Urteil des BGH vom 19.05.2005

Der Zauberberg Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES V OLKES
URTEIL
I ZR 285/02
Verkündet am:
19. Mai 2005
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
Der Zauberberg
UrhG § 31 Abs. 4 und 5, § 89 Abs. 1
a) Für Filmwerke kommt der auf eine umfassende Rechtseinräumung zugunsten
des Filmherstellers abzielenden Auslegungsregel des § 89 Abs. 1 UrhG gegen-
über der allgemeinen Auslegungsregel des § 31 Abs. 5 UrhG der Vorrang zu.
b) Eine neue Nutzungsart i.S. des § 31 Abs. 4 UrhG setzt voraus, dass es sich um
eine technisch und wirtschaftlich eigenständige Verwendungsform des Werkes
handelt (im Anschluss an BGHZ 128, 336, 341 – Videozweitauswertung III und
BGHZ 133, 281, 287 f. – Klimbim). Die Zweitverwertung von Spielfilmen auf
DVD stellt im Verhältnis zur herkömmlichen Videozweitverwertung keine neue
Nutzungsart dar.
BGH, Urteil vom 19. Mai 2005 – I ZR 285/02 – OLG München
LG München I
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Mai 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Rich-
ter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und Dr. Büscher
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts München vom 10. Oktober 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Szenenbildner und Filmarchitekt. Er schuf 1981 zusammen mit
seiner Ehefrau das gesamte Szenenbild und die Filmarchitektur des Spielfilms
„Der Zauberberg“, wofür er 1982 mit dem Bundesfilmpreis, dem „Filmband in
Gold“, ausgezeichnet wurde. Aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehe-
frau nimmt er die Beklagte, die diesen Film zusammen mit einer ursprünglich für
das Fernsehen produzierten Dokumentation „100 Tage auf dem Zauberberg“ auf
DVD vertreibt, auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz in Anspruch.
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Der Kläger schloss 1980 mit dem Produzenten, dem Rechtsvorgänger der
Streithelferin, einen „Anstellungsvertrag für Filmschaffende“, nach dem ihm bis zur
Beendigung der Tätigkeit als Architekten des Films „Der Zauberberg“ ein Betrag
von 2.000 DM pro Woche gezahlt werden sollte. In dem Vertrag wurde ergänzend
auf den Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende vom 1. April 1979 Bezug
genommen. Dort heißt es in Ziffer 3.1:
Der Filmschaffende räumt mit Abschluss des Vertrages alle ihm etwa durch das ver-
tragliche Beschäftigungsverhältnis erwachsenden Nutzungs- und Verwertungsrechte
an Urheber- und verwandten Schutzrechten dem Filmhersteller für die Herstellung und
Verwertung des Films ausschließlich und ohne inhaltliche, zeitliche oder räumliche
Beschränkung ein.
Die Einräumung umfasst:
a) den Film als Ganzes, seine einzelnen Teile (mit und ohne Ton), auch wenn sie
nicht miteinander verbunden sind, die zum Film gehörigen Fotos sowie die für den
Film benutzten und abgenommenen Zeichnungen, Entwürfe, Skizzen, Bauten und
dgl.,
b) die Nutzung und Verwertung des Films durch den Filmhersteller in unveränderter
oder geänderter Gestalt, gleichviel mit welchen technischen Mitteln sie erfolgt, ein-
schließlich … der Verwertung durch andere zur Zeit bekannte Verfahren, ein-
schließlich AV-Verfahren und -träger, gleichgültig, ob sie bereits in Benutzung sind
oder in Zukunft genutzt werden.
Nach Ziffer 3.6 des Tarifvertrags sind von der Rechtseinräumung auch ein-
zelne Teile des Films sowie alle zur Werbung für den Film hergestellten Fotos
erfasst.
Die Beklagte beansprucht, Inhaberin der Rechte zu sein, die der Kläger dem
Produzenten eingeräumt hat.
Während zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Videozweitauswertung
von Spielfilmen bereits eine bekannte Nutzungsart darstellte, wurde das digitale
Speichermedium DVD (= Digital Versatile Disc) erst in den neunziger Jahren be-
kannt und spätestens 1998 in Deutschland eingeführt. Spielfilme auf DVD werden
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ebenfalls verkauft und vermietet. Für das Abspielen der DVD ist ein besonderes
Gerät, der DVD-Player, oder ein PC/Notebook mit DVD-Laufwerk erforderlich. Wie
alle digitalen Speichermedien ist die DVD nicht verschleißanfällig und weist eine
höhere Bild- und Tonqualität sowie eine besonders hohe Speicherkapazität auf.
Sie verfügt über bis zu acht parallele Audiospuren. Daher können auf einer DVD
bis zu acht verschiedene Sprachfassungen sowie eine große Zahl untertitelter
Fassungen gespeichert sein. Auch die Auswahl zwischen verschiedenen Bild- und
Tonversionen oder die direkte Ansteuerung bestimmter Szenen ist bei einer DVD
ohne Schwierigkeiten menügesteuert am Gerät oder über eine Fernbedienung
möglich.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei zur Vervielfältigung und
Verbreitung des Films „Der Zauberberg“ schon deswegen nicht berechtigt, weil es
sich bei der DVD um eine zum Zeitpunkt der Rechtseinräumung durch den Kläger
unbekannte Nutzungsart i.S. von § 31 Abs. 4 UrhG gehandelt habe, für die der
Kläger 1980 Nutzungsrechte noch nicht habe wirksam einräumen können. Außer-
dem sei der Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende nicht wirksam in die
Anstellungsverträge einbezogen worden.
Der Kläger hat die Beklagte wegen der Vervielfältigung und Verbreitung der
DVD-Version des Films „Der Zauberberg“ auf Unterlassung und Auskunftsertei-
lung in Anspruch genommen. Er hat ferner die Feststellung der Schadensersatz-
pflicht der Beklagten begehrt. Außerdem hat er Abmahnkosten in Höhe von
962,50 DM geltend gemacht.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (LG München I ZUM 2002, 71).
Im Berufungsverfahren ist die Streithelferin dem Rechtsstreit auf seiten der Be-
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klagten beigetreten. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen (OLG Mün-
chen GRUR 2003, 50). Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er
seine Klageanträge weiterverfolgt. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzu-
weisen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht von
der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit der vom Kläger und seiner Ehefrau ge-
schaffenen Filmarchitektur ausgegangen, hat aber gleichwohl Ansprüche des
Klägers gegen die Beklagte wegen der Vervielfältigung und Verbreitung des Spiel-
films „Der Zauberberg“ auf DVD verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Grundlage der Rechtseinräumung durch den Kläger und seine Ehefrau sei
der Anstellungsvertrag in Verbindung mit den tarifvertraglichen Bestimmungen, auf
die dieser Vertrag Bezug nehme. Die von der Beklagten geäußerten Zweifel an
der Einbeziehung des Tarifvertrags seien unbegründet. Bei dem Anstellungsver-
trag, den der Kläger mit dem Produzenten geschlossen habe, handele es sich um
einen Arbeitsvertrag. Auf arbeitsrechtliche Verträge der in Rede stehenden Art
finde das AGB-Gesetz keine Anwendung. Gegen den Umfang der im Tarifvertrag,
namentlich in Ziffer 3.1, vorgesehenen Rechtseinräumung bestünden keine Be-
denken, weil er weitgehend den für Filmwerke geltenden gesetzlichen Bestim-
mungen, insbesondere der Regelung des § 89 UrhG, entspreche. Auch dem de-
taillierten und unter Vorlage sämtlicher Verträge und Handelsregisterauszüge
belegten Vortrag der Beklagten zur Rechtekette sei zu folgen.
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Schließlich stehe der Wirksamkeit der Nutzungsrechtseinräumung durch den
Kläger auch § 31 Abs. 4 UrhG nicht entgegen; denn es handele sich bei der Ver-
wertung des in Rede stehenden Films auf DVD nicht um eine gegenüber der im
Jahre 1980 unstreitig bekannten Verwertung von Filmwerken auf Videokassette
eigenständige neue Nutzungsart. Dies ergebe sich freilich noch nicht aus den
besonderen Regelungen über Filmwerke in §§ 88 ff. UrhG. Insbesondere umfass-
ten die Auslegungsregeln der § 88 Abs. 1, § 89 Abs. 1 UrhG keine Rechtseinräu-
mung für noch unbekannte Nutzungsarten; § 31 Abs. 4 UrhG komme insofern der
Vorrang zu.
Eine neue Nutzungsart i.S. von § 31 Abs. 4 UrhG sei eine konkrete technisch
und wirtschaftlich eigenständige Verwendungsform des Werkes. Dazu genüge es
nicht, dass die Nutzungsart als hinreichend klar abgrenzbare Verwendungsform
Gegenstand einer selbständigen Rechtseinräumung sein könne. Mit Hilfe des § 31
Abs. 4 UrhG solle verhindert werden, dass dem Urheber Mehrerträgnisse vorent-
halten würden, die sich aus neuen technischen Entwicklungen ergäben. Die Vor-
schrift solle aber mit ihrer strengen Anordnung der Unwirksamkeit nicht die auch
im Interesse des Urhebers liegende wirtschaftlich-technische Fortentwicklung der
Werknutzung durch Herausbildung neuer, selbständig lizenzierbarer Nutzungs-
möglichkeiten behindern. Daher setze der besondere Schutz des Urhebers nach
§ 31 Abs. 4 UrhG voraus, dass es sich um eine neu geschaffene Nutzungsart han-
dele, die sich von den bisherigen Nutzungsarten so sehr unterscheide, dass eine
Werkverwertung in dieser Form nur aufgrund einer neuen Entscheidung des Ur-
hebers in Kenntnis der neuen Nutzungsmöglichkeiten zugelassen werden könne.
Dies sei nicht der Fall, wenn eine schon bisher übliche Nutzungsmöglichkeit durch
den technischen Fortschritt erweitert und verstärkt werde, ohne sich aber aus der
Sicht der Endverbraucher, deren Werkgenuss durch das System der Verwertungs-
rechte letztlich erfasst werden solle, in ihrem Wesen entscheidend zu verändern.
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Die mit der digitalen Aufzeichnungstechnik einhergehenden technischen Verbes-
serungen allein könnten der DVD-Auswertung nicht den Charakter einer technisch
und wirtschaftlich eigenständigen Verwendungsform geben, wenn – wie vorlie-
gend – der Vorgang der Werkvermittlung seiner Art nach im wesentlichen unver-
ändert bleibe. Zwar seien die technischen Möglichkeiten durch den Übergang von
der analogen zur digitalen Aufzeichnung in beträchtlichem Maße verbessert und
erweitert worden. Die Wiedergabe des Films erfolge aber auf identische Weise
durch Betrachten des Films auf einem Bildschirm. Dabei sei für den Verbraucher
in der Regel weder erkennbar noch relevant, ob der Film analog oder digital aufge-
zeichnet sei. Die auf DVD speicherbaren Zusatzinformationen (z.B. alternative
Endfassungen, verschiedene Kameraperspektiven, verschiedene Sprachfassun-
gen, Begleitkommentare, Trailer, Entstehungsgeschichte, Wiedergabe nicht ver-
wendeter Szenen) seien letztlich für die Kaufentscheidung des Publikums nicht
entscheidend und ließen sich auch nicht selbständig vermarkten.
Für die wirtschaftliche Eigenständigkeit sei erforderlich, dass sich für die
DVD ein neuer Markt entwickelt hätte und dadurch neue Verbraucherkreise ange-
sprochen worden wären. Von der Entwicklung eines neuen Marktes sei immer
dann zu sprechen, wenn eine neue Verwendungsform die alte nicht lediglich sub-
stituiere. Die vom Kläger mitgeteilten Zahlen sprächen jedoch für eine kontinuierli-
che Substitution der Videokassette durch die DVD, wobei dieselben Absatzwege
genutzt würden. Im Übrigen sei die Praxis nach Bekanntwerden der DVD dazu
übergegangen, die Vermarktung von Filmen auf Videokassette und auf DVD unter
dem Oberbegriff der „Home-Video-Verfahren“ einheitlich zu lizenzieren.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
keinen Erfolg. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es
sich bei der Vermarktung eines digital gespeicherten Films zum Abspielen auf
einem eigenen Wiedergabegerät (DVD) nicht um eine gegenüber der Vermarktung
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herkömmlicher Videokassetten neue Nutzungsart i.S. des § 31 Abs. 4 UrhG han-
delt. Dennoch führt die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil sich
das Berufungsgericht nicht mit dem Klagevorbringen auseinandergesetzt hat,
wonach das Urheberrecht des Klägers und seiner Ehefrau durch die Verbreitung
der auf der DVD ebenfalls enthaltenen Dokumentation „100 Tage auf dem Zau-
berberg“ verletzt worden sei.
1. Das Berufungsgericht hat sich den Ausführungen des Landgerichts zum
urheberrechtlichen Schutz der vom Kläger und seiner Ehefrau geschaffenen Aus-
stattung des Films „Der Zauberberg“ angeschlossen. Diese Ausführungen lassen
keinen Rechtsfehler erkennen; sie werden auch von der Revision nicht angegrif-
fen.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte
aufgrund einer lückenlosen Rechtekette Inhaberin der Rechte ist, die der Kläger
1980 dem Produzenten eingeräumt hat. Auch die Revision erhebt gegen diese
Beurteilung keine Rügen. Dagegen lässt das Berufungsurteil Feststellungen dar-
über vermissen, ob neben dem Kläger auch seine Ehefrau dem Produzenten
entsprechende Rechte eingeräumt hat, auf die sich die Beklagte über die be-
schriebene Rechtekette stützen könnte.
Diese Lücke in den tatrichterlichen Feststellungen lässt sich indessen in der
Revisionsinstanz schließen. Aus dem unstreitigen Parteivortrag ergibt sich, dass
die Ehefrau des Klägers im September 1980 einen im Wesentlichen gleichlauten-
den Anstellungsvertrag mit dem Produzenten geschlossen hat (wöchentliches
Honorar 1.800 DM). Auch in ihrem Revisionsvorbringen nehmen beide Parteien
auf diesen Vertrag Bezug. Dieser Vertrag enthält ebenso wie der vom Kläger un-
terzeichnete Anstellungsvertrag eine gleichlautende Verweisung auf den Tarifver-
trag für Film- und Fernsehschaffende vom 1. April 1979.
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3. Der Kläger und seine Ehefrau haben dem Produzenten in den Anstel-
lungsverträgen vom August bzw. September 1980 umfassende ausschließliche
Nutzungsrechte für die Herstellung und Verwertung des Films „Der Zauberberg“
eingeräumt. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich diese
Rechtseinräumung auch auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits
bekannten Zweit- oder Drittverwertungsformen erstreckte. Dies ist den tarifvertrag-
lichen Bestimmungen zu entnehmen, die Gegenstand der Anstellungsverträge
geworden sind.
Die Rügen, die die Revision insofern erhebt, sind nicht begründet. Zutreffend
hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es sich bei den Anstellungs-
verträgen, die der Produzent mit dem Kläger und mit seiner Ehefrau geschlossen
hat, um Arbeitsverträge handelt, auf die die Regelungen des AGB-Gesetzes nicht
anwendbar sind (§ 23 Abs. 1 AGBG; Art. 229 § 5 EGBGB). Im Übrigen ist der
Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende vom 1. April 1979 in den Anstel-
lungsverträgen jeweils ausdrücklich in Bezug genommen worden. Bedenken ge-
gen die Wirksamkeit der entsprechenden umfassenden Rechtseinräumung zu-
gunsten des Produzenten bestehen entgegen der Ansicht der Revision nicht. Die
Rechtseinräumung für alle bekannten Nutzungsarten entspricht – wie das Beru-
fungsgericht mit Recht betont hat – der im Gesetz für Rechte am Filmwerk festge-
haltenen Auslegungsregel (§ 89 Abs. 1 UrhG) und widerspricht damit jedenfalls
nicht einem gesetzlichen Leitbild. Etwas anderes lässt sich auch dem urheber-
rechtlichen Zweckübertragungsgedanken (§ 31 Abs. 5 UrhG) nicht entnehmen.
Gegenüber der allgemeinen Auslegungsregel des § 31 Abs. 5 UrhG kommt der
besonderen, auf eine umfassende Rechtseinräumung zugunsten des Filmherstel-
lers abzielenden Auslegungsregel des § 89 Abs. 1 UrhG für Filmwerke grundsätz-
lich der Vorrang zu (Lütje in Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl., § 89
Rdn. 15 f., 21; Schricker/Katzenberger, Urheberrecht, 2. Aufl., § 89 UrhG Rdn. 3;
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Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, § 89 Rdn. 2; Hertin in Fromm/Nordemann, Ur-
heberrecht, 9. Aufl., §§ 31/32 UrhG Rdn. 21; a.A. Movsessian, UFITA 79 (1977),
S. 213, 227; vermittelnd Manegold in Wandtke/Bullinger, UrhR, § 89 UrhG
Rdn. 21 f.).
4. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass es sich bei der
Vervielfältigung und Verbreitung eines Films auf DVD nicht um eine unbekannte
Nutzungsart handelt. Eine solche unbekannte Nutzungsart wird von der im Streit-
fall vereinbarten Rechtseinräumung, die sich lediglich auf eine „Verwertung durch
… zur Zeit bekannte Verfahren“ bezieht, nicht erfasst und könnte von ihr im Hin-
blick auf die Bestimmung des § 31 Abs. 4 UrhG auch nicht erfasst werden. Zwar
war zum Zeitpunkt der Rechtseinräumung im Jahre 1980 die Möglichkeit der digi-
talen Speicherung von Filmwerken auf Speicherplatten (DVD) noch nicht bekannt;
auch bietet die DVD gegenüber der herkömmlichen Videokassette eine Vielzahl
technischer Vorteile. Dennoch handelt es sich dabei nicht um eine technisch und
wirtschaftlich eigenständige Verwendungsform, durch die eine neue, vorher noch
unbekannte Verwendungsmöglichkeit eröffnet worden wäre.
a) Ob es sich bei der Vervielfältigung und Verbreitung von Spielfilmen auf
DVD um eine neue Nutzungsart handelt, ist in Rechtsprechung und Schrifttum
umstritten. So hat eine andere Kammer des Landgerichts München I eine neue
Nutzungsart verneint (ZUM 2003, 147, 149), während das Landgericht Köln die
Anwendbarkeit des § 31 Abs. 4 UrhG bejaht hat (LG Köln, Urt. v. 25.5.2002 –
28 O 31/02; das Berufungsurteil – OLG Köln ZUM 2003, 317 – hat die Frage offen
gelassen). Auch das Schrifttum bietet kein einheitliches Bild (eine neue Nutzungs-
art bejahen: Reber, GRUR 1998, 792, 797; ders., MMR 2001, 829; Stieper/Frank,
MMR 2000, 643 ff.; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 3. Aufl.,
Rdn. 551; Katzenberger, GRUR Int. 2003, 889, 892 ff.; ders., GRUR Int. 2005,
215 ff.; eine neue Nutzungsart verneinen: Castendyk, ZUM 2002, 332, 345 f.;
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v. Petersdorff-Campen, ZUM 2002, 74 ff.; Fette, ZUM 2003, 49 ff.; Loewenheim,
GRUR 2004, 36, 39 ff.; Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger aaO § 31 Rdn. 67).
b) Eine Nutzungsart i.S. des § 31 Abs. 4 UrhG kann nur eine konkrete tech-
nisch und wirtschaftlich eigenständige Verwendungsform des Werkes sein (vgl.
BGHZ 133, 281, 287 f. – Klimbim; vgl. auch BGHZ 95, 274, 283 – GEMA-
Vermutung I; 128, 336, 341 – Videozweitauswertung III). Technische Neuerungen,
die eine neue Verwendungsform kennzeichnen, ohne wirtschaftlich eigenständige
Vermarktungsmöglichkeiten zu erschließen, reichen daher nicht aus, um eine
neue Nutzungsart anzunehmen.
c) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die DVD-Zweit-
auswertung von Spielfilmen im Verhältnis zur herkömmlichen Vermarktung auf
Videokassette keine wirtschaftlich eigenständige Verwendungsform darstellt.
aa) Mit der Frage nach der wirtschaftlich eigenständigen Verwendungsform
wird dem urheberrechtlichen Grundsatz Rechnung getragen, dass der Urheber an
der wirtschaftlichen Nutzung seines Werkes tunlichst angemessen zu beteiligen ist
(vgl. § 11 Satz 2 UrhG; ferner BGHZ 133, 281, 288 f. – Klimbim). Dabei ist zu
bedenken, dass einerseits urheberrechtliche Nutzungsrechte häufig für eine lange
Zeitdauer, nicht selten für die gesamte Schutzdauer des Werkes eingeräumt wer-
den und dass andererseits die rasante technische Entwicklung innerhalb kurzer
Zeit neue Verwendungsformen schafft, für die bei Vertragsschluss noch keine
angemessenen Regelungen getroffen werden konnten. Mit Hilfe des § 31 Abs. 4
UrhG soll daher verhindert werden, dass dem Urheber Mehrerträgnisse vorenthal-
ten werden, die sich aus neuen technischen Entwicklungen ergeben (vgl. BGHZ
95, 274, 282 f. – GEMA-Vermutung I; 133, 281, 288 – Klimbim); dem Urheber soll
die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben, ob und gegen welches Entgelt er
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mit der Nutzung seines Werkes auch für die neu gefundene Verwendungsform
einverstanden ist (Begr. des Reg. Entwurfs, BT-Drucks. IV/270, S. 56).
Andererseits werden mit dem Merkmal der wirtschaftlich eigenständigen
Verwendungsform auch die Interessen des Vertragspartners berücksichtigt, dem
umfassende Nutzungsrechte eingeräumt worden sind. Würde allein eine technisch
neue Verwendungsform, die eine intensivere Nutzung erlaubt und innerhalb kurzer
Zeit die herkömmliche Verwendungsform verdrängt, ausreichen, um eine diese
neue Verwendungsform umfassende Rechtseinräumung nach § 31 Abs. 4 UrhG
für nichtig zu erklären, wäre ein Produzent oder Vermarkter, der im Hinblick auf
die vertraglich vereinbarte Nutzungsdauer hohe Investitionen getätigt hat, von der
weiteren wirtschaftlichen Nutzung ausgeschlossen, weil die herkömmliche Ver-
wendungsform sich nicht mehr absetzen ließe und ihm keine Rechte an der neuen
Verwendungsform zustünden.
bb) Diese Erwägungen sprechen dafür, eine wirtschaftlich eigenständige
Verwendungsform vor allem dann anzunehmen, wenn mit Hilfe einer neuen Tech-
nik ein neuer Absatzmarkt erschlossen wird, die traditionellen Verwendungsfor-
men also nicht oder nur am Rande einschränkt werden (vgl. Castendyk, ZUM
2002, 332, 338). Dagegen ist eine wirtschaftlich eigenständige Verwendungsform
tendenziell eher zu verneinen, wenn durch die neue Verwendungsform eine ge-
bräuchliche Verwendungsform substituiert wird. Aus der Sicht des Urhebers er-
scheint es besonders wichtig, ihm seine Rechte für die Vermarktung auf neuen
Absatzwegen uneingeschränkt vorzubehalten; dagegen kann ihm zugemutet wer-
den, für die bloße Intensivierung der Nutzung bereits im Rahmen der ursprüngli-
chen Rechtseinräumung eine angemessene Regelung zu treffen. Aus der Sicht
des Lizenznehmers ist von entscheidender Bedeutung, dass ihm durch eine neue
Verwendungsform, die über kurz oder lang die herkömmliche Verwendungsform
ersetzt, nicht die wirtschaftliche Grundlage für getätigte Investitionen entzogen
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wird; dagegen ist es nicht unbillig, dass sein Nutzungsrecht sich trotz umfassender
Rechtseinräumung nicht auf neu entstandene Absatzmärkte erstreckt.
cc) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die DVD auf längere Sicht die
herkömmliche Videokassette ersetzen wird und daher keinen neuen Markt er-
schließt, sondern eine herkömmliche Verwendungsform substituiert, ist vor diesem
Hintergrund nicht zu beanstanden.
(1) Zutreffend hat das Berufungsgericht für die Frage, ob die neue Verwen-
dungsform einen neuen Absatzmarkt eröffnet oder auf Dauer eine herkömmliche
Verwendungsform substituiert, auf das Nachfrageverhalten der Verbraucher abge-
stellt. Unabhängig davon, ob für die Frage der Marktabgrenzung auf die kartell-
rechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden kann, kommt es jedenfalls für die
Frage, ob ein Gut durch ein anderes substituiert wird, auf die Marktgegenseite,
also auf die Verbraucher, an.
(2) Ohne Erfolg verweist die Revision darauf, dass die Videokassette sich
nach wie vor einer nicht unerheblichen Beliebtheit erfreut. Zwar lässt sich dem von
den Parteien vorgetragenen Zahlenmaterial entnehmen, dass die Einführung der
DVD zu einer erheblichen Ausweitung des Marktes für die Heimvorführung von
Spielfilmen geführt hat. Dass die Absatzzahlen der Videokassetten jedoch – an-
ders als die Zahl der verkauften Vinyl-Schallplatten nach Einführung der CD –
nicht sofort nach Einführung der DVD gesunken sind, lässt sich ohne weiteres
dadurch erklären, dass DVD-Abspielgeräte zunächst noch sehr teuer waren, so
dass viele Verbraucher nach wie vor auf herkömmliche Videokassetten angewie-
sen waren.
(3) Es ist nicht zu beanstanden, dass der Tatrichter hinsichtlich der Kon-
sumgewohnheiten der Verbraucher eigene Erfahrungen eingebracht hat. Dabei ist
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zu bedenken, dass die Frage, ob eine neue Verwendungsform eine neue Nut-
zungsart i.S. von § 31 Abs. 4 UrhG darstellt, von den Gerichten entschieden wer-
den muss, auch wenn die Absatzzahlen der neuen im Verhältnis zur herkömmli-
chen Verwendungsform noch nicht über einen längeren Zeitraum hinweg beo-
bachtet werden konnten. Denn zwischen dem Urheber und seinem Lizenznehmer
muss alsbald Klarheit darüber bestehen, wer hinsichtlich der neuen Verwendungs-
form zur Nutzung berechtigt ist. Die Frage muss daher von den Gerichten beant-
wortet werden können, auch wenn der wirtschaftliche Sachverhalt noch nicht voll-
ständig abgeschlossen ist. Dies kann im Einzelfall auf eine Prognose-
Entscheidung hinauslaufen, die der Richter aufgrund der vorhandenen Anhalts-
punkte zu treffen hat. Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Richter des Berufungsgerichts nicht in der Lage gewesen wären, diese Entschei-
dung auch ohne sachverständigen Beistand zu treffen.
(4) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe die mit der
DVD verbundenen technischen Möglichkeiten nicht hinreichend zur Kenntnis ge-
nommen und gewürdigt. Dass die DVD gegenüber der herkömmlichen Videokas-
sette ganz erhebliche technische Vorteile aufweist, hat das Berufungsgericht nicht
übersehen. Es hat indessen nicht festzustellen vermocht, dass aufgrund der tech-
nischen Neuerungen neben dem herkömmlichen Videokassetten-Markt ein neuer
Absatzmarkt entstünde. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
d) Das Berufungsgericht hat danach ohne Rechtsfehler angenommen, der
Kläger habe dem Produzenten des Films „Der Zauberberg“ das Recht der Verviel-
fältigung und Verbreitung von Spielfilmen auf DVD durch den Anstellungsvertrag
vom August 1980 eingeräumt (für den Werkanteil der Ehefrau des Klägers gilt
entsprechendes). Denn fehlt es an einer wirtschaftlich eigenständigen Verwen-
dungsform, handelt es sich lediglich um eine technische Variante der bereits 1980
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bekannten Nutzung von Spielfilmen zur Heimvorführung mit Hilfe des Fernsehge-
rätes.
5. Mit Erfolg rügt die Revision allerdings, dass sich das Berufungsgericht
nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob der Kläger und seine Ehefrau dem
Produzenten auch Nutzungsrechte für die Erstellung der Dokumentation „100
Tage auf dem Zauberberg“ eingeräumt haben, die ebenfalls auf der von der Be-
klagten hergestellten und vertriebenen DVD enthalten ist. Nach dem unstreitigen
Klagevorbringen ist die vom Kläger und seiner Ehefrau geschaffene Filmausstat-
tung in der Dokumentation ausführlich wiedergegeben. Da sich die gestellten
Anträge auf die Vervielfältigung und Verbreitung des konkreten Produkts („DVD …
Liefer-Nr. 500041“) beziehen, das nach dem unstreitigen Parteivorbringen neben
dem Spielfilm auch die Dokumentation enthält, ist dieses Vorbringen grundsätzlich
geeignet, die Klage zu begründen. Die Beklagte hat bislang nicht geltend ge-
macht, dass ihr auch insofern ausdrücklich Nutzungsrechte vom Kläger und seiner
Ehefrau eingeräumt worden seien. Sie hat sich lediglich darauf berufen, dass die
Rechte, die dem Produzenten hinsichtlich des Spielfilms eingeräumt worden sei-
en, sich auch auf die in Rede stehende Dokumentation bezögen. Dies erscheint
schon deswegen zweifelhaft, weil die vertraglich eingeräumten Rechte stets den
Film „Der Zauberberg“, nicht aber eine für das Fernsehen produzierte Dokumenta-
tion über den Film betreffen.
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III. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Im wieder-
eröffneten Berufungsverfahren werden die Parteien Gelegenheit haben, ergän-
zend zur Frage der Werknutzung im Rahmen der Dokumentation und zu einer
entsprechenden Rechtseinräumung vorzutragen.
Ullmann
v. Ungern-Sternberg
Bornkamm
Herr RiBGH Pokrant
Büscher
ist in Kur und verhin-
dert zu unterschrei-
ben.
Ullmann