Urteil des BGH vom 22.10.2012

BGH: rechtsanwaltschaft, rechtspflege, beruf, gefährdung, widerruf, psychiatrie, wiederherstellung, gesundheit, krankheit, gestaltung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
AnwZ (Brfg) 5/12
Verkündet am:
22. Oktober 2012
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
- 2 -
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 22. Oktober 2012 durch den Präsidenten des Bundesgerichts-
hofs Prof. Dr. Tolksdorf, die Richterin Roggenbuck und den Richter Seiters so-
wie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Quaas und Dr. Braeuer
für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 1. Senats des
Brandenburgischen Anwaltsgerichtshofs vom 12. Dezember 2011
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf
50.000
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist nach anderweitiger Zulassung seit 1992 im Bezirk der Be-
klagten als Rechtsanwalt zugelassen. Mit Bescheid vom 13. April 2010 gab ihm
die Beklagte auf, innerhalb von drei Monaten ein Gutachten des Facharztes für
Psychiatrie Dr. med. T. L. in P. zu der Frage vorzulegen, ob
bei ihm eine psychische Erkrankung vorliegt, die dazu führt, dass er nicht nur
vorübergehend zur ordnungsgemäßen Ausübung des Berufs eines Rechtsan-
walts unfähig ist. Der Kläger legte weder ein Rechtsmittel gegen diesen Be-
scheid ein noch legte er das Gutachten vor. Mit Bescheid vom 13. August 2010
1
- 3 -
widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft ge-
mäß § 14 Abs. 2 Nr. 3, § 15 Abs. 3 BRAO. Den Widerspruch des Klägers wies
sie durch Bescheid vom 19. November 2010 zurück. Der Anwaltsgerichtshof hat
seine Klage gegen den Widerruf der Zulassung abgewiesen. Hiergegen richtet
sich die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte hat
die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft zu Recht gemäß § 14 Abs. 2
Nr. 3 BRAO widerrufen.
1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwalt-
schaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen
nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungs-
gemäß auszuüben, es sei denn, dass sein Verbleiben in der Rechtsanwalt-
schaft die Rechtspflege nicht gefährdet.
2. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger vor.
a) Der Kläger war aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorüberge-
hend unfähig, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Da-
von ist auf Grund der Vermutung des § 15 Abs. 3 BRAO auszugehen, nachdem
der Kläger kein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie Dr. med. T.
L. vorgelegt hat, obwohl die Beklagte ihm dies mit bestandskräftig gewor-
denem Bescheid vom 13. April 2010 aufgegeben hatte. Diese Vermutung hat
der Kläger nicht widerlegt.
2
3
4
5
- 4 -
b) Von dem Widerruf der Zulassung des Klägers war auch nicht nach
§ 14 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 BRAO abzusehen. Tatsachen, welche die Annah-
me rechtfertigen könnten, dass das Verbleiben des Klägers in der Rechtsan-
waltschaft die Rechtspflege nicht gefährdet, sind weder ersichtlich noch vom
Kläger substantiiert vorgetragen. Der Kläger hat sich insofern vor dem Senat
- wie schon vor dem Anwaltsgerichtshof - darauf berufen, dass er den Beruf als
Rechtsanwalt seit September 2009 nicht mehr ausübe; er lasse seine Anwalts-
kanzlei durch seinen Sozius führen, der auch die laufenden Mandate betreue.
Damit hat er im Ergebnis keinen Erfolg.
aa) Ist ein Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer
außerstande, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben, indiziert das, auch
im Fall der gesetzlichen Vermutung, eine Gefährdung der Rechtspflege
bei seinem Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft (Senat, Beschlüsse vom
26. Mai 1997 - AnwZ (B) 4/97, BRAK-Mitt. 1997, 200, 201 unter III; vom
2. April 2001 - AnwZ (B) 32/00, NJW-RR 2001, 1426 f.; vom 26. Novem-
ber 2007 - AnwZ (B) 102/05, juris Rn. 19 und vom 13. September 2010
- AnwZ (B) 105/09, juris Rn. 16). Denn ein solcher Rechtsanwalt kann nicht das
leisten, was Rechtsuchende von einem Rechtsanwalt als einem unabhängigen
Organ der Rechtspflege erwarten können.
bb) Dem Kläger ist allerdings einzuräumen, dass eine Gefährdung der
Rechtspflege ausnahmsweise dann ausgeschlossen sein kann, wenn der be-
rufsunfähige Rechtsanwalt seine Praxis durch einen Sozius weiterführen lässt
(Senat, Beschluss vom 26. Mai 1997 - AnwZ (B) 4/97, BRAK-Mitt. 1997, 200,
201; BVerfGE 37, 67, 78; BT-Drucks. 3/778, S. 3, zu § 26 BRAO a.F.; Schmidt-
Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, BRAO, § 14 Rn. 21;
Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 14 Rn. 14; Vossebürger in
6
7
8
- 5 -
Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 14 Rn. 30). Dies könnte der Anwaltsge-
richtshof verkannt haben, indem er zur Begründung der Gefährdung darauf ab-
gestellt hat, dass die Sozietät mit dem Kläger unverändert fortbestehe, so dass
es diesem jederzeit möglich gewesen sei, ungeachtet seines Gesundheitszu-
standes die Tätigkeit als Rechtsanwalt fortzusetzen.
cc) Im Ergebnis hat der Anwaltsgerichtshof aber das Vorliegen eines
Ausnahmetatbestandes zu Recht verneint.
Allein aus dem Umstand, dass der Rechtsanwalt seine Praxis durch
einen Sozius weiterführen lässt, kann nicht geschlossen werden, dass sein
Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährdet. Hinzu
kommen muss vielmehr, dass durch konkrete Gestaltung sichergestellt ist, dass
er nicht mehr als Rechtsanwalt tätig ist. Im Zweifel ist zu widerrufen (Senat,
aaO; Schmidt-Räntsch, aaO; Henssler, aaO; Vossebürger, aaO).
Dass der Kläger - seinen Vortrag als wahr unterstellt - seit etwa Septem-
ber 2009 nicht mehr beruflich tätig ist, genügt danach nicht. Nähere Ausführun-
gen dazu, welche Absprachen zwischen ihm und seinem Sozius bestehen, hat
der Kläger nicht gemacht. Es ist danach nicht erkennbar, ob vertraglich und tat-
sächlich gewährleistet ist, dass der Kläger, solange er gesundheitlich beein-
trächtigt ist, keine Mandate selbst bearbeitet. Dies gilt insbesondere für Zeit-
räume, in denen sein Sozius, etwa durch Urlaub oder Krankheit, an der Tätig-
keit gehindert ist. Auch gibt es nach dem klägerischen Vortrag keinerlei Gewähr
dafür, dass der Kläger nicht die Bearbeitung von Mandaten im Einzelfall über-
nimmt oder vor vollständiger Wiederherstellung seiner Gesundheit seine Tätig-
keit wieder aufnimmt.
9
10
11
- 6 -
c) Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob der Vortrag der Be-
klagten, der Kläger sei entgegen seinem Vortrag und entgegen der Anordnung
des Sofortvollzugs des Widerrufs durch Bescheid vom 1. Februar 2011 ab De-
zember 2011 in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren als Prozessbevollmäch-
tigter seines Sozius aufgetreten, nach der Senatsrechtsprechung, wonach allein
auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens ab-
zustellen ist (Beschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187
Rn. 9 ff.), zu berücksichtigen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112 c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m.
§ 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Tolksdorf
Roggenbuck
Seiters
Quaas
Braeuer
Vorinstanzen:
AGH Brandenburg, Entscheidung vom 12.12.2011 - AGH I 4/10 -
12
13