Urteil des BGH vom 06.06.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 360/12
Verkündet am:
6. Juni 2013
B o t t
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BJagdG § 35; HJagdG § 36 Abs. 5 Satz 4, § 37 Abs. 1
a) Die zweiwöchige Frist des § 37 Abs. 1 des Hessischen Jagdgesetzes zur Erhe-
bung einer Klage gegen einen Vorbescheid, durch den der ersatzfähige Wildscha-
den festgestellt worden ist, läuft unabhängig davon, ob dem Vorbescheid eine
(ordnungsgemäße) Rechtsmittelbelehrung (§ 36 Abs. 5 Satz 4 HJagdG) beigefügt
war.
b) Die Bestimmung des § 58 Abs. 1 VwGO, wonach eine Rechtsmittelfrist ohne kor-
rekte Rechtsbehelfsbelehrung nicht zu laufen beginnt, ist weder unmittelbar noch
analog beziehungsweise ihrem Rechtsgedanken nach anwendbar; im Falle unver-
schuldeter Fristversäumnis ist vielmehr Wiedereinsetzung zu gewähren.
BGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - III ZR 360/12 - LG Gießen
AG Gießen
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. Juni 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick sowie die Richter
Dr. Herrmann, Hucke, Seiters und Tombrink
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des
Landgerichts Gießen vom 19. September 2012 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger begehrt von den Beklagten Ersatz eines Wildschadens.
Der Kläger ist Eigentümer eines landwirtschaftlich genutzten Grund-
stücks in der Gemarkung L. . Die Beklagten sind Jagdpächter eines Teils
des Jagdbezirks, in dem sich das Grundstück befindet. Sie haben sich gegen-
über der Jagdgenossenschaft vertraglich zum Ausgleich von Wildschäden ver-
pflichtet.
Am 20. August 2010 stellte der Kläger einen Wildschaden an dem mit
Silomais bepflanzten Grundstück fest. Er meldete diesen Schaden beim Magist-
rat der Stadt L. an. Mit Vorbescheid vom 9. November 2010, dem Kläger
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zugestellt am 11. November 2010, setzte der Magistrat den Wildschaden auf
535,62
€ fest. Die beigefügte Rechtsmittelbelehrung lautete: "Gegen diesen
Vorbescheid können die Beteiligten binnen einer Frist von zwei Wochen nach
Zustellung Klage beim Amtsgericht G. , G. straße 1, G.
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle er-
heben".
Der Kläger verlangt auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Privat-
gutachtens Zahlung weiterer 1.004,78
€ nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kos-
ten. Seine Klage ging am 23. November 2010 per Telefax beim Amtsgericht
G. ein. Mit Schriftsatz vom 5. April 2011 bat der Prozessbevollmächtigte
des Klägers unter Hinweis darauf, dass er bisher keine Nachricht über den Ein-
gang oder die Zustellung der Klageschrift erhalten habe, um Mitteilung des
Sachstands. Die Geschäftsstelle des Amtsgerichts teilte daraufhin telefonisch
mit, dass am 26. November 2010 eine Kostenrechnung versandt worden sei
und veranlasste noch unter dem 5. April 2011 die Übermittlung einer Kopie der-
selben. Am 16. Juni 2011 wurde der Kostenvorschuss eingezahlt. Die Klage
wurde den Beklagten am 27. August 2011 zugestellt.
Das Amtsgericht hat die Klage wegen Versäumung der Zwei-Wochen-
Frist des § 37 Abs. 1 des Hessischen Jagdgesetzes als unzulässig abgewiesen.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Gegen das Urteil des
Landgerichts richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des
Klägers.
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Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen
Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hält in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht die
Klage für unzulässig. Die zweiwöchige Frist zur Erhebung der Klage gegen den
Vorbescheid vom 9. November 2010 sei durch den Eingang der Klage bei Ge-
richt am 23. November 2010 nicht gewahrt worden. Nach § 167 ZPO wirke der
Eingang der Klage nur dann fristwahrend, wenn die Zustellung demnächst er-
folge. Daran fehle es hier. Auf die Frage, ob die Rechtsmittelbelehrung im Vor-
bescheid mangels Angabe auch der nach §§ 12, 13 ZPO zuständigen Amtsge-
richte am Wohnsitz der Beklagten unvollständig und deshalb fehlerhaft gewe-
sen sei, komme es nicht an. Denn der Fristbeginn nach § 37 Abs. 1 des Hessi-
schen Jagdgesetzes (HJagdG) sei nicht davon abhängig, dass eine korrekte
Rechtsmittelbelehrung erteilt worden sei. Zwar schreibe § 36 Abs. 5 Satz 4
HJagdG vor, dass der Vorbescheid mit einer Rechtsmittelbelehrung zu verse-
hen sei. Anders als etwa § 58 Abs. 1 VwGO bestimme das HJagdG aber nicht,
dass die Frist nicht zu laufen beginne, wenn die Belehrung unterblieben oder
fehlerhaft sei. Der Rechtsordnung sei auch nicht der allgemeine Grundsatz zu
entnehmen, dass das Fehlen der erforderlichen Belehrung den Lauf einer
Rechtsmittelfrist nicht in Gang setzen könne. Eine analoge Anwendung des
§ 58 Abs. 1 VwGO komme nicht in Betracht. Zumindest wäre eine solche Ana-
logie nur mit der Einschränkung vorzunehmen, dass ein Fehler der Rechtsmit-
telbelehrung lediglich dann den Fristbeginn hinausschiebe, wenn sich dieser im
konkreten Fall ausgewirkt habe. Im Zivilverfahren müsse stets ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis vorliegen.
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Hieran fehle es; die Zustellungsverzögerung sei allein auf die nicht rechtzeitige
Einzahlung des Vorschusses durch den Kläger zurückzuführen.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
1.
Nach § 35 Satz 1 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) können die Länder
in Wild- und Jagdschadenssachen das Beschreiten des ordentlichen Rechts-
weges davon abhängig machen, dass zuvor ein Feststellungsverfahren vor ei-
ner Verwaltungsbehörde (Vorverfahren) stattfindet, in dem über den Anspruch
eine vollstreckbare Verpflichtungserklärung (Anerkenntnis, Vergleich) aufzu-
nehmen oder eine nach Eintritt der Rechtskraft vollstreckbare Entscheidung
(Vorbescheid) zu erlassen ist. Die Länder treffen die näheren Bestimmungen
hierüber (§ 35 Satz 2 BJagdG).
Das Land Hessen hat - wie nahezu alle Bundesländer - von dieser Er-
mächtigung Gebrauch gemacht. § 36 HJagdG regelt die Einzelheiten des Vor-
verfahrens. Kommt es dabei nicht zu einer gütlichen Einigung zwischen dem
Geschädigten und dem Ersatzpflichtigen, ist durch den Gemeindevorstand der
ersatzfähige Schaden aufgrund einer Begutachtung durch einen zum Schätzen
von Wildschäden bestellten Sachverständigen in einem Vorbescheid festzuset-
zen. Der Vorbescheid ist nach § 36 Abs. 5 Satz 4 HJagdG zu begründen, mit
einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und den Beteiligten zuzustellen. § 37
Abs. 1 HJagdG bestimmt, dass gegen den Vorbescheid die Beteiligten binnen
einer Frist von zwei Wochen seit Zustellung Klage erheben können, wobei die
Klage nach Absatz 2 Nr. 1 von den Ersatzberechtigten gegen die Ersatzver-
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pflichteten auf Zahlung des verlangten Mehrbetrages oder nach Absatz 2 Nr. 2
von den Ersatzverpflichteten gegen den Ersatzberechtigten auf Aufhebung des
Vorbescheides und anderweitige Entscheidung über den Anspruch zu richten
ist.
2.
Nach Maßgabe dieser Regelungen hat das Landgericht zu Recht die
Klage als unzulässig angesehen.
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Frist des § 37 Abs. 1
HJagdG durch die Zustellung des Vorbescheids am 11. Oktober 2010 in Lauf
gesetzt, obwohl die dem Bescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrung unvoll-
ständig war.
aa) Nach § 36 Abs. 5 Satz 4 HJagdG muss dem Vorbescheid eine
Rechtsmittelbelehrung beigefügt werden. Die hier in Rede stehende Rechts-
mittelbelehrung war zwar insoweit zutreffend, als das Amtsgericht G. sach-
lich (§ 23 Nr. 2 Buchst. d GVG) und örtlich zuständig gewesen ist. Die örtliche
Zuständigkeit folgt jedenfalls aus § 26 ZPO, wonach im dinglichen Gerichts-
stand des § 24 ZPO auch Klagen wegen Beschädigung eines Grundstücks er-
hoben werden können; hierzu zählen die Wildschadenssachen (vgl. nur Baum-
bach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO,
71. Aufl.,
§ 26
Rn. 6;
Hk-
ZPO/Bendtsen, 5. Aufl., § 26 Rn. 3; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 26
Rn. 8; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 26 Rn. 3). Ob auch der Gerichts-
stand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) für Wildschadenssachen einschlä-
gig ist (vgl. dazu etwa OLG Karlsruhe, JE IX Nr. 141), kann insoweit dahinste-
hen. Die Rechtsmittelbelehrung war jedoch nicht vollständig. Kommen für eine
Klage verschiedene Gerichte in Betracht, wie hier neben dem Amtsgericht G.
auch jeweils das Wohnsitzgericht der Beklagten nach §§ 12, 13 ZPO, muss
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die Rechtsmittelbelehrung sämtliche zuständigen Gerichte aufführen (vgl. nur
BVerwG NVwZ 1993, 359; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 58 Rn. 10; je-
weils zu § 58 Abs. 1 VwGO; OLG Stuttgart StraFo 2007, 114; OLG Hamburg,
GA 1962, 218; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 55. Aufl., § 35a Rn. 10; Lö-
we/Rosenberg/Graalmann-Scheerer, StPO/GVG, 26. Aufl., § 35a StPO Rn. 23;
jeweils zu § 35a StPO).
bb) Der Umstand, dass die Rechtsmittelbelehrung unvollständig und da-
mit fehlerhaft gewesen ist, hat jedoch nicht dazu geführt, dass die Klagefrist des
§ 37 Abs. 1 HJagdG durch die Zustellung des Vorbescheids nicht in Lauf ge-
setzt wurde. Insbesondere ist die Bestimmung des § 58 Abs. 1 VwGO, wonach
eine Rechtsmittelfrist ohne korrekte Rechtsbehelfsbelehrung nicht zu laufen
beginnt, weder unmittelbar noch analog beziehungsweise ihrem Rechtsgedan-
ken nach anwendbar.
Soweit vereinzelt in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und im
Schrifttum - zumeist ohne nähere Begründung - darauf eingegangen wird, ob im
Falle einer nach Landesrecht vorgeschriebenen, aber fehlenden oder fehlerhaf-
ten Rechtsmittelbelehrung eine landesrechtlich bestimmte Klagefrist gegen den
Vorbescheid zu laufen beginnt, wird diese Frage überwiegend verneint (vgl.
Kopp/Tausch/Boettcher, Das Jagdrecht in Hessen, § 37 HJagdG Rn. 7;
Meixner, Das Jagdrecht in Hessen, § 36 HJagdG Rn. 9; zur vergleichbaren
Rechtslage in Nordrhein-Westfalen: AG Brakel JE IX Nr. 34; AG Siegburg JE IX
Nr. 188;
Müller-Schallenberg/Knemeyer,
Jagdrecht
Nordrhein-Westfalen,
6. Aufl., Rn. 503 unter Hinweis auf LG Köln, Urteil vom 30. Juni 2004 - 9 S
46/04, n.v. in Fn. 362; zur Rechtslage in Rheinland-Pfalz: AG St.Goar, JE IX
Nr. 31; allgemein zur Rechtslage in den Ländern, die eine Rechtsmittelbeleh-
rung vorschreiben: Schuck, BJagdG, § 35 Rn. 41). Der Senat hält diese Auffas-
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sung jedoch für unzutreffend (so auch Weber/Gaida, Wild- und Jagdschaden,
Handbuch für das jagdrechtliche Vorverfahren im Lande Hessen, Rn. 77; zur
Rechtslage in Brandenburg: OLG Brandenburg JE XI Nr. 135 und wohl auch
Lippe, Jagdrecht in Brandenburg, 2. Aufl., § 47 LJagdG Rn. 1).
(1) Das Hessische Jagdgesetz enthält keine ausdrückliche Regelung der
Frage, ob der Beginn der Klagefrist von der Erteilung einer ordnungsgemäßen
Rechtsmittelbelehrung abhängig ist. Allerdings spricht der Wortlaut des Geset-
zes eher gegen eine solche Annahme. Denn § 37 Abs. 1 HJagdG knüpft den
Beginn der Klagefrist an die Zustellung des Vorbescheids, ohne - anders als
etwa § 58 Abs. 1 VwGO - den Fristbeginn davon abhängig zu machen, dass
dem Vorbescheid die in § 36 Abs. 5 Satz 4 HJagdG vorgesehene Rechtsmittel-
belehrung beigefügt ist.
Die Notwendigkeit zur Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung ist durch
das Gesetz zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Bundes-
jagdgesetz vom 21. März 1962 (GVBl. I S. 167) in den damaligen § 30 Abs. 5
- der § 36 der geltenden Fassung entspricht - eingefügt worden. Die ursprüngli-
che Fassung des § 30 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Bundesjagd-
gesetz vom 24. März 1953 (GVBl. S. 27) enthielt noch keine diesbezügliche
Bestimmung. Der Begründung des Änderungsgesetzes (LT-Drucks. IV/1377
S. 4065, 4070) ist nichts dafür zu entnehmen, dass die Rechtsmittelbelehrung
Einfluss auf den Beginn der Klagefrist haben sollte. Wenn dies der Wille des
Gesetzgebers gewesen wäre, hätte jedoch eine diesbezügliche Klarstellung
nahe gelegen, zumal zum damaligen Zeitpunkt § 58 Abs. 1 VwGO bereits exis-
tierte, wonach die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf
nur zu laufen beginnt, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwal-
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tungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist,
den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist.
Gegen eine Abhängigkeit des Fristbeginns von der Erteilung einer ord-
nungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung spricht im Übrigen, wie das Berufungs-
gericht zutreffend ausgeführt hat, auch der Umstand, dass die hessischen Re-
gelungen zum Vorverfahren darauf angelegt sind, Wildschäden schnell festzu-
stellen und die Verfahren zügig abzuschließen.
(2) § 58 VwGO findet nicht etwa deshalb Anwendung, weil § 79 HVwVfG
bestimmt, dass für förmliche Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte die Verwal-
tungsgerichtsordnung gilt. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Vorbe-
scheid um einen Verwaltungsakt handelt beziehungsweise der für den Erlass
des Vorbescheids zuständige Gemeindevorstand überhaupt öffentlich-
rechtliche Verwaltungstätigkeit im Sinne des § 1 HVwVfG ausübt (in diesem
Sinne VG Greifswald, Beschluss vom 26. April 2012, juris Rn. 18; Weber/Gaida
aaO Rn. 4 ff; Metzger in Lorz/Metzger/Stöckel, Jagdrecht, Fischereirecht,
4. Aufl., § 35 BJagdG Rn. 4; Thies, Wild- und Jagdschaden, 9. Aufl., S. 77) oder
ob es sich bei dem Vorbescheid um einen "rechtsprechungsähnlichen Akt"
handelt (so VG Freiburg, JE IX Nr. 195; Schuck aaO § 35 Rn. 36; vgl. auch
BGH, Urteil vom 21. April 1959 - 1 StR 504/58, BGHSt 13, 102, 111). Denn § 79
HVwVfG bezieht sich, wie auch § 80 HVwVfG deutlich macht, auf Wider-
spruchsverfahren, dagegen nicht - genauso wenig wie die inhaltsgleiche bun-
desrechtliche Bestimmung des § 79 VwVfG (siehe dazu Gesetzentwurf der
Bundesregierung, BT-Drucks.VI/1173 S. 74; Hk-VerwR/Kastner, 2. Aufl., § 79
Rn. 3; Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 79 Rn. 24; Schiller
in Bauer/Heckmann/Ruge/Schallbruch, VwVfG, § 79 Rn. 6), die der hessische
Gesetzgeber (auch hinsichtlich der Begründung der Bundesregierung zum Ent-
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wurf des Verwaltungsverfahrensgesetzes) übernommen hat (vgl. LT-Drucks.
8/3094, S. 45; siehe auch S. 41, 42, 47) - auf gerichtliche Verfahren. Die Vor-
schrift ist demnach nicht in den Fällen anwendbar, in denen ein Verwaltungsakt
nicht in einem gesonderten behördlichen Verfahren überprüft, sondern unmit-
telbar gegen den Verwaltungsakt geklagt wird.
(3) § 58 Abs. 1 VwGO entspricht auch nicht einem allgemeinen pro-
zessualen Grundsatz, dass beim Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung oder bei
einer fehlerhaften oder unvollständigen Rechtsmittelbelehrung Klage- oder
Rechtsmittelfristen nicht zu laufen beginnen. So ist etwa im Bereich des Straf-
prozessrechts eine unterbliebene oder fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung nur für
die Frage der Wiedereinsetzung von Bedeutung (§ 35a, § 44 Satz 2 StPO).
Gleiches gilt im Bereich des Zivilverfahrensrechts nach § 17 Abs. 2 FamFG in
Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (siehe
hierzu auch BT-Drucks. 16/6308, S. 183). Auch soweit in der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs in Ausnahmefällen eine Rechtsmittelbelehrung ohne
einfach-gesetzliche Vorgaben von Verfassungs wegen als geboten angesehen
worden ist, hinderte deren Fehlen nicht den Beginn des Laufs der Rechtsmittel-
frist; vielmehr war der Rechtsuchende auf den Weg der Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand verwiesen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 2. Mai 2002
- V ZB 36/01, BGHZ 150, 390, 397 ff; vom 28. Februar 2008 - V ZB 107/07,
NJW-RR 2008, 1084 Rn. 8 und vom 26. März 2009 - V ZB 174/08, BGHZ 180,
199 Rn. 11, 21 f). Im Übrigen liegt auch dem Gesetz zur Einführung einer
Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften
vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2418), durch das mit Wirkung ab 1. Januar
2014 eine allgemeine Rechtsbehelfsbelehrungspflicht in die Zivilprozessord-
nung eingeführt wird, in Anlehnung an § 17 FamFG die "Wiedereinsetzungslö-
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sung" zugrunde (§ 233 Satz 2 ZPO n.F.; siehe dazu Begründung zum Gesetz-
entwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/10490, S. 23).
(4) Eine analoge Anwendung von § 58 Abs. 1 VwGO auf die Klagefrist
des § 37 Abs. 1 HJagdG scheidet aus.
(a) Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine
solche Analogie in Ausnahmefällen angenommen worden.
So hat der Kartellsenat (Beschluss vom 29. April 2008 - KVR 30/07,
BGHZ 176, 256 Rn. 17) für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Regu-
lierungsbehörde nach §§ 75 ff EnWG eine entsprechende Anwendung des § 58
VwGO befürwortet. Bei dem Beschwerdeverfahren nach §§ 75 ff EnWG handelt
es sich aber um ein besonders ausgestaltetes Rechtsschutzverfahren, in dem
die Zivilgerichte wie Verwaltungsgerichte tätig werden und insoweit "funktionale
Verwaltungsgerichtsbarkeit" ausüben (vgl. nur Salje, EnWG, § 75 Rn. 1; Britz/
Hellermann/Hermes, EnWG, Vorb. § 75 Rn. 1 ff, 4).
Ähnlich stellt sich in die Rechtslage in den sogenannten Baulandsachen
nach §§ 215 ff BauGB dar, für die der Senat eine analoge Anwendung des § 58
VwGO jedenfalls für den Fall befürwortet hat, dass der Betroffene durch die Be-
lehrung auf einen falschen gerichtlichen Weg verwiesen worden ist (Urteil vom
10. Dezember 1998 - III ZR 2/98, BGHZ 140, 208, 211 ff). Denn auch bei den
Baulandsachen handelt es sich um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, die der
ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind (vgl. nur BVerfGE 4, 387, 398 f;
Battis in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl., Vorb. §§ 217-232, Rn. 1 ff).
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(b) Eine vergleichbare Situation liegt bei den hier streitgegenständlichen
Wildschäden nicht vor. Insoweit handelt es sich um eine originär zivilrechtliche
Materie, die vormals in § 835 BGB und nunmehr im Bundesjagdgesetz geregelt
ist. Es geht um bürgerlich-rechtliche Ansprüche zwischen dem Geschädigten
und dem Ersatzverpflichteten, für die nach §§ 13, 23 GVG die Amtsgerichte
zuständig sind. Allein der Umstand, dass aufgrund der Ermächtigung in § 35
BJagdG die Länder ein Vorverfahren einführen können, bedeutet nicht, dass es
sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Dies wird auch daran
deutlich, dass das Verfahren bei Klageerhebung wie ein normaler Zivilprozess
durchgeführt wird. Auch ist die Gemeinde, die den Vorbescheid erlassen hat,
nicht Beklagter; vielmehr wird der Rechtsstreit zwischen den beteiligten Privat-
personen ausgetragen. Es geht im Kern letztlich nicht - wie in § 58 VwGO (vgl.
dazu Meissner in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, [Stand 4/2006] § 58 Rn. 2
mwN) - um Rechtsschutz gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt. Auch vor
diesem Hintergrund scheidet eine analoge Anwendung des § 58 VwGO aus.
Vielmehr ist der Rechtsstreit über Ersatzansprüche aus einem Wildschaden als
Verfahren ausschließlich zivilprozessualer Natur zu behandeln mit der Folge,
dass die dort bei fehlender oder fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung geltenden
Grundsätze Anwendung finden. Insoweit hängt der Eintritt der Bestandskraft
eines Vorbescheids nicht von der Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung und
deren Fehlerfreiheit ab, vielmehr ist im Falle unverschuldeter Fristversäumung
Wiedereinsetzung zu gewähren. Diese Lösung dient dem Interesse der Partei-
en an einem möglichst raschen rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, ohne
dass die Partei, die eine Belehrung nicht oder unzutreffend erhalten hat, die
Erhebung der Klage unzumutbar erschwert wird.
b) Der hessische Landesgesetzgeber war entgegen der Auffassung des
Klägers auch befugt, eine Frist für die Klage gegen den Vorbescheid zu be-
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stimmen. Insoweit fehlt es nicht an einer ausreichenden Ermächtigungsgrund-
lage. Die den Ländern in § 35 BJagdG eingeräumte Befugnis, das Beschreiten
des ordentlichen Rechtsweges von der vorherigen Durchführung eines Feststel-
lungsverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde abhängig zu machen und hierzu
die näheren Bestimmungen zu treffen, umfasst auch die Einführung einer Kla-
gefrist (so auch Leonhardt, Jagdrecht, § 35 BJagdG Erl. 1, Art. 47a BayJG
Erl. 1, 9.2; Schuck, aaO § 35 Rn. 1, erachtet dies ohne nähere Begründung als
fraglich; auf die durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom
28. August 2006, BGBl. I S. 2034, erfolgte Änderung des Art. 72 GG - nach
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GG n.F. können die Länder von bundesgesetzlichen Vor-
schriften abweichende Regelungen u. a. über das Jagdwesen treffen - kommt
es in diesem Zusammenhang nicht an).
Bereits in § 72 des Preußischen Jagdgesetzes vom 18. Januar 1934
(GS S. 13) wie auch in § 50 des Reichsjagdgesetzes vom 3. Juli 1934 (RGBl. I
549) i.V.m. § 50 Abs. 10 der Verordnung zur Ausführung des Reichsjagdgeset-
zes vom 27. März 1935 (RGBl. I 431) war für die Klage gegen den Vorbescheid
eine Notfrist von zwei Wochen seit Zustellung bestimmt. Dass der Bundesge-
setzgeber, soweit er in § 35 BJagdG das Vorverfahren in die Regelungskompe-
tenz der Länder gelegt hat, ihnen dabei die Möglichkeit, an diese hergebrachten
Regelungen anzuknüpfen, vorenthalten wollte, ist nicht ersichtlich. Die Geset-
zesbegründung (BT-Drucks. I/1813, S. 20) enthält dafür keinen Anhaltspunkt.
Auch verfolgt das Vorverfahren nicht nur den Zweck, die Zivilgerichte zu
entlasten, sondern auch das Ziel einer schnellen Schadensfeststellung und Ti-
tulierung etwaiger Ansprüche (vgl. Leonhardt, aaO § 35 BJagdG Erl. 1; Metzger
in Lorz/Metzger/Stöckel, aaO § 35 BJagdG Rn. 2; Schuck aaO Rn. 1, 24; Stau-
dinger/Belling, BGB, Neubearb. 2012, § 835 Rn. 43, siehe auch AG Brakel aaO;
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LG Marburg JE IX Nr. 136). Da Wildschäden erfahrungsgemäß nach längerer
Zeit kaum noch zuverlässig festgestellt beziehungsweise überprüft werden kön-
nen - ein Gesichtspunkt, dem das Bundesjagdgesetz auch an anderer Stelle in
der Fristenregelung des § 34 Rechnung trägt (vgl. hierzu Senatsurteile vom
15. April 2010 - III ZR 216/09, NJW-RR 2010, 1398 Rn. 10 und vom 5. Mai
2011 - III ZR 91/10, NJW-RR 2011, 1106 Rn. 16) -, stünde die Annahme, bei
fehlender Einigung der Beteiligten und Abschluss des Vorverfahrens durch ei-
nen Vorbescheid könne dieser zeitlich unbegrenzt angefochten und damit die
Feststellungen zum Wildschaden zur Überprüfung - mit der Notwendigkeit einer
komplizierten und aufgrund des Zeitablaufs unsicheren Beweisaufnahme - ge-
stellt werden, in Widerspruch zu den gesetzgeberischen Zielen. Auch der As-
pekt der Rechtssicherheit (Bestandskraft der im Vorverfahren ergangenen Ent-
scheidung) spricht dafür, dass die Befugnis der Länder, das Vorverfahren näher
zu regeln, ihnen auch erlaubt zu bestimmen, unter welchen zeitlichen Voraus-
setzungen gegen den Rechtsakt, der das Vorverfahren beendet, das zivilge-
richtliche Nachverfahren stattfindet. Anderenfalls könnte auch die in § 35
BJagdG angesprochene Rechtskraft des Bescheides nicht eintreten.
c) Demnach wurde durch die Zustellung des Vorbescheids die Klagefrist
in Lauf gesetzt. Da im Zivilprozess - anders als im Verwaltungsprozess (§ 81
Abs. 1 VwGO) - eine Klage erst mit deren Zustellung an den Beklagten als "er-
hoben" gilt (§ 253 Abs. 1 ZPO), und hier die Zustellung auch nicht "demnächst"
(§ 167 ZPO) erfolgt ist, war die Klage verfristet. Die vom Kläger befürwortete
analoge Anwendung des § 81 VwGO kommt nicht in Betracht; es besteht keine
Regelungslücke, vielmehr gilt für die vom Kläger erhobene Klage auf weiteren
Schadensersatz die für zivilrechtliche Verfahren vorgesehene Regelung in
§ 253 Abs. 1 ZPO. Hierauf musste - entgegen der Auffassung der Revision -
auch nicht in der Rechtsmittelbelehrung hingewiesen werden.
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d) Eine - im Übrigen auch gar nicht beantragte - Wiedereinsetzung in die
versäumte Frist nach § 233 ZPO kommt nicht in Betracht, da Wiedereinset-
zungsgründe nicht ersichtlich sind.
Schlick
Herrmann
Hucke
Seiters
Tombrink
Vorinstanzen:
AG Gießen, Entscheidung vom 17.04.2012 - 38 C 129/10 -
LG Gießen, Entscheidung vom 19.09.2012 - 1 S 130/12 -
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