123
Rdn. 20).
Bei Zugrundelegung des von dem Berufungsgericht festgestellten Sach-
verhalts sind danach die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 123 Abs. 2
HGB erfüllt. Die spätere GmbH sollte nach dem Willen der Gesellschafter einen
überregionalen Handel mit Naturwerksteinen betreiben. Der Gesamtfinan-
zierungsbedarf war auf 2,64 Mio. DM veranschlagt worden. Im Mai/
Juni 1997 fand ein Messeauftritt statt, bei dem eine Lieferbereitschaft für August
1997 angekündigt wurde. Am 18. Juni 1997 lag der Entwurf eines notariellen
Grundstückskaufvertrages mit der Stadt B. R. vor mit einer Preisvor-
stellung von 550.000,00 DM. Die Anschaffungskosten für das Gebäude und die
Ausstattung sollten 1.542.500,00 DM betragen. Für das erste Geschäftsjahr
wurde ein Umsatz in Höhe von netto 3 Mio. DM erwartet, der sich bis zum fünf-
ten Geschäftsjahr auf 8 Mio. DM steigern sollte.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob
schon zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung am 15. Mai 1997 die Voraussetzun-
gen des § 123 Abs. 2 HGB erfüllt waren. Denn diese Kontoeröffnung ist - wie
das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - von der Beklagten jeden-
falls durch ihr nachfolgendes Verhalten in schlüssiger Weise genehmigt wor-
den. Entscheidend ist damit der Zeitpunkt der Kreditinanspruchnahme durch die
beiden Mitgesellschafter T. und S.. Die Kontoüberziehungen begannen
aber erst Ende Mai, zu einem Zeitpunkt also, zu dem jedenfalls aufgrund der
Messeteilnahme der Geschäftsbetrieb begonnen hatte.
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Aus demselben Grund ist entgegen der Auffassung des Berufungsge-
richts ohne Bedeutung, ob die Beklagte bereits zum Zeitpunkt der Kontoeröff-
nung mit dem Geschäftsbeginn einverstanden war. Dabei kann offenbleiben, ob
die Rechtsfolge des § 123 Abs. 2 HGB nur dann eintritt, wenn alle Gesellschaf-
ter dem Geschäftsbetrieb zustimmen (so ROHG, Urt. v. 13. Februar 1874
- 147/74,
ROHGE
12,
406,
409 ff.; Baumbach/Hopt
aaO
Rdn. 12;
Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann
aaO
Rdn. 23;
a.A.
K. Schmidt
in
Münch.Komm.z.HGB § 123 Rdn. 10). Denn jedenfalls kommt es dafür hier al-
lein auf den Zeitpunkt der Kreditinanspruchnahme an. Und zu diesem Zeitpunkt
war die Beklagte, die von dem gemeinsamen Messeauftritt wußte, mit dem Ge-
schäftsbeginn einverstanden.
III. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil
das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststel-
lungen zu einem etwaigen Gegenanspruch der Beklagten oder der Gesell-
schaft, auf den sich die Beklagte berufen könnte, getroffen hat, was wegen der
von der Beklagten hilfsweise erklärten Aufrechnung erforderlich ist.
1. Allerdings hat die Beklagte entgegen ihrer Auffassung keinen Scha-
densersatzanspruch gegen die Klägerin wegen Verletzung des § 154 Abs. 2
AO. Nach dieser Vorschrift hat sich derjenige, der ein Konto führt, zuvor Ge-
wißheit über die Person und die Anschrift des Verfügungsberechtigten zu ver-
schaffen. Das hat die Klägerin getan. Sie hat die richtigen Namen der drei Ge-
sellschafter in ihren Kontounterlagen vermerkt. Ob zum Zeitpunkt der Kontoer-
öffnung die Voraussetzungen einer Vertretungsmacht von T. und S.
erfüllt waren, brauchte sie dagegen nicht zu überprüfen. Denn § 154 AO schützt
allein die formelle Kontenwahrheit. Ihr ist bereits Genüge getan, wenn diejeni-
gen, die gegenüber der Bank auftreten, dies unter ihrem richtigen Namen und
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ihrer richtigen Anschrift tun (BGHZ 127, 229, 233 f.). Damit kann offen bleiben,
ob sich aus einer Verletzung des § 154 AO überhaupt eine Schadensersatz-
pflicht der Bank gegenüber dem Kontoinhaber ergeben kann.
2. In Betracht kommt aber ein Schadensersatzanspruch gegen die Klä-
gerin wegen schuldhafter Verletzung der aus dem Bankvertrag folgenden all-
gemeinen Schutzpflicht der Bank, die Interessen ihres Kunden zu wahren. Da-
nach ist eine Bank zwar nicht ohne besonderen Anlaß verpflichtet zu prüfen, ob
sich einzelne Maßnahmen des Vertreters einer Handelsgesellschaft - wie etwa
Überziehungen des Geschäftskontos - noch im Rahmen einer pflichtgemäßen
Geschäftsführung halten. Drängt sich aber der Verdacht auf, daß der Vertreter
seine Befugnisse in einer Weise mißbraucht, die sich leicht zum Nachteil der
Gesellschaft auswirken könnte, ist die Bank verpflichtet, durch geeignete, sich
in zumutbarem Rahmen haltende Maßnahmen die Interessen ihres Kunden
wahrzunehmen (BGH, Urt. v. 17. November 1975 - II ZR 70/74, WM 1976, 474;
v. 28. April 1992 - XI ZR 164/91, WM 1992, 1362, 1363; BGHZ 127, 239, 241).
Ein solcher Verdacht könnte sich der Klägerin aufgedrängt haben, als sie ohne
Sicherheiten erhebliche Kontoüberziehungen zuließ, obwohl sie wußte, daß die
GmbH noch nicht im Handelsregister eingetragen war und eine Genehmigung
der GmbH-Gründung durch die Beklagte nicht mitgeteilt worden war. Die Zu-
rückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die dazu erforderlichen
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Feststellungen zu treffen und dabei auch ein etwaiges Mitverschulden der Be-
klagten zu berücksichtigen.
Röhricht
Goette
Kraemer
Strohn
Caliebe