Urteil des BGH vom 16.01.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 413/12
vom
16. Januar 2014
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 76 Abs. 1; ZPO § 114
Einem beteiligten Ehegatten kann Verfahrenskostenhilfe für die Beschwer-
deinstanz in der Versorgungsausgleichsfolgesache nicht deswegen versagt
werden, weil er selbst keine Beschwerde eingelegt hat.
BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 - XII ZB 413/12 - OLG Celle
AG Hannover
- 2 -
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling,
Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss
des 10. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandes-
gerichts Celle vom 29. Juni 2012 aufgehoben.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie
Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt J. B. in
H. beigeordnet.
Wert: 1.000
Gründe:
I.
Die Ehe der beteiligten Ehegatten ist durch Verbundbeschluss des
Amtsgerichts geschieden worden. Den Versorgungsausgleich hat das Amtsge-
richt dahin geregelt, dass es zu Lasten des Anrechts der Antragstellerin (im
Folgenden: Ehefrau) bei der Deutschen Rentenversicherung Bund im Wege der
internen Teilung 1,6635 Entgeltpunkte übertragen hat. Hinsichtlich der Anrechte
des Antragsgegners (Ehemann) bei der Deutschen Rentenversicherung
Knappschaft Bahn See (Ausgleichswert: 0,0606 Entgeltpunkte), die es als
knappschaftliche Anrechte angesehen hat, hat es angeordnet, dass ein
1
- 3 -
Wertausgleich bei der Scheidung wegen Geringfügigkeit nach § 18 Abs. 2
VersAusglG nicht stattfinde.
Dagegen hat die Beteiligte zu 1 (Deutsche Rentenversicherung Knapp-
schaft Bahn See) Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass das
Amtsgericht wegen der Gleichartigkeit der Rentenanwartschaften nicht zu ei-
nem Ausschluss des Ausgleichs des Anrechts der Antragstellerin wegen Ge-
ringfügigkeit hätte gelangen dürfen.
Das Oberlandesgericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 31. Mai
2012 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde begründet sein dürfte. Es hat
zugleich neue Auskünfte der Rentenversicherungsträger eingeholt, weil die er-
teilten Auskünfte nach Ehezeitende liegende rentenrechtliche Zeiten einbezo-
gen hätten. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 7. Juni 2012 um Verfah-
renskostenhilfe nachgesucht. Diese hat ihr das Oberlandesgericht versagt. Da-
gegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
II.
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte (vgl. BGHZ 184,
323, 326 f. = FGPrax 2010, 154; Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012
- XII ZB 451/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 5) und auch sonst zulässige Rechtsbe-
schwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass
Verfahrenskostenhilfe im Rahmen des Versorgungsausgleichs nur für eine ei-
gene Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gewährt werden könne. Ver-
fahrenskostenhilfe sei dagegen nicht zu bewilligen, wenn ein Beteiligter nur
"verfahrensbegleitend" seine Rechte wahrnehme. Im vorliegenden Fall habe die
2
3
4
5
- 4 -
Antragstellerin keine Verteidigung gegen die Beschwerde angekündigt, denn
die vom Versorgungsträger angestrebte Änderung habe eine Verbesserung
ihrer Rechtsposition zur Folge, da die Anrechte des Antragsgegners in den Ver-
sorgungsausgleich einbezogen werden sollten. Für die bloße Mitteilung, dass
dem Beschwerdebegehren nicht entgegengetreten werde, sei eine anwaltliche
Vertretung - ebenso wie bei einem Anerkenntnis - nicht geboten. Für die bloße
anwaltliche Beratung genüge das Institut der Beratungshilfe. Allerdings sei nicht
zu verkennen, dass ein Beteiligter, der - anwaltlich ordnungsgemäß beraten -
keinen Antrag stelle, schlechter stehe als ein Beteiligter, der ohne Abwägung
der Sach- und Rechtslage Gegenanträge stelle und Verfahrenskostenhilfe er-
halten könne.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach § 76 Abs. 1 FamFG, §§ 114 ff. ZPO ist bedürftigen Beteiligten
Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wenn deren Rechtsverfolgung (oder
Rechtsverteidigung) Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. § 76
FamFG erfasst den Antragsteller, den Antragsgegner und die vom Gericht hin-
zugezogenen weiteren Beteiligten, die sich im Verfahren äußern, und zwar un-
abhängig davon, ob sie einen eigenen Antrag stellen (BT-Drucks. 16/6308
S. 212). Das gilt insbesondere für Verfahren, die - wie der Versorgungsaus-
gleich bei der Scheidung - auch ohne Antrag eines Verfahrensbeteiligten durch-
zuführen sind. Die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist in diesen Fällen
nach dem erkennbaren Verfahrensziel des Beteiligten zu beurteilen (vgl. BT-
Drucks. 16/6308 S. 212).
Dass der Versorgungsausgleich bei der Scheidung ein von Amts wegen
durchzuführendes und dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegendes Verfah-
ren ist, steht demnach der Verfahrenskostenhilfebewilligung nicht entgegen.
6
7
8
- 5 -
Dementsprechend erstreckt sich nach § 149 FamFG die Bewilligung der Ver-
fahrenskostenhilfe für die Scheidungssache auf eine Versorgungsausgleichs-
folgesache, sofern nicht eine Erstreckung ausdrücklich ausgeschlossen wird,
was allenfalls in Ausnahmefällen gerechtfertigt ist (vgl. Helms in Prütting/Helms
FamFG 3. Aufl. § 149 Rn. 4 mwN; Keidel/Weber FamFG 18. Aufl. § 149 Rn. 6).
Verfahrenskostenhilfe für die Scheidungssache ist aber ohne Rücksicht darauf
zu bewilligen, ob der Antragsgegner der Scheidung widerspricht oder ihr zu-
stimmt. Die Verfahrenskostenhilfe steht demnach selbst dem Beteiligten zu, der
der Scheidung zustimmt und zum Versorgungsausgleich keinen eigenen Antrag
stellt.
In der Rechtsmittelinstanz dürfen insoweit jedenfalls dann keine strenge-
ren Anforderungen gestellt werden, wenn das erkennbare Verfahrensziel des
beteiligten Ehegatten Aussicht auf Erfolg hat (aA - allerdings teilweise für ande-
re Fallgestaltungen - OLG Karlsruhe FamRZ 2013, 392 [LS]; FamRZ 2006,
1134; OLG Zweibrücken FamRZ 2012, 1717 [LS]; FamRZ 1999, 1092 [LS];
OLG Brandenburg FamRZ 2003, 1754, OLG Frankfurt Beschluss vom 9. März
2006 - 6 UF 273/05 - juris; Keidel/Zimmermann FamFG 18. Aufl. § 76 Rn. 9).
Legt ein beteiligter Ehegatte selbst ein Rechtsmittel ein, ist ihm hierfür bei be-
stehender Erfolgsaussicht Verfahrenskostenhilfe unzweifelhaft zu bewilligen. Im
vorliegenden Verfahren hätte der Antragstellerin für eine eigene Beschwerde
demnach Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden müssen, weil der vom Ober-
landesgericht festgestellte Fehler des angefochtenen Beschlusses zu ihren Las-
ten gegangen ist. Dass bereits ein Versorgungsträger Beschwerde eingelegt
hat, stellt in Anbetracht des Umstands, dass eine Antragstellung - wie ausge-
führt - nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht erforderlich ist, keinen
entscheidenden Unterschied dar. Auch wenn ein Ehegatte der Beschwerde le-
diglich nicht entgegentritt, ist ihm beim Versorgungsausgleich bei der Schei-
9
- 6 -
dung jedenfalls dann Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wenn die Beschwer-
de zu seinen Gunsten Aussicht auf Erfolg hat.
Indem das Gesetz den Ehegatten eine Beteiligtenstellung einräumt, geht
es davon aus, dass es diesen möglich sein muss, ihre Interessen selbständig
wahrzunehmen. Der Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe kann also nicht des-
wegen in Frage gestellt werden, weil mit dem Versorgungsträger bereits ein
anderer Verfahrensbeteiligter oder das Gericht die Interessen der Ehegatten
wahrt (vgl. auch Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ
2012, 1290 Rn. 20 ff.). In Anbetracht der Komplexität der Materie muss es die-
sen vielmehr auch im Beschwerdeverfahren möglich sein, den Versorgungs-
ausgleich bei der Scheidung sachgerecht zu beurteilen und gegebenenfalls
richtigstellend einzugreifen. Das zeigt sich im vorliegenden Fall nicht zuletzt
auch daran, dass das Oberlandesgericht ohne entsprechende Rüge der Be-
schwerdeführerin neue Auskünfte der Versorgungsträger eingeholt hat. Zur
Wahrung ihrer Rechte benötigt die Antragstellerin rechtskundige Unterstützung,
schon weil sie die Richtigkeit der Auskünfte und die sich aus diesen ergeben-
den rechtlichen Folgen für den Versorgungsausgleich aus eigener Kenntnis
nicht beurteilen kann. Es lässt sich dann nicht rechtfertigen, dem beteiligten
Ehegatten in der Beschwerdeinstanz bei bestehender Erfolgsaussicht weniger
Unterstützung zuzubilligen als in erster Instanz.
Die Beratungshilfe stellt insoweit keine gleichwertige Alternative dar und
vermag die Verfahrenskostenhilfe zur Ermöglichung der sachgerechten Beteili-
gung im Beschwerdeverfahren nicht zu ersetzen. Damit ist nicht ausgeschlos-
sen, dass die Verfahrenskostenhilfe in Einzelfällen wegen Mutwilligkeit zu ver-
sagen ist.
10
11
- 7 -
b) Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Der Senat
kann in der Sache selbst entscheiden, weil Gründe, die der Verfahrenskosten-
hilfebewilligung entgegenstehen, nicht in Betracht kommen. Aus dem oben
Ausgeführten ergibt sich zugleich die Notwendigkeit der Beiordnung eines
Rechtsanwalts.
Dose
Klinkhammer
Schilling
Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 16.04.2012 - 627 F 2380/11 -
OLG Celle, Entscheidung vom 29.06.2012 - 10 UF 110/12 -
12