Urteil des BGH vom 14.04.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
NotZ 119/07
vom
14. April 2008
in dem Verfahren
wegen Bestellung zum Notar
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BNotO § 6 Abs. 3
a) Zur Besetzung von Stellen für Anwaltsnotare in Berlin nach Abschnitt III
Nr. 12 der Allgemeinen Verfügung über Angelegenheiten der Notare in der
Fassung vom 30. November 2004 (ABl. S. 4714) in Verbindung mit den
Maßgaben der Ausschreibung im Amtsblatt von Berlin vom 8. April 2005
(S. 1242).
b) Es liegt innerhalb des Beurteilungsspielraums der Berliner Justizverwal-
tung, wenn sie bei der Vergabe von Punkten für Beurkundungserfahrun-
gen mit steigender Urkundenzahl den Wert der einzelnen Urkunde verrin-
gert (Maßgabe 2 d Satz 1).
c) Es liegt innerhalb des Beurteilungsspielraums der Berliner Justizverwal-
tung, wenn sie bei der Vergabe von Sonderpunkten für Erfahrungen aus
einer Tätigkeit als Notarverwalter oder -vertreter (Maßgabe 2 f aa) danach
differenziert, ob es sich bei dem verwalteten beziehungsweise vertretenen
Notariat um ein unterdurchschnittlich, mittel oder überdurchschnittlich be-
lastetes handelte.
d) Es liegt innerhalb des Beurteilungsspielraums der Berliner Justizverwal-
tung, wenn sie die Vergabe von Sonderpunkten für "notarnahe" Tätigkeit
(Maßgabe 2 f cc) davon abhängig macht, dass diese mindestens 30 v.H.
der anwaltlichen Berufsausübung beansprucht.
BGH, Beschluss vom 14. April 2008 - NotZ 119/07 - Kammergericht
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat am 14. April 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Schlick, die Richterin Dr. Kessal-Wulf, den Richter
Dr. Herrmann, die Notarin Dr. Doyé und den Notar Dr. Ebner
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss
des Senats für Notarsachen des Kammergerichts in Berlin vom
7. August 2007 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfah-
rens zu tragen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Geschäftswert: 50.000 €
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin schrieb im Amtsblatt für Berlin vom 8. April 2005
(ABl. S. 1242) 40 Notarstellen zur Besetzung aus, davon 37 für Bewerber mit
Zweiter juristischer Staatsprüfung nach dem Deutschen Richtergesetz und drei
Notarstellen für Bewerber mit juristischem Diplomabschluss nach der Prüfungs-
ordnung der DDR. Die Bewerbungsfrist lief am 31. Mai 2005 ab. Das Auswahl-
verfahren richtete sich gemäß Abschnitt III Nr. 12 der Allgemeinen Verfügung
über Angelegenheiten der Notare (AVNot) in der Fassung vom 30. November
2004 (ABl. S. 4714) nach den in der Ausschreibung vorgegebenen Maßgaben.
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Nach Nummer 2 dieser Maßgaben werden die fachliche Eignung sowie
die Dauer der anwaltlichen Berufstätigkeit nach einem Punktesystem berück-
sichtigt. Gemäß Buchstabe a ist die in der die juristische Ausbildung abschlie-
ßenden Staatsprüfung erzielte Punktzahl mit dem Faktor fünf zu multiplizieren
(= maximal 90 Punkte). Gemäß Buchstabe b ist die Dauer der hauptberuflichen
Tätigkeit als Rechtsanwalt mit 0,25 Punkten je Monat, insgesamt mit maximal
30 Punkten zu bewerten. Die erfolgreiche Teilnahme an notarspezifischen Fort-
bildungskursen ist nach Buchstabe c mit 0,5 Punkten für jeden Halbtag, höchs-
tens mit 60 Punkten zu berücksichtigen. Gemäß Buchstabe d sind für nach § 8
DONot in die Urkundenrolle einzutragende Urkundsgeschäfte - außer Nieder-
schriften nach § 38 BeurkG und Vermerke nach § 39 BeurkG einschließlich Be-
glaubigungen (mit und ohne Entwurf) -, die im Rahmen einer Notarvertretung
oder Notariatsverwaltung vorgenommen wurden, nach einem bestimmten
Schlüssel insgesamt maximal 60 Punkte gutzuschreiben. Buchstabe e regelt die
Übertragung von Punkten aus den in Buchstaben c und d bestimmten Berei-
chen auf den jeweils anderen, sofern in einem die Maximalpunktzahl überschrit-
ten ist. Schließlich bestimmt Buchstabe f, dass im Rahmen der Gesamtent-
scheidung weitere Punkte für im Einzelfall vorhandene besondere notarspezifi-
sche Qualifikationen angerechnet werden können. In der Regel kommt dies in
Betracht für Erfahrungen als Notar, Notarvertreter oder Notarverwalter (Doppel-
buchstabe aa, bis zu 20 Punkte), für Erfahrungen aus einer Tätigkeit in der Ge-
schäftsführung notarieller Berufsorganisationen oder bei dem Deutschen Notar-
institut (Doppelbuchstabe bb, bis zu 10 Punkte) und für "sonstige Tätigkeiten,
Leistungen und Kenntnisse, die in besonderer Weise für das Notaramt qualifi-
zieren" (Doppelbuchstabe cc, bis zu 15 Punkte).
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Der Antragsteller bewarb sich auf eine der ausgeschriebenen Stellen. Er
hatte im Juni 1995 die Zweite juristische Staatsprüfung mit der Gesamtnote "be-
friedigend" (6,56 Punkte) abgelegt. Seit August 1995 ist er als Rechtsanwalt
tätig.
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Mit Bescheid vom 9. März 2007 teilte die Antragsgegnerin dem Antrag-
steller mit, sie beabsichtige die Notarstellen anderen Bewerbern zu übertragen.
In der Rangliste für die 37 an Kandidaten mit dem Zweiten juristischen Staats-
examen zu vergebenden Stellen nehme er den 42. Platz ein. Die auf den Rang-
stellen eins bis 37 geführten Bewerber hätten Punktzahlen von 206,65
(1. Rang) bis 141,80 (37. Rang) erreicht. Die fachliche Eignung des Antragstel-
lers sei mit 136,36 Punkten zu bewerten. Weiterhin fehle es an dem erforderli-
chen ausgewogenen Verhältnis zwischen den fachspezifischen Leistungen, da
59,00 Punkten aus Beurkundungstätigkeit nur 6,00 Fortbildungspunkte gegen-
über stünden. Ob dies eine Abweichung von dem punktemäßigen Ergebnis
rechtfertige, könne offen bleiben, da der sich rechnerisch ergebende Rangplatz
des Antragstellers ohnehin für die Vergabe einer Notarstelle nicht ausreiche.
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Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller gerichtliche Entscheidung
beantragt. Er hat geltend gemacht, die Antragsgegnerin hätte mit Sonderpunk-
ten honorieren müssen, dass er seit fast zehn Jahren ununterbrochen in einem
der größten Anwaltsnotariate Berlins als Rechtsanwalt beschäftigt und regel-
mäßig zu etwa 15 bis 20 v.H. seiner Tätigkeit auch mit dem Entwurf von Urkun-
den und der Abwicklung von Urkundsgeschäften befasst sei. Er ist in diesem
Zusammenhang der Ansicht der Antragsgegnerin entgegen getreten, eine be-
rücksichtigungsfähige "notarnahe" Anwaltstätigkeit liege erst vor, wenn diese
mindestens 30 v.H. ausmache. Überdies sei er mit einer größeren Anzahl von
Notarhaftungssachen befasst gewesen. Weiterhin hat er die Erwägungen der
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Antragsgegnerin zu dem Ungleichgewicht zwischen den für Fortbildung und für
Beurkundungstätigkeiten vergebenen Punkten beanstandet.
Das Kammergericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu-
rückgewiesen. Es hat die Auffassung der Antragsgegnerin, eine notarnahe An-
waltstätigkeit sei nur dann mit Sonderpunkten zu honorieren, wenn sie mindes-
tens 30 v.H. ausmache, als vom Beurteilungsspielraum der Justizverwaltung
gedeckt angesehen. Die Notarhaftungssachen seien nicht zu berücksichtigen,
weil der Antragsteller auf sie erst nach Ablauf der Bewerbungsfrist hingewiesen
habe (§ 6b Abs. 4 BNotO).
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Mit seiner sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begeh-
ren - Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übertragung einer Notarstelle, hilfs-
weise zur Neubescheidung - weiter. Er wiederholt und vertieft seine Rügen. Zu-
dem beanstandet er die Praxis der Antragsgegnerin bei der Vergabe von Punk-
ten für beurkundete Niederschriften (Maßgabe 2 d) und von Sonderpunkten für
Notarvertretungen und Notariatsverwaltungen (Maßgabe 2
f
aa). Die An-
tragsgegnerin tritt den Ausführungen der Beschwerde entgegen und macht gel-
tend, dem Antragsteller könne schon wegen des unausgewogenen Verhältnis-
ses zwischen theoretischer Fortbildung und praktischer Beurkundungserfahrung
keine Notarstelle übertragen werden.
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II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Die von der
Antragsgegnerin getroffene Auswahl erweist sich unter Berücksichtigung ihrer
eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Gerichte (vgl. z.B.: Senatsbeschlüs-
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se BGHZ 124, 327, 330 f und vom 14. März 2005 - NotZ 27/04 - NJW-RR 2006,
55, 56) im Ergebnis als rechtmäßig.
1.
Unbegründet ist die Beanstandung des Antragstellers, die Antragsgegne-
rin habe in der Maßgabe 2 d die berücksichtigungsfähigen Urkundsgeschäfte
fehlerhaft gewichtet, weil sie die ersten 100 mit je 0,4 Punkten bewerte, wäh-
rend für die folgenden weiteren 300 Geschäfte nur noch 0,05 Punkte angerech-
net würden.
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a) Der Antragsteller verkennt zunächst, dass die ersten 100 Urkundsge-
schäfte nicht stets mit 0,4 Punkten bewertet werden, sondern nur, sofern der
Kandidat sie innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Ablauf der Bewerbungs-
frist entworfen und protokolliert oder protokolliert und Vollzugshandlungen vor-
genommen hat. Im Übrigen zählt jede Urkunde nur 0,2 Punkte (Maßgabe
2 d aa). Für die weiteren 300 Urkundsgeschäfte werden jeweils 0,05 Punkte
und für die folgenden Geschäfte noch weniger Punkte gutgeschrieben (Maß-
gabe 2 d bb bis ee).
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b) Diese Abstufungen halten sich innerhalb des der Antragsgegnerin zu-
stehenden Beurteilungsspielraums.
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aa) Die Differenzierung innerhalb des Kontingents der ersten 100 Ur-
kundsgeschäfte nach dem Zeitraum, der zwischen ihrer Vornahme und dem
Ablauf der Bewerbungsfrist liegt, sowie nach dem Umfang der Tätigkeit ist
sachgerecht. Zeitnah vor dem Besetzungsverfahren getätigte Urkundsgeschäfte
und solche, die der Bewerber in mehreren Verfahrensstadien betreut hat, berei-
ten bei der notwendigen generalisierenden Betrachtungsweise besser auf das
Notaramt vor als weiter zurückliegende und solche, bei denen der Bewerber nur
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einen Teilvorgang bearbeitet hat. Insoweit erhebt der Antragsteller auch keine
Beanstandungen.
bb) Auch die sich verringernden Punktwerte für die auf die ersten 100
folgenden 300 und die anschließenden Urkundsgeschäfte sind nicht zu bean-
standen. Die Degression ist beruht auf der Erkenntnis, dass der Lern- und Vor-
bereitungseffekt bei der Beurkundung mit der Zahl der Urkundsgeschäfte ab-
nimmt; überdies ist mit steigender Zahl der Geschäfte mit einer Wiederholung
der Art der Beurkundungsvorgänge zu rechnen (Senatsbeschluss vom 26. März
2007 - NotZ 38/06 - NJW-RR 2007, 1130, 1132, Rn. 14). Diesem abnehmenden
"Grenznutzen" zusätzlicher Urkundstätigkeit für die Vorbereitung eines Bewer-
bers auf das Notaramt darf die Antragsgegnerin bei der Punktevergabe Rech-
nung tragen.
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Die vom Antragsteller bemängelte Bewertung des 101. bis 400. Urkunds-
geschäfts mit jeweils 0,05 Punkten liegt ebenfalls innerhalb des Beurteilungs-
spielraums der Antragsgegnerin. Wie der jeweilige Nutzen einer Tätigkeit für die
Vorbereitung auf das Notaramt punktemäßig zu bemessen ist, entzieht sich ei-
ner objektiven Bewertung. Vielmehr gehört dies in den Kernbereich des Beurtei-
lungsermessens der einzelnen Justizverwaltung. Den ihr zustehenden Spiel-
raum hat die Antragsgegnerin, deren Maßgabe 2 d Satz 1 aa bis ee im Übrigen
§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 1 a bis e der niedersächsischen Allgemeinen Ver-
fügung betreffend die Angelegenheiten der Notarinnen und Notare in der Fas-
sung vom 17. Januar 2005 (Nds. Rpfl. S. 52) entspricht, nicht überschritten,
auch wenn die nordrhein-westfälische Justizverwaltung, wie der Antragsteller
hervorhebt, ihr Ermessen anders ausgeübt hat, und die entsprechenden Ur-
kundsgeschäfte mit jeweils 0,1 Punkten bewertet (§ 17 Abs. 2 Nr. 4 AVNot
NRW in der Fassung vom 4. November 2004, JMBl. S. 256).
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2.
Unbegründet ist auch die Rüge des Antragstellers, im Rahmen der Ver-
gabe von Sonderpunkten nach der Maßgabe 2 f aa, bei der die Antragsgegne-
rin die Tätigkeit als Notarvertreter oder Notariatsverwalter in drei Stufen nach
der Größenordnung des Notariats gewichte (unterdurchschnittliches, mittleres,
überdurchschnittliches Notariat), seien die Kategorien falsch gebildet worden.
Zu Unrecht macht er geltend, ein durchschnittliches Notariat habe ein jährliches
Urkundsaufkommen von 300 bis 600, während die Antragsgegnerin dies schon
bei einem Aufkommen von 150 bis 300 Urkunden jährlich annehme.
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Auch die Einteilung der Notariate als unterdurchschnittlich, mittel und
überdurchschnittlich belastet liegt im Beurteilungsermessen der jeweiligen Lan-
desjustizverwaltung. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin ihren Be-
urteilungsspielraum überschritten hat. Insbesondere kann entgegen der Auffas-
sung des Antragstellers aus dem Umstand, dass in Nordrhein-Westfalen neue
Notarstellen ab einem Urkundsaufkommen von jährlich 400 eingerichtet wer-
den, nicht geschlossen werden, dies entspreche einer durchschnittlichen Nota-
riatsgröße. Der Rückschluss von den Urkundszahlen, die regelmäßig für die
Einrichtung einer neuen Notarstelle herangezogen werden, auf die Belastung
eines durchschnittlichen Notariats ist schon vom Ansatz her nicht ohne weiteres
möglich. Überdies lassen sich Folgerungen aus der nordrhein-westfälischen
Praxis auf die Berliner Verhältnisse nicht ziehen, weil die jeweiligen Landesjus-
tizverwaltungen ihr Organisationsermessen unterschiedlich ausüben können
(Senatsbeschluss vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05 - DNotZ 2005, 947). Die Berli-
ner Justizverwaltung richtet, wie der Antragsteller selbst einräumt, neue Notar-
stellen bereits ab einem jährlichen Urkundsaufkommen von 325 ein.
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3.
Ebenso unbegründet ist die Rüge des Antragstellers, die von der An-
tragsgegnerin praktizierte Gewichtung der pro Vertretungstag im Rahmen der
Maßgabe 2 f aa zu vergebenden Sonderpunkte sei unangemessen. Insbeson-
dere ist es nicht zu beanstanden, dass ein Bewerber, der eine Vertretung in
einem kleinen Notariat absolviert hat, für 100 Vertretungstage einen Punkt er-
hält, während für die Vertretung in einem großen Notariat mit einem zehn- bis
15-mal höheren Urkundsaufkommen für denselben Zeitraum nur 2,2 Punkte
gutgeschrieben werden.
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Entgegen der Ansicht des Antragstellers sind die Sonderpunkte nach
Maßgabe 2 f aa nicht in direkter Proportionalität zu dem Urkundsaufkommen
des vertretenen beziehungsweise verwalteten Notariats zu vergeben. Maßgabe
2 f aa honoriert nicht die bereits in Maßgabe 2 d berücksichtigte Beurkundungs-
tätigkeit des Bewerbers, sondern die Wahrnehmung der mit der Leitung eines
Notariats verbundenen Führungsverantwortung in organisatorischer, personel-
ler und technischer Hinsicht. Dabei ist es zulässig, nach der Größe des jeweili-
gen Notariats zu gewichten. Für die Feststellung des Umfangs des Notarbe-
triebs kann deshalb zwar auf die Urkundszahlen als Indikator zurückgegriffen
werden. Diese sind ein geeigneter und damit zulässiger Anhaltspunkt für die
Größenordnung eines Notariats. Allerdings steigt die Leitungsverantwortung
nicht gleichmäßig mit dem Urkundsaufkommen. Vielmehr bleibt deren Zuwachs
hinter dem Maß, in dem der Geschäftsanfall steigt, regelmäßig zurück. Dem
trägt die Antragsgegnerin mit ihrer Handhabung der Maßgabe 2 f aa zutreffend
Rechnung.
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4.
Ebenfalls zu Unrecht beanstandet der Antragsteller, die Antragsgegnerin
hätte ihm für die Bearbeitung von Notarhaftungssachen, Notarkostenbeschwer-
den und Verfahren wegen Verweigerung der Amtstätigkeit gemäß § 15 BNotO
Sonderpunkte nach der Maßgabe 2 f cc zubilligen müssen. Die Antragsgegne-
rin durfte diese Tätigkeiten nicht mehr berücksichtigen, weil der Antragsteller
auf sie erst nach Ablauf der Bewerbungsfrist hingewiesen hat (§ 6b Abs. 4
Satz 1 BNotO).
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a) Nach dieser Bestimmung sind bei der Auswahlentscheidung (
tigen, die bei Ablauf der Be-
werbungsfrist bereits vorlagen. Die Justizverwaltung darf die fachliche Eignung
eines Bewerbers um das Amt des Notars nur dann bejahen, wenn diese bis
zum Ablauf der Bewerbungsfrist nachgewiesen ist. Das gilt entgegen der Auf-
fassung des Antragstellers nicht nur für die Erbringung, sondern vor allem auch
für den Nachweis der fachlichen Leistungen. Dieser setzt neben der Vorlage
entsprechender Bescheinigungen voraus, dass der Bewerber der Justizverwal-
tung innerhalb der Bewerbungsfrist mitgeteilt hat, welche bei der Vorbereitung
auf den Notarberuf bereits erbrachten Leistungen zu seinen Gunsten in die
Auswahlentscheidung einbezogen werden sollen. Insoweit dient die Festlegung
des Stichtags der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, aber auch der Gleich-
behandlung aller Bewerber aufgrund einer einheitlichen Bewertungssituation,
die nur gewährleistet ist, wenn zu Beginn des Auswahlverfahrens sämtliche für
jeden Bewerber maßgeblichen Kriterien feststehen (ständige Senatsrechtspre-
chung z.B.: Beschlüsse vom 11. Juli 2005 - NotZ 29/04 - ZNotP 2005, 431, 433
und vom 22. November 2004 - NotZ 16/04 - NJW 2005, 212, 214 jew. m.w.N.).
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b) Bei der Mitteilung der vorerwähnten Tätigkeiten handelt es sich auch
nicht um die bloße nachträgliche Erläuterung eines bereits rechtzeitig einge-
brachten Umstandes, die noch zu berücksichtigen ist (vgl. Senat aaO). Der An-
tragsteller hat bei seiner Bewerbung lediglich zusätzliche Punkte für seine An-
waltstätigkeit in einem der größten Anwaltsnotariate Berlins beantragt und in-
soweit ausgeführt, er sei regelmäßig "auch unabhängig von Bestellungen zum
Notarvertreter mit Fragen des Entwurfs und der Abwicklung von Urkundsge-
schäften aller Art befasst gewesen". Dies ist selbst bei einer großzügigen Aus-
legung keine berufliche Betätigung, unter die auch die Bearbeitung von Notar-
kostenbeschwerden, Beschwerden wegen Verweigerung der Amtstätigkeit und
Notarhaftungssachen zu fassen ist. Vielmehr fallen unter diese Tätigkeitsbe-
schreibung nur die Vorbereitung und der Vollzug der vom Notar beurkundeten
Erklärungen.
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c) Der Antragsteller kann für seine gegenteilige Rechtsauffassung nicht
den Senatsbeschluss vom 22. November 2004 (aaO) in Anspruch nehmen. In
dem dort entschiedenen Sachverhalt hat der Senat zwar der näheren Beschrei-
bung der Anwaltstätigkeit des Bewerbers nicht den Charakter neuer durch § 6b
Abs. 4 BNotO präkludierter Umstände beigemessen, obgleich sie nicht ord-
nungsgemäß in das Bewerbungsverfahren eingeführt worden waren (aaO,
Nr. 5 b aa). Dies beruhte jedoch auf der seinerzeitigen - hier nicht bestehen-
den - besonderen Lage, dass es sich um zusätzliche Erläuterungen handelte,
die erst durch den zum Zeitpunkt des Bewerbungsschlusses noch nicht
ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004
(BVerfGE 110, 304 ff) veranlasst waren (Senat aaO, Nr. 5 b bb).
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5.
Der Antragsteller kann auch keine Sonderpunkte nach der Maßgabe
2 f cc dafür beanspruchen, dass er außerhalb von Notarvertretungen notarielle
Urkunden entworfen oder deren Vollzug vorbereitet hat. Die von ihm mit der
Beschwerdeschrift vom 30. August 2007 insoweit vorgelegte Liste ist nicht mehr
zu berücksichtigen.
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Zwar ist es zweifelhaft, ob der Antragsteller hiermit gemäß § 6b Abs. 4
BNotO präkludiert ist. Die Antragsgegnerin hat nämlich dem Antragsteller nach
Ablauf der Bewerbungsfrist unter Fristsetzung anheim gestellt, eine solche Fall-
liste noch nachzureichen und ist somit davon ausgegangen, es handele sich bei
einer solchen Aufstellung lediglich um die nähere Erläuterung des bereits recht-
zeitig mit der Bewerbung angeführten Umstandes, dass der Antragsteller auch
unabhängig von Bestellungen zum Notarvertreter mit dem Entwurf und der Ab-
wicklung von Urkunden aller Art befasst war. Er hat jedoch der Antragsgegnerin
im Verwaltungsverfahren mehrfach mitgeteilt, eine Fallliste nicht vorlegen zu
wollen (Schriftsätze vom 5. Juni 2006 und vom 25. Oktober 2006), und dies
auch vor dem Kammergericht mit seinen Schriftsätzen vom 4. Juni und 30. Juli
2007) bekräftigt, in denen er zudem hervorgehoben hat, er wende sich "nicht
dagegen, dass ihm für einzelne besonders qualifizierende Urkundsentwürfe
keine Sonderpunkte nach Ziffer 2. lit. f) cc) der Ausschreibung zuerkannt wur-
den". Diese Äußerungen sind als - wenn auch nicht im rechtstechnischen Sin-
ne - Verzicht auf die Zubilligung von Punkten für die Bearbeitung einzelner Ur-
kundsgeschäfte außerhalb einer Notarvertretung aufzufassen. Bei dieser Sach-
lage verhält sich der Antragsteller widersprüchlich und verstößt damit gegen die
auch im Rahmen der Amtsermittlung (§ 64a Abs. 1, 2 BNotO, § 24 VwVfG) gel-
tenden Grundsätze von Treu und Glauben (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl.,
2008, § 24 Rn. 12 d), wenn er nunmehr im Beschwerdeverfahren eine von ihm
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bislang verweigerte Fallliste vorlegt und deren nachträgliche Berücksichtigung
für die Vergabe von Sonderpunkten beansprucht.
6.
Zu Unrecht rügt der Antragsteller schließlich, dass die Antragsgegnerin
die Vergabe von Sonderpunkten für "notarnahe" Anwaltstätigkeiten (Maßgabe
2 f cc) davon abhängig macht, dass diese mindestens 30 v.H. der Berufsaus-
übung ausmachen.
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Ob und in welchem Maß ein Bewerber im Sinne der vorgenannten Maß-
gabe Erfahrungen gesammelt hat, die für das Notaramt in besonderer Weise
qualifizieren, hängt allerdings in erster Linie von dem absoluten Umfang seiner
"notarnahen" Beschäftigung ab. Der Anteil, den diese Tätigkeiten am Gesamt-
umfang der anwaltlichen Geschäfte des Bewerbers ausmachen, allein ist hierfür
kein geeigneter Maßstab, weil die Gesamtauslastung und die Leistungsfähigkeit
der einzelnen Rechtsanwälte höchst unterschiedlich sind. Die Antragsgegnerin
hat für die Anwendung der Maßgabe 2 f cc auf "notarnahe" Tätigkeiten jedoch
als Maßstab ersichtlich einen durchschnittlich ausgelasteten und leistungsfähi-
gen Rechtsanwalt zugrunde gelegt. Damit hat sie der Sache nach mit der For-
derung, dass der Bewerber mit wenigstens 30 v.H. seiner Anwaltstätigkeit "no-
tarnah" gearbeitet hat, eine absolute Untergrenze gesetzt. Diese Grenze ist
nicht zu beanstanden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei der notwendigen
generalisierenden Betrachtungsweise, von Ausnahmen abgesehen, auch eine
Anwaltskanzlei mit einem durchschnittlichen Tätigkeitsprofil regelmäßig in ge-
wissem Umfang Vorgänge zu bearbeiten hat, die nähere Bezüge zu notariellen
Aufgaben aufweisen. Tätigkeiten, Leistungen und Kenntnisse, für die nach
Maßgabe 2 f cc Sonderpunkte vergeben werden können, setzen aber voraus,
dass sie in besonderer Weise für das Notaramt qualifizieren. Eine solche be-
sondere Qualifikation erfordert, dass ein Rechtsanwalt deutlich über das übliche
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Maß hinaus "notarnah" tätig ist. Es hält sich innerhalb des der Antragsgegnerin
zustehenden Beurteilungsspielraums, wenn sie dies - bezogen auf einen durch-
schnittlich belasteten und leistungsfähigen Rechtsanwalt - erst annimmt, wenn
der Bewerber zu 30 v.H. seiner Gesamttätigkeit mit "notarnahen" Aufgaben be-
fasst ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in einem weit über-
durchschnittlichen Maß belastet und leistungsfähig war, so dass die 15 bis
20 v.H. der von ihm bearbeiteten Sachen, die einen engen Bezug zur notariel-
len Tätigkeit aufwiesen, in absoluten Zahlen 30 v.H. eines durchschnittlich ar-
beitenden Rechtsanwalts entsprachen.
7.
Ob die Entscheidung, dem Antragsteller keine der ausgeschriebenen
Notarstellen zu übertragen, auch unabhängig von seiner rechnerisch erreichten
Punktzahl von der Erwägung der Antragsgegnerin getragen wird, er könne nur
sechs Fortbildungspunkte aufweisen und es fehle deshalb an dem notwendigen
ausgewogenen Verhältnis der unterschiedlichen fachspezifischen Leistungen
des Bewerbers zueinander (vgl. z.B.: Senatsbeschlüsse vom 26. März 2007
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- NotZ 39/06 - NJW-RR 2007, 1133, 1134, Rn. 16 und vom 24. Juli 2006 - NotZ
3/06 - NJW-RR 2007, 63, 65, Rn. 16), kann auf sich beruhen.
Schlick
Kessal-Wulf
Herrmann
Doyé
Ebner
Vorinstanz:
KG Berlin, Entscheidung vom 07.08.2007 - Not 10/07 -