Urteil des BGH vom 30.07.2013

BGH: körperliche unversehrtheit, spritze, approbation, anstellung, mord, wehrlosigkeit, gefahr, klinikum, trennung, quelle

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 5/13
vom
30. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des General-
bundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 30. Juli 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Aachen vom 10. Juli 2012 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zu-
rückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt, ihr ein lebenslanges Berufsverbot erteilt und festge-
stellt, dass auf die Anordnung des Verfalls von 106.058 Euro nur verzichtet
wird, weil Ansprüche Dritter entgegenstehen. Gegen dieses Urteil richtet sich
die auf die Sachbeschwerde und Verfahrensrügen gestützte Revision der An-
geklagten. Das Rechtsmittel ist mit der Sachrüge begründet, so dass es auf die
Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.
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I.
Nach den Feststellungen war die Angeklagte als Jugendliche drogenab-
hängig gewesen und der Prostitution nachgegangen. Dabei hatte sie den
50 Jahre älteren H. H. als Freier kennen gelernt. Dieser be-
schaffte ihr Drogen als Gegenleistung für sexuelle Dienste. Von 1999 bis 2011
holte die Angeklagte den Hauptschulabschluss nach, erwarb die Fachober-
schulreife und dann die allgemeine Hochschulreife, studierte Medizin, legte das
Staatsexamen ab und erlangte ihre Approbation als Ärztin. Anfang 2011 wurde
sie promoviert. Inzwischen war sie medikamentenabhängig. Am 15. Januar
2010 heiratete sie H. H. . Ihr Ehemann vereitelte in der Folge
ihre Bewerbungen um eine Anstellung in einem Krankenhaus, indem er Bewer-
bungsschreiben heimlich Begleitschreiben beifügte, in denen er auf ihre frühere
Drogenabhängigkeit hinwies. Im Jahre 2010 nahm die Angeklagte eine außer-
eheliche Beziehung mit dem Zeugen G. auf. Am 16. Februar 2011 er-
reichte sie die Zusage einer Anstellung als Ärztin in einem Krankenhaus in U. .
In der Zwischenzeit veranlasste H. H. die Sperrung
seines Girokontos, über das auch die Angeklagte verfügen konnte. Ihre Bank-
karte wurde eingezogen, als sie in U. an einem Geldautomaten Geld abheben
wollte. Diese Tatsache und die Entdeckung eines der Begleitbriefe ihres Ehe-
manns zu den Bewerbungsschreiben führten nach ihrer Rückkehr aus U. am
17. Februar 2010 zum Streit zwischen den Eheleuten. Am Abend des
18. Februar 2010 erklärte die Angeklagte ihrem Ehemann, dass sie sich von
ihm trennen wolle. Er ohrfeigte sie und schob sie beiseite. Sie nahm in der Kü-
che und auf der Toilette vier Tabletten des Beruhigungsmittels Flunitrazepam
mit einigen Schlucken Wein ein und begab sich zu ihrem Ehemann in das
Wohnzimmer. Dieser erklärte, dass sie tun müsse, was er sage. Er hielt ihr eine
Tüte mit mindestens zehn Ampullen Morphin und einer Ampulle Piritramidan
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vor, die er in einem Schrank gefunden hatte, und bemerkte, sie sei wieder dort
gelandet, wo sie hingehöre; sie sei eine "drogenabhängige Straßennutte". Er
habe alles Geld vom Girokonto abgehoben und trage es bei sich, so dass sie
ihn künftig um Geld bitten müsse. Die Angeklagte erwiderte, sie verdiene ihr
eigenes Geld. Dann nahm sie die Tüte mit den Ampullen und lief in die Küche.
H. H. rief ihr aus dem Wohnzimmer zu, er werde dafür sor-
gen, dass sie ihre Approbation verlieren werde; er habe sich schon im Klinikum
A. danach erkundigt, wie man ihr die Approbation entziehen könne. Als
sie erwiderte, das könne er nicht tun, rief er, er habe alles, um sie wieder in die
Gosse zu schicken.
Die Angeklagte stellte anhand der Verbindungsliste des Telefons fest,
dass ihr Ehemann tatsächlich mit dem Klinikum A. telefoniert hatte. Ihr
wurde bewusst, dass sie bis zum ersten eigenen Verdienst noch Monate lang
auf seine finanzielle Unterstützung angewiesen sei, außerdem, dass er dazu
entschlossen war, mit allen Mitteln eine Trennung zu verhindern. Sie sah sich in
Gefahr, die zugesagte Anstellung in dem Krankenhaus in U. zu verlieren und
die Beziehung zu dem Zeugen G. aufgeben zu müssen. Zur Beseitigung
dieser Gefahr und der Quelle ständiger Beleidigungen und Erniedrigungen be-
schloss sie, ihren Ehemann zu töten.
Die Angeklagte zog, "vor Wut und Aufregung am ganzen Körper zit-
ternd", in der Küche die Inhalte aller Ampullen aus der Plastiktüte auf eine
Spritze, nahm diese in die rechte Hand, rannte ins Wohnzimmer und näherte
sich schreiend ihrem Ehemann. Dieser hielt ihre Arme fest und schlug ihr dann
mit der flachen Hand auf die rechte Wange. Er fragte sie, was sie mit der Sprit-
ze wolle. Die Angeklagte entriss ihre rechte Hand aus seinem Griff, stieß ihn
auf die Couch, stach ihm die Spritze in den Oberschenkel und drückte die In-
jektionslösung hinein. Hierbei handelte sie in der Erwartung, dass die Injektion
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tödlich sein werde. Die Morphininjektion führte zu Benommenheit, Bewusstlo-
sigkeit und Atemstillstand mit der Folge des Todes von H. H. .
Das Landgericht hat die Handlung der Angeklagten als heimtückisch und
aus niedrigen Beweggründen begangenen Mord beurteilt. H.
H. habe nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder seine körperliche Unver-
sehrtheit gerechnet, weil es zuvor noch nie zu einer Anwendung von Gewalt
durch die Angeklagte gegen ihn gekommen sei und weil er nicht gewusst habe,
welches Mittel in der Spritze war. Diese Arglosigkeit und die daraus resultieren-
de Wehrlosigkeit des Ehemanns habe die Angeklagte bewusst zur Tatbege-
hung ausgenutzt. Sie habe sein Lebensrecht missachtet, um Nachteile in ihrem
Fortkommen auszuschließen und ihren Ehemann als Kenner ihres früheren
Drogenkonsums und ihrer Abhängigkeit von Benzodiazepinen auszuschalten.
II.
Die Bewertung der Tat als Mord ist rechtsfehlerhaft.
1. Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers be-
wusst zur Tötung ausnutzt. Es bestehen bereits Bedenken gegen die Annah-
me, H. H. sei zu Beginn des Angriffs der Angeklagten auf sein
Leben arglos und infolgedessen wehrlos gewesen. Jedenfalls hat das Landge-
richt die Behauptung, die Angeklagte habe dies bewusst zur Tötung ihres Ehe-
manns ausgenutzt, nicht belegt. Ausnutzungsbewusstsein kann zwar im Einzel-
fall ohne Weiteres aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen wer-
den, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt.
Auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände und auf die nähere Erläuterung der
Feststellung eines Ausnutzungsbewusstseins kann aber dann nicht verzichtet
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werden, wenn gewichtige Umstände dagegen sprechen. Dazu zählen hier die
hochgradige Erregung der Angeklagten, die Einnahme von Flunitrazepam vor
der Tat und die Tatsache, dass sie ihrem Ehemann schreiend mit der Spritze in
der Hand entgegentrat, so dass Arglosigkeit objektiv zweifelhaft erscheint und
auch aus der Sicht der Angeklagten fern gelegen haben könnte. Damit hat sich
das Landgericht zu Unrecht nicht auseinandergesetzt.
2. Die Bewertung des Handlungsantriebs der Angeklagten als sonst
niedriger Beweggrund ist vom Landgericht ebenfalls nicht tragfähig begründet
worden und erscheint angesichts der Feststellungen als fern liegend. Bei Moti-
ven wie Wut und Erregung kommt es darauf an, ob diese Gefühlsregung jedes
nachvollziehbaren Grundes entbehrt und das Handlungsmotiv in deutlich weiter
reichendem Maß als bei einem Totschlag verachtenswert erscheint (vgl.
Fischer, StGB 60. Aufl. § 211 Rn. 14a). Dies ist hier offenkundig nicht der Fall,
weil der Getötete der Angeklagten, nur um ihr ein selbstbestimmtes Leben un-
möglich zu machen und sie weiter seinem Machtanspruch zu unterwerfen, eine
Anschwärzung angedroht hatte, die zum Verlust ihrer gesamten beruflichen,
wirtschaftlichen und sozialen Existenz führen sollte. Angesichts dessen würde
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die Motivationslage eher die Annahme eines minder schweren Falls des Tot-
schlags nach § 213 Alt. 2 StGB nahelegen als die Bewertung als Mord aus
niedrigen Beweggründen.
Fischer
Schmitt
Eschelbach
Ott
Zeng