Urteil des BGH vom 05.07.2007
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 240/06
Verkündet
am:
5. Juli 2007
K i e f e r
Justizangestellter
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 839a
a) Ein Antrag, den gerichtlichen Sachverständigen zur mündlichen Erläute-
rung seines Gutachtens zu laden, ist ein "Rechtsmittel" im Sinne des
§ 839a Abs. 2 i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB.
b) Zur Ursächlichkeit zwischen der Unterlassung eines solchen Antrags
und dem Schadenseintritt.
BGH, Urteil vom 5. Juli 2007 - III ZR 240/06 - OLG Brandenburg
LG Potsdam
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter Schlick, die Richter Dr. Wurm,
Dörr, Wöstmann und die Richterin Harsdorf-Gebhardt
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des
Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 31. August 2006 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist die Alleinerbin der Frau S. B. . Diese und ihre
beiden Brüder waren zu je einem Drittel Miteigentümer des mit einem Miets-
haus bebauten Grundstücks in P. , L. Platz 2. Durch Vertrag vom
2. Januar 1991 veräußerten die Erblasserin und einer ihrer Brüder ihre Mitei-
gentumsanteile zum Kaufpreis von jeweils 333.334 DM an den Steuerberater
B. O. . Der Käufer O. veräußerte durch Vertrag vom 26. September
1994 seine beiden Miteigentumsanteile zum Kaufpreis von 2.040.000 DM.
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Die Klägerin hält den ursprünglichen Kaufvertrag zwischen ihrer Rechts-
vorgängerin und O. wegen des ihrer Meinung nach viel zu niedrigen Kauf-
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preises für sittenwidrig und nichtig. Sie hat gegen O. daher in einem Vorpro-
zess Bereicherungsansprüche auf Auskehrung des bei der Weiterveräußerung
erzielten Mehrerlöses in Höhe eines Teilbetrages von 51.129,19 € geltend ge-
macht. Im Berufungsrechtszug holte das Kammergericht über die Behauptung
der Klägerin, der Verkehrswert des Grundstücks L. Platz 2 habe am
2. Januar 1991 2,5 Mio. DM betragen, ein Gutachten des Beklagten ein, eines
von der Industrie- und Handelskammer P. öffentlich bestellten und ver-
eidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten
Grundstücken. Dieser gelangte zu dem Ergebnis, dass das Grundstück am
Stichtag einen Wert von 1,11 Mio. DM gehabt habe. Das Kammergericht, das
zunächst eine Ladung des Sachverständigen zur abschließenden Berufungs-
verhandlung für erforderlich gehalten hatte, teilte den Parteien nach Eingang
einer Stellungnahme des Sachverständigen zu den erhobenen Gegenvorstel-
lungen der Klägerin und des von ihr als Privatgutachter herangezogenen Sach-
verständigen S. mit Verfügung vom 15. November 2004 mit, dass es nach
nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage eine Ladung des Sachver-
ständigen nicht für erforderlich halte. Die Berufung der Klägerin wurde auf der
Grundlage des Sachverständigengutachtens zurückgewiesen.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin den Sachverständigen
auf Schadensersatz gemäß § 839a BGB in Höhe der Kosten des Vorprozesses
(20.667,27 € nebst Zinsen) in Anspruch. Sie wirft ihm vor, grob fahrlässig ein
unrichtiges Gutachten erstattet zu haben, das zu einem viel zu niedrigen Grund-
stückswert gelangt sei. Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Forde-
rung weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
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1.
Das Berufungsgericht ist mit eingehender Begründung zu dem Ergebnis
gelangt, das vom Beklagten im Vorprozess erstattete Sachverständigengutach-
ten habe unter Mängeln gelitten, die es als Grundlage für die klageabweisende
Entscheidung des Kammergerichts unbrauchbar gemacht hätten. Die weitere
Frage, ob dem Beklagten insoweit der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht
werden konnte, lässt das Berufungsgericht dahinstehen. Es lässt den Scha-
densersatzanspruch gegen den Beklagten nämlich bereits daran scheitern,
dass die Klägerin es unterlassen habe, den Schaden durch Gebrauch eines
Rechtsmittels abzuwenden (§ 839a Abs. 2 i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB). Es lastet
der Klägerin an, sie habe es im Vorprozess versäumt, die Ladung des Sachver-
ständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu beantragen.
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Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben erfolglos.
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2.
a) Zugunsten der Klägerin ist im Revisionsverfahren des vorliegenden
Sachverständigen-Haftpflichtprozesses von der vom Berufungsgericht festge-
stellten objektiven Mangelhaftigkeit des Gutachtens auszugehen.
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b) Zu Recht hat das Berufungsgericht die Klägerin für verpflichtet gehal-
ten, aufgrund des auch bei der Sachverständigenhaftung geltenden Vorrangs
des Primärrechtsschutzes (§ 839a Abs. 2 i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB) durch Ein-
legung von Rechtsmitteln auf eine Korrektur des ihrer Meinung nach unrichtigen
Sachverständigengutachtens hinzuwirken. Wie der Senat bereits entschieden
hat, kommen als "Rechtsmittel" insbesondere auch solche Behelfe in Betracht,
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die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten selbst richten und die be-
stimmt und geeignet sind, eine auf das Gutachten gestützte instanzbeendende
gerichtliche Entscheidung zu verhindern. Der Senat hat ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass insoweit etwa an Gegenvorstellungen und Hinweise auf die
Unrichtigkeit des Gutachtens (vgl. § 411 Abs. 4 ZPO), an Anträge, den Sach-
verständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden, und an
formelle Beweisanträge auf Einholung eines neuen (Ober-)Gutachtens (§ 412
ZPO) zu denken ist (Senatsbeschluss vom 28. Juli 2006 - III ZB 14/06 =
NJW-RR 2006, 1454 f Rn. 11 m.w.N.). In ähnlichem Sinne hat der Senat bereits
früher entschieden, dass als Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB, die
einem betroffenen Ehegatten gegen eine fehlerhafte Auskunft zu Gebote ste-
hen, die ein Rentenversicherungsträger - einem gerichtlichen Sachverständigen
vergleichbar - im familiengerichtlichen Verfahren zum Versorgungsausgleich
erteilt hat, auch Einwendungen in Betracht kommen, die im Rahmen des famili-
engerichtlichen Verfahrens gegen die Richtigkeit der Auskunft erhoben werden
(Senatsurteil BGHZ 137, 11, 22 ff).
c) Hieran hält der Senat auch bei voller Würdigung der von der Revision
vertretenen gegenteiligen Auffassung fest. Gerade der vorliegende Fall, in wel-
chem die Klägerin darauf verzichtet hatte, die im Vorprozess ergangene Haupt-
sacheentscheidung des Kammergerichts mit dem Rechtsmittel der Nichtzulas-
sungsbeschwerde anzugreifen - anscheinend deshalb, weil sie keine hinrei-
chend Erfolg versprechenden Revisionszulassungsgründe nach neuem Revisi-
onsrecht aufzeigen konnte -, zeigt, dass es um so dringlicher geboten ist, sämt-
liche zur Korrektur des unrichtigen Sachverständigengutachtens zur Verfügung
stehenden innerprozessualen Behelfe schon vor Abschluss der jeweiligen In-
stanz auszuschöpfen.
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d) Der Revision kann ferner nicht darin gefolgt werden, dass ein derarti-
ger Antrag von vornherein aussichtslos gewesen wäre. Das Gericht ist auf An-
trag einer Partei unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO gemäß §§ 402, 397 Abs. 1
ZPO zur Vorladung des Sachverständigen verpflichtet (BGHZ 6, 398, 400 f;
BGH, Urteil vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 = NJW 1998, 162, 163). Die
mündliche Befragung und Erläuterung wäre ein taugliches Mittel gewesen, ent-
weder die Mängel des Gutachtens in befriedigender Weise zu beheben oder
diese Mängel so deutlich hervortreten zu lassen, dass dem Gericht die Über-
zeugung von der Unbrauchbarkeit des Gutachtens vermittelt wurde. Dies gilt
auch bei voller Würdigung des Umstandes, dass die Klägerin, unterstützt durch
einen Privatgutachter, bereits schriftsätzlich ausführliche Gegenvorstellungen
zu dem Gutachten erhoben und der Sachverständige schriftlich darauf erwidert
hatte. Die unmittelbare persönliche Konfrontation im Austausch von Rede und
Gegenrede in Anwesenheit des Gerichts stellte gleichwohl ein effektives zusätz-
liches Instrument der Wahrheitsfindung dar.
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e) Auch ein Ursachenzusammenhang zwischen der unterbliebenen An-
hörung des Sachverständigen und dem Schaden lässt sich hier nicht verneinen.
Zwar hat der Senat bereits entschieden, dass bei der Frage, welchen Verlauf
die Sache genommen hätte, wenn der Rechtsbehelf eingelegt worden wäre,
nicht ohne weiteres - wie bei der Prüfung der Ursächlichkeit einer Amtspflicht-
verletzung - zugrunde zu legen ist, wie über den Rechtsbehelf richtigerweise
hätte entschieden werden müssen. Auch bei einem Antrag, der zu einer gericht-
lichen Entscheidung führen soll, muss die Rechtspraxis in der in Rede stehen-
den Frage zu dem Zeitpunkt in Betracht gezogen werden, in dem der Rechts-
behelf hätte angebracht werden müssen, wenn er den Eintritt des Schadens
hätte verhindern sollen (Senatsurteil BGHZ 156, 294, 299 f m.w.N.). Gleichwohl
wird bei einer gerichtlichen Entscheidung die wirkliche Rechtslage grundsätzlich
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eine größere Rolle spielen. Dementsprechend ist mangels entgegengesetzter
Anhaltspunkte hier davon auszugehen, dass bei pflichtgemäßem Vorgehen des
Kammergerichts die Verwertbarkeit des fehlerhaften Gutachtens als Grundlage
für die der Klägerin ungünstige klageabweisende Entscheidung im Vorprozess
beseitigt worden wäre.
Dies reicht für den Nachweis einer Ursächlichkeit der Rechtsmittelver-
säumung für den Schaden aus. Eine weitergehende Prognose darüber, wie der
Vorprozess mutmaßlich im Ergebnis ausgefallen wäre, ist - anders als bei einer
dem Schadensersatzanspruch gegen den Sachverständigen stattgebenden
Entscheidung - nicht erforderlich.
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3.
Auch die weitere tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass
die Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigte im Vorprozess an der Versäu-
mung des Rechtsmittels ein Verschulden trifft, hält der revisionsgerichtlichen
Nachprüfung stand. Zwar ist der Revision zuzugeben, dass - was aber auch
das Berufungsgericht nicht verkennt - die Klägerin ihre sachlichen Einwände
gegen das Gutachten im Vorprozess ausführlich schriftsätzlich dargelegt hatte.
Dementsprechend hatte das Kammergericht zunächst beabsichtigt, den Sach-
verständigen von Amts wegen zur mündlichen Erläuterung zu laden. Unter die-
sen Umständen hätte die Sinnesänderung des Kammergerichts der Klägerin
um so dringlicheren Anlass geben müssen, ihrerseits auf einer Ladung des
Sachverständigen zu bestehen.
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4.
Die Klage ist nach allem mit Recht abgewiesen worden, ohne dass es
weiterer tatrichterlicher Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen der
Sachverständigenhaftung bedurfte.
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Schlick
Wurm
Dörr
Wöstmann
Harsdorf-Gebhardt
Vorinstanzen:
LG Potsdam, Entscheidung vom 25.11.2005 - 4 O 752/04 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 31.08.2006 - 5 U 168/05 -