Urteil des BGH vom 20.02.2013

BGH: einstellung des verfahrens, betrug, tatidentität, täterschaft, verfahrensgegenstand, erstreckung, könig, tatmittler, vergleich, gewinnbeteiligung

5 StR 462/12
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 20. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Februar 2013
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil
des Landgerichts Potsdam vom 12. März 2012 nach § 349
Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit dieser Angeklagte verurteilt
worden ist; in diesem Umfang wird das Verfahren eingestellt.
Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens einschließ-
lich des Revisionsverfahrens und die dem Angeklagten
B. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Betruges un-
ter Einbeziehung zweier in einem früheren amtsgerichtlichen Urteil verhäng-
ter Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs
Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die auf die Rüge der
Verletzung des § 264 StPO gestützte Revision des Angeklagten führt zur
Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a
StPO i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts sorgte der Angeklagte
unter anderem durch die Vereinnahmung von Geldern zur angeblichen Wei-
terleitung und das Überbringen von gefälschten Quittungen, Gerichtsurteilen
und sonstigen Schreiben dafür, dass der schwer persönlichkeitsgestörte Mit-
angeklagte D. an der unrichtigen Annahme festhielt, mit erheblicher
Gewinnaussicht an zwei
– tatsächlich gar nicht existierenden – E. -
Filialen beteiligt zu sein. In dieser Fehlvorstellung befangen und damit gut-
gläubig erhielt der durch die Strafkammer demgemäß freigesprochene Mit-
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angeklagte D. nach Hinweisen auf die zu erwartende Gewinnbeteiligung
von Bekannten Darlehen von insgesamt knapp 100.0
00 € (zuzüglich weite-
rer, nicht verfahrensgegenständlicher Beträge). Dem Angeklagten B.
übergab er mindestens 200.000 € zur Weiterleitung an – in Wahrheit nicht
existente
– E. -Mitarbeiter. Diese Beträge wollten sich B. , der
Mitangeklagte F. und möglicherweise weitere Mittäter verschaffen.
Von dem einzigen ursprünglichen Anklagevorwurf, der Angeklagte
B. habe einen versuchten Betrug dadurch begangen, dass er an der
Täuschung eines potentiellen Darlehensgebers mitgewirkt habe, hat das
Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Darüber hinaus hat es eine
Verurteilung betreffend den
– in der Anklage nicht aufgeführten – Vorwurf
eines in mittelbarer Täterschaft begangenen Betruges zum Nachteil weiterer
Darlehensgeber ausgeschlossen.
2. Im Umfang der Verurteilung des Angeklagten B. war das
Verfahren gemäß § 206a StPO i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO einzustellen, weil
es insoweit an den Verfahrensvoraussetzungen der Anklageerhebung und
des Eröffnungsbeschlusses fehlt.
Die Tat als Gegenstand der Urteilsfindung (§ 264 Abs. 1 StPO) ist der
von der Anklage benannte geschichtliche Vorgang, innerhalb dessen der An-
geklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Zur Tat im prozessua-
len Sinn gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Auf-
fassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang darstellt (BGH, Urteil vom
7. Februar 2012
– 1 StR 542/11, NStZ-RR 2012, 355, und Beschluss vom
27. September 2011
– 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, jeweils mwN). Bei der
Untersuchung und Entscheidung muss die Identität der Tat gewahrt bleiben
(BGH, Beschlüsse vom 27. September 2011
– 3 StR 255/11, NStZ 2012,
168, und vom 10. November 2008
– 3 StR 433/08, NStZ-RR 2009, 146).
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Letzteres ist hier nicht der Fall. Bei den Täuschungshandlungen zum
Nachteil des Mitangeklagten D. handelt es sich um ein Geschehen, das
zwar in einem gewissen Zusammenhang mit dem angeklagten versuchten
Betrug zum Nachteil eines potentiellen Darlehensgebers steht, mit diesem
jedoch nach der Lebensanschauung keinen einheitlichen Vorgang bildet. Die
festgestellten Täuschungshandlungen sind im Vergleich zu den der Anklage
zugrunde liegenden anders geartet und richten sich sowohl hinsichtlich des
erzeugten oder aufrecht erhaltenen Irrtums als auch hinsichtlich des hervor-
gerufenen Vermögensschadens gegen ein anderes Opfer. Auch ein zeitli-
ches oder örtliches Zusammenfallen mit dem Anklagevorwurf ist nicht gege-
ben.
Die demnach prozessual eigenständige abgeurteilte Tat ist auch nicht
aufgrund der übrigen Ausführungen im Anklagesatz und im wesentlichen Er-
gebnis der Ermittlungen von der Anklage umfasst. Die Anklage beschränkt
den Vorwurf ausdrücklich auf eine Handlung des versuchten gewerbs- und
bandenmäßigen Betruges, dem sich aufgrund der enumerativen Aufzählung
der einzelnen Taten im Anklagesatz einzig die versuchte Erlangung eines
Darlehens zum Nachteil des Zeugen S. zuordnen lässt. Selbst wenn
– was nahe liegt – die von der Strafkammer nach rechtlichem Hinweis ge-
mäß § 265 StPO vorgenommene Erweiterung der Anklage auf ein mit dem
einzigen angeklagten Versuch zusammenhängendes uneigentliches Organi-
sationsdelikt zum Nachteil einer Mehrzahl betrogener Darlehensgeber des
Mitangeklagten D. zulässig war, erfasste sie gleichwohl nicht einen dem
einheitlich organisierten Betrug nachgelagerten Betrug zum Nachteil eben
dieses Mitangeklagten. Dabei verkennt der Senat den Zusammenhang zwi-
schen den Täuschungshandlungen und ihrem Bezug zur Einwirkung auf den
Tatmittler in den angeklagten Darlehensbetrugsfällen nicht. Er reicht zur Be-
gründung von Tatidentität indes nicht aus.
Zutreffend weist der Generalbundesanwalt auch darauf hin, dass die
vorliegende Einstellung einer neuen, den verfahrensrechtlichen Anforderun-
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gen gerecht werdende Anklage wegen Betruges zum Nachteil des bisherigen
Mitangeklagten D. nicht entgegensteht. Hingegen teilt der Senat nicht
die Auffassung des Generalbundesanwalts, der rechtskräftige
– nicht nach-
vollziehbar begründete, indes unangefochten gebliebene
– Teilfreispruch
umfasse nur dessen Beteiligung im Fall B 63 (Anklagepunkt 66). Den Urteils-
gründen ist vielmehr zu entnehmen, dass das Landgericht auch den Vorwurf
des Betruges in mittelbarer Täterschaft zum Nachteil der übrigen Darlehens-
geber zum Verfahrensgegenstand gemacht hat, sich indessen insoweit nicht
vom Vorliegen der subjektiven tatbestandlichen Voraussetzungen zu über-
zeugen vermochte (vgl. UA S. 70). Der Teilfreispruch erstreckt sich somit
auch auf diesen Teil des Geschehens und steht daher auch in diesem Um-
fang einer erneuten Aburteilung entgegen. Selbst wenn das Landgericht
durch die Erstreckung der freisprechenden Entscheidung auf diesen Ge-
schehensteil seine Aburteilungsbefugnis überschritten haben sollte (vgl. da-
gegen BGH, Urteile vom 20. Januar 1989
– 2 StR 564/88, und vom
17. März 1992
– 1 StR 5/92, Beschluss vom 4. November 2003 – KRB 20/03,
BGHR StPO § 264 Strafklageverbrauch 2 sowie Tatidentität 21 und 40; Mey-
er-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 264 Rn. 9), könnte dies am Eintritt des Straf-
klageverbrauchs nichts ändern, weil der betroffene Lebensvorgang durch die
– über einen rechtlichen Hinweis nach § 265 StPO auch der anfechtungsbe-
rechtigten Staatsanwaltschaft deutlich gemachte
– gerichtliche Befassung
und Entscheidung Gegenstand der strafrechtlichen Verfolgung des Ange-
klagten geworden ist.
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