Urteil des BGH vom 05.06.1997

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 494/00
Verkündet am:
16. Mai 2002
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
VOB/B § 17 Nr. 3 und 6
a) Die vorrangig vor der VOB/B geltende Vertragsklausel in Allgemeinen Geschäfts-
bedingungen des Auftraggebers, die vorsieht, daß von der Schlußrechnung ein
Gewährleistungseinbehalt in Abzug gebracht wird, der durch eine Bürgschaft auf
erstes Anfordern abgelöst werden kann, ist dahin auszulegen, daß sowohl das
Wahlrecht aus § 17 Nr. 3 VOB/B als auch die Verpflichtung des Auftraggebers zur
Einzahlung auf ein Sperrkonto nach § 17 Nr. 6 VOB/B ausgeschlossen sind.
b) Eine derartige Klausel ist unwirksam (BGH, Urteil vom 5. Juni 1997 - VII ZR
324/95, BGHZ 136, 27).
BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - VII ZR 494/00 - OLG Dresden
LG Dresden
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Hausmann, Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Dresden vom 23. November 2000 aufgeho-
ben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 9. Zivilkammer
des Landgerichts Dresden vom 18. Mai 2000 wird zurückgewie-
sen.
Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Herausgabe der Urkunde
über eine Gewährleistungsbürgschaft.
Sie war als Generalunternehmerin mit dem Umbau und der Sanierung
eines Gebäudes beauftragt. Vertragsbestandteil waren unter anderem in dieser
Reihenfolge der Generalunternehmervertrag und die VOB/B. Vereinbart war
eine Gewährleistungsfrist von fünf Jahren. Nach einem Termin- und Zahlungs-
plan der von den Beklagten gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen
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sollten Abschlagszahlungen bis zum Erreichen von 95% der Vertragssumme
geleistet werden. Hinsichtlich der Zahlung sah § 5 Nr. 2 des GU-Vertrages
weiter vor:
"Von der Schlußrechnung wird ein Gewährleistungseinbehalt in
Höhe von 5 % in Abzug gebracht. Dieser Gewährleistungseinbe-
halt kann durch Bürgschaft (Muster C.) abgelöst werden und
kommt im Falle der Bürgschaftsvorlage umgehend zur Auszah-
lung."
In § 10 Nr. 1 des Generalunternehmervertrags ist unter "Gewährlei-
stungsbürgschaft" ebenfalls ein Einbehalt von 5% vorgesehen. "Statt dessen"
konnte der Generalunternehmer Sicherheit durch Bürgschaft nach Muster lei-
sten. Das Vertragsmuster weist eine Bürgschaft auf erstes Anfordern aus.
Nach Erstellung der Schlußrechnung übergab die Klägerin den Beklag-
ten eine Bürgschaftsurkunde über 490.000 DM. Zwischen den Parteien ist strei-
tig, ob die Beklagten den Gewährleistungseinbehalt in voller Höhe ausbezahlt
haben. Unstreitig ist noch ein Werklohn in Höhe von 140.115,25 DM offen.
Die Klägerin stützt ihr Herausgabeverlangen darauf, daß die Beklagten
den Bareinbehalt nicht vollständig ausbezahlt haben, ferner darauf, daß die Si-
cherungsabrede unwirksam sei.
Das Landgericht hat die Beklagten zur Herausgabe der Gewährlei-
stungsbürgschaft verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit der dagegen gerichteten Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstel-
lung des landgerichtlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Beru-
fungsurteils und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Das für das Schuldverhältnis maßgebliche Recht richtet sich nach den
bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht sieht in der Vereinbarung über den Sicherheitsein-
behalt keinen Verstoß gegen § 9 AGBG. Der Auftragnehmer werde durch eine
Bürgschaft auf erstes Anfordern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur
dann unangemessen benachteiligt, wenn im übrigen das Wahlrecht des § 17
VOB/B ausgeschlossen sei. Dies sei hier nicht der Fall. Weder in § 10 des
GU-Vertrages noch in Nr. 17 der zusätzlichen Vertragsbedingungen sei das
Wahlrecht ausgeschlossen worden. Dort seien lediglich Sonderregelungen für
die Gestellung der Bürgschaft getroffen. § 17 VOB/B bleibe im übrigen an-
wendbar. Daher sei es dem Auftragnehmer noch möglich, es beim Einbehalt mit
Einzahlungspflicht auf ein Sperrkonto zu belassen. Die Vertragsklausel sei
deswegen nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Bezug
auf Urteil vom 5. Juni 1997 - VII ZR 324/95, BGHZ 136, 27) unwirksam.
II.
Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Die Klägerin hat Anspruch
auf Herausgabe der Bürgschaft auf erstes Anfordern, weil sie diese ohne
Rechtsgrund gegeben hat (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB).
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Die Klägerin wird durch die Sicherungsabrede unangemessen im Sinne
des § 9 AGBG benachteiligt.
1. Eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bau-
vertrages, wonach der Besteller nach Abnahme des Bauwerks 5 % der Auf-
tragssumme für die Dauer der fünfjährigen Gewährleistungsfrist als Sicherheit
einbehalten darf, benachteiligt den Unternehmer entgegen den Geboten von
Treu und Glauben unangemessen; sie ist unwirksam, wenn ihm kein angemes-
sener Ausgleich dafür zugestanden wird (BGH, Urteil vom 5. Juni 1997 - VII ZR
324/95, BGHZ 136, 27).
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgericht ist kein angemessener
Ausgleich vereinbart. § 17 VOB/B kommt nicht ergänzend zur Anwendung.
Nach § 5 und § 10 Nr. 1 des Generalunternehmervertrags war die Kläge-
rin nur berechtigt, den Gewährleistungseinbehalt von 5% durch eine Bürgschaft
auf erstes Anfordern abzulösen. Diese Vertragsklauseln und Nr. 17 der zusätz-
lichen Vertragsbedingungen sehen den Bareinbehalt von 5% der Auftragssum-
me vor. Der Einbehalt kann nur durch eine Gewährleistungsbürgschaft auf er-
stes Anfordern abgelöst werden. § 10 Nr. 1 Satz 2 des Generalunternehmer-
vertrags läßt diese "statt dessen" zu, d.h. statt des in Satz 1 dieser Vertrags-
klausel geregelten Einbehalts von 5%. Nr. 17 der zusätzlichen Vertragsbedin-
gungen befaßt sich nur mit den Bürgschaften und nicht mit dem Aus-
tauschrecht. Die Wahl anderer Austauschsicherheiten gemäß § 17 Nr. 3 VOB/B
oder das Verlangen nach Einzahlung auf ein Sperrkonto gemäß § 17 Nr. 6 Abs.
1 und 3 VOB/B ist damit nicht eröffnet. Vielmehr wird mit dieser Formulierung
eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß nur ein Bareinbehalt gewollt ist, der le-
diglich durch Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden kann (vgl. dazu
Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/B, 9. Aufl., § 17 Rdn. 40). Auch durch die Be-
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zugnahme auf die VOB/B in § 2 des Generalunternehmervertrages läßt sich
hierzu nichts herleiten, weil die VOB/B gegenüber den anderen das Ablösungs-
recht ausschließenden Vertragsklauseln nachrangig gelten soll. Nach § 2 Nr. 8
dieses Vertrages soll die VOB/B hinter den speziellen Regelungen des Gene-
ralunternehmervertrages zurücktreten. Die Ablösung des Bareinbehalts von 5%
durch eine Bürgschaft allein auf erstes Anfordern ist kein angemessener Aus-
gleich (BGH, Urteil vom 5. Juni 1997 - VII ZR 324/95 aaO).
Ullmann Hausmann Kuffer
Kniffka Bauner