Urteil des BGH vom 18.05.2009

BGH (rechtliches gehör, vollmacht, abschluss des vertrages, ausfertigung, zpo, abschluss, unterzeichnung, höhe, treuhandvertrag, rückzahlung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XI ZR 175/09
vom
16. März 2010
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Wiechers und die Richter Dr. Müller, Dr. Ellenberger, Maihold und Dr. Matthias
am 16. März 2010
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil
des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
vom 18. Mai 2009 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses
vom 26. Juni 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an einen anderen
Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Streitwert: 59.650,14 €
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um Bereicherungs- und Feststellungsansprüche aus
einem von der beklagten Bank gekündigten Darlehensvertrag.
1
Der Kläger beabsichtigte im Jahre 1991, zum Zwecke der Steuererspar-
nis ein Studentenappartement zu erwerben. Hierzu schloss er am
30. Dezember 1991 mit der H. Steuerberatungsgesell-
2
- 3 -
schaft mbH (im Folgenden: Treuhänderin) einen notariellen Treuhandvertrag,
der eine umfassende Bevollmächtigung der Treuhänderin mit allen für den Er-
werb der Immobilie und die Finanzierung erforderlichen Rechtshandlungen ent-
hielt. Auf Grundlage dieser Vollmacht bot die Treuhänderin der Rechtsvorgän-
gerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) am 17. Januar 1992 den Ab-
schluss eines Vertrages über ein Zwischenfinanzierungsdarlehen in Höhe von
138.602 DM an. Die Vertragsurkunde trägt unter der Annahmeerklärung der
Beklagten den Stempelaufdruck "gem. Treuhandauftrag und Vollmacht Nr. …
vom 30.12.91 beurkundet von Notar Dr. W. in M. " sowie den Da-
tumsstempel vom 5. Februar 1992. Mit Begleitschreiben vom 7. Februar 1992
übersandte die Treuhänderin der Beklagten eine notarielle Ausfertigung des
Treuhandvertrages nebst Vollmacht. Die Beklagte übermittelte dem Kläger den
Zwischenfinanzierungsvertrag mit einem Anschreiben, das ebenfalls auf den
5. Februar 1992 datiert ist, per Einschreiben mit Rückschein. Das Einschreiben
wurde am 5. März 1992 bei der Post eingeliefert und dem Kläger am 7. März
1992 zugestellt. Mit Vertrag vom 31. März 1992 erwarb der Kläger, auch hierbei
vertreten durch die Treuhänderin, das Studentenappartement nebst Stellplatz
zum Preis von 88.941 DM. Der Zwischenfinanzierungskredit, der zur Erfüllung
der Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag verwendet wurde, wurde am 29. Sep-
tember/3. November 1992 durch ein Endfinanzierungsdarlehen der Beklagten in
gleicher Höhe abgelöst, bei dessen Vereinbarung der Kläger wiederum von der
Treuhänderin vertreten wurde. Nachdem der Kläger mit den Darlehensraten in
Verzug geraten war, kündigte die Beklagte am 21. Februar 2003 fristlos.
Der Kläger hat von der Beklagten Rückzahlung eines Disagios in Höhe
von 7.086,60 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass er aus beiden
Darlehensverträgen zu keinem Zeitpunkt wirksam verpflichtet gewesen sei.
Weiterhin hat er begehrt festzustellen, dass ihm die Beklagte alle Schäden zu
3
- 4 -
ersetzen habe, die aus der Inanspruchnahme beider Darlehen entstanden seien
und noch entstünden.
4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr
überwiegend stattgegeben, die Revision nicht zugelassen und seine Entschei-
dung im Wesentlichen wie folgt begründet:
5
Der Kläger könne die Rückzahlung des Disagios beanspruchen, da die
Beklagte durch dessen Bezahlung ungerechtfertigt bereichert sei und der Klä-
ger zumindest wirksam gegen die Ansprüche aus dem Endfinanzierungsvertrag
aufgerechnet habe. Bei Unterzeichnung des Zwischenfinanzierungsvertrages
am 5. Februar 1992 habe der Beklagten weder eine Ausfertigung der Treu-
handvollmacht noch diese selbst vorgelegen, weshalb sie sich nicht auf einen
Rechtsschein im Sinne von §§ 171 f. BGB berufen könne. Die Beklagte habe
den Kläger erst im Merkblatt zum Annahmeschreiben vom 5. Februar 1992 auf-
gefordert, die notarielle Annahmeerklärung und die Vollmacht einzureichen. Die
Treuhandvollmacht sei der Beklagten erst mit Begleitschreiben vom 7. Februar
1992 übersandt worden und könne ihr deshalb nicht bereits am 5. Februar 1992
vorgelegen haben. Es sei unerheblich, ob der Beklagten bei Unterzeichnung
des Endfinanzierungsvertrages eine Ausfertigung der Treuhandvollmacht vor-
gelegen habe. Entscheidend sei vielmehr, dass die Treuhänderin unter Ausnut-
zung der Vollmacht ein Treuhandkonto eingerichtet habe, auf das bereits die
Valuta aus dem Zwischenfinanzierungskredit von der Beklagten überwiesen
worden sei. Die Treuhänderin habe hierüber auch allein verfügt. Der Kläger ha-
be folglich das Zwischenfinanzierungsdarlehen nicht empfangen und schulde
deshalb auch dessen Rückzahlung nicht. Die von dem Kläger erklärte Aufrech-
nung mit den zur Ablösung des Zwischenfinanzierungsdarlehens aufgewende-
ten Leistungen, für die kein Rechtsgrund bestanden habe, sei gerechtfertigt und
habe die Zins- und Rückzahlungsansprüche der Beklagten aus dem Endfinan-
- 5 -
zierungsvertrag nach Maßgabe von § 389 BGB zum Erlöschen gebracht. Dem
Kläger stünden demgegenüber Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung
gegen die Beklagte zu. Der Zahlungsanspruch des Klägers sei jedoch nur teil-
weise begründet, denn die Beklagte habe aus dem Endfinanzierungsvertrag nur
ein Disagio in Höhe von 2.079 DM erhalten. Im Hinblick auf die Bereicherungs-
ansprüche des Klägers könne dahingestellt bleiben, ob ihm auch Schadenser-
satzansprüche zustünden. Sein Feststellungsbegehren sei zulässig und be-
gründet, da die Wirksamkeit beider Kredite für das Bestehen gegenseitiger For-
derungen auch derzeit noch von Bedeutung sei. Das weitere Feststellungsbe-
gehren des Klägers hingegen sei unzulässig, soweit es Schäden für die Ver-
gangenheit betreffe, denn diese müssten im Wege der Leistungsklage verfolgt
werden. Die Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten sei deshalb
auf den Fall einer unberechtigten Inanspruchnahme aus den Darlehen in der
Zukunft zu beschränken.
II.
Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den An-
spruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt
(vgl. Senat, BGHZ 159, 135, 139 f. und Beschluss vom 18. Januar 2005 - XI ZR
340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochte-
ne Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
6
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die
der Treuhänderin erteilte notarielle Vollmacht wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 1
RBerG aF gemäß § 134 BGB unwirksam ist.
7
- 6 -
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bedurfte
zu der hier maßgeblichen Zeit der Erteilung der Vollmacht durch den notariellen
Treuhandvertrag derjenige, der ausschließlich oder hauptsächlich die rechtliche
Abwicklung eines Immobilienerwerbs im Rahmen eines Steuersparmodells für
den Erwerber besorgte, der Erlaubnis nach Art. 1 § 1 RBerG aF. Ein ohne diese
Erlaubnis abgeschlossener umfassender Treuhandvertrag und eine Vollmacht
zum Abschluss aller mit dem Erwerb und der Finanzierung zusammenhängen-
den Verträge und Rechtshandlungen waren gemäß § 134 BGB nichtig (st.Rspr.,
vgl. Senat, BGHZ 167, 223, Tz. 12 sowie Urteile vom 26. Februar 2008 - XI ZR
74/06, WM 2008, 683, Tz. 26 und vom 28. April 2009 - XI ZR 227/08, WM 2009,
1271, Tz. 15, jeweils m.w.N.).
8
Der vorliegende Treuhandvertrag und die darin enthaltene Vollmacht ha-
ben, wie auch die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Zweifel zieht, einen sol-
chen umfassenden Charakter mit mannigfaltigen rechtlichen Beratungsleistun-
gen. Da die Treuhänderin keine Erlaubnis zur Rechtsberatung besaß, konnte
sie den Kläger somit bei Abschluss beider Darlehensverträge nicht wirksam
vertreten.
9
2. Das Berufungsgericht verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf
rechtliches Gehör, soweit es annimmt, die Beklagte könne sich in Bezug auf
den Abschluss des Vertrages über das Zwischenfinanzierungsdarlehen nicht
gemäß §§ 171 f. BGB auf den Rechtsschein einer Vollmacht berufen.
10
a) Artikel 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, Ausführungen der Pro-
zessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot
des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass gerichtli-
che Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, die ihren Grund in un-
terlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der
11
- 7 -
Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit
den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblichen
Vorbringens und der Beweisanträge. Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen
Schutz dagegen, dass ein Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des
formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt.
Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Vortrages bzw.
Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im
Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfGE 50, 32, 36; 60, 250, 252; 65,
305, 307; 69, 141, 144).
b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Die Be-
klagte hat bereits in ihrer Klageerwiderung vom 17. Oktober 2007 vorgetragen,
dass die Urkunde des Zwischenfinanzierungsvertrages am 5. Februar 1992 le-
diglich zur Unterzeichnung vorbereitet, von ihren Mitarbeitern jedoch erst im
März 1992 unterschrieben und dem Kläger per Einschreiben mit Rückschein
übersandt worden sei, nachdem ihr auf die Anforderung vom 5. Februar 1992
hin von der Treuhänderin die notarielle Ausfertigung der Vollmachtsurkunde
übermittelt worden sei. Ihr habe bei Unterzeichnung des Darlehensvertrages die
Ausfertigung der Vollmachtsurkunde der Treuhänderin vorgelegen, was durch
die Aufbringung des Stempels auf dem Darlehensvertrag "gem. Treuhandauf-
trag und Vollmacht Nr. … vom 30.12.91 beurkundet von Notar Dr. W. in
M. " dokumentiert worden sei. Für diesen Vortrag hat die Beklagte Beweis
durch Vernehmung ihres Mitarbeiters B. S. als Zeugen angetreten.
In ihrer Berufungserwiderung vom 1. September 2008 hat sie dieses Vorbringen
unter Antritt desselben Zeugenbeweises wiederholt.
12
c) Darüber hinaus muss der Kläger im Rahmen des geltend gemachten
Bereicherungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB die tatsächlichen
Voraussetzungen des Fehlens der Vertretungsmacht des Treuhänders und da-
13
- 8 -
mit auch das Fehlen einer Rechtsscheinsvollmacht im Sinne der §§ 171 f. BGB
darlegen und beweisen (Senatsurteile vom 23. September 2008 - XI ZR 262/07,
WM 2008, 2155, Tz. 21, XI ZR 253/07, WM 2008, 2158, Tz. 36 und vom
28. April 2009 - XI ZR 227/08, WM 2009, 1271, Tz. 16, jeweils m.w.N.). Die
Beklagte war dagegen aufgrund der ihr obliegenden sekundären Darlegungs-
last (vgl. dazu Lindner, jurisPR-BGHZivilR 24/2008, Anm. 1; P. Schmidt,
EWiR 2009, 103, 104) lediglich gehalten, konkret zu den Umständen einer Ur-
kundenvorlage vorzutragen, da der Kläger substantiiert in Abrede gestellt hat,
dass der Beklagten bei Abschluss des Zwischendarlehensvertrages eine Aus-
fertigung der die Treuhänderin als seine Vertreterin legitimierenden Vollmachts-
urkunde vom 30. Dezember 1991 vorlag (Senatsurteil vom 28. April 2009
- XI ZR 227/08, WM 2009, 1271, Tz. 16). Dieser Verpflichtung ist die Beklagte
mit ihrem oben genannten Vortrag nachgekommen. Ihr substantiiertes Vorbrin-
gen enthält entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht nur die
allgemeine Aussage, ohne Vorliegen der Ausfertigung einer notariellen Voll-
macht seien Kreditverträge bei der Beklagten nie unterzeichnet worden, wes-
halb diesem Vortrag nur entnommen werden könne, der Beklagten habe vor
Annahme eines Darlehensvertragsangebotes eine Vollmacht nur im Regelfall
vorgelegen.
d) Die Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens durch das Berufungs-
gericht verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entschei-
dungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verlet-
zung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen
werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergange-
nen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250;
62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Dies ist hier schon deswegen der Fall, weil alle
weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts auf der Unwirksamkeit des Ver-
trages über das Zwischenfinanzierungsdarlehen aufbauen. Die Gehörsverlet-
14
- 9 -
zung führt nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil
die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revi-
sionsgerichts erfordert (BGHZ 154, 288, 296 f.), und rechtfertigt gemäß § 544
Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverwei-
sung der Sache. Dabei hat der Senat gemäß der Bitte der Nichtzulassungsbe-
schwerde von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch ge-
macht.
Wiechers
Müller
Ellenberger
Maihold Matthias
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 22.02.2008 - 2/31 O 184/07 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 18.05.2009 - 23 U 111/08 -