Urteil des BGH vom 19.05.2010

Markenheftchen Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 158/08 Verkündet
am:
19. Mai 2010
Bürk
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Markenheftchen
UWG § 4 Nr. 9 lit. b; UrhG § 4 Abs. 1, 2
a) Der für eine unlautere Rufausbeutung erforderliche Imagetransfer kann nicht
allein damit begründet werden, dass ein Wettbewerber in seinem über eine
eigenständige Systematik verfügenden Nachschlagewerk für Briefmarken als
Referenz die im Verkehr durchgesetzte Systematik aus dem Konkurrenzpro-
dukt des Marktführers übernimmt und jedem Eintrag zuordnet, um es dem
Benutzer auf diese Weise zu ermöglichen, im Verkehr mit Dritten auch ohne
Erwerb des Konkurrenzprodukts auf dessen als Standard akzeptierte Refe-
renznummern Bezug zu nehmen.
b) Die Schutzfähigkeit einer Datensammlung als Datenbankwerk kann nicht
schon deshalb verneint werden, weil keine individuelle eigenschöpferische
Auswahlentscheidung hinsichtlich der aufgenommenen Daten getroffen wor-
den ist.
BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 - I ZR 158/08 - OLG München
LG München I
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 19. Mai 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 29. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 4. September 2008 aufge-
hoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückver-
wiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger und die Beklagte zu 1 (nachfolgend: die Beklagte) sind Verla-
ge, in denen Briefmarkenkataloge für Briefmarkensammler, Händler und Aukti-
onshäuser erscheinen. Sie verwenden in ihren Katalogen jeweils ein Nummern-
system, das es den Sammlern ermöglicht, die einzelnen Briefmarken allein an-
hand einer individuellen Nummer zuzuordnen. Der Beklagte zu 2 ist im Unter-
nehmen der Beklagten für den Vertrieb der Kataloge verantwortlich.
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Im Verlag des Klägers erscheinen die Briefmarkenkataloge "M. ".
Diese Kataloge sind unter Philatelisten sehr bekannt und erreichen für die
deutschsprachigen Sammelgebiete nach den Behauptungen des Klägers einen
Marktanteil von 60% bis 70%. Das Nummernsystem der Kataloge wurde bereits
in dem ersten, 1910 publizierten M. -Katalog verwendet, der wiederum - in
zwischen den Parteien streitigem Umfang - auf Vorarbeiten vom Ende des
19. Jahrhunderts zurückgriff. Der Kläger hat sein Nummernsystem laufend er-
gänzt und nach seinem Vortrag stetig fortentwickelt.
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Im M. -Nummernsystem wird eine Hauptnummer aus einer für jedes
Sammelgebiet fortlaufenden arabischen Ziffer gebildet, der gegebenenfalls wei-
tere Unternummern aus Groß- und Kleinbuchstaben sowie aus römischen Zif-
fern zur Bezeichnung von Trennungsarten, Farbtönungsunterschieden, Was-
serzeichenarten, Papier- und Gummierungsunterschieden, Druckarten, Typen-
arten etc. zugeordnet werden. Auf dem Sammelgebiet der Markenheftchen aus
der Bundesrepublik Deutschland verwendet der Kläger ein abweichendes
Nummernsystem, das mit den Buchstaben "MH" beginnt. Bis Mitte 2006 wurde
das Sammelgebiet Markenheftchen in den allgemeinen Katalogen des Klägers
mitbehandelt.
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Die Beklagte verwendet ein abweichendes Nummernsystem, bei dem ei-
ne Buchstabenfolge für das herausgebende Land vorangestellt wird und sich
eine fortlaufende Nummer aus arabischen Ziffern anschließt. Teilweise folgen
für Unterarten weitere Nummern aus arabischen Ziffern, die durch einen
Bindestrich getrennt werden. Weitere Unterarten werden durch einen Groß-
buchstaben ergänzt.
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Im Juli 2006 veröffentlichte die Beklagte in erster Auflage ihren "Marken-
heftchen-Spezial-Katalog BUND 2006". In diesem Katalog findet sich hinter ih-
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rer Klassifizierungsnummer für das jeweilige Markenheftchen (z.B. "H082" auf
S. 270) die in Klammern gesetzte Markenheftchennummer aus dem im Früh-
sommer 2006 erstmals vom Kläger veröffentlichten "M. Handbuch-
Katalog Markenheftchen Bundesrepublik und Berlin 2006/2007 (im Folgenden:
M.
Markenheftchen-Katalog)" (im Beispiel: "MH
63"). Für die in den
Markenheftchen enthaltenen Briefmarken gibt die Beklagte nach ihrer
Klassifizierungsnummer (im Beispiel: "10 x DE 2405") ebenfalls jeweils die
Nummer des Klägers an (im Beispiel: "2537").
Auf der dritten Innenseite des Katalogs der Beklagten findet sich folgen-
der Text:
6
Quellenhinweis: Referenz Nummer in Klammer aufgeführt stammt aus der Ver-
öffentlichung
des
S.
Verlag
GmbH,
Tel. .
Der Kläger hält die Klammerzusätze mit seinen Nummern in dem Mar-
kenheftchen-Katalog der Beklagten für urheber- und wettbewerbsrechtlich un-
zulässig. Er hat beantragt,
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den Beklagten zu untersagen, die Briefmarkennummerierung der M.
-
Deutschland-Kataloge und die Nummerierung der Markenheftchen im M. -
Handbuch Katalog Markenheftchen Bundesrepublik und Berlin 2006/2007 im
geschäftlichen Verkehr zu verwenden, insbesondere durch Wiedergabe und
Vervielfältigung in dem von ihr neu herausgegebenen "Philotax, Markenheft-
chen-Spezialkatalog Bund 2006, 1. Auflage".
Der Kläger begehrt ferner die Erstattung von Abmahnkosten. Vom Be-
klagten zu 2 verlangt er darüber hinaus im Wege der Stufenklage Auskunft, ei-
desstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der zu erteilenden
Auskunft sowie Schadensersatz.
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Das Landgericht hat durch Teil- und Endurteil den Unterlassungsan-
spruch unter Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform zuerkannt, den
Auskunftsanspruch auf die Angabe gewerblicher Empfänger beschränkt und die
Abmahnkosten zugesprochen. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg
geblieben.
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Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Be-
klagten ihre Klageabweisungsanträge weiter. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel
entgegen.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
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Dem Kläger stehe kein Unterlassungsanspruch aus Urheberrecht nach
§ 97 Abs. 1 UrhG zu. Das Nummernsystem des Klägers weise keine für einen
Schutz als Sprachwerk erforderliche Gestaltungshöhe auf (§ 2 Abs. 2 UrhG). Es
sei auch kein Datenbankwerk i.S. von § 4 Abs. 2 UrhG, weil es nicht das Er-
gebnis einer individuellen, eigenschöpferischen Auswahlentscheidung sei, son-
dern die von den einzelnen Ländern amtlich herausgegebenen Briefmarken
vollständig erfasse.
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Hinsichtlich der Übernahme der Nummern aus dem "M. Marken-
heftchen-Katalog" sei der Unterlassungsanspruch des Klägers aber aus § 87a
Abs. 1 Satz 1, § 87b Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG begründet. Die
Beklagte habe insoweit in das Recht des Klägers als Datenbankhersteller ein-
gegriffen. Das Nummernsystem der Markenheftchen in diesem Katalog sei eine
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nach § 87a Abs. 1 UrhG schutzfähige Datenbank, da es weit über eine schlichte
fortlaufende Nummerierung hinausgehe. Die Beklagte habe in das Schutzrecht
des Klägers als Datenbankhersteller eingegriffen, indem sie die kompletten
Nummern des "M. Markenheftchen-Katalog" in den angegriffenen "Mar-
kenheftchen-Spezial-Katalog Bund 2006" in Form von Klammerzusätzen über-
nommen habe. Hingegen könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte
auch das Nummernsystem des Klägers für Briefmarken rechtswidrig entnom-
men habe. Die M. -Briefmarkendatenbank beziehe sich nach dem Vortrag
des Klägers auf mehrere hunderttausend Briefmarken. Davon sei unstreitig nur
ein geringer Teil von der Beklagten übernommen worden, ohne dass dessen
qualitative Wesentlichkeit oder eine Gefährdung langjähriger Investitionen des
Klägers erkennbar sei.
Die Klammerzusätze im Katalog der Beklagten seien aber, auch soweit
sie sich auf Briefmarken bezögen, eine unlautere Rufausbeutung i.S. von §§ 3,
4 Nr. 9 lit. b UWG. Die Nummernsysteme für die Briefmarken und die Marken-
heftchen besäßen wettbewerbliche Eigenart. Die Beklagten hätten die Num-
mern des Klägers durch unveränderte Übernahme in ihren Katalog zum Ge-
genstand ihrer eigenen Leistung gemacht und dadurch nachgeahmt. Für die
unlautere Rufausbeutung reiche ein Imagetransfer aus. Entscheidend sei dabei,
dass im Streitfall dem angesprochenen Verkehr vermittelt werde, aufgrund der
Klammerzusätze in dem Katalog der Beklagten in gewohnter Weise "arbeiten"
zu können, ohne das teurere Produkt des Klägers erwerben zu müssen.
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Der Beklagte zu 2 sei als verantwortlicher Vertriebsleiter selbst Täter ei-
nes Wettbewerbsverstoßes. Auch die Verurteilung zur Auskunftserteilung und
zur Zahlung vorgerichtlicher Abmahnkosten sei zu Recht erfolgt.
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II. Diese Beurteilung hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.
Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann dem Kläger
der geltend gemachte Unterlassungsanspruch weder wegen Verletzung eines
Datenbankherstellerrechts (§§ 87a, 87b, 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG) noch aufgrund
unlauterer Rufausbeutung (§ 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 9 lit. b UWG) zuge-
sprochen werden. Das Berufungsurteil kann ohne weitere Feststellungen auch
nicht wegen Verletzung des Rechts an einem Datenbankwerk (§ 4 Abs. 2,
§§ 16, 17, 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG) bestätigt werden.
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1. Das Berufungsgericht hat dem Kläger den Unterlassungsanspruch
hinsichtlich des Nummernsystems für die Markenheftchen nach § 97 Abs. 1
Satz 1 UrhG gewährt, weil die Beklagte in das Recht des Klägers als Daten-
bankhersteller (§ 87a Abs. 1 Satz 1, § 87b Abs. 1 Satz 1 UrhG) eingegriffen
habe. Dies hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellun-
gen des Berufungsgerichts tragen seine Annahme nicht, bei dem Nummern-
system des Klägers handele es sich um eine schutzfähige Datenbank i.S. von
§ 87a Abs. 1 UrhG.
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a) Datenbankhersteller können für Datenbanken, die vor dem 1. Januar
1983 hergestellt worden sind, keinen Schutz beanspruchen. Das folgt aus der
Bestimmung des § 137g UrhG, nach der die am 1. Januar 1998 in Kraft getre-
tenen Vorschriften zum Schutz des Datenbankherstellers auch auf Datenban-
ken Anwendung finden, die zwischen dem 1. Januar 1983 und dem 31. Dezem-
ber 1997 hergestellt worden sind. Diese Regelung ist im Streitfall entschei-
dungserheblich. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es für die Frage,
wann sein Nummernsystem für Markenheftchen als Datenbank hergestellt wor-
den ist, nicht darauf an, dass er einen eigenständigen Markenheftchen-Katalog
erstmals im Jahr 2006 veröffentlichte. Denn er hat sein Nummernsystem für
Markenheftchen bereits lange Zeit zuvor entwickelt.
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Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen
des Landgerichts, das wiederum auf den schriftsätzlichen Vortrag des Klägers
verwiesen hat, entstand das Nummernsystem des Klägers für Markenheftchen
ab Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Das auf
diese Weise gesondert katalogisierte Sammelgebiet der Markenheftchen wurde
vom Kläger in die üblichen allgemeinen Kataloge eingeordnet, bis im Frühsom-
mer 2006 erstmals der M. Markenheftchen-Katalog erschien. Dieser vom
Berufungsgericht in Bezug genommene Katalog des Klägers befasst sich über-
wiegend mit vor 1983 erschienenen Markenheftchen. Auch solange das Sam-
melgebiet der Markenheftchen in die üblichen allgemeinen Kataloge eingeord-
net wurde, lag dieser Einordnung bereits das Nummernsystem des Klägers
zugrunde. Das Nummernsystem für Markenheftchen als Datenbank war damit
bereits lange vor dem Jahr 2006 etabliert.
b) Unter diesen Umständen hat der Kläger nur dann nach § 87a Abs. 1
Satz 2 UrhG Schutz für sein schon vor 1983 hergestelltes Nummernsystem für
Markenheftchen erlangt, wenn es in seinem Inhalt nach Art oder Umfang nach
dem 31. Dezember 1982 wesentlich verändert worden ist und die Änderung
eine wesentliche Investition erfordert hat. Dazu hat das Berufungsgericht keine
Feststellungen getroffen.
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Die Art des Inhalts der Datenbank des Klägers, ein Nummernsystem für
Markenheftchen, ist unverändert geblieben. Ob diese bis Ende 1982 schon über
viele Jahre entwickelte Datenbank nach diesem Zeitpunkt in ihrem Umfang un-
ter Einsatz wesentlicher Investitionen erheblich geändert wurde, hat das Beru-
fungsgericht nicht festgestellt. Die Ergänzung der Datenbank um später er-
schienene Markenheftchen und darin enthaltene Briefmarken reicht dafür nicht
ohne weiteres aus. Es kommt vielmehr darauf an, ob diese Ergänzung im Ver-
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- 9 -
hältnis zu den bereits Ende 1982 vorhandenen Daten quantitativ wesentlich war
und erhebliche Investitionen des Klägers erforderte. Um ein gesondertes Recht
des Datenbankherstellers an den Markenheftchennummern zu begründen, ist
nach 1982 entstandener Aufwand des Klägers zudem nur erheblich, soweit er
sich speziell auf die Markenheftchennummern bezieht. Auf Investitionen zur
Fortführung des M. -Nummernsystems für Briefmarken kommt es in diesem
Zusammenhang nicht an.
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dem Kläger den Unterlassungs-
anspruch wegen unlauterer Rufausbeutung (§ 4 Nr. 9 lit. b UWG) gewährt. Der
angegriffene Katalog der Beklagten enthält zwar eine Nachahmung des Num-
mernsystems des Klägers, dem auch wettbewerbliche Eigenart zukommt. Es
fehlt aber an zusätzlichen Umständen, die erforderlich sind, um dieses Verhal-
ten als unlauter anzusehen.
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a) Auf das in die Zukunft gerichtete Unterlassungsbegehren sind die Be-
stimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung
des am 30. Dezember 2008 in Kraft getretenen Ersten Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. Dezember 2008
(BGBl. I S. 2949; im Folgenden: UWG 2008) anzuwenden. Der auf Wiederho-
lungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch besteht allerdings nur, wenn das
beanstandete Verhalten auch schon zur Zeit der Begehung im Juli 2006 nach
der am 8. Juli 2004 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes gegen den un-
lauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (BGBl. I S. 1414; im Folgenden: UWG
2004) wettbewerbswidrig war. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebli-
che Änderung der Rechtslage ist jedoch nicht eingetreten, so dass im Folgen-
den zwischen dem alten und dem neuen Recht nicht unterschieden zu werden
braucht.
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Die Änderungen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und § 3 UWG sind für den Streitfall
ohne Bedeutung. Die Veröffentlichung des beanstandeten Katalogs der Beklag-
ten erfüllt sowohl die Voraussetzungen einer Wettbewerbshandlung nach § 2
Abs. 1 Nr. 1, § 3 UWG 2004 als auch einer geschäftlichen Handlung nach § 2
Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 UWG 2008. Die Voraussetzungen des Unterlassungs-
anspruchs (§ 8 Abs. 1 UWG) und des Schadensersatzanspruchs (§ 9 Satz 1
UWG) sind gleich geblieben. Die Vorschrift des § 4 Nr. 9 UWG über den ergän-
zenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz gilt ebenfalls unverändert fort.
Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken steht einer An-
wendung des § 4 Nr. 9 UWG nicht entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 15.4.2010
- I ZR 145/08, BeckRS 24535 Tz. 18 - Femur-Teil, m.w.N.).
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b) Zutreffend hat das Berufungsgericht den Nummernsystemen des Klä-
gers für Briefmarken und Markenheftchen wettbewerbliche Eigenart zuerkannt.
Seine Beurteilung, beim Briefmarken-Nummernsystem des Klägers handele es
sich um ein in Philatelisten-Kreisen durchgesetztes Nummernsystem, mit dem
der angesprochene Verkehr eine besondere Gütevorstellung verbinde und das
ihm aus dem Hause der Rechtsvorgänger des Klägers bekannt sei, lässt keinen
Rechtsfehler erkennen. Wie das Berufungsgericht weiter festgestellt hat, lehnt
sich das Nummernsystem des Klägers für Markenheftchen an sein allseits be-
kanntes Nummernsystem für Briefmarken an, so dass es aufgrund seiner kon-
kreten Ausgestaltung und seiner damit verbundenen typischen Merkmalsstruk-
tur auf die Herkunft aus dem Unternehmen der Klägerin hinweist.
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c) Die Beklagten haben das Nummernsystem des Klägers für Marken-
heftchen durch die Klammerzusätze in den angegriffenen Katalog vollständig
und unverändert übernommen und damit die Nachahmung der Leistung eines
Mitbewerbers als Teil einer eigenen Ware angeboten.
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aa) Die Nummernsysteme des Klägers für Briefmarken und Markenheft-
chen sind gegenüber den von ihm herausgegebenen Briefmarkenkatalogen
eigenständige, marktfähige Leistungen.
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bb) Die Beklagte hat diese Leistung vollständig übernommen, indem sie
das gesamte Nummernsystem des Klägers für Markenheftchen in dem ange-
griffenen Katalog verwendet hat.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts brachte die Beklagte die
erste Auflage dieses Katalogs im Juli 2006 auf den Markt. In dem Katalog be-
fand sich hinter der jeweiligen Klassifizierungsnummer der Beklagten jeweils in
Klammern die Markenheftchen-Nummer des im Frühsommer 2006 erstmals
vom Kläger veröffentlichten M. Markenheftchen-Katalogs, wobei diese
Übernahme das komplette Nummernsystem des M.
Markenheftchen-
Katalogs betraf.
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cc) Ohne Erfolg macht die Revision hiergegen geltend, der M. Mar-
kenheftchen-Katalog habe bei Herstellung des angegriffenen Katalogs der Be-
klagten noch nicht existiert. Darauf kommt es für die Entscheidung des Streit-
falls nicht an. Der Unterlassungsantrag des Klägers bezieht sich nicht auf eine
Nachahmung seines Markenheftchen-Katalogs, sondern auf die Verwendung
seines Nummernsystems für Markenheftchen durch die Beklagte. Dieses
Nummernsystem hatte der Kläger unstreitig schon vor dem Juli 2006 entwickelt.
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dd) Entgegen der Ansicht der Revision ist eine Nachahmung im Streitfall
auch nicht deswegen zu verneinen, weil die Beklagte nicht die Leistung eines
Dritten vermarktet, sondern eine andersartige eigene Leistung angeboten hat
(vgl. BGHZ 156, 1, 18 - Paperboy; BGHZ 181, 77 Tz. 43 - DAX). Im vorliegen-
den Fall verwendet die Beklagte das von dem Kläger geschaffene Leistungser-
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gebnis unmittelbar und unverändert bei der Vermarktung ihres eigenen Mar-
kenheftchen-Nummernsystems und ihres eigenen Katalogs, die in Konkurrenz
zu den entsprechenden Produkten des Klägers stehen. In der von der Beklag-
ten angebotenen Leistung ist damit zugleich die Leistung des Klägers enthalten.
Die Käufer des Produkts der Beklagten benötigen nicht mehr den Katalog des
Klägers, um mit dessen Nummernsystem arbeiten zu können.
d) Die Klammerzusätze mit den Markenheftchen-Nummern des Klägers
in den Katalogen der Beklagten stellen jedoch keine unlautere Ausnutzung der
Wertschätzung des Nummernsystems des Klägers für Markenheftchen dar.
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aa) Die Annahme einer unlauteren Rufausnutzung ist allerdings nicht
schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klammerzusätze nach der Richtlinie
2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung zulässig sind (vgl.
Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 4 Rdn. 9.5). Eine vergleichende
Werbung liegt nicht vor. Der Streitfall ist nicht mit den Fällen der Bestellnum-
mernübernahme vergleichbar, in denen das Angebot des Werbenden dem An-
gebot eines anderen Unternehmens als gleichwertig gegenübergestellt wird und
zu diesem Zweck die Bestellnummer des anderen Unternehmens in Formula-
ren, Katalogen und Ähnlichem der eigenen Bestellnummer des Werbenden hin-
zugefügt wird (vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2001 - C-112/99, Slg. 2001, I-7945 =
GRUR 2002, 354 Tz. 35 ff. - Toshiba/Katun; Urt. v. 23.2.2006 - C-59/05, Slg.
2006, I-2147 = GRUR 2006, 345 Tz.
17
ff.; BGH, Urt. v. 2.12.2004
- I ZR 273/01, GRUR 2005, 348 - Bestellnummernübernahme). Vielmehr ist die
Markenheftchen-Nummer des Klägers als solche wesentlicher Bestandteil der
von der Beklagten angebotenen Leistung. Sie dient nicht einem Vergleich zwi-
schen den Leistungen der Parteien.
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- 13 -
bb) Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht den für eine Ruf-
ausbeutung erforderlichen Imagetransfer begründet, sind jedoch nicht frei von
Rechtsfehlern. Es trifft zwar zu, dass insofern eine offene oder verdeckte An-
lehnung an die fremde Leistung genügt. Anders als das Berufungsgericht meint,
kommt dabei aber dem Umstand keine Bedeutung zu, dass dem Verkehr auf-
grund der Klammerzusätze im angegriffenen Katalog vermittelt wird, er könne
mit ihm weiterhin in der aus dem M. -Katalog gewohnten Weise "arbeiten",
so dass es nicht erforderlich sei, das teurere Produkt des Klägers zu erwerben.
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Der Senat hat in der Entscheidung "Tele-Info-CD" (BGHZ 141, 329,
342 f.) zwar ausgeführt, dass es ein weiterer für eine unlautere Behinderung
sprechender Gesichtspunkt ist, wenn ein Unternehmen aufgrund der systemati-
schen Übernahme seiner Leistung dem Preiswettbewerb eines Konkurrenzpro-
dukts ausgesetzt ist, das ohne entsprechenden Herstellungsaufwand auf der
unmittelbar übernommenen Leistung aufbaut. Die für den Tatbestand des § 4
Nr. 9 lit. b UWG erforderliche Rufausbeutung hat der Senat jedoch nicht auf-
grund dieser Erwägung angenommen. Vielmehr war dafür entscheidend, dass
das Angebot der dortigen Beklagten auf den Gütevorstellungen des Verkehrs
von der übernommenen Leistung beruhte, weil der Verkehr mit Recht erwartete,
dass sich die Verzeichnisse der dortigen Beklagten nicht auf eigene Recher-
chen stützen konnten, sondern auf die "amtlichen" Daten der seinerzeitigen Klä-
gerin. Damit ist der Streitfall indes nicht vergleichbar. Denn die Beklagte hat
selbst ein Nummernsystem entwickelt, das sie in einem eigenen, gegenüber
dem Katalog des Klägers deutlich abweichend gestalteten Katalog vertreibt. Sie
hat zudem ein berechtigtes Interesse, aufgrund der Referenzen auf die Num-
mern des Klägers ihr eigenes Nummernsystem überhaupt erst verkehrsfähig zu
machen (vgl. EuGH GRUR 2002, 354 Tz. 54 - Toshiba/Katun).
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cc) Auf andere Umstände, aus denen sich ein Imagetransfer vom Kläger
auf die Beklagte ergeben könnte, stützt sich das Berufungsgericht nicht. Sie
sind auch nicht ersichtlich. Der mündige, von dem Angebot der Beklagten an-
gesprochene Verbraucher, also der Philatelist, Briefmarkenhändler und Auktio-
nator, wird die Klammerzusätze im Katalog der Beklagten als Arbeitshilfe auf-
fassen, die ihm die Kommunikation in den Fachkreisen aufgrund der dort weit-
hin durchgesetzten M. -Nummern erst ermöglicht oder jedenfalls deutlich
erleichtert. Auch vor dem Hintergrund des in dem angegriffenen Katalog enthal-
tenen Quellenhinweises wird der Verbraucher die Nummernsysteme der Partei-
en weiterhin als nebeneinanderstehend und eigenständig begreifen, ohne die
Gütevorstellungen, die sich mit dem System des Klägers verbinden, auf das
Nummernsystem der Beklagten zu übertragen.
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3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht im
Ergebnis aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Es kommt zwar ein Un-
terlassungsanspruch des Klägers wegen Verletzung von Rechten an einem Da-
tenbankwerk (§ 4 Abs. 1, 2, §§ 16, 17 UrhG) in Betracht, weil die Beklagte mit
dem angegriffenen Katalog das gesamte Nummernsystem des Klägers für Mar-
kenheftchen vervielfältigt und der Öffentlichkeit angeboten hat. Die dafür erfor-
derlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht aber nicht getroffen.
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a) Das Berufungsgericht durfte dem Nummernsystem des Klägers für
Markenheftchen die Schutzfähigkeit als Datenbankwerk nicht allein mit der Er-
wägung versagen, für die auf Vollständigkeit ausgerichteten Datenbanken des
Klägers werde keine individuelle, eigenschöpferische Auswahlentscheidung
getroffen. Bei der Auslegung von § 4 Abs. 1, 2 UrhG ist, wie das Berufungsge-
richt zutreffend erkannt hat, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/9/EG über den recht-
lichen Schutz von Datenbanken maßgeblich zu berücksichtigen. Nach dieser
Vorschrift sind Datenbanken, die aufgrund der Auswahl oder Anordnung des
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Stoffes eine eigene geistige Schöpfung ihres Urhebers darstellen, als solche
urheberrechtlich geschützt, wobei für die Bestimmung, ob sie für diesen Schutz
in Betracht kommen, keine anderen Kriterien anzuwenden sind. Daraus folgt
aber, dass sich die Schutzfähigkeit alternativ aus der Auswahl oder der Anord-
nung des Stoffes ergeben kann. Die Schutzfähigkeit der Nummernsysteme des
Klägers als Datenbankwerk konnte deshalb nicht schon mit der Begründung
verneint werden, es werde keine individuelle, eigenschöpferische Auswahlent-
scheidung getroffen. Das Berufungsgericht hätte vielmehr noch prüfen müssen,
ob sich die Schutzfähigkeit nicht aus der Anordnung des Stoffes in dem Num-
mernsystem des Klägers ergibt (vgl. BGH, Urt. v. 24.5.2007 - I ZR 130/04,
GRUR 2007, 685 Tz. 16, 21 = WRP 2007, 989 - Gedichttitelliste I).
b) Das Berufungsgericht hat im Übrigen - aus seiner Sicht folgerichtig -
noch keine Feststellungen dazu getroffen, ob der klagende Verlag berechtigt ist,
die etwa für den Urheber aus § 4 Abs. 1, 2, §§ 16, 17 UrhG entstandenen
Rechte an dem Nummernsystem für Markenheftchen geltend zu machen.
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4. Die Sache ist daher zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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Bornkamm
Büscher
Schaffert
Kirchhoff
Koch
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 02.08.2007 - 7 O 19314/06 -
OLG München, Entscheidung vom 04.09.2008 - 29 U 4480/07 -