Urteil des BGH vom 30.04.2014

BGH: nachlässigkeit, beschlagnahme, nichte, akteneinsicht, verfügung, geldinstitut, rückzahlung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZR 439/13
vom
30. April 2014
in dem Rechtsstreit
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. April 2014 durch den
Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dr. Herrmann, Hucke, Tombrink und
Dr. Remmert
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 12. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. September 2013
- I-12 U 51/13 - gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des dritten Rechtszugs, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Streitwert: 210.000 €.
Gründe:
I.
Die durch ihren Betreuer vertretene Klägerin verlangt von der Beklagten
die Rückzahlung von
210.000 €. Vom Konto der Klägerin wurde dieser Betrag
im Zeitraum von Mai 2011 bis Januar 2012 in mehreren Tranchen auf dasjenige
der Beklagten überwiesen. Die Klägerin hat behauptet, die überwiesenen Be-
träge hätten an die Kinder aus der ersten Ehe ihres verstorbenen Ehemannes
und an ihre Nichte weitergeleitet werden sollen, was nicht erfolgt sei. Die Be-
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klagte hat hingegen geltend gemacht, sie habe die ihr überlassenen Gelder der
Klägerin in bar zurückgezahlt. Diese habe die Banknoten sodann bei einem
Geldinstitut in einem Schließfach deponiert.
Das Landgericht hat sich von der Wahrheit der Behauptungen der Be-
klagten nicht überzeugen können und der Klage stattgegeben. Die hiergegen
gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht durch einstimmi-
gen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen. Der vorange-
gangene Hinweisbeschluss ist am 2. August 2013 erlassen worden. Am selben
Tag ist beim Berufungsgericht ein Schriftsatz der Beklagten vom 31. Juli 2013
eingegangen, mit dem sie Kopien handschriftlicher, ihren Angaben zufolge von
der Klägerin verfasster Aufzeichnungen und Erklärungen vorgelegt hat, aus de-
nen die Beklagte ableiten möchte, dass sie die empfangenen Gelder an die
Klägerin zurückgezahlt hat
II.
Der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts ist nach § 544 Abs.
7 ZPO aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die
angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1
GG, weil das Berufungsgericht das potentiell entscheidungserhebliche Vorbrin-
gen in dem Schriftsatz der Beklagten vom 31. Juli 2013 übergangen hat.
1.
In ihrem Zurückweisungsbeschluss ist die Vorinstanz auf den Inhalt die-
ses Schriftsatzes und die zusammen mit ihm eingereichten Anlagen nicht ein-
gegangen. Vielmehr hat es zur Begründung lediglich auf seinen Hinweisbe-
schluss vom 2. August 2013 Bezug genommen. In diesem Beschluss war aber
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der Schriftsatz vom 31. Juli 2013, der am selben Tag beim Oberlandesgericht
eingegangen war, inhaltlich noch nicht berücksichtigt worden, was aufgrund der
Zeitabläufe verständlich ist und wofür auch spricht, dass der Berichterstatter
erst unter dem 7. August 2013 eine Verfügung auf dem Schriftsatz getroffen
hat.
2.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Vorbringen im Schriftsatz vom
31. Juli 2013 und die mit ihm eingereichten Anlagen geeignet sein könnten, ei-
ne von der Beweiswürdigung des Landgerichts abweichende tatrichterliche Be-
urteilung des Sachverhalts zu rechtfertigen. Die nach Angaben der Beklagten
aus der Feder der Klägerin stammenden Aufzeichnungen und Erklärungen ent-
halten teilweise Hinweise darauf, dass die Beklagte der Klägerin die überwiese-
nen Beträge in bar zurückgezahlt hat. Überdies kann den Unterlagen entnom-
men werden, dass den Kindern des Ehemanns der Klägerin aus erster Ehe so-
wie deren Bruder beziehungsweise Nichte auch in dem betreffenden Zeitraum
erhebliche Zuwendungen, unter anderem in bar, zugeflossen sind. Dies könnte
als Indiz dafür gewertet werden, dass die der Beklagten überwiesenen Summen
entsprechend deren Vortrag an die Klägerin zurückgeflossen sind und von die-
ser den Familienangehörigen zugewandt wurden.
Unter dem Vorbehalt, dass dieser neue Vortrag nach § 530 i.V.m. § 296
Abs. 1, § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO noch zuzulassen ist (siehe dazu sogleich
Nr. 3), wird das Berufungsgericht die bislang unterbliebene Würdigung des Vor-
bringens nachzuholen haben.
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3.
Zuvor wird das Berufungsgericht jedoch zu prüfen haben, ob der Inhalt
des Schriftsatzes vom 31. Juli 2013 nach § 530 i.V.m. § 296 Abs. 1, § 531
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO noch berücksichtigt werden kann. Insbesondere stellt
sich die Frage, ob das neue Vorbringen der Beklagten im ersten Rechtszug
nicht geltend gemacht wurde, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Par-
tei beruhte (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Die Beklagte hat insoweit angege-
ben, in erster Instanz nicht imstande gewesen zu sein, die Schriftstücke vorzu-
legen und ihren Inhalt vorzutragen, weil die Unterlagen im Zuge strafrechtlicher
Ermittlungen beschlagnahmt worden seien, so dass sie erst nach Gewährung
von Akteneinsicht durch ihre Verteidigung am 29. Juli 2013 hierauf habe zugrei-
fen können. Sollte dies zutreffen, könnte es an der Nachlässigkeit gemäß § 531
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO fehlen.
Allerdings macht die Klägerin in ihrer Erwiderung auf die Nichtzulas-
sungsbeschwerde geltend, die erste Beschlagnahme von Unterlagen bei der
Beklagten habe erst am 22. Januar 2013 stattgefunden. Ist dies richtig, dürfte
die Beurteilung der Nachlässigkeit anders ausfallen, da die erste mündliche
Verhandlung vor dem Landgericht bereits am 12. Dezember 2012 stattfand.
Dort war der Beklagten zudem aufgegeben worden, substantiiert zu den jeweili-
gen Bargeldübergaben an die Klägerin vorzutragen. Die nächste mündliche
Verhandlung war auf den 23. Januar 2013 angesetzt, so dass die Beklagte
noch vor der Beschlagnahme der Unterlagen Gelegenheit und Anlass gehabt
haben könnte, die mit Schriftsatz vom 31. Juli 2013 vorgelegten Kopien bereits
im ersten Rechtszug in das Verfahren einzuführen.
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Da noch tatsächliche Feststellungen zu treffen sind, kann der Senat die
grundsätzlich dem Berufungsrichter vorbehaltene Würdigung, ob Nachlässigkeit
im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO vorliegt, auch nicht ausnahmswei-
se selbst vornehmen.
Schlick
Herrmann
Hucke
Tombrink
Remmert
Vorinstanzen:
LG Bochum, Entscheidung vom 20.03.2013 - I-2 O 397/12 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 18.09.2013 - I-12 U 51/13 -
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