Urteil des BGH vom 25.01.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 189/05
Verkündet
am:
1. März 2007
Bürk
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BRAO § 49b Abs. 4
Die Abtretung einer Anwaltsgebührenforderung an einen Rechtsanwalt ist ohne Zu-
stimmung des Mandanten wirksam.
BGH, Urteil vom 1. März 2007 - IX ZR 189/05 - OLG München
LG München I
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. Januar 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die
Richter Dr. Ganter, Dr. Kayser, Vill und Dr. Detlev Fischer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts München vom 7. September 2005 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der klagende Rechtsanwalt macht aus abgetretenem Recht einen
Anspruch auf Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren geltend. Die Rechts-
anwaltskanzlei F. , E. und B. (im Folgenden: Zedentin)
stellte den Beklagten mit Schreiben vom 8. Oktober 2001 für die Erstellung ei-
nes Testamentsentwurfes durch Rechtsanwalt F. einen Betrag von
197.250,81 DM (100.852,73 €) in Rechnung. Die Beklagten bestreiten, einen
Auftrag erteilt zu haben. Am 3./5. November 2003 unterzeichneten der Kläger
und Rechtsanwalt F. als Vertreter der Zedentin eine Vereinbarung,
wonach die genannte Anwaltsgebührenforderung an den Kläger abgetreten
wird. Die Beklagten haben dieser Abtretung nicht zugestimmt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist
ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt der Kläger seinen Anspruch in vollem Umfang weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung und Zurückverwei-
sung.
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I.
Das Berufungsgericht hat die Aktivlegitimation des Klägers verneint. Zur
Begründung hat es ausgeführt, die Abtretung der Klageforderung an den Kläger
verstoße gegen § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB und sei deshalb gemäß §§ 134, 138
BGB nichtig. Dieser Beurteilung stehe die am 9. September 1994 in Kraft getre-
tene Bestimmung des § 49b Abs. 4 BRAO nicht entgegen.
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II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung nicht
stand. Die Abtretung ist wirksam, der Kläger aktivlegitimiert.
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1. Für die Zeit vor Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO hat der Bundes-
gerichtshof im Anschluss an die Rechtsprechung zur Abtretung ärztlicher Hono-
rarforderungen (BGHZ 115, 123, 130) und zur Weitergabe einer ärztlichen Pati-
enten- und Berufskartei (BGHZ 116, 268, 272 f) entschieden, dass die Abtre-
tung von Honorarforderungen eines Rechtsanwalts (§§ 398, 675 BGB) ohne
Zustimmung des Mandanten in der Regel den objektiven Tatbestand der Straf-
vorschrift des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt, weil mit der Abtretung die umfas-
sende Informationspflicht des § 402 BGB gegenüber dem neuen Gläubiger ver-
bunden ist. Deshalb waren - vor Einführung des § 49b Abs. 4 BRAO - sowohl
das schuldrechtliche Grundgeschäft der Forderungsübertragung als auch die
Abtretung als dingliches Erfüllungsgeschäft gemäß §§ 134, 138 BGB nichtig.
Dadurch wurde dem durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten
Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen (BGHZ 122,
115, 119; 148, 97, 101; BGH, Urt. v. 13. Mai 1993 - IX ZR 234/92, WM 1993,
1251, 1252; v. 8. Juli 1993 - IX ZR 12/93, WM 1993, 1849, 1850; v. 11. No-
vember 2004 - IX ZR 240/03, ZIP 2005, 218; v. 9. Juni 2005 - IX ZR 14/04).
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2. Nach der im Jahre 1994 in Kraft getretenen, im Streitfall anwendbaren
Vorschrift des § 49b Abs. 4 BRAO ist ein Rechtsanwalt, der eine Gebührenfor-
derung erwirbt, in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet wie der be-
auftragte Rechtsanwalt (Satz 1); die Abtretung von Gebührenforderungen oder
die Übertragung ihrer Einziehung an einen nicht als Rechtsanwalt zugelassenen
Dritten ist unzulässig, es sei denn, die Forderung ist rechtskräftig festgestellt,
ein erster Vollstreckungsversuch fruchtlos ausgefallen und der Anwalt hat die
ausdrückliche schriftliche Einwilligung des Mandanten eingeholt (Satz 2).
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Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass entgegen der zuvor geltenden
Rechtslage nunmehr die Abtretung der Honorarforderung an einen anderen
Rechtsanwalt ohne Zustimmung des Mandanten allgemein zulässig ist.
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a) Im Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuordnung des
Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (BT-Drucks. 12/4993)
war in § 49b Abs. 4 BRAO folgende Regelung vorgesehen:
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"Die Abtretung von Gebührenforderungen oder die Übertragung
ihrer Einziehung an einen nicht als Rechtsanwalt zugelassenen
Dritten, insbesondere an ein Inkassobüro ist unzulässig, es sei
denn, die Forderung ist rechtskräftig festgestellt, ein erster Voll-
streckungsversuch fruchtlos ausgefallen und die Pflicht zur Be-
rufsverschwiegenheit wird nicht beeinträchtigt."
Zur Begründung wurde ausgeführt, Absatz 4 untersage grundsätzlich die
Abtretung von nicht titulierten Gebührenansprüchen an Personen, die nicht ei-
ner Rechtsanwaltskammer angehören, um sicherzustellen, dass die beruflichen
Verschwiegenheitspflichten bei der Durchsetzung von Honorarforderungen be-
achtet werden (BT-Drucks. 12/4993 S. 7, 31).
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Auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages ist
in § 49b Abs. 4 BRAO der nunmehr geltende Satz 1 eingefügt und Satz 2 unter
anderem dahin geändert worden, dass der Rechtsanwalt bei der Abtretung an
nicht als Rechtsanwälte zugelassene Dritte auch die ausdrückliche, schriftliche
Einwilligung des Mandanten einholen muss (vgl. BT-Drucks. 12/7656 S. 11). In
der Begründung (vgl. BT-Drucks. 12/7656 S. 49) wurde auf die Urteile des Bun-
desgerichtshofs vom 25. März 1993 (BGHZ 122, 115) und 13. Mai 1993 (aaO)
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verwiesen, aus denen sich ergebe, dass die Abtretung anwaltlicher Gebühren-
forderungen nur wirksam sei, wenn entweder der Rechtsanwalt die Zustimmung
des Mandanten zur Weitergabe von Informationen aus dem Mandatsverhältnis
einhole oder Zessionar und Zedent denselben Schweigepflichten unterworfen
seien; dem solle mit der gegenüber dem Regierungsentwurf geänderten Fas-
sung klarstellend Rechnung getragen werden.
b) In welcher Weise unter diesen Umständen § 49b Abs. 4 BRAO auszu-
legen ist, hat der Bundesgerichtshof bisher offengelassen (vgl. BGH, Urt. v.
11. November 2004 aaO; v. 9. Juni 2005 aaO). In Rechtsprechung und Literatur
ist die Frage seit Inkrafttreten der Vorschrift umstritten.
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Nach einer Auffassung wird durch die Regelung in § 49b Abs. 4 BRAO
nur die Verschwiegenheitspflicht des Zessionars geregelt (OLG Düsseldorf
NJW-RR 1999, 1583, 1584 zur Parallelvorschrift des § 43a Nr. 3 Patent-
anwaltsO; OLG Koblenz DStRE 2000, 555, 556; LG Karlsruhe MDR 2001,
1383, 1384; LG München I NJW 2004, 451; AG München NJW-RR 1997, 1559;
Erman/Palm, BGB, 10. Aufl. § 134 Rn. 62; MünchKomm-BGB/Mayer-Maly/
Armbruster, 4. Aufl. § 134 Rn. 55; Hoyer in Rudolphi/Horn/Günther, SK-StGB,
7. Aufl. § 203 Rn. 78; Lackner/Kühl, StGB, 25. Aufl. § 203 Rn. 18 a.E.; Berger
NJW 1995, 1406, 1407; Prechtel, NJW 1997, 1813, 1816).
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Nach anderer Auffassung wird durch die Vorschrift angeordnet, dass die
Abtretung ohne Zustimmung des Mandanten erfolgen kann (OLG Hamburg
OLGR 2001, 74, 76; OLG München NJW 2000, 2592, 2594; LG Baden-Baden
NJW-RR 1998, 202, 203; Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-
Handbuch 2. Aufl. Bd. II § 96 Rn. 138; Paulus NJW 2004, 21, 22; Hirtz, EWiR
2005, 787; MünchKomm-StGB/Cierniak, § 203 Rn. 68; Feuerich/Weyland,
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BRAO, 6. Aufl. § 49b Rn. 47 f; Nerlich in Hartung, Anwaltliche Berufsordnung,
3. Aufl. § 49b BRAO Rn. 84 ff; Dittmann in Henssler/Prütting, BRAO 2. Aufl.
§ 49b Rn. 37; Jessnitzer/Blumberg, BRAO 9. Aufl. § 49b Rn. 7; im Grundsatz
ebenso Zugehör in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung
2. Aufl. Rn. 861 ff).
c) Die zuletzt genannte Auffassung ist zutreffend.
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aa) Die Rechtsprechung zur Nichtigkeit der Abtretung von Honoraran-
sprüchen an Rechtsanwälte ohne Zustimmung des Mandanten hat das Ziel, das
Recht des Mandanten auf informationelle Selbstbestimmung zu gewährleisten.
Dieses aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Recht (BVerfGE 65,
1, 41 ff; 78, 77, 84), das seine Wirkung auch im Bereich des Privatrechts entfal-
tet (BVerfGE 84, 192, 194 ff), steht unter dem Schrankenvorbehalt der verfas-
sungsmäßigen Ordnung. Darunter sind alle Rechtsnormen zu verstehen, die
formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen (BVerfGE 65, 1, 43
f; 80, 137, 153; 90, 145, 171 f; 96, 10, 21). Die das informationelle Selbstbe-
stimmungsrecht schützende Norm des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB kann jedoch
eingeschränkt werden, sofern die entsprechende Vorschrift als gesetzliche Of-
fenbarungsbefugnis im Sinne eines Rechtfertigungsgrundes anzusehen ist
(MünchKomm-StGB/Cierniak, aaO Rn.
68; Lenckner in Schönke/
Schröder, StGB 27. Aufl. § 203 Rn. 29). Dies erfordert, dass die Offenbarungs-
befugnis in ihren Voraussetzungen und ihrem Umfang dem Gesetz eindeutig
und für den Bürger erkennbar zu entnehmen ist und damit dem Gebot der Nor-
menklarheit entspricht (vgl. BVerfGE 65, 1, 44).
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bb) Diesen Anforderungen genügt die in § 49b Abs. 4 getroffene Neure-
gelung. Aus Inhalt und Entstehungsgeschichte der Vorschrift lässt sich hinrei-
chend deutlich entnehmen, dass der Gesetzgeber die Abtretbarkeit von Hono-
rarforderungen an andere Rechtsanwälte ohne Zustimmung des Mandanten
zugelassen hat.
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(1) Der Rechtsausschuss des Bundestages und ihm folgend der Bundes-
tag hatten die Absicht, eine Offenbarungsbefugnis des Zedenten gegenüber
Rechtsanwälten zu schaffen. Dies kommt bereits in der oben zu a) zitierten
Fassung des Entwurfs der Bundesregierung zum Ausdruck. Sie erklärt allein die
Abtretung an nicht als Rechtsanwälte zugelassene Dritte für unzulässig, sofern
nicht ausnahmsweise die dort genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt
sind. Diese Regelung zwingt schon vom Wortlaut her zu dem Gegenschluss,
dass die Abtretung an Rechtsanwälte demgegenüber keinen Beschränkungen
unterworfen sein soll.
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Dieser Vorschrift wurde auf Empfehlung des Rechtsausschusses der
heute geltende Satz 1 nur deshalb vorangestellt, weil der erkennende Senat im
Urteil vom 13. Mai 1993 (aaO, S. 1252) erklärt hatte, auch die Abtretung an ei-
nen Anwalt sei unwirksam, solange es keine Bestimmung gebe, die die Abtre-
tung erlaube und den Zessionar denselben Schweigepflichten unterwerfe wie
den Zedenten. Eine entsprechende Verschwiegenheitspflicht des Rechtsan-
walts, an den die Abtretung erfolgt, sah das Gesetz bis dahin nicht vor; denn
auf den Zessionar des Honoraranspruchs findet § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch
dann keine Anwendung, wenn er von Beruf Rechtsanwalt ist (BGH, Urt. v.
13. Mai 1993, aaO; Schönke/Schröder/Lenckner, aaO § 203 Rn. 13, 15;
MünchKomm-StGB/Cierniak, aaO § 203 Rn. 41, 45; Prechtel NJW 1997, 1813,
1814). Diesem Umstand trug der neu eingefügte Satz 1 Rechnung, indem er
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eine berufsrechtliche Verschwiegenheit des anwaltlichen Zessionars begründe-
te. Damit wurde unter Beachtung der genannten Rechtsprechung eine andern-
falls bestehende Schutzlücke geschlossen. Aus der Vorschrift kann zudem in
Verbindung mit § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO auch ein Zeug-
nisverweigerungsrecht des Zessionars abgeleitet werden, der andernfalls als
Zeuge zur Offenbarung der ihm im Zusammenhang mit der Abtretung bekannt
gewordenen Privatgeheimnisse gezwungen wäre.
Dieser Zusatz war jedoch nur erforderlich, weil die Vorschrift des § 49b
Abs. 4 BRAO schon in der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Fassung
die Abtretung des Honoraranspruchs an einen anderen Anwalt ohne Zustim-
mung des Mandanten vorsah. Daher heißt es auch in der Begründung des
Rechtsausschusses, den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ge-
stellten Anforderungen werde mit der veränderten Fassung des § 49b Abs. 4
klarstellend Rechnung getragen. Eine solche Klarstellung wäre nicht notwendig
gewesen, wenn der Gesetzgeber die Abtretung an Rechtsanwälte im Vergleich
zu der in BGHZ 122, 115 ff festgestellten Rechtslage nicht erleichtert hätte.
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(2) Schon nach der ursprünglichen Rechtslage war es zulässig, einen
anderen Rechtsanwalt mit der Beitreibung der Gebührenforderung zu beauf-
tragen (vgl. BGHZ 122, 115, 120; 148, 97, 102; BGH, Urt. v. 11. November
2004 - IX ZR 240/03, ZIP 2005, 218, 219; v. 10. August 1995 - IX ZR 220/94,
ZIP 1995, 1678, 1680). Weiter war die Abtretung an den Erwerber einer An-
waltskanzlei, der zuvor als Mitarbeiter des Zedenten die Angelegenheit umfas-
send kennengelernt hatte (vgl. BGH, Urt. v. 10. August 1995 - IX ZR 220/94,
WM 1995, 1841), an den Erwerber einer Anwaltskanzlei, der in die mit ihm be-
stehende (Außen-)Sozietät eingetreten war (vgl. BGHZ 148, 97, 101 ff) und den
bereits vor der Abtretung bestellten Abwickler der Kanzlei (vgl. BGH, Urt. v.
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17. Oktober 1996 - IX ZR 37/96, WM 1996, 2244) nach der ursprünglichen
Rechtslage wirksam. Dies beruhte gerade darauf, dass in den genannten Fällen
auch die Zessionare einer gesetzlichen Schweigepflicht unterlagen. Im Hinblick
darauf dient die neue Vorschrift erkennbar dem Zweck, die in diesem Bereich
drohende Kasuistik durch eine einheitliche Regelung zu ersetzen, welche die
Abtretung von Honorarforderungen an Rechtsanwälte generell gestattet. § 49b
Abs. 4 Satz 1 BRAO berücksichtigt die Belange der Mandanten dadurch, dass
der Anwalt als Zessionar in gleichem Umfang wie der Zedent zur Verschwie-
genheit verpflichtet ist. Damit wird zugleich der Verkauf von Anwaltskanzleien
wesentlich erleichtert, was einem anzuerkennenden Bedürfnis des Berufs-
stands entspricht.
(3) Der Gesetzgeber hat folglich in § 49 Abs. 4 BRAO einen Erlaubnis-
tatbestand geschaffen, der eine Strafbarkeit des Zedenten nach § 203 Abs. 1
Nr. 3 StGB sowie eine Unwirksamkeit der Verfügung nach § 134 BGB aus-
schließt. Der Gesetzestext genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen
an die Bestimmtheit eines Gesetzes; denn es reicht aus, wenn Inhalt und
Zweck einer Vorschrift aus dem Zusammenhang, in dem der Text steht, sowie
den Materialien deutlich wird (BVerfGE 65, 1, 54). Die etwa notwendige Klar-
stellung durch Auslegung ist vornehmlich Aufgabe der obersten Bundesgerichte
(BVerfGE 21, 245, 261).
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(4) Die durch § 49b Abs. 4 BRAO bewirkte Neuregelung ist auch inhalt-
lich verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie verstößt insbesondere nicht gegen
Art. 3 Abs. 1 GG, obwohl der Gesetzgeber für die Abtretung ärztlicher Honorar-
forderungen (vgl. dazu BGHZ 115, 123, 125; 116, 268, 272; BGH, Urt. v.
20. Mai 1992 - VIII ZR 240/91, NJW 1992, 2348, 2350) keine entsprechenden
Erleichterungen vorgesehen hat. Dies hinderte ihn jedoch nicht, die Abtretbar-
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keit von Honorarforderungen der Rechtsanwälte ohne Zustimmung des Man-
danten in dem nunmehr geltenden Umfang zu ermöglichen.
Zwar ist Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn zwei Gruppen von Normadres-
saten unterschiedlich behandelt werden, obwohl zwischen beiden Gruppen kei-
ne Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die
ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72, 88; 87, 1, 36;
95, 143, 154). Im Rahmen seines Gestaltungsauftrags ist aber der Gesetzgeber
grundsätzlich frei bei seiner Entscheidung, an welche tatsächlichen Verhältnisse
er Rechtsfolgen knüpft und wie er von Rechts wegen zu begünstigende Perso-
nengruppen definiert. Eine Grenze ist nur dann erreicht, wenn durch die Bildung
einer rechtlich begünstigten Gruppe andere Personen von der Begünstigung
ausgeschlossen werden und sich für diese Ungleichbehandlung kein in ange-
messenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Recht-
fertigungsgrund finden lässt. Für die Beurteilung, ob in einer gesetzlichen Rege-
lung ein Gleichheitsverstoß zu sehen ist, kommt es maßgeblich auf die Eigenart
des zu regelnden Sachverhalts an (BVerfGE 99, 165, 177 f).
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Hieran gemessen lässt sich eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht
feststellen. § 49b Abs. 4 BRAO entzieht zwar dem Mandanten in seinem Rege-
lungsbereich den Schutz des § 203 StGB. Er sichert ihm aber eine berufsrecht-
liche Verschwiegenheitspflicht des Zessionars, deren Verletzung mit den in
§ 114 BRAO vorgesehenen Maßnahmen geahndet werden und zudem zivil-
rechtliche Schadensersatzansprüche nach § 823 BGB auslösen kann. Damit ist
ein nach Art und Inhalt sachgerechter und ausreichender Schutz des Rechts
auf informationelle Selbstbestimmung auch für den Mandanten eines Rechts-
anwalts sichergestellt. Dass das Geheimhaltungsinteresse des Patienten in sei-
ner Rechtsbeziehung zu dem behandelnden Arzt durch § 203 Abs. 1 Nr. 1
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StGB umfassender geschützt ist, stellt keine sachfremde Ungleichbehandlung
dar. Zwar kann die konkrete Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht nur im
Einzelfall beurteilt werden. Das Interesse an der Geheimhaltung einer Krankheit
kann für den Betroffenen gering, das Verschweigen von familien- oder steuer-
rechtlichen Tatsachen dagegen von höchster Bedeutung sein. Gleichwohl ist
bei typisierender Betrachtungsweise nicht zu verkennen, dass Fragen der Ge-
sundheit in der Regel den Bereich der Intimsphäre betreffen, während die dem
Anwalt offenbarten Tatsachen jedenfalls außerhalb des strafrechtlich bedeut-
samen Bereichs meist lediglich wirtschaftliche Interessen betreffen. Schon des-
halb ist der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen gehalten, den Grund-
rechtsschutz beider Personengruppen einheitlich durch strafrechtliche Sanktio-
nen zu sichern. Dadurch, dass er den Zessionar einer Anwaltsgebührenforde-
rung der beruflichen Schweigepflicht unterworfen hat, während der Abtretungs-
empfänger einer ohne Zustimmung des Patienten abgetretenen ärztlichen Ho-
norarforderung zwar deren zivilrechtliche Unwirksamkeit hinnehmen muss, im
Übrigen jedoch keiner gesetzlichen Schweigepflicht unterliegt - sofern nicht
§ 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB eingreift -, ist ein angemessener Interessenausgleich
geschaffen worden.
III.
Da die Abtretung an den Kläger somit wirksam ist, hat das angefochtene
Urteil keinen Bestand. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dieses
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wird nunmehr die geltend gemachte Verjährung und den klägerischen Anspruch
nach Grund und Höhe zu prüfen haben.
Dr. Gero Fischer
Dr. Ganter
Dr. Kayser
Vill
Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 28.04.2004 - 26 O 21806/03 -
OLG München, Entscheidung vom 07.09.2005 - 3 U 3253/04 -