Urteil des BGH vom 20.09.2012

Elektronische Leseplätze II

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZR 69/11
Verkündet am:
20. September 2012
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Elektronische Leseplätze
Richtlinie 2001/29/EG Art. 5 Abs. 3 Buchst. n
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 5
Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Ur-
heberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
(ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
1. Gelten Regelungen über Verkauf und Lizenzen im Sinne des Art. 5 Abs. 3
Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG, wenn der Rechtsinhaber den dort ge-
nannten Einrichtungen den Abschluss von Lizenzverträgen über die Werk-
nutzung zu angemessenen Bedingungen anbietet?
2. Berechtigt Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG die Mitgliedstaa-
ten, den Einrichtungen das Recht einzuräumen, die in ihren Sammlungen
enthaltenen Werke zu digitalisieren, wenn das erforderlich ist, um diese Wer-
ke auf den Terminals zugänglich zu machen?
3. Dürfen die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richt-
linie 2001/29/EG vorgesehenen Rechte so weit reichen, dass Nutzer der
Terminals dort zugänglich gemachte Werke auf Papier ausdrucken oder auf
einem USB-Stick abspeichern können?
BGH, Beschluss vom 20. September 2012 - I ZR 69/11 - LG Frankfurt a.M.
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 20. September 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Born-
kamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Schaffert, Dr. Koch und Dr. Löffler
beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Ausle-
gung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur
Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und
der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
(ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Fragen zur Vor-
abentscheidung vorgelegt:
1. Gelten Regelungen über Verkauf und Lizenzen im Sinne des
Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG, wenn der
Rechtsinhaber den dort genannten Einrichtungen den Ab-
schluss von Lizenzverträgen über die Werknutzung zu an-
gemessenen Bedingungen anbietet?
2. Berechtigt Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG
die Mitgliedstaaten, den Einrichtungen das Recht einzuräu-
men, die in ihren Sammlungen enthaltenen Werke zu digita-
lisieren, wenn das erforderlich ist, um diese Werke auf den
Terminals zugänglich zu machen?
3. Dürfen die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 Abs. 3
Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Rechte
so weit reichen, dass Nutzer der Terminals dort zugänglich
gemachte Werke auf Papier ausdrucken oder auf einem
USB-Stick abspeichern können?
Gründe:
I. Die Klägerin ist ein Verlag. Die Beklagte betreibt eine öffentlich zu-
gängliche Bibliothek. Sie hat in deren Räumen elektronische Leseplätze einge-
richtet, an denen sie bestimmte Werke aus dem Bibliotheksbestand zugänglich
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macht. Darunter befand sich seit Januar oder Februar 2009 das im Verlag der
Klägerin erschienene Lehrbuch
„Einführung in die neuere Geschichte“ von
Winfried Schulze. Die Beklagte hatte das Buch digitalisiert, um es an den elek-
tronischen Leseplätzen bereitzustellen. An den Leseplätzen konnten gleichzei-
tig nicht mehr Exemplare des Werkes aufgerufen werden, als im Bibliotheksbe-
stand vorhanden waren. Die Nutzer der Leseplätze konnten das Werk ganz
oder teilweise auf Papier ausdrucken oder auf einem USB-Stick abspeichern
und jeweils in dieser Form aus der Bibliothek mitnehmen. Auf ein Angebot der
Klägerin vom 29. Januar 2009, von ihr herausgegebene Lehrbücher als elektro-
nische Bücher (E-Books) zu erwerben und zu nutzen, ist die Beklagte nicht ein-
gegangen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Beklagten das Angebot der
Klägerin bereits vorlag, als sie das Lehrbuch digitalisierte.
Die Klägerin ist der Ansicht, eine solche Nutzung der in ihrem Verlag er-
schienenen Werke sei nicht von der Schrankenregelung des § 52b UrhG ge-
deckt.
Mit dem Klageantrag zu 1 hat sie beantragt, der Beklagten zu verbieten,
a) Lehrbücher oder andere Werke aus ihrem Verlag, insbesondere die
„Einfüh-
rung in die neuere Geschichte
“ von Winfried Schulze, zu digitalisieren oder
digitalisieren zu lassen und/oder in digitalisierter Form für öffentliche Wie-
dergaben insbesondere an elektronischen Leseplätzen der Universitäts- und
Landesbibliothek Darmstadt zu benutzen, wenn nicht die Beklagte zuvor mit
ihr geklärt hat, ob sie für die digitale Nutzung einen angemessenen Lizenz-
vertrag anbietet, oder wenn sie einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet;
b) Nutzern der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt zu ermöglichen,
digitale Versionen der Werke, die in ihrem Verlag veröffentlicht sind, insbe-
sondere die
„Einführung in die neuere Geschichte“ von Winfried Schulze, an
elektronischen Leseplätzen der Bibliothek ganz oder teilweise auszudrucken
und/oder auf USB-Sticks oder anderen Trägern für digitalisierte Werke zu
vervielfältigen und/oder solche Vervielfältigungen aus den Räumen der
Bibliothek mitzunehmen.
Darüber hinaus nimmt sie die Beklagte auf Auskunftserteilung und Rech-
nungslegung (Klageantrag zu 2), Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht (Kla-
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geantrag zu 3) und Herausgabe der digitalisierten Werkfassungen zur Vernich-
tung (Klageantrag zu 4) in Anspruch.
Das Landgericht (LG Frankfurt a.M., GRUR 2011, 614) hat - wie schon
das Oberlandesgericht im vorausgegangenen Verfügungsverfahren (OLG
Frankfurt a.M., GRUR-RR 2010, 1 = ZUM 2010, 265) - den Klageantrag 1a und
die darauf bezogenen Anträge abgewiesen und dem Klageantrag 1b und den
daran anknüpfenden Anträgen stattgegeben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen
Sprungrevision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt die Be-
klagte die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin verfolgt mit ihrer An-
schlussrevision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, ihren Klagean-
trag in vollem Umfang weiter.
II. Der Erfolg der Sprungrevision und der Anschlussrevision hängt von
der Auslegung des Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung be-
stimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der
Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10; im Folgenden:
Richtlinie 2001/29/EG) ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist
deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und
Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Uni-
on einzuholen.
1. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung
(§ 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG), Auskunftserteilung und Rechnungslegung (§§ 242,
259 Abs. 1 BGB), Feststellung der Schadensersatzpflicht (§ 97 Abs. 2 UrhG)
und Herausgabe zur Vernichtung (§ 98 Abs. 1 Satz 1 UrhG) setzen voraus,
dass die Beklagte das Urheberrecht an dem Lehrbuch
„Einführung in die neue-
re Geschichte
“ widerrechtlich verletzt hat. Zwischen den Parteien steht außer
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Streit, dass es sich bei dem von Winfried Schulze verfassten und von der Klä-
gerin verlegten Lehrbuch um ein urheberechtlich geschütztes Werk handelt (§ 2
Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG). Ferner ist unstreitig, dass die Klägerin als Inhaberin
der urheberrechtlichen Nutzungsrechte zur Geltendmachung der erhobenen
Ansprüche berechtigt ist.
2. Die Beklagte hat in das Urheberrecht am Lehrbuch eingegriffen. Sie
hat das im Bestand ihrer Bibliothek nur als gedrucktes Buch vorhandene Werk
zunächst digitalisiert und es sodann in dieser Form an elektronischen Leseplät-
zen zugänglich gemacht. Dadurch hat sie in das ausschließliche Recht des Ur-
hebers eingegriffen, sein Werk zu vervielfältigen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhG)
und es öffentlich zugänglich zu machen und damit öffentlich wiederzugeben
(§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2, § 19a UrhG).
3. Der Eingriff in das Urheberrecht wäre nicht widerrechtlich, wenn die
Beklagte sich mit Erfolg auf die Schrankenregelung des § 52b Satz 1 und 2
UrhG berufen könnte. Gemäß § 52b Satz 1 UrhG ist es zulässig, veröffentlichte
Werke aus dem Bestand öffentlich zugänglicher Bibliotheken, Museen oder Ar-
chive, die keinen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftlichen oder Erwerbszweck
verfolgen, ausschließlich in den Räumen der jeweiligen Einrichtung an eigens
dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private
Studien zugänglich zu machen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen
entgegenstehen. Dabei dürfen nach § 52b Satz 2 UrhG grundsätzlich nicht
mehr Exemplare eines Werkes an den eingerichteten elektronischen Leseplät-
zen gleichzeitig zugänglich gemacht werden, als der Bestand der Einrichtung
umfasst.
Die Regelung des § 52b UrhG setzt Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie
2001/29/EG um und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Nach Art. 5 Abs. 3
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Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG können die Mitgliedstaaten Ausnahmen
oder Beschränkungen in Bezug auf die in Art. 2 und 3 vorgesehenen Rechte
(also das Vervielfältigungsrecht sowie das Recht der öffentlichen Wiedergabe
einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung von Werken und das Recht
der öffentlichen Zugänglichmachung sonstiger Schutzgegenstände) für die Nut-
zung von Werken und sonstigen Schutzgegenständen vorsehen, für die keine
Regelungen über Verkauf und Lizenzen gelten und die sich in den Sammlungen
der in Art. 5 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG genannten Einrichtun-
gen (das sind öffentlich zugängliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder
Museen oder Archive, die keinen unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftli-
chen oder kommerziellen Zweck verfolgen) befinden, und zwar durch ihre Wie-
dergabe oder Zugänglichmachung für einzelne Mitglieder der Öffentlichkeit zu
Zwecken der Forschung und privater Studien auf eigens hierfür eingerichteten
Terminals in den Räumlichkeiten der genannten Einrichtungen. Im Streitfall stel-
len sich drei Fragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie
2001/29/EG:
a) Zunächst stellt sich die Frage, ob im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. n
der Richtlinie 2001/29/EG
„Regelungen über Verkauf und Lizenzen gelten“,
wenn der Rechtsinhaber den in dieser Bestimmung genannten Einrichtungen
den Abschluss von Lizenzverträgen über die Nutzung von Werken durch ihre
Wiedergabe oder Zugänglichmachung für einzelne Mitglieder der Öffentlichkeit
zu Zwecken der Forschung und privater Studien auf eigens hierfür eingerichte-
ten Terminals in den Räumlichkeiten der Einrichtungen zu angemessenen Be-
dingungen anbietet.
aa) Die Mitgliedstaaten können in den Fällen, in denen für die Werke
Regelungen über Verkauf und Lizenzen gelten, keine Ausnahmen oder Be-
schränkungen gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG in Be-
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zug auf die Rechte nach Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29/EG vorsehen. Die
Klägerin hat der Beklagten angeboten, von der Klägerin herausgegebene Lehr-
bücher als elektronische Bücher (E-Books) zu erwerben und zu nutzen. Man-
gels entgegenstehender Feststellungen des Landgerichts ist für die Prüfung in
der Revisionsinstanz davon auszugehen, dass die Klägerin der Beklagten damit
bereits vor der entsprechenden Nutzung des in Rede stehenden Lehrbuchs
durch die Beklagte ein angemessenes Angebot unterbreitet hat. Die Beklagte
hat dieses Angebot nicht angenommen.
Es stellt sich daher die Frage, ob bereits das bloße Angebot eines an-
gemessenen Lizenzvertrags dazu führt, dass
„Regelungen über Verkauf und
Lizenzen
“ gelten und eine Ausnahme nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie
2001/29/EG ausgeschlossen ist (so Walter, Europäisches Urheberrecht, 2001,
Kap. 5 Rn. 135; St. Bechtold in Dreier/Hugenholtz, Concise European Copyright
Law, S. 381; v. Lewinski/Walter in Walter/v. Lewinski, European Copyright Law,
2010, Rn. 11.5.70; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 52b Rn. 12;
Spindler, FS Loewenheim, 2009, S. 287, 289 f.; Berger, GRUR 2007, 754, 759;
Schöwerling, ZUM 2009, 665, 666; zu § 52b UrhG vgl. Loewenheim in Schri-
cker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 52b UrhG Rn. 10), oder ob dies erst
dann der Fall ist, wenn der Rechtsinhaber und die Einrichtung eine entspre-
chende Vereinbarung getroffen haben (Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urhe-
berrecht, 2. Aufl., § 52b Rn. 12; Heinz, jurisPR-ITR 14/2009 Anm. 4; zu § 52b
UrhG vgl. Dustmann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 52b UrhG
Rn. 11; Jani in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl., § 52b UrhG Rn. 27;
ders., K&R 2009, 514, 515; Hoeren/Neubauer, ZUM 2012, 636, 639). Diese
Frage lässt sich auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Ge-
richtshofs nicht zweifelsfrei beantworten.
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bb) Nach dem Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 5 Abs. 3
Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG, wonach die Mitgliedstaaten Ausnahmen
oder Beschränkungen in Bezug auf die in Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29/EG
vorgesehenen Rechte für die Nutzung von Werken und sonstigen Schutzge-
genständen vorsehen können,
„für die keine Regelungen über Verkauf und Li-
zenzen gelten
“, erscheint es kaum möglich, bereits in einem bloßen Vertrags-
angebot eine
„geltende Regelung“ zu sehen. Zwar entfaltet bereits ein Angebot
zum Abschluss eines Vertrages rechtliche Wirkungen und hat daher Geltungs-
kraft. Erst mit der Annahme des Angebots durch den Erklärungsempfänger
kommen jedoch ein Vertrag und damit eine - die Vertragsparteien bindende -
Regelung zustande.
cc) Da die verschiedenen sprachlichen Fassungen einer Vorschrift des
Unionsrechts gleichermaßen verbindlich sind, müssen die anderen Sprachfas-
sungen in die Auslegung einbezogen werden (EuGH, Urteil vom 6. Oktober
1982 - C-283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 - CILFIT). Nach
dem Wortlaut der englischen und der französischen Fassung der fraglichen
Passage des Richtlinientextes erscheint es durchaus möglich, dass bereits ein
angemessenes Angebot zum Verkauf oder zur Lizenzierung von Werken einer
Ausnahme nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG entgegen-
steht (Walter aaO Kap. 5 Rn. 135; Bechtold in Dreier/Hugenholtz aaO S. 381;
v. Lewinski/Walter in Walter/v. Lewinski aaO Rn. 11.5.70; Spindler aaO
S. 289 f.; Jani, K&R 2009, 514, 515; ders., GRUR-Prax 2010, 27; aA Dreyer in
Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52b Rn. 12). Nach der englischen Fassung (
„not
subject to purchase or licensing terms
“) und der französischen Fassung („qui ne
sont pas soumis à des conditions en matière d'achat ou de licence
“) kommt es
nicht darauf an, ob für Werke
„Regelungen“ über Verkauf und Lizenzen „gelten“;
maßgeblich ist vielmehr, ob die Werke
„Bedingungen“ („terms“ bzw. „conditi-
ons
“) über Kauf und Lizenzen „unterworfen“ („subject to“ bzw. „soumis à“) sind.
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Ein Rechtsinhaber kann einen Verkauf oder eine Lizenzierung der Werke von
seinen
„Bedingungen“ („terms“ bzw. „conditions“) abhängig machen. Das
spricht dafür, dass nicht erst der Abschluss einer Vereinbarung, sondern bereits
das Angebot des Rechtsinhabers ausreichen kann, eine Ausnahme nach Art. 5
Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG auszuschließen. Aus dem Wort
„un-
terworfen
“ („subject to“ bzw. „soumis à“) lässt sich nichts Abweichendes herlei-
ten. Es kann im vorliegenden Zusammenhang nicht nur bedeuten, dass die Par-
teien einen Vertrag einvernehmlich bestimmten Bedingungen unterstellt haben,
sondern auch besagen, dass der Rechtsinhaber einseitig bestimmte Bedingun-
gen für einen Vertragsabschluss gestellt hat.
dd) Weichen die verschiedenen Sprachfassungen voneinander ab, muss
die fragliche Vorschrift nach der Systematik und dem Zweck der Regelung aus-
gelegt werden, zu der sie gehört (EuGH, Urteil vom 1. April 2004 - C-1/02, Slg.
2004, I-3219 = EuZW 2004, 505 Rn. 25 - Borgmann, mwN; Urteil vom 3. März
2011 - C-41/09, juris Rn. 44 - Kommission/Niederlande, mwN). Dabei ist zu be-
rücksichtigen, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die
Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht auf das Recht der Mitglied-
staaten verweist, wegen der Erfordernisse der einheitlichen Anwendung des
Unionsrechts und des Gleichheitssatzes in der Regel in der gesamten Europäi-
schen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen
(EuGH, Urteil vom 21. Oktober 2010 - C-467/08, Slg. 2010, I-10055 = GRUR
2011, 50 Rn. 32 - Padawan/SGAE; Urteil vom 3. Juli 2012 - C-128/11, GRUR
2012, 904 Rn. 39 = WRP 2012, 1074 - UsedSoft/Oracle, jeweils mwN).
Ziel der Richtlinie 2001/29/EG ist die Harmonisierung bestimmter Rechts-
vorschriften der Mitgliedstaaten über das Urheberrecht und die verwandten
Schutzrechte (Erwägungsgrund 1) und damit die Schaffung eines Ordnungs-
rahmens für die Förderung der Entwicklung der Informationsgesellschaft in Eu-
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ropa (Erwägungsgrund 2). Dabei muss von einem hohen Schutzniveau des Ur-
heberrechts und der verwandten Schutzrechte ausgegangen (vgl. Erwägungs-
gründe 4 und 9 sowie 11 und 12) und ein angemessener Rechts- und Interes-
senausgleich zwischen verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern und
Nutzern von Schutzgegenständen erreicht werden (vgl. Erwägungsgrund 31
Satz 1). Die Mitgliedstaaten können unter anderem zugunsten bestimmter nicht
kommerzieller Einrichtungen wie öffentlich zugänglicher Bibliotheken Ausnah-
men und Beschränkungen in Bezug auf die Schutzrechte vorsehen (vgl. Erwä-
gungsgründe 34 und 40). Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nicht auf
eine Weise angewandt werden, dass die berechtigten Interessen der Rechtsin-
haber verletzt werden oder die normale Verwertung ihrer Werke oder sonstigen
Schutzgegenstände beeinträchtigt wird (Erwägungsgrund 44 Satz 2). Die in
Art. 5 Abs. 2, 3 und 4 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Ausnahmen und
Beschränkungen sollen vertraglichen Beziehungen zur Sicherstellung eines
gerechten Ausgleichs für die Rechtsinhaber nicht entgegenstehen, soweit dies
nach innerstaatlichem Recht zulässig ist (Erwägungsgrund 45).
Insbesondere der Grundsatz, dass Ausnahmen und Beschränkungen
vertraglichen Beziehungen zur Sicherstellung eines gerechten Ausgleichs für
die Rechtsinhaber nicht entgegenstehen sollen, könnte es gebieten, bereits in
dem Angebot des Rechtsinhabers zum Abschluss eines Lizenzvertrags zu an-
gemessenen Bedingungen eine „Regelung über Verkauf und Lizenzen“ im Sin-
ne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zu sehen, die der An-
wendung einer Schrankenbestimmung nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtli-
nie 2001/29/EG entgegensteht. Eine gesetzliche Beschränkung der Rechte des
Rechtsinhabers zugunsten bestimmter Nutzer erscheint im Blick auf den
Grundsatz des Vorrangs vertraglicher Beziehungen nicht gerechtfertigt, wenn
der Rechtsinhaber bereit ist, dem Nutzer die Rechte zu angemessenen Bedin-
gungen einzuräumen. Stünde erst eine zwischen dem Rechtsinhaber und der
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Bibliothek getroffene Vereinbarung einer Anwendung der Schrankenregelung
entgegen, hätte die Bibliothek es in der Hand, ein angemessenes Angebot des
Rechtsinhabers abzulehnen, um in den Genuss der Schrankenregelung zu
kommen (vgl. Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52b Rn. 12; Berger, GRUR 2007,
754, 759; Schöwerling, ZUM 2009, 665, 666). Der Rechtsinhaber erhielte dann
in aller Regel eine geringere als die geforderte - angemessene - Vergütung.
b) Sodann stellt sich die Frage, ob die Befugnis der Mitgliedstaaten aus
Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG, Ausnahmen oder Beschrän-
kungen in Bezug auf die Rechte nach Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29/EG für
die Nutzung von Werken und sonstigen Schutzgegenständen, die sich in den
Sammlungen der genannten Einrichtungen befinden, durch ihre Wiedergabe
oder Zugänglichmachung auf eigens hierfür eingerichteten Terminals vorzuse-
hen, auch die Befugnis umfasst, eine Ausnahme oder Beschränkung in Bezug
auf das Vervielfältigungsrecht nach Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG für die Nut-
zung dieser Werke und sonstigen Schutzgegenstände durch Vervielfältigungen
vorzusehen, die für die Wiedergabe oder Zugänglichmachung auf solchen Ter-
minals erforderlich sind.
Die Bestimmungen einer Richtlinie, die von einem in dieser Richtlinie
aufgestellten allgemeinen Grundsatz abweichen, sind nach der ständigen
Rechtsprechung des Gerichtshofs allerdings eng auszulegen (EuGH, Urteil vom
16. Juli 2009 - C-5/08, Slg. 2009, I-6569 = GRUR 2009, 1041 Rn. 56 - Infopaq
International A/S/Danske Dagblades Forening). Bei Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der
Richtlinie 2001/29/EG handelt es sich um eine solche Bestimmung, weil sie von
dem in Art. 3 der Richtlinie 2001/29/EG aufgestellten allgemeinen Grundsatz
abweicht, dass Urheber und bestimmte Leistungsschutzberechtigte das aus-
schließliche Recht haben, die öffentliche Widergabe oder die öffentliche Zu-
gänglichmachung ihrer Werke und sonstigen Schutzgegenstände zu erlauben
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oder zu verbieten. Gleichwohl muss es die Auslegung einer solchen Bestim-
mung erlauben, deren praktische Wirksamkeit zu wahren und deren Zielsetzung
zu beachten (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2011 - C-403/08 und C-429/08,
GRUR 2012, 156 Rn. 163 = WRP 2012, 434 - Football Association Premier
League und Murphy).
Dies spricht dafür, Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG da-
hin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten dazu berechtigt, den in dieser Be-
stimmung genannten Einrichtungen das Recht zu gewähren, die sich in ihren
Sammlungen befindlichen Werke zu digitalisieren, soweit die Wiedergabe oder
Zugänglichmachung auf den Terminals eine solche Vervielfältigung erfordert
(vgl. Heinz, jurisPR-ITR 14/2009 Anm. 4; ferner zu § 52b UrhG Loewenheim in
Schricker/Loewenheim aaO § 52b UrhG Rn. 12; Dreier in Dreier/Schulze aaO
§ 52b Rn. 14; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52b Rn. 13; Dustmann in
Fromm/Nordemann aaO § 52b UrhG Rn. 10; Jani in Wandtke/Bullinger aaO
§ 52b UrhG Rn. 19; ders., K&R 2009, 514, 515; ders., GRUR-Prax 2010, 27;
Schöwerling, ZUM 2009, 665, 666; Hoeren/Neubauer, ZUM 2012, 636, 640).
Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG
verfolgt den Zweck, den öffentlich zugänglichen Bibliotheken die Möglichkeit zu
verschaffen, die in ihrem Bestand befindlichen Werke in elektronischer Form
auf Terminals zugänglich zu machen. Sie unterscheidet dabei nicht danach, ob
es sich um analoge oder um digitale Werke handelt. Die Regelung ist allerdings
regelmäßig allein für analoge Werke von praktischer Bedeutung. Für digitale
Werke des Bibliotheksbestands besteht in aller Regel bereits eine vertragliche
Vereinbarung über die digitale Nutzung, die jedenfalls die in Art. 5 Abs. 3
Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG umschriebene Nutzung gestattet, so dass
es insoweit keiner Schrankenregelung bedarf. Ist das Werk im Bestand der Ein-
richtung nicht in digitaler, sondern nur in analoger Form vorhanden, erfordert
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seine Zugänglichmachung zunächst die Herstellung einer digitalen Fassung,
also eine Vervielfältigung durch Scannen und Abspeichern auf einem Datenträ-
ger. Die praktische Wirksamkeit der Bestimmung wäre daher nicht gewahrt,
wenn Bibliotheken die Druckwerke ihres Bestands nicht zum Zweck der Bereit-
stellung auf den Terminals digitalisieren dürften, sondern in entsprechender
Zahl digitale Vervielfältigungsstücke erwerben müssten.
Nach Auffassung des Senats spricht allerdings alles dafür, dass eine
entsprechende Befugnis der Mitgliedstaaten, soweit sie sich nicht bereits als
Annexkompetenz aus Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG ergibt,
aus Art. 5 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG hergeleitet werden kann
(vgl. Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52b Rn. 13). Nach dieser Bestim-
mung können die Mitgliedstaaten in Bezug auf
„bestimmte Vervielfältigungs-
handlungen
“ der genannten Einrichtungen Ausnahmen oder Beschränkungen in
Bezug auf das in Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehene Vervielfälti-
gungsrecht vorsehen.
c) Schließlich stellt sich die Frage, ob von den Mitgliedstaaten gemäß
Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG für die Nutzung von Werken
durch ihre Wiedergabe oder Zugänglichmachung auf eigens hierfür eingerichte-
ten Terminals in den Räumlichkeiten der genannten Einrichtungen vorgesehene
Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die Rechte nach Art. 2 und 3
der Richtlinie 2001/29/EG so weit reichen dürfen, dass Nutzer der Terminals auf
den Terminals wiedergegebene oder zugänglich gemachte Werke ganz oder
teilweise auf Papier ausdrucken oder auf einem USB-Stick abspeichern kön-
nen.
aa) Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG
lässt nicht zweifelsfrei erkennen, ob Nutzern der Terminals durch die Wieder-
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gabe oder Zugänglichmachung der Werke die Möglichkeit zur Vervielfältigung
der Werke eröffnet werden darf.
Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG erlaubt allerdings
grundsätzlich nur eine Schrankenregelung, die eine Wiedergabe oder Zugäng-
lichmachung von Werken zulässt, nicht dagegen eine Schrankenregelung, die
eine Vervielfältigung von Werken gestattet (zu einer möglichen Ausnahme vgl.
oben Rn. 19 ff.). Das bedeutet aber nicht, dass Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der
Richtlinie 2001/29/EG keine Schrankenregelung erlaubt, die eine Wiedergabe
oder Zugänglichmachung zulässt, die eine anschließende Vervielfältigung er-
möglicht. Eine der Wiedergabe oder Zugänglichmachung nachfolgende Verviel-
fältigung kann durch eine von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 Abs. 2 oder 3
der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehene Ausnahme oder Beschränkung in Be-
zug auf das in Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehene Vervielfältigungs-
recht gestattet sein. So kann das Ausdrucken oder Abspeichern eines auf dem
Bildschirm wiedergegebenen oder zugänglich gemachten Werkes durch einen
Nutzer des Terminals von der Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b
Richtlinie 2001/29/EG (
„Privatkopie-Ausnahme“) gedeckt sein.
Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG erlaubt jedoch lediglich
eine Schrankenregelung, die eine Wiedergabe oder Zugänglichmachung
„auf
eigens hierfür eingerichteten Terminals
“ (englische Fassung „dedicated termi-
nals
“; französischen Fassung „terminaux spécialisés“) zulässt. Das könnte so
zu verstehen sein, dass übliche Computer-Arbeitsplätze unzulässig sind, an
denen das Ausdrucken und Abspeichern oder Versenden von Dateien möglich
ist, und nur besonders eingerichtete Lese-Arbeitsplätze gestattet sind, die allein
eine Wahrnehmung der Werke - insbesondere das Lesen von elektronischen
Büchern am Bildschirm - ermöglichen (zu § 52b UrhG vgl. Loewenheim in
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Schricker/Loewenheim aaO § 52b UrhG Rn. 8; Dreier in Dreier/Schulze aaO
§ 52b Rn. 10).
Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG gestattet ferner nur ei-
ne Schrankenregelung, die eine Wiedergabe oder Zugänglichmachung
„in den
Räumlichkeiten der genannten Einrichtungen
“ zulässt. Damit ist es unzulässig,
eine Online-Nutzung von außen zu ermöglichen. Dagegen kann dieser Passage
der fraglichen Bestimmung nicht entnommen werden, dass die Nutzer daran
gehindert werden müssen, in den Räumlichkeiten der genannten Einrichtungen
Ausdrucke oder Downloads der auf den Terminals zugänglich gemachten Wer-
ke anzufertigen und aus den Räumlichkeiten dieser Einrichtungen mitzuneh-
men. Die räumliche Beschränkung bezieht sich allein auf die Wiedergabe und
die Zugänglichmachung der Werke durch die Einrichtung und nicht auf die Nut-
zung dieser Werke durch die Nutzer (vgl. Steinbeck, NJW 2010, 2852, 2854;
Kianfar, GRUR 2012, 691, 692 f.).
bb) Der Zweck des Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG legt
die Annahme nahe, dass diese Bestimmung eine Schrankenregelung erlaubt,
die eine Wiedergabe oder Zugänglichmachung gestattet, die jedenfalls ein Aus-
drucken der auf den Terminals zugänglich gemachten Werke und eine Mitnah-
me dieser Vervielfältigungen aus den Räumen der Einrichtung ermöglicht.
Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG
soll es den in dieser Regelung genannten Einrichtungen gestatten, die Werke
ihres Bestands zu Zwecken der Forschung und privater Studien zugänglich zu
machen. Ein wissenschaftliches Arbeiten mit Texten ist nach heutigem Ver-
ständnis in der Regel nur dann in zweckentsprechender Weise möglich, wenn
wichtige Passagen eines Textes markiert und mit Anmerkungen versehen und
die entsprechenden Textauszüge zum weitergehenden Studium aus der Biblio-
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thek mitgenommen werden können. Ein sinnvolles Arbeiten mit auf Terminals
wiedergegebenen oder zugänglich gemachten Texten zu Zwecken der For-
schung und privater Studien setzt daher die Möglichkeit zum Ausdrucken und
Bearbeiten der Texte voraus.
Die Nutzer solcher Terminals können auch nicht darauf verwiesen wer-
den, bei Bedarf das Druckwerk aus dem Bibliotheksbestand zu holen und die
benötigten Seiten mit dem Fotokopiergerät zu vervielfältigen. Die Erwägung der
Klägerin, Nutzer würden möglicherweise vom Kauf des Buches absehen, wenn
sie es nicht mühsam Seite für Seite kopieren müssten, sondern es sich per
Knopfdruck bequem und schnell ausdrucken lassen könnten, rechtfertigt eine
solche Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit nicht. Sie liefe dem Ziel der Re-
gelung zuwider, eine zweckentsprechende Nutzung der auf den Terminals wie-
dergegebenen oder zugänglich gemachten Texte zu ermöglichen.
Für das Abspeichern von Werken auf einem USB-Stick gelten diese
Überlegungen nicht in gleicher Weise. Für ein wissenschaftliches Arbeiten mit
Texten ist nach heutigem Verständnis zwar der Ausdruck, nicht aber das Ab-
speichern wichtiger Textpassagen unerlässlich.
cc) Die Einführung der in Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie
2001/29/EG vorgesehenen Ausnahme hängt nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie
2001/29/EG davon ab, dass diese Ausnahme nur in bestimmten Sonderfällen
angewandt wird, die normale Verwertung des Werks nicht beeinträchtigt und die
berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt.
Nach Ansicht des Senats sind diese drei Voraussetzungen zwar dann er-
füllt, wenn eine nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG vorgese-
hene Ausnahme eine Wiedergabe oder Zugänglichmachung von Werken zu-
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lässt, die deren Ausdruck auf Papier ermöglicht, nicht aber dann, wenn sie eine
Wiedergabe oder Zugänglichmachung von Werken gestattet, die deren Abspei-
chern auf einem USB-Stick ermöglicht (ebenso Jani, K&R 2009, 512, 516;
ders., GRUR-Prax 2010, 27; Steinbeck, NJW 2010, 2852, 2854 f.; aA Kianfar,
GRUR 2012, 691, 694 [Ausdrucken und Abspeichern zulässig]; zu § 52b UrhG
vgl. Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52b Rn. 13; Heckmann, CR 2009, 536, 539 f.
[Ausdrucken und Abspeichern zulässig]; Jani in Wandtke/Bullinger aaO § 52b
Rn. 26; Heinz, jurisPR-ITR 14/2009 Anm. 4; Weller, jurisPR-ITR 3/2010, Anm. 2
[Ausdrucken zulässig, Abspeichern unzulässig]; Loewenheim in Schricker/Loe-
wenheim aaO § 52b UrhG Rn. 11; Schöwerling, ZUM 2009, 665, 666 f. [Aus-
drucken und Abspeichern unzulässig]).
Die Möglichkeit zum Ausdrucken von Teilen eines Buches oder eines
ganzen Buches am Terminal mag dazu führen, dass einzelne Nutzer vom Kauf
des Buches absehen. Dadurch wird die normale Verwertung des Werkes je-
doch grundsätzlich nicht beeinträchtigt, weil eine solche Substituierung bereits
Folge des Umstands ist, dass das betreffende Werk in der Bibliothek als ge-
drucktes Buch zugänglich ist und dort fotomechanisch vervielfältigt werden
kann. Es mag zwar einfacher sein, ein Werk oder Teile davon am Terminal
auszudrucken als am Fotokopiergerät zu vervielfältigen. Das führt jedoch nicht
zu einer ungebührlichen Verletzung der Interessen des Rechtsinhabers. Inso-
fern ist zu berücksichtigen, dass ein wissenschaftliches Arbeiten mit Texten
nach heutigem Verständnis die Möglichkeit zum Ausdrucken voraussetzt und
der Rechtsinhaber für solche Vervielfältigungen einen gerechten Ausgleich er-
hält (Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG).
Die Möglichkeit zum Abspeichern eines Buches auf einem Datenträger,
etwa einem USB-Stick, würde dagegen die normale Verwertung des Werkes
erheblich beeinträchtigen. Nutzer, die sich eine elektronische Ausführung des
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Buches auf ihren USB-Stick heruntergeladen haben, könnten von einem sol-
chen digitalen Vervielfältigungsstück des Werkes ohne Schwierigkeiten und
Qualitätsverlust weitere digitale oder analoge Vervielfältigungsstücke herstellen.
Es bestünde zudem die Gefahr, dass sie digitale Kopien des Werkes - ohne
hierzu berechtigt zu sein - an beliebig viele Interessenten per E-Mail weiterleiten
oder im Internet zugänglich machen. Die Möglichkeit zur Speicherung eines
Werkes auf Datenträgern griffe daher wesentlich intensiver in die Rechte des
Urhebers ein als die Möglichkeit, das Werk auf Papier auszudrucken. Die be-
rechtigten Interessen des Rechtsinhabers würden dadurch ungebührlich ver-
letzt. Die Möglichkeit zum Abspeichern ist keine unerlässliche Voraussetzung
für ein wissenschaftliches Arbeiten mit einem Text. Zudem bestünde die erheb-
liche Gefahr, dass es zu unberechtigten Nutzungshandlungen kommt, für die
der Rechtsinhaber keinen gerechten Ausgleich erhält.
Bornkamm
Pokrant
Schaffert
Koch
Löffler
Vorinstanz:
LG Frankfurt a.M., Entscheidung vom 16.03.2011 - 2-6 O 378/10 -