Urteil des BGH vom 24.01.2008

BGH (stgb, stpo, umfang, prüfung, unterbringung, marihuana, konsum, strafkammer, menge, schuldspruch)

5 StR 621/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 24. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2008
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Berlin vom 15. Mai 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Ange-
klagte in den Urteilsfällen II. 16. und 17. wegen unerlaub-
ten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit
mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt ist,
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststel-
lungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in 15 Fällen, wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Widerstands ge-
gen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
und neun Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Der Ange-
klagte wendet sich mit einer Verfahrens- und der Sachrüge gegen seine Ver-
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urteilung; sein Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
Erfolg und ist im Übrigen gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
1. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, besteht
zwischen den Urteilsfällen II. 16. und 17. Tateinheit, so dass der Schuld-
spruch entsprechend zu ändern ist.
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2. Zudem liegt ein sachlichrechtlicher Mangel darin, dass das Landge-
richt nicht erkennbar geprüft hat, ob eine Maßregel nach § 64 StGB anzuord-
nen war. Nach den Feststellungen drängte sich eine solche Prüfung aber auf.
Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
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„Der Angeklagte war ehemals kokainabhängig und beging aufgrund
dieser Sucht Straftaten, die zu Verurteilungen in den Jahren 2000 und 2001
führten. Er absolvierte in der Folgezeit erfolgreich eine Drogentherapie, wor-
auf er bis Sommer 2005 drogenfrei lebte. Anschließend begann er mit dem
Konsum von Marihuana. Um diesen Konsum finanzieren zu können, ent-
schloss er sich zu einem illegalen Handel mit Marihuana und beging die ver-
fahrensgegenständlichen Taten, wobei er nicht ausschließbar THC-intoxikiert
war.
Diese festgestellten Umstände legen einen Hang im Sinne von § 64
StGB nahe. Dem steht nicht entgegen, dass die Strafkammer eine
− erneu-
te
− Betäubungsmittelabhängigkeit nicht positiv festgestellt und eine erheb-
lich verminderte Schuldfähigkeit verneint hat. Denn ausreichend für die An-
nahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Betäubungsmitteln ist
jedenfalls, dass der Betroffene sozial gefährlich oder gefährdet erscheint.
Das kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in
einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und
Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbe-
sondere auch bei Beschaffungskriminalität (vgl. BGH, Beschluss vom
10. August 2007
− 2 StR 344/07 −).
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Vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte bereits einmal eine Dro-
gentherapie erfolgreich absolviert hat und mit seiner Revision die Möglichkeit
einer Vollstreckungszurückstellung nach § 35 BtMG anstrebt, dürfte auch
eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB
bestehen.
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Der Teilaufhebung steht nicht entgegen, dass § 64 StGB durch das
Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-
haus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I, 1327) von
einer Muss- in eine Sollvorschrift umgestaltet worden ist. Dies macht die Prü-
fung des § 64 StGB durch den Tatrichter nicht entbehrlich. Dieser muss viel-
mehr das Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung
für das Revisionsgericht nachprüfbar machen (vgl. BGH, Beschluss vom
13. November 2007
− 3 StR 452/07 −).
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Die Frage nach der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in ei-
ner Entziehungsanstalt nach § 64 StGB bedarf mithin unter Hinzuziehung
eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) der Prüfung und Entscheidung durch
ein neues Tatgericht.“
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Dem schließt sich der Senat an.
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Damit der neue Tatrichter mit Hilfe des hinzuzuziehenden Sachver-
ständigen den Zustand des Angeklagten und die Frage seiner Schuldfähig-
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keit umfassend würdigen kann – § 20 StGB liegt ersichtlich nicht vor –, hebt
der Senat den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf.
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