Urteil des BGH vom 27.11.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 210/06 Verkündet
am:
27. November 2007
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
StVG § 7 Abs. 1
Allein durch das vorsätzliche Inbrandsetzen eines ordnungsgemäß auf einem Park-
platz abgestellten Kraftfahrzeuges verwirklicht sich nicht dessen Betriebsgefahr im
Sinne des § 7 Abs. 1 StVG bei einem Übergreifen des Brandes auf ein anderes Kraft-
fahrzeug. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Brand oder dessen Übergreifen in
einem ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder
einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht.
BGH, Urteil vom 27. November 2007 - VI ZR 210/06 - OLG Rostock
LG Rostock
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. November 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter
Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Rostock vom 22. September 2006 aufge-
hoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger begehren Schadensersatz wegen eines Fahrzeugbrandes.
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Der Beklagte zu 1 stellte in den Abendstunden des 18. Mai 2003 seinen
bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten PKW auf einem öffentlichen Park-
platz ab. In der Nacht setzte ein Unbekannter den PKW in Brand. Das brennen-
de Fahrzeug rollte dann auf den in der Nähe stehenden, bei der Klägerin zu 1
versicherten LKW der Klägerin zu 2 zu und setzte diesen ebenfalls in Brand.
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Die Klage, mit der die Klägerinnen aus eigenem bzw. übergegangenem
Recht Schadensersatz verlangen, ist vom Landgericht abgewiesen worden. Auf
die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Ur-
teil abgeändert und die Beklagten antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zah-
lung verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen
die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass sich die Schadensersatz-
pflicht der Beklagten aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 Abs. 1 Nr. 1 PflVG ergebe, weil
der LKW der Klägerin zu 2 "bei dem Betrieb" des PKW des Beklagten zu 1 be-
schädigt worden sei. Mit dem Brand des PKW habe sich eine der typischen Ge-
fahren von Kraftfahrzeugen realisiert. Aufgrund der entzündlichen und zum Teil
explosiven Stoffe wie Öl, Benzin oder Diesel sei ein solches Fahrzeug leicht in
Brand zu setzen und entfalte während des Brennvorganges starke Hitzewirkun-
gen. Dies erschwere erfahrungsgemäß nicht nur den Löschvorgang, sondern
gefährde auch die unmittelbare Umgebung in erheblicher Weise. Dabei komme
es nicht darauf an, ob sich das betreffende Fahrzeug - wie hier unstreitig - zu-
dem bewegt habe. Eine solche Beweglichkeit, ob mit oder ohne Motorkraft, stel-
le lediglich eine andere typische Gefahr eines Kraftfahrzeuges dar, die sich
entweder allein - oder wie hier der Fall - im Zusammenwirken mit anderen typi-
schen Gefahren verwirklichen könne. Die Haftung der Beklagten sei auch nicht
nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, weil der Unfall nicht durch höhere Ge-
walt verursacht worden sei. Zwar handele es sich bei dem Brandanschlag auf
den PKW um ein Ereignis, welches nicht mit den allgemeinen Gefahrenquellen
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des Straßenverkehrs zusammenhänge, sondern räumlich von außen in den
Verkehr eingreife. Das Ereignis sei aber nicht so außergewöhnlich, dass der
Halter mit ihm nicht rechnen müsse. Dabei habe sich ein typisches Risiko des
Straßenverkehrs verwirklicht, das sowohl vorhersehbar als auch vermeidbar
sei, indem man sein Fahrzeug nur auf bewachten Parkplätzen, in Tiefgaragen
oder sonstigen geschützten Räumlichkeiten abstelle.
II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprü-
fung nicht stand.
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Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich in
dem Schadensfall allein durch das vorsätzliche Inbrandsetzen des ordnungs-
gemäß auf einem Parkplatz abgestellten PKW nicht dessen Betriebsgefahr im
Sinne des § 7 Abs. 1 StVG verwirklicht.
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1. Das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" ist nach der Rechtsprechung
des BGH entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit
auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den
KFZ-Verkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von
dem KFZ ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in
dieser Weise durch das KFZ mitgeprägt worden ist (vgl. Senatsurteile BGHZ
105, 65, 66; 107, 359, 366; 115, 84, 86; vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 -
VersR 2005, 566, 567 und vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - VersR 2005,
992, 993). Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals "bei dem Betrieb
eines Kraftfahrzeugs" entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG
und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG
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ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines KFZ
- erlaubterweise - eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Ein Schaden ist demge-
mäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeuges entstanden, wenn
sich von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (vgl.
Senatsurteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - aaO).
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Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungs-
norm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden (vgl. Senatsurteile
BGHZ 71, 212, 214; 115, 84, 86; vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 - und
vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - jeweils aaO). An einem auch im Rahmen
der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es,
wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Ge-
fahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (vgl.
Senatsurteile BGHZ 79, 259, 263; 107, 359, 367; 115, 84, 87 und vom 26. April
2005 - VI ZR 168/04 - aaO).
Für eine Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich
darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzu-
sammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten
Betriebseinrichtung des KFZ steht (vgl. Senat BGHZ 37, 311, 317 f.; 58, 162,
165; und vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - aaO m.w.N.). Erforderlich ist, dass
die Fahrweise oder der Betrieb des Fahrzeuges zu dem Entstehen des Unfalls
beigetragen hat (vgl. Senatsurteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - aaO
m.w.N).
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2. Nach diesen Grundsätzen kann das angefochtene Urteil keinen Be-
stand haben.
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Nach dem - vom Berufungsgericht offen gelassenen und deshalb revisi-
onsrechtlich zu unterstellenden - Vorbringen der Beklagten ist der Motor des
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PKW durch den Brand nicht in Gang gesetzt worden. Hiernach hat allein die
aufgrund der starken Hitzeentwicklung freigesetzte Energie den PKW etwa 1
Meter bis 1,50 Meter vorrollen lassen, was für das Überspringen des Feuers auf
den LKW ohnehin keine Bedeutung hatte.
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Bei einem solchen Hergang stand der Brandschaden an dem LKW der
Klägerin zu 2 weder in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammen-
hang mit einem bestimmten Betriebsvorgang noch einer bestimmten Be-
triebseinrichtung des KFZ, sondern beruhte ausschließlich darauf, dass ein un-
bekannter Dritter den auf dem Parkplatz abgestellten PKW des Beklagten zu 1
vorsätzlich in Brand gesetzt hatte. In diesem Fall fehlt es an dem im Rahmen
der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang, weil die
Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist,
für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (vgl. OVG Müns-
ter NZV 1995, 125, OLG Karlsruhe VRS 83, 34; OLG Saarbrücken NZV 1998,
327; Grüneberg NZV 2001, 109, 112; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht,
39. Aufl., § 7 Rn. 10, Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19.
Aufl., § 7 StVG Rn. 13). Allein der Umstand, dass Kraftfahrzeuge wegen der
mitgeführten Betriebsstoffe oder der verwendeten Materialien leicht brennen,
reicht nicht aus, um eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG zu begründen. Hinzu-
kommen muss vielmehr, dass der Brand als solcher in irgendeinem ursächli-
chen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer be-
stimmten Betriebseinrichtung des KFZ steht (z. B. In-Brand-geraten durch Betä-
tigen von Fahrzeugeinrichtungen: OLG Saarbrücken VRS 99, 104 oder Selbst-
entzündung infolge vorausgegangener Fahrt: OVG Koblenz NVwZ-RR 2001,
382). Dies gilt auch dann, wenn der Brand eines Kraftfahrzeuges zu einem
Kurzschluss in einem Kabel zum Anlasser führt, der dadurch in Gang gesetzte
Anlasser das Kraftfahrzeug fortbewegt und dadurch das Feuer auf andere Ge-
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genstände übergreift (OLG Saarbrücken NZV 1998, 327; OLG Düsseldorf NZV
1996, 113).
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3. Da die Klägerinnen einen solchen Sachverhalt - im Gegensatz zu dem
für das Revisionsverfahren als richtig zu unterstellenden Vortrag der Beklag-
ten - unter Beweisantritt behauptet haben, wird das Berufungsgericht nach Auf-
hebung seines Urteils und Zurückverweisung der Sache im Rahmen der neuen
Verhandlung die erforderlichen Feststellungen zum Schadenshergang nachzu-
holen haben. Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es sich nicht
um einen Fall höherer Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG handelt, bestehen
im Übrigen nach dem derzeitigen Sachstand keine rechtlichen Bedenken.
Müller Wellner Diederichsen
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Rostock, Entscheidung vom 01.04.2005 - 3 O 324/04 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 22.09.2006 - 8 U 49/05 -