Urteil des BGH vom 22.02.2006

BGH (ehefrau, opfer, stgb, leben, angriff, nachteil, tod, aufhebung, wehrlosigkeit, wohnung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 561/05
vom
10. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Hauptverhandlung
vom 22. Februar 2006 in der Sitzung am 10. März 2006, an denen teilgenom-
men haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Land-
gerichts Mühlhausen vom 13. Juli 2005 hinsichtlich der Tat zum
Nachteil der Lisa-Marie K. sowie im Gesamtstrafenaus-
spruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zu-
rückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen der Nebenkläger werden ver-
worfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verur-
teilt. Mit der Sachrüge beanstanden die Revisionen der Nebenkläger die Ver-
neinung der Mordmerkmale Heimtücke sowie niedrige Beweggründe und
erstreben eine Verurteilung wegen Mordes. Die Rechtsmittel haben teilweise
Erfolg.
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I.
1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts
war der Angeklagte Vater von drei Kindern, die zur Tatzeit 7 Jahre, 5 Jahre und
vier Monate sowie ein Jahr und neun Monate alt waren. Seine Ehefrau, die Ne-
benklägerin, hatte - wie in der Vergangenheit schon des Öfteren - im Septem-
ber 2003 eine Beziehung zu einem anderen Mann aufgenommen und lebte
- zwischen beiden Männern hin- und hergerissen - teils bei dem Angeklagten,
teils bei ihrem neuen Liebhaber. Der Angeklagte, der sehr an seiner Ehefrau
hing und von ihr geradezu abhängig war, hatte sich früher stets erfolgreich dar-
um bemüht, diese zurück zu gewinnen und zwar sowohl mit Liebesbeteuerun-
gen als auch mit der Drohung, sich und die Kinder zu töten. Im Herbst 2003
reichte die Nebenklägerin die Scheidung ein, das elterliche Sorgerecht für die
drei Kinder wollten sich beide Ehepartner teilen, das Aufenthaltsbestimmungs-
recht sollte beim Angeklagten liegen.
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Nach einem Streit mit ihrem neuen Liebhaber war die Nebenklägerin am
23. April 2004 zu dem Angeklagten und den Kindern zurückgekehrt, die darüber
glücklich nunmehr an eine Fortführung der Ehe glaubten. Am 1. Mai 2004
wandte sich die Nebenklägerin für den Angeklagten überraschend wieder ihrem
Liebhaber zu. Der Aufforderung, auch die Kinder mitzunehmen, kam sie nicht
nach. Der Angeklagte, dessen Wut in Verzweiflung umschlug, konnte die erneu-
te Trennung psychisch nicht verkraften und nahm am 2. Mai 2004 gegen 17.30
Uhr in Selbsttötungsabsicht insgesamt 18 Tabletten (Schmerzmittel und Antide-
pressiva) sowie Alkohol zu sich und brachte anschließend die Kinder zu Bett.
Nach dem erneuten Genuss einer größeren Menge Alkohols, die zu einer max.
BAK von 2,61 o/oo führte, fasste er gegen 20.30 Uhr den Entschluss, die Kinder
"mit in den Tod zu nehmen". Gleichgewichtige Beweggründe dafür waren, dass
er zum einen verzweifelt war und sich um die Zukunft der Kinder nach seinem
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Tode sorgte, da seine Ehefrau diese vermeintlich nicht haben wollte, zum ande-
ren wollte er seine Ehefrau anklagen und ihr vor Augen führen, sie hätte den
Tod der Kinder durch die Rückkehr zu ihm verhindern können.
Der stark angetrunkene Angeklagte stieß seinem im elterlichen Schlaf-
zimmer in einem Kinderbett schlafenden, ein Jahr und neun Monate alten Sohn
Hannes ein Messer mit einer Klingenlänge von 22 cm in die Brust, was infolge
Verblutens innerhalb einiger Minuten zu dessen Tode führte. Während dieser
Zeit hielt der Angeklagte die Hand des sterbenden Kindes. Anschließend trank
er weiter Alkohol und sandte der Nebenklägerin, die ihr Handy jedoch nicht ein-
geschaltet hatte, eine Kurznachricht über die Tötung des Kindes.
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Zwischen 1.00 Uhr und 2.00 Uhr morgens begab sich der stark alkoholi-
sierte Angeklagte (max. BAK 3,51 o/oo) ins Kinderzimmer und stieß der dort
schlafenden fünf Jahre und vier Monate alten Lisa-Marie dasselbe Messer in
die Brust. Das Mädchen erwachte dabei mit den Worten: "Papa, ich hab dich
doch lieb". Infolge inneren Verblutens starb Lisa-Marie nach etwa einer Stunde.
In dieser Zeit streichelte der Angeklagte das Mädchen und brachte es auf ihre
Bitte noch zweimal zur Toilette.
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Zum Zeitpunkt der Tötungshandlungen war der Angeklagte infolge des
Alkohol- und Tablettenkonsums in Verbindung mit einem zweitägigen Schlaf-
entzug, einer affektiven Ausnahmesituation und der bei ihm bestehenden ab-
hängigen (asthenischen) Persönlichkeitsstörung in seiner Steuerungsfähigkeit
erheblich eingeschränkt.
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Nach Tötung der Lisa-Marie fühlte sich der Angeklagte nicht mehr in der
Lage, auch noch seinen siebenjährigen Sohn Niklas zu töten. Er erwog, sich die
Pulsadern aufzuschneiden, nahm davon aber Abstand, um Niklas nicht alleine
zu lassen. Stattdessen reinigte er die Wohnung, damit der noch schlafende
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Junge nichts merken sollte und brachte diesen am nächsten Morgen gleich auf
den Spielplatz. Er selbst wusch währenddessen die Leichen der Kinder, kleidete
sie neu ein, legte sie mit Plüschtieren und Spielzeug in den Armen ins Ehebett
und deckte sie bis zum Hals zu. Danach schrieb er seiner Ehefrau, die das
Handy noch immer ausgeschaltet hatte, eine Kurznachricht, dass sie die Kinder
noch einmal sehen könne und dass er sie liebe. Anschließend brachte er Niklas
zu seiner Ehefrau in die Wohnung ihres Liebhabers. Er selbst kehrte kurz in die
eigene Wohnung zurück, nahm in Selbsttötungsabsicht weitere 30 Tabletten
(Antidepressiva) und lief in den nahe gelegenen Stadtwald, um dort auf seinen
eigenen Tod zu warten. Am nächsten Tag wurde er von einem polizeilichen
Suchtrupp am ganzen Körper zitternd und mit gläsernem Blick festgenommen.
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag in zwei Fällen
gewertet und ist jeweils von einem gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten
Strafrahmen ausgegangen. Das Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere
von Heimtücke und niedrigen Beweggründen, hat es ausgeschlossen.
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Für das Mordmerkmal der Heimtücke fehle es an der Ausnutzung der
Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer. Der Angeklagte habe den Schlaf der Kinder
gerade nicht zum Zwecke der Tötung herbeigeführt oder genutzt. Er habe den
Tatentschluss vielmehr erst gefasst, als die Kinder schon schliefen und diese im
Übrigen nicht in einer feindseligen Willensrichtung getötet. Zudem sei zweifel-
haft, ob die beiden kleinen Kinder überhaupt die Fähigkeit zum Argwohn hatten.
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Niedrige Beweggründe seien nicht handlungsbestimmend gewesen, weil
die Absicht des Angeklagten, seine Ehefrau zu bestrafen, nur eines von mehre-
ren, nicht aber das tatbeherrschende Motiv gewesen sei.
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II.
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1. Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft und führen zur Aufhebung
des Urteils, soweit es die Tat zum Nachteil des Mädchens Lisa-Marie betrifft,
weil das Landgericht die Voraussetzungen eines "Heimtückemordes" verkannt
hat.
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a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und
Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass
der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilf-
losen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Le-
ben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368;
BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.N.). Das Opfer muss gerade auf
Grund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384). Arglos ist regel-
mäßig auch der Schlafende, wenn er einschläft. Er überlässt sich dem Schlaf im
Vertrauen darauf, dass ihm nichts geschehen werde; in diesem Vertrauen über-
liefert er sich der Wehrlosigkeit. Arglos ist er hingegen nicht nur, ehe er ein-
schläft. Wer sich zum Schlafen niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den
Schlaf; sie begleitet ihn, auch wenn er sich ihrer nicht mehr bewusst ist. Das
besonders Gefährliche und Tückische, das den Täter lebenslanger Freiheits-
strafe aussetzt, liegt darin, dass er sein Opfer in einer hilflosen Lage überrascht
und es dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn
wenigstens zu erschweren (BGHSt 23, 119, 120 f.). Entgegen der Auffassung
des Landgerichts handelt ein Täter gegenüber seinem Opfer auch schon dann
heimtückisch, wenn er dessen Arglosigkeit nur bewusst ausnutzt, ohne dass es
darauf ankommt, ob er sie bewusst herbeigeführt oder bestärkt hat (BGHSt 8,
216, 219). Dass der Angeklagte hier seine Kinder nicht in der Absicht, sie an-
schließend zu töten, schlafen gelegt, sondern seinen Tatentschluss erst später
gefasst hat, steht einer Verurteilung wegen Heimtückemordes deshalb nicht
entgegen.
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b) Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass einem
Kleinstkind gegenüber heimtückisches Handeln in der Regel nicht möglich ist,
weil es nicht fähig ist, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Der Bundesge-
richtshof hat es in ständiger Rechtsprechung abgelehnt, die Tötung eines sehr
kleinen Kindes, das infolge seiner natürlichen Arg- und Wehrlosigkeit gegen
einen Angriff auf sein Leben nichts unternehmen kann, als heimtückisch anzu-
sehen, weil seine Wahrnehmungsfähigkeit noch nicht ausgebildet ist. Diese
Rechtsprechung beruht darauf, dass der Begriff der Heimtücke auf etwas Heim-
liches hindeutet, man eine böse Absicht aber nur vor jemanden verheimlichen
kann, der an sich in der Lage ist, sie wahrzunehmen (BGHSt 4, 11; 8, 216,
218). Hier war jedoch das Opfer Lisa-Marie bereits fünf Jahre und vier Monate
alt, also in einem Alter, in dem ein normal entwickeltes Kind einen auf sein Le-
ben zielenden Angriff erkennen und danach versuchen kann, Hilfe herbeizuru-
fen, den Täter umzustimmen oder in sonstiger Weise dem Anschlag zu begeg-
nen bzw. die Durchführung zu erschweren (vgl. BGH NJW 1978, 705; NStZ
1995, 230 jeweils für ein dreijähriges Kind). Der neue Tatrichter wird deshalb
festzustellen haben, ob Lisa-Marie in diesem Sinne normal entwickelt und damit
in der Lage war, den Angriff auf ihr Leben in irgendeiner Weise zumindest zu
erschweren.
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c) Der Annahme von Heimtücke steht nicht entgegen, dass es an der er-
forderlichen feindlichen Willensrichtung beim Angeklagten fehlte. Das kommt
unter Umständen dann in Betracht, wenn ein zur Selbsttötung entschlossener
Täter Angehörige seiner Familie, die er sehr liebt, aus Sorge um deren unge-
wisse Zukunft mit sich in den Tod nehmen will, weil er - möglicherweise in
krankhafter Verblendung - meint, zum Besten seiner Familie zu handeln
(BGHSt 9, 385; 37, 376; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 10; BGH NStZ
1995, 230). Hier handelte der Angeklagte jedoch nicht ausschließlich aus Sorge
um das künftige Wohlergehen seiner Kinder, sondern auch, um seine Ehefrau
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anzuklagen und sie zu bestrafen, mithin in feindlicher Willensrichtung gegen-
über seinen Kindern, die er für seine Rachegelüste opferte (vgl. MünchKomm-
Schneider § 211 Rdn. 145).
2. Demgegenüber weist das Urteil, soweit es die Tat zum Nachteil des
Jungen Hannes anbelangt, keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
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a) Der Annahme eines Heimtückemordes steht hier - wie vom Landge-
richt zutreffend erwogen - das Alter des Tatopfers von nur einem Jahr und neun
Monaten entgegen. Das altersgerecht entwickelte Kleinkind Hannes war unter
den hier gegebenen Umständen zum Argwohn zumal gegenüber seinem eige-
nen Vater bereits konstitutionell nicht fähig und konnte deshalb nicht heimtü-
ckisch getötet werden (vgl. BGHSt 4, 11; MünchKomm-Schneider, § 211
Rdn. 134).
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Zutreffend weist die Revision zwar darauf hin, dass nach der Rechtspre-
chung eine Ausnahme der prinzipiellen Ausklammerung kleiner Kinder aus dem
Anwendungsbereich des Mordmerkmals der Heimtücke dann zu machen ist,
wenn der Täter schutzbereite Dritte ausschaltet, um dann die Tötung des nicht
mehr behüteten Kindes ungehindert begehen zu können (vgl. BGHSt 8, 216,
219; BGH NStZ-RR 2006, 43). Allerdings ist schützender Dritter auf der Grund-
lage der bisherigen Rechtsprechung nur derjenige, der den Schutz des Kindes
übernommen hat und ihn im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt
oder dies deshalb nicht tut, weil er dem Täter vertraut (vgl. BGHSt 8, 216, 219;
MünchKomm-Schneider § 211 Rdn. 42). Dass die im Nebenzimmer schlafen-
den fünf bzw. sieben Jahre alten Kinder Lisa-Marie und Niklas hier zuvor den
Schutz des jüngeren Bruders Hannes trotz der Gegenwart des leiblichen Vaters
übernommen und sogar diesem gegenüber tatsächlich ausgeübt hätten, mithin
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dessen Aufsichtspersonen waren (vgl. Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 211
Rdn. 19 a), ist unter den gegebenen Umständen nicht der Fall.
b) Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat das Landgericht
auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneint. Ob
ein Beweggrund niedrig ist, muss auf Grund einer Gesamtwürdigung beurteilt
werden, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse und die Persön-
lichkeit des Täters einschließt. Beim Vorliegen eines so genannten Motivbün-
dels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen,
wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittli-
cher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (BGHR StGB
§ 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 20; BGH StV 2000, 76; 2004, 205; NStZ-
RR 2004, 234). Hier hat das Landgericht nach umfassender Würdigung dem
Motiv der Rache des Angeklagten an der Ehefrau angesichts seiner Sorge um
das künftige Wohlergehen der von ihm geliebten Kinder sowie angesichts sei-
ner Verzweiflung und seines Gefühls der Ausweglosigkeit, das auch zu den Su-
izidversuchen geführt hatte, keine so beherrschende Bedeutung zugemessen,
dass es die Tötung insgesamt als eine verachtungswerte, auf tiefster Stufe ste-
hende erscheinen ließe. Dies hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurtei-
lungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 79).
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3. Die Aufhebung des Urteils hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Lisa-
Marie K. führt auch zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
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Rissing-van Saan Rothfuß Fischer
Roggenbuck Appl