Urteil des BGH vom 20.05.2010
BGH (mutter, stgb, wohnung, freiwillig, staatsanwaltschaft, vollendung, annahme, konsum, nachprüfung, versuch)
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 78/10
vom
20. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2010,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Hubert
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-
gerichts Düsseldorf vom 13. November 2009 mit den Feststellun-
gen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten so-
wie der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Ausla-
gen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwie-
sen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-
zung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision, die
vom Generalbundesanwalt vertreten wird, die Verletzung sachlichen Rechts.
Nach ihrer Auffassung hat das Landgericht zu Unrecht einen strafbefreienden
Rücktritt vom Totschlagsversuch sowie eine erhebliche Verminderung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen.
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Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der nicht vorbestrafte Angeklagte lebte seit Februar 2009 wieder im
Haushalt seiner 74jährigen Mutter, dem späteren Tatopfer. Diese litt an einer
schweren Lungenerkrankung und war darauf angewiesen, sich täglich für meh-
rere Stunden über einen Nasenschlauch ergänzend Sauerstoff zuzuführen.
Zwischen dem Angeklagten und seiner Mutter kam es alsbald vermehrt zu
Streitigkeiten. In der Wahrnehmung des Angeklagten, die möglicherweise durch
seinen regelmäßigen Cannabis-Konsum beeinträchtigt war, beruhten die Ausei-
nandersetzungen darauf, dass seine Mutter ihn ständig grundlos kritisierte und
ihn als Versager darstellte. Infolge dieses vom Angeklagten als kränkende Zu-
rückweisung empfundenen Verhaltens, entwickelte sich bei ihm zunehmend ein
Gefühl der Unzulänglichkeit und Verärgerung, aus dem heraus er drei Tage vor
der Tat anlässlich einer erneuten Meinungsverschiedenheit mit seiner Mutter
gegenüber seinem Schwager äußerte "die blöde Kuh wär´ sowieso besser tot".
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Am Tattag war er nach einer aus seiner Sicht missbilligenden Äußerung
seiner Mutter über seine Freundin niedergeschlagen und zog sich in sein Zim-
mer zurück. Nach dem Konsum von Haschisch und Alkohol sprang er gegen 21
Uhr einem plötzlichen Entschluss folgend aus dem Fenster seines im ersten
Stock gelegenen Zimmers, um sich das Leben zu nehmen. Er zog sich durch
den Sturz jedoch lediglich leichte Verletzungen zu und wurde auf seine Hilferufe
von seiner Mutter wieder in das Haus eingelassen, wo er sich auf deren Bett
legte. Währendessen forderte seine Mutter telefonisch einen Notarzt für den
Angeklagten an. Nach Beendigung des Telefonats stürzte sich der Angeklagte
plötzlich in Wut auf seine Mutter, die er für seine Lage verantwortlich machte,
riss ihr den Bademantel herunter, warf sie auf das Bett und hielt ihr mit den
Worten "jetzt bist Du dran", "Verreck´ doch endlich, Du Miststück" Mund und
Nase zu in der Absicht, sie zu töten. Die Geschädigte, die Todesangst hatte,
stellte sich tot. Als sich die von dem Tatopfer zuvor alarmierten Rettungskräfte
mit Signalton dem Tatort näherten, ließ der Angeklagte von seiner Mutter ab,
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lief zur Wohnung der Nachbarn und rief um Hilfe, weil seine Mutter sterbe. So-
dann ließ er die mittlerweile eingetroffenen Rettungskräfte in die Wohnung sei-
ner Mutter ein. Das Tatopfer erlitt durch den Verschluss der Atemwege lebens-
bedrohliche Verletzungen und konnte nur mit Mühe gerettet werden.
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei strafbefreiend vom
(tateinheitlich begangenen) Totschlagsversuch zurückgetreten, hält auf der
Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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Das Landgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass
der Totschlagsversuch beendet war; denn der Angeklagte glaubte, dass seine
Mutter an den ihr zugefügten Verletzungen versterben konnte. Die Vorausset-
zungen eines strafbefreienden Rücktritts vom beendeten Versuch sind hinge-
gen nicht ausreichend belegt. Die Urteilsfeststellungen sind insoweit lückenhaft
und erlauben nicht den Schluss, dass der Angeklagte entweder die Vollendung
der Tat freiwillig verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. StGB) oder sich freiwil-
lig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2
StGB).
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a) Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1
2. Halbs. StGB kommt zwar auch in Betracht, wenn der Täter unter mehreren
Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder "optimale" ge-
wählt hat (BGHSt 48, 147). Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue
Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich,
oder jedenfalls mitursächlich wird (BGHSt 33, 295, 301; BGH NStZ 2008, 508).
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Mit den Voraussetzungen dieser Rücktrittsregelung hat sich das Landge-
richt nicht ausdrücklich befasst. Es hat lediglich festgestellt, dass der Angeklag-
te die aus anderen Gründen herbeigerufenen Rettungskräfte in die Wohnung
der Geschädigten einließ. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses Ver-
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halten im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB für die Erfolgsverhinde-
rung kausal oder zumindest mitursächlich wurde, enthält das Urteil indes nicht.
Es verhält sich insbesondere nicht dazu, ob der Angeklagte den Notarzt und die
Sanitäter, die nicht zur Rettung seiner Mutter herbeigerufen, sondern von dieser
wegen seines Selbstmordversuchs alarmiert worden waren, über die veränderte
Sachlage in Kenntnis setzte und ihnen den Weg zu seiner verletzten Mutter
wies und auf diese Weise deren Rettung erleichterte oder beschleunigte
- was in Anbetracht der konkreten Umstände für die Annahme eines strafbe-
freienden Rücktritts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB ausgereicht hätte -,
oder ob der Notarzt die Wohnung der Verletzten auch ohne Zutun des Ange-
klagten ohne wesentliche Verzögerung betreten, das Tatopfer finden und die-
ses damit auch ohne Mitwirkung des Angeklagten retten konnte (BGH NJW
1990, 3219; BGH NStZ aaO).
b) Dass sich der Angeklagte - wovon das Landgericht ausgegangen ist -
im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB jedenfalls freiwillig und ernsthaft bemüht
hat, die Vollendung zu verhindern, ist durch die Feststellungen ebenfalls nicht
hinreichend belegt.
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§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass der Täter alles tut, was in
seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung er-
forderlich ist, und dass er die aus seiner Sicht ausreichenden Verhinderungs-
möglichkeiten ausschöpft, wobei er sich auch der Hilfe Dritter bedienen kann
(BGHSt 33, 295, 301 f.; BGH NStZ 2008, 329). Allerdings sind, wenn - wie hier -
ein Menschenleben auf dem Spiel steht, insoweit hohe Anforderungen zu stel-
len. Der Täter muss sich um die bestmögliche Maßnahme bemühen. Hilft er
nicht selbst, so muss er sich zumindest vergewissern, ob die Hilfspersonen das
Notwendige und Erforderliche veranlassen (BGHSt aaO).
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Auch insoweit lässt das Urteil ausreichende Feststellungen vermissen.
Das Herbeirufen eines Krankenwagens oder Arztes war hier die am ehesten zur
Rettung des Tatopfers geeignete Maßnahme. Entsprechende Bemühungen
entfaltete der Angeklagte jedoch nicht selbst; denn seine Mutter hatte die Ret-
tungskräfte bereits vor der Tat verständigt. Ob sich das bloße Einlassen des
aus anderen Gründen herbeigerufenen Notarztes in die Wohnung des Tatop-
fers in der konkreten Situation objektiv und aus Sicht des Angeklagten als die
bestmögliche Maßnahme zur Rettung des Tatopfers darstellte, ist in Anbetracht
der fehlenden Feststellungen zu den Umständen des Zusammentreffens des
Angeklagten mit den Rettungskräften, deren Kenntnisstand und dem diesbe-
züglichen Vorstellungsbild des Angeklagten nicht ausreichend dargelegt. Glei-
ches gilt, soweit sich der Angeklagte durch Hilferufe und mit dem Hinweis, seine
Mutter sterbe, an die Wohnungsnachbarn wandte; denn die Urteilsgründe erge-
ben bereits nicht, welche Vorstellungen der Angeklagte mit diesem Vorgehen
verband (BGH NStZ 2000, 41 f.).
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3. Da das Urteil schon wegen der rechtsfehlerhaften Bejahung eines
strafbefreienden Rücktritts vom tateinheitlich begangenen Totschlagsversuchs
der Aufhebung unterliegt, kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob die
knappen Darlegungen des Landgerichts zum Vorliegen einer erheblich vermin-
derten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge einer tiefgreifenden Be-
wusstseinsstörung im Sinne der §§ 20, 21 StGB eine noch ausreichende revisi-
onsrechtliche Nachprüfung ermöglichen. Der Senat sieht jedoch Anlass, darauf
hinzuweisen, dass der Tatrichter, wenn er sich darauf beschränkt, sich der Be-
urteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen,
dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wieder-
zugeben hat, wie dies zum Verständnis des Gutachtens erforderlich ist (BGH
NStZ-RR 2003, 232). Der neue Tatrichter wird darüber hinaus Gelegenheit ha-
ben, die von der Revision vermissten Umstände bei der Prüfung der Schuldfä-
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higkeit im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen. Er
wird ferner in den Blick zu nehmen haben, ob möglicherweise ein Zusammen-
wirken mehrerer Ursachen zu einer Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit
des Angeklagten geführt hat (BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3 und 4).
4. Das Urteil weist - was gemäß § 301 StPO auch auf die Revision der
Staatsanwaltschaft zu prüfen ist - hingegen keinen durchgreifenden Rechtsfeh-
ler zum Nachteil des Angeklagten auf.
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Becker Pfister von Lienen
Sost-Scheible Hubert