Urteil des BGH vom 08.07.2014

BGH: beweisantrag, konkretisierung, gesamtstrafe, form, täterschaft, urlaub, auszahlung, überzeugung, anfang, beweismittel

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 S t R 2 4 0 / 1 4
vom
8. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 8. Juli
2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Hildesheim vom 26. November 2013, soweit es ihn be-
trifft, im Fall II. 4. der Urteilsgründe und im Ausspruch über die
Gesamtstrafe mit den jeweils zugehörigen Feststellungen auf-
gehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-
zung in zwei Fällen, Bestechung und Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision bean-
standet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das
Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge den sich aus der Beschlussformel
ergebenden Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
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1. Der Angeklagte beanstandet zu Recht, die Strafkammer habe einen
Beweisantrag mit fehlerhafter Begründung zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 Satz
2 StPO).
Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Der Angeklagte hat beantragt, den Zeugen T. zum Beweis dafür
zu vernehmen, dieser habe zum Zeitpunkt der Tat II. 4. der Urteilsgründe
(Schlägerei anlässlich des Abiturballs des Gymnasiums Josephinum am
4.12.2013 etwa um 0.15 Uhr in Hildesheim) in einer Discothek in Hildesheim
Gehälter unter anderem an den Angeklagten, der dort als Türsteher tätig war,
ausbezahlt. Der Zeuge werde bestätigen, dass der Angeklagte dort seinen
Dienst ausgeübt und den Arbeitsplatz nicht verlassen habe.
Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen,
diesem mangele es an der Konnexität zwischen der Beweisbehauptung und
dem benannten Beweismittel. Es fehle die Plausibilität für das mögliche Gelin-
gen der Beweiserhebung. Der Angeklagte hat den Antrag sodann um weitere
Angaben zum Ablauf der Auszahlungen der Gehälter ergänzt. Das Landgericht
hat gleichwohl an seiner Auffassung festgehalten. Dies begegnet durchgreifen-
den Bedenken.
a) Ein Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO setzt die konkrete
und bestimmte Behauptung einer Tatsache und die Benennung eines bestimm-
ten Beweismittels voraus, mit dem der Nachweis der Tatsache geführt werden
soll. Bei einem Antrag auf Vernehmung eines Zeugen kommen als Beweisbe-
hauptung nur solche Tatsachen in Betracht, die der benannte Zeuge aus eige-
ner Wahrnehmung bekunden kann. Nach verbreiteter Auffassung in der Recht-
sprechung ist für das Vorliegen eines Beweisantrags weiterhin erforderlich,
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dass der Antragsteller näher darlegt, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu
dem Beweisthema bekunden können soll, wenn aus dem Inhalt des Beweisbe-
gehrens ein verbindender Zusammenhang zwischen der Beweisbehauptung
und dem benannten Zeugen nicht ohne Weiteres erkennbar ist. Diese Ausfüh-
rungen sollen dem Gericht eine sachgerechte Prüfung und Anwendung der Ab-
lehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO, insbesondere der völligen Ungeeig-
netheit sowie der Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen ermöglichen
(vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 4 StR 372/12, BGHR StPO
§ 244 Abs. 6 Beweisantrag 50 mwN). In jüngeren Entscheidungen wird als wei-
teres Kriterium der Konnexität darüber hinaus verlangt, der Antragsteller müsse
bei "fortgeschrittener Beweisaufnahme" zu der in Rede stehenden Beweisthe-
matik unter Einbeziehung der konkreten Wahrnehmungssituation des benann-
ten Zeugen in das bisherige Beweisergebnis die Plausibilität eines möglichen
Gelingens seiner Beweisführung belegen (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008
- 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284, 287 ff.; Beschluss vom 3. November 2010
- 1 StR 497/10, NJW 2011, 1239, 1240 f.).
b) Es kann dahinstehen, ob dieser Rechtsprechung in vollem Umfang zu
folgen und mit dem Kriterium der Konnexität ein eigenständiges konstitutives
Element eines Beweisantrags benannt ist oder im Ergebnis letztlich nur die
notwendige Konkretisierung der Beweistatsache umschrieben wird. Es bedarf
auch keiner Entscheidung, ob die dargelegte neuere Rechtsprechung in der
Sache als Abkehr von dem Grundsatz zu werten ist, dass der Antragsteller
auch das, was er lediglich vermutet, unter Beweis stellen darf, und ob es sich in
das System des § 244 Abs. 3 StPO einfügt, wenn die inhaltlichen Anforderun-
gen an einen Beweisantrag von dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme
abhängig gemacht werden (vgl. etwa schon BGH, Urteil vom 14. August 2008
- 3 StR 181/08, NStZ 2009, 171, 172; vgl. auch BGH, Beschluss vom
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17. November 2009 - 4 StR 375/09, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag
47; Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 4 StR 372/12, aaO.; KK-Krehl, 7. Aufl.,
§ 244 Rn. 82 ff.; LR/Becker, 26. Aufl., § 244 Rn. 114). Jedenfalls nach der er-
gänzenden Konkretisierung des Beweisantrags liegt hier ein nach allen darge-
stellten Auffassungen ausreichender Zusammenhang zwischen der Beweisbe-
hauptung und dem benannten Zeugen vor. Dort hat der Antragsteller unter an-
derem vorgebracht, der Zeuge habe jeweils am Anfang eines Monats die Geh-
älter des Vormonats in bar ausgezahlt. Diese Auszahlung habe der Zeuge am
Tattag in der Form vorgenommen, dass er sich etwa um Mitternacht die Tür-
steher habe kommen lassen und kurze Gespräche mit ihnen geführt habe. Der
Zeuge sei eine Stunde geblieben und habe von seinem Standort aus zwei Tü-
ren im Blick gehabt. Damit ist den in der Rechtsprechung zur Konnexität aufge-
stellten Anforderungen in ausreichender Weise Genüge getan. Es ergab sich
aus dem Vorbringen ohne Weiteres, warum der Zeuge etwas zu der Beweisbe-
hauptung hätte bekunden können. Eine "fortgeschrittene Beweisaufnahme" zur
Täterschaft des Angeklagten im Fall II. 4. der Urteilsgründe lag zum Zeitpunkt
der Antragstellung nicht vor, wie sich schon aus den Urteilsgründen ergibt. Eine
weitere Plausibilisierung des behaupteten Beweisergebnisses oblag dem An-
tragsteller daher auch auf der Grundlage der oben zitierten Rechtsprechung
nicht. Der Strafkammer war es auf der Grundlage der Antragsbegründung mög-
lich, die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zu prüfen. Soweit sie
in ihrem Ablehnungsbeschluss weiter ausgeführt hat, es sei fraglich, warum der
Zeuge nach dem langen Zeitablauf nunmehr verlässlich bekunden können sol-
le, der Angeklagte habe die ganze Zeit an einer der Türen gestanden, hat sie in
der Sache die Beweiswürdigung, die gegebenenfalls nach Erheben des Bewei-
ses anzustellen gewesen wäre, in unzulässiger Weise vorweggenommen.
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2. Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil im Fall II. 4. der Urteils-
gründe. Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer nicht zu der Über-
zeugung gelangt wäre, der Angeklagte sei an der Schlägerei anlässlich des
Abiturballs beteiligt gewesen, wenn es den begehrten Beweis erhoben hätte.
3. Aufgrund der danach erforderlichen Aufhebung des Urteils im Fall
II. 4. der Urteilsgründe kann auch die Gesamtstrafe nicht bestehen bleiben.
Becker Schäfer Mayer
RiBGH Gericke befindet sich Spaniol
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker
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