Urteil des BGH vom 16.07.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IXa ZB 287/03
vom
16. Juli 2004
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
StVollzG §§ 43, 51 Abs. 4 Satz 2; ZPO §§ 850c und 850k
Der Anspruch eines Strafgefangenen auf Auszahlung seines Eigengeldes ist
nach Maßgabe des § 51 Abs. 4 Satz 2 StVollzG pfändbar. Soweit das Eigen-
geld aus Arbeitsentgelt für eine zugewiesene Beschäftigung gebildet worden
ist, finden die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO und der Pfändungs-
schutz gemäß § 850k ZPO keine Anwendung.
BGH, Beschluß vom 16. Juli 2004 - IXa ZB 287/03 - LG Potsdam
AG Brandenburg
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Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden
Richter Dr. Kreft, die Richter Raebel, Athing, Dr. Boetticher und die Richterin
Dr. Kessal-Wulf
am 16. Juli 2004
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer
des Landgerichts Potsdam vom 9. September 2003 wird auf Ko-
sten des Schuldners zurückgewiesen.
Wert: bis zu 5.000 €.
Gründe:
I.
1. Die Gläubiger betreiben gegen den Schuldner, der zur Zeit eine Frei-
heitsstrafe verbüßt, die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbe-
scheid des Amtsgerichts Neuruppin. Durch Pfändungs- und Überweisungsbe-
schluß des Amtsgerichts Brandenburg vom 17. Oktober 2001 wurde wegen der
Ansprüche aus dem vorgenannten Titel die angebliche Forderung des Schuld-
ners gegen das Land Brandenburg "auf Auszahlung des dem Schuldner als
Eigengeld bereits gutgeschriebenen und künftig noch gutzuschreibenden Gel-
des mit Ausnahme des nach § 51 Abs. 4 StVollzG unpfändbaren Teils in Höhe
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des Unterschiedsbetrages zwischen dem nach § 51 Abs. 1 StVollzG zu bilden-
den und dem tatsächlich vorhandenen Überbrückungsgeld" gepfändet. Auf die
Erinnerung des Schuldners, der als arbeitspflichtiger Gefangener Arbeitsent-
gelt bezog, hob das Amtsgericht mit Beschluß vom 30. Mai 2002 die Vollstrek-
kung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß insoweit auf, als der
Pfändungsfreibetrag gemäß § 850c ZPO zu beachten sei, wobei die Grenzen
unter Berücksichtigung der Naturalleistungen der Vollzugsbehörde nach Maß-
gabe der fiktiven Haftkosten zu bemessen seien.
Auf die sofortige Beschwerde der Gläubiger hob die 5. Zivilkammer
- Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam den vorgenannten Beschluß des
Amtsgerichts mit Beschluß vom 9. Dezember 2002 auf und wies die Erinnerung
des Schuldners zurück. Dieser Beschluß wurde auf die Rechtsbeschwerde des
Schuldners durch Beschluß des Senats vom 9. Mai 2003 - IXa ZB 129/03 unter
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht aufgehoben.
2. Die 5. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam hat den Beschluß des
Amtsgerichts auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers unter Zulassung der
Rechtsbeschwerde wiederum aufgehoben und die Erinnerung des Schuldners
gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 17. Oktober 2001 mit
der Begründung zurückgewiesen, das aus Arbeitsentgelt, das der Schuldner
nach den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes bezogen hat, gebildete Ei-
gengeld sei kein Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 ZPO. Eine direkte An-
wendung des § 850c ZPO scheide aus, weil sich die Pfändung nicht auf das
dem Schuldner nach den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes zustehende
Arbeitsentgelt, sondern auf die Pfändung seines Anspruchs auf Auszahlung
des ihm gutgeschriebenen Eigengeldes (§ 52 StVollzG) gemäß § 83 Abs. 2
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Satz 3 StVollzG beziehe. Da es sich bei der Justizvollzugsanstalt, die das Geld
des Schuldners verwalte, nicht um ein Geldinstitut im Sinne des § 850k ZPO
handele, sei auch diese Vorschrift nicht direkt anwendbar. Eine analoge An-
wendung der genannten Vorschriften komme schon deshalb nicht in Betracht,
weil keine planwidrige Gesetzeslücke vorliege. Jedenfalls fehle es auch an der
für eine Analogie notwendigen vergleichbaren Interessenlage. Ein Strafgefan-
gener benötige das aus Arbeitsentgelt gebildete Eigengeld nicht, um seinen
notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten, weil ihm dieser in Form von Unter-
kunft und Verpflegung verschafft werde. Soweit das Eigengeld dem späteren
Leben in Freiheit dienen solle, sei der künftige notwendige Lebensbedarf eines
Gefangenen hinreichend durch das nach § 51 StVollzG zu bildende Überbrük-
kungsgeld geschützt.
Die Rechtsbeschwerde ist demgegenüber der Auffassung, die §§ 850c
und 850k ZPO seien unmittelbar, jedenfalls aber entsprechend anwendbar. Die
Regelungen der §§ 43, 47, 52 StVollzG trügen besonderen Bedürfnissen des
Strafvollzugs Rechnung, führten aber nicht zur Unanwendbarkeit der „allge-
meinen“ Pfändungsbeschränkungen der §§ 850 ff ZPO. Die im Strafvollzugsge-
setz normierten Pfändungsbeschränkungen seien keine abschließenden, die
Bestimmungen der Zivilprozeßordnung ausschließenden, sondern den
allgemeinen Pfändungsschutz wegen der besonderen Situation des
Gefangenen lediglich ergänzende Regelungen. Die Versagung des Schutzes
der allgemeinen Pfändungsvorschriften sei mit dem Grundsatz des § 3 Abs. 1
StVollzG unvereinbar, der eine möglichst weitgehende Angleichung der
tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, denen der Strafgefangene
unterliegt, an die außerhalb des Vollzugs gegebenen Bedingungen nicht
zuletzt im Hinblick auf das Vollzugsziel des § 2 Satz 1 StVollzG gebiete.
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II.
Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch
im übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.
Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist richtig.
1. Das Eigengeld eines Strafgefangenen (§§ 52, 83 Abs. 2 Satz 2, 3
StVollzG) unterliegt nach Maßgabe der Pfändungsschutzvorschrift des § 51
Abs. 4 Satz 2 StVollzG der Pfändung. Es wird gemäß § 52 StVollzG aus den
Bezügen des Gefangenen, soweit sie nicht nach den Vorschriften des Straf-
vollzugsgesetzes für andere Zwecke, etwa als Hausgeld (§ 47 StVollzG) oder
als Überbrückungsgeld (§ 51 StVollzG) in Anspruch genommen werden, aus
dem bei Aufnahme in den Vollzug mitgebrachten Geld (§ 83 Abs. 2 Satz 2
StVollzG) und aus dem für den Gefangenen während des Vollzugs von Dritten
eingezahlten Geld gebildet (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 9. Aufl. § 83
Rn. 4), und zwar durch Gutschrift auf dem Konto, das von der Anstaltszahlstel-
le oder einer für die Verwaltung des Gefangenengeldes eingerichteten Ein- und
Auszahlungsstelle der zuständigen Kasse für den Gefangenen zu führen ist
(vgl. Stöber, Forderungspfändung 13. Aufl. Rn. 134). Der Gefangene darf ge-
mäß § 83 Abs. 2 Satz 3 StVollzG über sein Eigengeld grundsätzlich frei verfü-
gen, soweit es nicht als Überbrückungsgeld notwendig ist. Er hat in diesem
Umfang aus dem durch die Verwaltung des Gefangengeldes begründeten öf-
fentlich-rechtlichen Schuldverhältnis, das kein Verwahrungsverhältnis im ei-
gentlichen Sinne ist (vgl. BGHZ 34, 349, 354; BGHR Verwaltungs-
recht/Allgemeines, Grundsätze Verwahrung 4), gegen den Träger der Justiz-
vollzugsanstalt einen Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens
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(vgl. BFH, Urt. v. 16. Dezember 2003 - VII R 24/02, DStrRE 2004, 421; AK-
StVollzG/Brühl, 4. Aufl. § 83 Rn. 11, 12). Der Anspruch ist als Geldforderung
(§ 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog; vgl. Stöber aaO
Rn. 134) gemäß § 829 ZPO pfändbar, mit Ausnahme des gemäß § 51 Abs. 4
Satz 2 StVollzG unpfändbaren Teils des Eigengeldes in Höhe des Unter-
schiedsbetrages zwischen dem gemäß § 51 Abs. 1 StVollzG zu bildenden und
dem tatsächlich vorhandenen Überbrückungsgeld. Das Pfändungsverbot des
§ 851 ZPO steht nicht entgegen, weil der Anspruch - soweit nicht § 51 Abs. 4
Satz 2 StVollzG eingreift - übertragbar ist (vgl. BFH aaO S. 422 m.N.).
2. Soweit das gepfändete Eigengeld - wie hier - durch Gutschriften von
Arbeitsentgelt gebildet worden ist, das der arbeitspflichtige (§ 41 StVollzG) Ge-
fangene gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 StVollzG für die Ausübung der ihm gemäß
§ 37 StVollzG zugewiesenen Arbeit erhält (vgl. dazu Arloth/Lückemann
StVollzG § 43 Rn. 10; Calliess/Müller-Dietz aaO § 43 Rn. 1), finden die Pfän-
dungsgrenzen des § 850c ZPO und der Pfändungsschutz gemäß § 850k ZPO
entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde weder unmittelbar noch ent-
sprechend Anwendung.
Ob das aus Arbeitsentgelt eines Gefangenen gebildete Eigengeld den
Pfändungsbeschränkungen der §§ 850 ff ZPO unterliegt, ist in Rechtsprechung
und Literatur umstritten (vgl. Stöber aaO Rn. 137; Calliess/Müller-Dietz aaO
§ 43 Rn. 10, jeweils m.N. zu der umfangreichen instanzgerichtlichen Recht-
sprechung). Soweit die Auffassung vertreten wird, das Eigengeld unterliege
insoweit dem Pfändungsschutz des Arbeitseinkommens gemäß § 850c ZPO
(vgl. nur OLG Frankfurt a.M. NStZ 1993, 559, 560; Calliess/Müller-Dietz aaO
Rn. 10, jeweils m.w.N.), werden überwiegend bei Berechnung des pfändbaren
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Einkommens in entsprechender Anwendung des § 850e Nr. 3 ZPO neben dem
Arbeitsentgelt auch die Naturalleistungen der Vollzugsbehörde nach Maßgabe
der fiktiven Haftkostenbeiträge berücksichtigt (vgl. OLG Frankfurt a.M. aaO;
insoweit a.A. Calliess/Müller-Dietz aaO).
Richtigerweise ist das Beschwerdegericht der nunmehr auch vom Bun-
desfinanzhof (Urt. v. 16. Dezember 2003 aaO) vertretenen, verfassungsrecht-
lich unbedenklichen (vgl. BVerfG
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Vorprüfungsausschuß] NJW 1982, 1583)
Auffassung gefolgt, daß die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO nach Sinn
und Zweck dieser Vorschrift weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung
finden (vgl. OLG Karlsruhe Rpfleger 1994, 370; OLG Schleswig Rpfleger 1995,
29; Arloth/Lückemann aaO § 52 Rn. 4; Stöber aaO, jeweils m.w.N.), und hat
zutreffend auch die (entsprechende) Anwendbarkeit des § 850k ZPO verneint.
a) Die Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO gelten nur für die Pfändung
des in Geld zahlbaren Arbeitseinkommens selbst (§ 850 Abs. 1 ZPO). Gepfän-
det ist aber der Anspruch des Schuldners auf Auszahlung seines Eigengeldes
und nicht sein Anspruch auf Arbeitsentgelt aus § 43 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
Denn dieser nicht auf Barauszahlung, sondern nach Maßgabe des § 52
StVollzG insgesamt auf Gutschrift auf den für den Gefangenen zu führenden
Konten gerichtete Anspruch (h.M., vgl. OLG Schleswig Rpfleger 1995, 29, 30;
Arloth/Lückemann aaO § 43 Rn. 10; Calliess/Müller-Dietz aaO § 43 Rn. 1) ist
mit der Erteilung der Gutschriften erfüllt und damit erloschen (§ 362 Abs. 1
BGB analog; vgl. OLG Hamm aaO; OLG Schleswig aaO; Fluhr ZfStrVo 1989,
103, 106). Der Pfändungsschutz des § 850c ZPO erstreckt sich jedoch nicht
auf das zur Bewirkung der geschuldeten Leistung ausbezahlte oder auf ein
Konto überwiesene Geld. Vielmehr erlischt mit der als Arbeitseinkommen ge-
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schuldeten Forderung auch der bis dahin für diese Forderung bestehende
Pfändungsschutz (vgl. OLG Hamm NStZ 1988, 479, 480; OLG Schleswig
Rpfleger 1995, 29, 30; Zöller/Stöber ZPO 24. Aufl. § 850k Rn 1).
Ein Schuldner kann für Arbeitseinkommen, das auf sein Konto überwie-
sen worden ist, lediglich Pfändungsschutz gemäß § 850k ZPO beantragen (vgl.
Zöller/Stöber aaO). Auf die Pfändung des Eigengeldguthabens kann § 850k
ZPO aber keine Anwendung finden, denn die kontoführende Stelle, die das
Gefangenengeld bis zur Entlassung des Gefangenen verwaltet, ist kein Geldin-
stitut im Sinne dieser Vorschrift (vgl. OLG Schleswig aaO; Musielak/Becker,
ZPO 3. Aufl. § 850k Rn. 2; Kenter Rpfleger 1991, 488, 490).
b) Das Beschwerdegericht hat zu Recht auch die entsprechende An-
wendbarkeit der §§ 850c und 850k ZPO verneint.
Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Rege-
lungslücke enthält (vgl. BGHZ 149, 165, 174 m.w.N.) und der zu beurteilende
Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist,
den der Gesetzgeber geregelt hat, daß angenommen werden kann, der Ge-
setzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den glei-
chen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlaß der herangezogenen Ge-
setzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vgl. BGH,
Urt. v. 13. März 2003 - I ZR 290/00, NJW 2003, 1932, 1933 m.w.N.). Diese
Voraussetzungen sind nach den die Bezüge eines Gefangenen regelnden Vor-
schriften des Strafvollzugsgesetzes weder für § 850c ZPO noch für § 850k
ZPO gegeben.
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aa) Einer Erstreckung der Pfändungsschutzvorschrift des § 850c ZPO
auf das aus Arbeitsentgelt gebildete Eigengeld (vgl. OLG Frankfurt a.M. NStZ
1993, 559, 560; Calliess/Müller-Dietz aaO Rn. 10, jeweils m.w.N.) steht schon
der Regelungszusammenhang dieser Norm mit § 811 Nr. 8, § 850k ZPO ent-
gegen, die den Schutz des in Geld zahlbaren Arbeitseinkommens nach Erfül-
lung der Geldforderung regeln. Dementsprechend wurde hier nicht der - ohne-
hin wegen seiner Zweckbindung (vgl. Stöber aaO Rn. 137) und seiner Richtung
auf eine hoheitliche Vollzugsmaßnahme gemäß § 52 StVollzG nicht übertrag-
bare und damit gemäß § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbare (vgl. OLG Schleswig
Rpfleger 1995, 29, 31; Arloth/Lückemann aaO § 43 Rn. 10; Stöber aaO) - An-
spruch auf Arbeitsentgelt gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 StVollzG selbst gepfändet,
sondern der Anspruch auf Auszahlung des Eigengeldguthabens. Somit ist al-
lenfalls eine entsprechende Anwendung des § 850k ZPO in Betracht zu ziehen
(vgl. OLG Schleswig aaO). Auch insoweit fehlt es jedoch an einer planwidrigen
Regelungslücke. Denn § 850k ZPO wurde erst durch Gesetz vom 28. Februar
1978 (BGBl. I S. 333), mithin nach der Neuregelung der Gefangenenarbeit und
ihres Entgeltes im Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581) ein-
gefügt und erfaßt gleichwohl nur Kontoguthaben bei Geldinstituten mit dem
alleinigen Ziel, eine Lücke im Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen zu
schließen (vgl. Zöller/Karch, ZPO 12. Aufl. § 850k Anm. 1).
bb) Einer entsprechenden Anwendung der §§ 850c und 850k ZPO steht
zudem entgegen, daß das Schutzbedürfnis eines Schuldners, der in Freiheit
lebt und ein Arbeitseinkommen hat, mit dem eines Schuldners, der in Strafhaft
gemäß § 43 StVollzG Arbeitsentgelt bezieht, nicht vergleichbar ist (vgl. BFH
aaO S. 422; OLG Schleswig aaO S. 30 f; OLG Karlsruhe aaO). Die Vollstrek-
kungsschutzvorschriften dienen aus sozialen Gründen und im öffentlichen In-
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teresse dem Schutz des Schuldners vor einer Kahlpfändung (vgl. BGHZ 137,
193, 197). Da der Einsatz der Arbeitskraft Vorrang hat vor dem Anspruch auf
soziale Leistung, wird dem Schuldner, in dessen Arbeitseinkommen vollstreckt
wird, in den Grenzen der §§ 850c, 850k ZPO ein Teil seines Einkommens
pfandfrei belassen (Musielak/Becker aaO § 850 Rn. 1; Zöller/Stöber aaO § 850
Rn. 1). Den Maßstab für die Bemessung der für die Existenz des Schuldners
und für den Erhalt seiner Arbeitsfähigkeit erforderlichen Mittel bilden die Be-
dürfnisse eines in Freiheit lebenden und arbeitenden Menschen (vgl. BVerfG
NJW 1982, 1583).
Bei einem Gefangenen, der gemäß § 43 StVollzG Arbeitsentgelt bezieht,
liegen die Verhältnisse anders (vgl. BVerfG aaO; BFH aaO; OLG Karlsruhe
Rpfleger 1994, 370; OLG Schleswig Rpfleger 1995, 29, 31). Sein Lebensunter-
halt ist auch ohne Rückgriff auf sein aus Arbeitsentgelt gebildetes Eigengeld
gedeckt. Ihm werden Unterkunft, Verpflegung, notwendige Kleidung (vgl. §§ 10,
20 f StVollzG) sowie Gesundheitsfürsorge (§§ 56 ff StVollzG) von der Justiz-
vollzugsanstalt gewährt. Ein Haftkostenbeitrag wird von dem Pflichtarbeit lei-
stenden Gefangenen gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVollzG nicht erhoben.
Für seine darüber hinausgehenden privaten Bedürfnisse stehen ihm gemäß
§ 47 Abs. 1 StVollzG i.d.F. der Übergangsbestimmung des § 199 Nr. 2
StVollzG monatlich drei Siebtel seines Arbeitsentgelts als Hausgeld zur Verfü-
gung. Dieses Hausgeld, das unterhaltsrechtlich bei der Beurteilung der Lei-
stungsfähigkeit eines unterhaltspflichtigen Gefangenen nicht berücksichtigt
wird (BGH, Urt. v. 21. April 1982 - IVb ZR 696/80, NJW 1982, 1812 und Urt. v.
9. Juni 1982 - IVb ZR 704/80, NJW 1982, 2491), kann von der Vollzugsbehör-
de nur ausnahmsweise nach Maßgabe des § 93 Abs. 2 StVollzG i.d.F. des
§ 199 Nr. 4 StVollzG in Anspruch genommen werden (vgl. BGH, Beschl. v.
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17. Januar 1989 - 5 AR VollzG 26/88, NJW 1989, 992). Die streitige Frage, ob
das Hausgeld nur nach Maßgabe des entsprechend anzuwendenden § 811
Abs. 1 Nr. 8 ZPO (so Stöber aaO Rn. 140) oder ob es, was wegen seiner
Zweckbindung als Beitrag zum notwendigen Unterhalt des Gefangenen nahe
liegt (vgl. den Entwurf BT-Drucks. 7/918 S. 69), insgesamt unpfändbar ist (so
mit unterschiedlichen Begründungen BFH aaO; OLG Schleswig Rpfleger 1995,
29, 31; OLG Hamm MDR 2001, 235, jeweils m.w.N.), kann hier dahinstehen.
Dem Gefangenen steht bei seiner Entlassung schließlich das gemäß § 51
Abs. 1 StVollzG unter anderem aus seinem Arbeitsentgelt gebildete Überbrük-
kungsgeld zur Verfügung, das seinen notwendigen Lebensunterhalt und den
seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlas-
sung sichern soll (vgl. BVerwG NJW 1991, 189) und deshalb - auch nach der
Auszahlung - nach Maßgabe des § 51 Abs. 4 Satz 1, 3 StVollzG unpfändbar
ist.
Bei einer entsprechenden Anwendung der Pfändungsgrenzen des
§ 850c ZPO wäre auch dieser Teil des Eigengeldes grundsätzlich unpfändbar,
weil selbst das höchste Arbeitsentgelt (§ 43 StVollzG) auch bei Hinzurechnung
des nicht erhobenen Haftkostenbeitrages entsprechend § 850e Nr. 3 ZPO
deutlich unter der Pfändungsgrenze von mindestens 930 € liegt (vgl. Ar-
loth/Lückemann aaO § 43 Rn. 10). Eine so weitgehende Beschränkung des
Zugriffs der Gläubiger ist aber dem gesetzlichen Konzept der Resozialisierung
durch Pflichtarbeit (vgl. dazu BVerfGE 98, 169, 202) allein noch nicht zu ent-
nehmen. Die Entlohnung dieser Arbeit nach dem Mischkonzept des § 43 Abs. 1
StVollzG (vgl. Calliess NJW 2001, 1692, 1693) durch die Zahlung von Arbeits-
entgelt und Freistellung von der Arbeit, die auch als Urlaub aus der Haft ge-
nutzt oder auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden kann, soll dem
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Gefangenen den Sinn seiner Arbeit vor Augen führen. Dies ist insbesondere
dann der Fall, wenn die Entlohnung monetärer Art ist und dem Gefangenen
unter anderem ermöglicht, seine Schulden zu tilgen, seinen gesetzlichen Un-
terhaltsverpflichtungen zu entsprechen und die Wiedergutmachung des durch
die Straftat angerichteten Schadens anzustreben (vgl. BVerfG NJW 2002,
2023, 2025; siehe auch § 46a StGB). Zwar wird dem Gefangenen durch die
Pfändung die Möglichkeit genommen, mit dem aus seinem Arbeitsentgelt ge-
bildeten Eigengeld andere Gläubiger zu befriedigen. Dies zu gewährleisten, ist
aber nicht der Zweck der §§ 850c und 850k ZPO. Eine gleichmäßige Schulden-
regulierung kann ein Schuldner gegebenenfalls dadurch herbeiführen, daß er
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Restschuldbefreiung (§§ 286 ff In-
sO) beantragt.
Auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Vollzugsziels der Reso-
zialisierung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StVollzG), auf die der Gefangene einen grund-
rechtlichen Anspruch hat (vgl. BVerfGE 98, 169, 200), und des für die Gestal-
tung des Vollzuges geltenden Angleichungsgrundsatzes (§ 3 Abs. 1 StVollzG)
ist ein über § 51 Abs. 4 Satz 2 StVollzG hinausgehender Pfändungsschutz des
aus Arbeitsentgelt gebildeten Eigengeldes aus dem geltenden Recht nicht her-
zuleiten (vgl. BFH aaO; OLG Karlsruhe Rpfleger 1994, 370, 371). Bisher ist
auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß Arbeitsentgelt, das nicht nach
den Vorschriften der §§ 47, 50, 51 StVollzG für andere Zwecke in Anspruch
genommen wird, "als Eigengeld sowohl der Verfügung des Gefangenen als
auch dem Zugriff seiner Gläubiger offensteht" (BT-Drucks. 7/918 S. 71).
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Es muß daher dem Gesetzgeber überlassen bleiben zu entscheiden, ob
er die Rechtsstellung des Gefangenen gegenüber Vollstreckungszugriffen von
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Gläubigern verbessern will, etwa durch vollzugsspezifische Pfändungsschutz-
vorschriften oder durch eine Erhöhung des pfändungsfreien Hausgeldes.
Kreft
Raebel
Athing
Boetticher
Kessal-Wulf