Urteil des BGH vom 27.03.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 679/11
vom
27. März 2013
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1835 Abs. 3, 1836 c, 1908 i Abs. 1 Satz 1, 2211, 2216; FamFG § 168;
SGB XII § 90
Die durch ein Behindertentestament auf den Betroffenen übertragene (Vor-)Erb-
schaft führt auch bei gleichzeitiger Anordnung der Testamentsvollstreckung
nicht zwingend zur Mittellosigkeit des Betroffenen. Vielmehr ist durch Ausle-
gung der an den Testamentsvollstrecker adressierten Verwaltungsanordnungen
zu ermitteln, ob der Erblasser auch Vergütungsansprüche des Betreuers aus-
schließen wollte.
BGH, Beschluss vom 27. März 2013 - XII ZB 679/11 - LG Köln
AG Köln
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. März 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Dr. Vézina und die Richter
Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Botur
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Köln vom 5. Dezember 2011 wird zurückgewie-
sen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten werden der Be-
troffenen auferlegt.
Beschwerdewert: 8.216
Gründe:
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die zu ihren Lasten erfolgte Festset-
zung eines Aufwendungsersatzanspruches.
Für die Betroffene, die am Down-Syndrom leidet, ist eine Betreuung ein-
gerichtet. Betreuerin war zunächst ihre Mutter (im Folgenden: Erblasserin); die-
se verstarb im Mai 2004. Im September 2003 übernahm eine Schwester der
Betroffenen, die Beteiligte zu 1, die Betreuung.
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Mit Testament vom 25. Mai 2000 setzte die Erblasserin die Betroffene zu
2/10 als nicht befreite Vorerbin ein. Die Schwestern der Betroffenen, die Betei-
ligten zu 1 und 2, wurden mit 5/10 bzw. 3/10 als weitere Erbinnen und zudem
zu gleichen Teilen als Nacherbinnen nach der Betroffenen eingesetzt. Hinsicht-
lich der Betroffenen ordnete die Erblasserin "lebenslange Testamentsvollstre-
ckung" an. Im Testament heißt es hierzu:
"Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat die Aufgabe, den Inge
zugefallenen Nachlass so zu verwalten, dass sie ihr Leben wie
bisher weiterführen kann.
Ich stelle in das Ermessen des Testamentsvollstreckers, aus den
Erträgen und, wenn er dies für erforderlich hält, auch aus der Sub-
stanz des Nachlasses Sachleistungen und Vergünstigungen für
Inge erbringt, die der Testamentsvollstrecker für zweckmäßig und
sinnvoll hält und die geeignet sind, Inge Erleichterungen und Hil-
fen zu verschaffen.
Der Nachlass soll für das persönliche Wohl und die persönlichen
Bedürfnisse entsprechend dem Grad der Behinderung von Inge
verwendet werden."
Im Weiteren wurde im Wege der Teilungsanordnung festgelegt, dass et-
waiger Immobilienbesitz den Beteiligten zu 1 und 2 im Verhältnis 3/5 zu 2/5 zu-
fallen solle; den ihrer Erbquote entsprechenden Nachlassanteil sollte die Be-
troffene ausschließlich in "Geldform" erhalten. Zur Testamentsvollstreckerin
wurde die Beteiligte zu 2 bestimmt.
Der Beteiligte zu 3, der Rechtsanwalt ist, wurde als Ergänzungsbetreuer
zur Vertretung der Betroffenen im Erbauseinandersetzungsverfahren bestellt;
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die Aufgabenbereiche der Beteiligten zu 1 und 2 wurden entsprechend einge-
schränkt.
Im Jahr 2010 wurde die Erbengemeinschaft nach der Erblasserin
auseinandergesetzt; der Betroffenen flossen Geldbeträge von insgesamt
251.145,94
€ aus der Erbmasse zu. Anschließend wurde die Ergänzungsbe-
treuung aufgehoben.
Das Amtsgericht hat die "Vergütung" (richtig: Aufwendungsersatz) für
den Beteiligten zu 3 antragsgemäß auf 8.216,47
€ festgesetzt. Das Landgericht
hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich
die Betroffene mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Zu Recht habe das Amtsgericht die Betreuervergütung des Beteiligten zu 3 ge-
mäß §§ 292, 168 FamFG gegen die Betroffene festgesetzt. Diese sei nicht als
mittellos im Sinne der §§ 1836 c und d BGB anzusehen.
Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
sei ein so genanntes Behindertentestament, in dem die Eltern eines behinder-
ten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor-
und Nacherbschaft sowie einer mit konkreten Verwaltungsanweisung verbun-
denen Dauertestamentsvollstreckung so gestalten würden, dass das Kind zwar
Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhalte, die Sozialhilfeträger aber auf die-
ses nicht zurückgreifen könnten, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern Aus-
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druck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den
Tod der Eltern hinaus. Eine derartige letztwillige Verfügung liege auch hier vor.
Die Auslegung der von der Erblasserin getroffenen Regelungen ergebe
für die Testamentsvollstreckung, dass die Betreuervergütung aus dem Nach-
lass entnommen werden könne. Auszugehen sei dabei von der Überlegung,
dass die rechtliche Bewertung der Zulässigkeit des so genannten Behinderten-
testaments einschließlich der Zulässigkeit des damit verbundenen Pflichtteils-
verzichts letztlich auf der besonderen Situation der Eltern eines behinderten
Kindes und der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über
ihren Tod hinaus beruhe. Allein das lasse die sonst durchaus naheliegende
Bewertung als sittenwidrig wegen der Folge des Entzugs der Zugriffsmöglich-
keit für die Sozialhilfeträger bzw. andere staatliche Stellen zurücktreten. Daraus
folge indes weiter, dass wegen des Ausnahmecharakters der Ausschluss eines
Zugriffs sorgfältig geprüft werden müsse. Maßstab dafür könne nur die konkrete
Ausgestaltung der getroffenen Anordnung für die Testamentsvollstreckung im
Einzelfall sein.
Stelle man auf die getroffenen Anordnungen ab, so ergebe eine Ausle-
gung, dass nach dem Willen der Erblasserin die Betroffene in erster Linie ihr
Leben wie bisher habe weiterführen sollen. Dazu sollten - nach dem Ermessen
des Testamentsvollstreckers - auch Zugriffe auf die Substanz des Nachlass-
vermögens möglich sein. Aus dieser sollten auch - wenn notwendig - Sachleis-
tungen und Vergünstigungen für die Betroffene erbracht werden, die geeignet
sein sollten, der Betroffenen Erleichterung und Hilfe zu verschaffen. Die Bestel-
lung des Beteiligten zu 3 als Ergänzungsbetreuer für die Vertretung der Be-
troffenen im Erbauseinandersetzungsverfahren habe aber gerade das Ziel ge-
habt, der Betroffenen die angemessene Lebensgrundlage nach dem Tode der
Erblasserin zu verschaffen und ihr die Fortsetzung ihres bisherigen Lebens zu
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ermöglichen, indem die testamentarischen Anordnungen im Interesse der Be-
troffenen von dem Beteiligten zu 3 umgesetzt worden seien. Lasse aber die
konkrete Ausgestaltung der Testamentsvollstreckung den Zugriff des Testa-
mentsvollstreckers auf das Nachlassvermögen einschließlich der Substanz zu,
so müsse auch der Zugriff für eine Betreuervergütung gegen die Betroffene
möglich sein. Denn insoweit stehe der Verwertbarkeit des Nachlassvermögens
gerade kein rechtliches Hindernis entgegen; eine solche sei auch wirtschaftlich
vertretbar.
Gegen die Höhe der von dem Beteiligten zu 3 eingeforderten Vergütung
bestünden keine Bedenken; diese werde von der Betroffenen auch nicht ange-
griffen.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde im
Ergebnis stand.
Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die
Voraussetzungen für eine Festsetzung der vom Beteiligten zu 3 geltend ge-
machten Kosten gegen die Betroffene nach §§ 292, 168 FamFG vorliegen, weil
diese nicht mittellos i.S.d. § 1836 c BGB ist. Allerdings handelt es sich begriff-
lich nicht um eine Vergütung i.S.d. § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1836 BGB
und dem Gesetz über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (VBVG),
sondern um Aufwendungsersatz i.S.d. § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1835
Abs. 3 BGB (vgl. zur Begrifflichkeit Palandt/Götz BGB 72. Aufl. § 1835 Rn. 2).
a) Nach § 292 Abs. 1 i.V.m. § 168 Abs. 1 Satz 2 FamFG bestimmt das
Gericht mit der Festsetzung Höhe und Zeitpunkt der Zahlungen, die der Be-
troffene nach § 1836 c BGB zu leisten hat, wenn und soweit er gemäß § 1908 i
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1836 c Nr. 2 BGB sein Vermögen nach Maßgabe des
§ 90 SGB XII einzusetzen hat.
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Die Höhe des Aufwendungsersatzes ergibt sich aus § 1835 Abs. 3 BGB.
Danach kann der Betreuer eine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergü-
tungsgesetz (RVG) beanspruchen, soweit er im Rahmen seiner Bestellung sol-
che Tätigkeiten zu erbringen hat, für die ein Laie in gleicher Lage vernünftiger-
weise einen Rechtsanwalt zuziehen würde (vgl. Senatsbeschlüsse vom
17. November 2010 - XII ZB 244/10 - FamRZ 2011, 203 Rn. 13 mwN und zu-
letzt vom 12. September 2012 - XII ZB 543/11 - FamRZ 2012, 1866 Rn. 9 - je-
weils zum anwaltlichen Verfahrenspfleger).
Der vom Amtsgericht demgemäß auf der Grundlage des RVG festge-
setzte Aufwendungsersatz von 8.216,47
€ ist der Höhe nach weder von der
Rechtsbeschwerde angegriffen noch sonst zu beanstanden.
b) Zu Recht ist das Beschwerdegericht zudem davon ausgegangen, dass
die Betroffene diesen Betrag aus dem ihr im Rahmen der Erbschaft zugeflosse-
nen Vermögen von über 250.000
€ aufbringen kann. Der Einwand der Rechts-
beschwerde, wegen der testamentarischen Verfügung könne hierauf nicht zu-
gegriffen werden, geht fehl.
aa) Allerdings sind nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs zum so genannten Behindertentestament Verfügungen von Todes
wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch
eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer - mit kon-
kreten Verwaltungsanweisungen versehenen - Dauertestamentsvollstreckung
so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält,
der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht
sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für
das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus (BGHZ 188, 96 = FamRZ
2011, 472 Rn. 12 mwN).
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bb) Zu Recht geht die Rechtsbeschwerde auch davon aus, dass die hier
angeordnete Testamentsvollstreckung die Verfügungsbefugnis der Betroffenen
gemäß § 2211 BGB einschränkt; demgemäß können sich die Gläubiger des
Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, nicht an die der Verwal-
tung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten,
§ 2214 BGB.
cc) Allerdings hat die Betroffene als Erbin einen durchsetzbaren An-
spruch darauf, dass der Testamentsvollstrecker die vom Erblasser getroffenen
Verwaltungsanordnungen i.S.d. § 2216 Abs. 2 BGB umsetzt (BGH Urteil vom
7. Juli 1982 - IVa ZR 36/81 - NJW 1983, 40, 41; LG Krefeld Beschluss vom
14. März 2007 - 6 T 345/06 - juris Rn. 9; NK-BGB/Weidlich 3. Aufl. § 2216
Rn. 31). Dieser Anspruch, der sich vorliegend auf die Freigabe der zu entrich-
tenden Betreuervergütung richtet, gehört zum Vermögen der Betroffenen i.S.v.
§ 90 SGB XII.
Die Auslegung des Beschwerdegerichts, wonach die im Testament ge-
troffenen Verwaltungsanweisungen an den Testamentsvollstrecker einer Ent-
nahme des hier im Streit stehenden Aufwendungsersatzes für den Beteiligten
zu 3 nicht entgegenstehen, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
(1) Für die Feststellung des Erblasserwillens gelten die allgemeinen Aus-
legungsregeln der §§ 133, 2084 BGB. Hiernach ist der wirkliche Wille des Erb-
lassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu
haften. Diese Aufgabe der Auslegung obliegt in erster Linie dem Tatrichter. Sei-
ne Auslegung kann mit der Revision bzw. Rechtsbeschwerde nur angegriffen
werden, wenn sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und
Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt (BGH Urteil vom
9. März 2011 - IV ZB 16/10 - FamRZ 2011, 1224 Rn. 9 mwN).
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(2) Hiernach beachtliche Auslegungsfehler lassen sich entgegen der Auf-
fassung der Rechtsbeschwerde nicht feststellen.
Das Beschwerdegericht hat maßgeblich auf den Wunsch der Erblasserin
abgestellt, wonach die Betroffene in erster Linie ihr Leben wie bisher habe wei-
terführen sollen. Dabei ist es von der Prämisse ausgegangen, dass die Bestel-
lung des Beteiligten zu 3 als Ergänzungsbetreuer gerade dem Ziel gedient ha-
be, der Betroffenen eine angemessene Lebensgrundlage nach dem Tode der
Erblasserin zu verschaffen und ihr die Fortsetzung ihres bisherigen Lebens zu
ermöglichen. Wie der Beteiligte zu 3 zutreffend ausführt, war seine Bestellung
wegen der bestehenden Erbauseinandersetzungen die Vorbedingung dafür,
dass die Betroffene überhaupt in den Genuss der diversen Vergünstigungen
kommen konnte. Wenn das Beschwerdegericht den Erblasserwillen in diesem
Kontext dahin auslegt, dass die Vergütung für den Ergänzungsbetreuer aus
dem Nachlass zu bestreiten sein solle, ist diese Auslegung jedenfalls vertretbar
und von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Der Angriff der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe die
Aufzählung der Bedürfnisse der Betroffenen, deren Befriedigung der Nachlass
habe dienen sollen, nicht vollständig berücksichtigt, geht fehl. Zwar hat das Be-
schwerdegericht die von der Rechtsbeschwerde erwähnte Passage aus dem
Testament nicht ausdrücklich im Tatbestand wiedergegeben. Es hat indes auf
das Testament im Übrigen Bezug genommen; zudem verkennt die Rechtsbe-
schwerde, dass es sich bei der von ihr erwähnten Aufzählung lediglich um eine
beispielhafte handelt, wie sich aus dem Wort "insbesondere" ergibt.
dd) Schließlich geht auch der Einwand der Rechtsbeschwerde ins Leere,
wonach einer Freigabe des erforderlichen Betrages das Ermessen des Testa-
mentsvollstreckers entgegenstehe.
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Zwar ist dem Testamentsvollstrecker grundsätzlich ein angemessener
Ermessensspielraum zuzubilligen. Dieser bezieht sich aber in erster Linie auf
seine Verpflichtung, den Nachlass gemäß § 2216 Abs. 1 BGB ordnungsgemäß
zu verwalten (vgl. NK-BGB/Weidlich 3. Aufl. § 2216 Rn. 3). Vorliegend handelt
es sich indes um die Umsetzung von der Erblasserin konkret getroffener Ver-
waltungsanordnungen. Diese stellen für ihn bindende Vorgaben dar, die er zur
Durchführung seiner Aufgaben zu befolgen hat (NK-BGB/Weidlich 3. Aufl.
§ 2216 Rn. 17).
Dose
Vézina
Klinkhammer
Schilling
Botur
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 16.05.2011 - 62 XVII P 168/95 -
LG Köln, Entscheidung vom 05.12.2011 - 1 T 211/11 -
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