Urteil des BGH vom 16.02.2005

BGH (richtlinie, eugh, verbraucher, reiseveranstalter, insolvenz, erstattung, veranstalter, auslegung, erfüllung, gerichtshof)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 275/03
Verkündet am:
16. Februar 2005
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Februar 2005
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Köln
- 24. Zivilkammer - vom 11. Dezember 2003 wird auf
Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Reiseveranstalter-Insol-
venzversicherung in Anspruch.
Er hatte eine 14-tägige Pauschalreise für vier Personen in die Tür-
kei bei einem Reiseveranstalter gebucht, den Gesamtpreis von 5.398 DM
vor Reiseantritt bezahlt und vom Veranstalter einen den Anforderungen
des § 651 k BGB entsprechenden Sicherungsschein der Beklagten erhal-
ten. Die Reise wurde Ende Juli/Anfang August 2001 durchgeführt. Nach
ihrem Abschluß machte der Kläger Schadensersatz- und Minderungsan-
sprüche wegen Mängeln geltend und erstritt am 29. Januar 2002 ein Ver-
säumnisurteil über insgesamt 10.690 DM gegen den Reiseveranstalter.
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Bereits am 10. Januar 2002 war ein vorläufiger Insolvenzverwalter für
das Unternehmen des Reiseveranstalters bestellt worden.
Deshalb verlangt der Kläger Deckung von der Beklagten, aller-
dings nur in Höhe des Preises, den er für die Reise bezahlt hat.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision
verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich aus § 651 k
BGB nicht, daß vom Versicherungsschutz auch Ansprüche des Reisen-
den wegen Mängeln erfaßt seien. Auch Art. 7 der Richtlinie des Rates
der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Juni 1990 (90/314/EWG,
ABlEG 1990 Nr. L 158/59 ff.), der durch § 651 k BGB in deutsches Recht
umgesetzt worden ist, fordere lediglich, daß im Fall der Zahlungsunfä-
higkeit oder des Konkurses des Reiseveranstalters die Erstattung ge-
zahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt wür-
den. Ein Insolvenzschutz für Gewährleistungsansprüche wegen Mängeln
einer vor Eintritt der Insolvenz bereits abgeschlossenen Reise sei dage-
gen nicht vorgesehen. Insofern stehe der Reisende nicht anders als je-
der Gläubiger, der vorgeleistet habe und mit Ansprüchen wegen
Schlechterfüllung der Gegenleistung aufgrund einer Insolvenz seines
Schuldners ausfalle.
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2. Demgegenüber geht die Revision unter Hinweis auf das Senats-
urteil vom 28. März 2001 (IV ZR 19/00 - NJW 2001, 1934 = VersR 2001,
714 jeweils unter 4 b) davon aus, daß § 651 k BGB richtlinienkonform
auszulegen sei. Die Richtlinie 90/314/EWG bezwecke einen umfassen-
den Schutz des Reisenden auch im Hinblick auf mangelhafte Reiselei-
stungen, wie insbesondere die Regelungen in Art. 5 zeigten. Nach dem
20. Erwägungsgrund dieser Richtlinie sei sowohl dem Verbraucher als
auch der Pauschalreisebranche damit gedient, wenn der Reiseveranstal-
ter verpflichtet sei, Sicherheiten für den Fall der Zahlungsunfähigkeit
oder des Konkurses nachzuweisen. Eine Beschränkung der Sicherheiten
auf bestimmte Schäden sei an dieser Stelle nicht vorgesehen. Aus Art. 7
der Richtlinie ergebe sich lediglich der Höhe nach eine Begrenzung auf
die gezahlten Beträge. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaf-
ten (EuGH) gewähre dem Reisenden in seiner bisherigen Rechtspre-
chung zur Pauschalreiserichtlinie einen umfassenden Schutz gegen
Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung. Die Revision hält eine Vorlage
der Sache an den EuGH nach Art. 234 Abs. 3 EGV zur Klärung der Fra-
ge für unausweichlich, ob die in Art. 7 der Richtlinie vorgeschriebene Si-
cherung auch Ansprüche des Reisenden wegen Reisemängeln umfasse.
3. Die Entscheidung der Vorinstanzen erweist sich jedoch im Er-
gebnis als richtig. Eine Vorlage an den EuGH kommt schon deshalb nicht
in Betracht, weil § 651 k BGB die von der Revision gewünschte Ausle-
gung nicht zuläßt. Darüber hinaus ergibt sich aus der gesicherten Recht-
sprechung des EuGH zu der hier in Rede stehenden Richtlinie, daß
Art. 7 eine Sicherung des Reisenden nur für die dort genannten Scha-
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densfälle fordert, unter die sich die hier geltend gemachten Ansprüche
aber nicht einordnen lassen.
a) Unstreitig hat die Beklagte Versicherungsschutz nach Maßgabe
des § 651 k BGB versprochen. Abgesehen von Aufwendungen des Rei-
senden, die für seine Rückreise infolge Zahlungsunfähigkeit des Reise-
veranstalters entstehen (§ 651 k Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB), beschränkt
sich die Pflicht zur Sicherstellung des Reisenden gemäß § 651 k Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 BGB auf die Rückerstattung des bereits gezahlten Reise-
preises, soweit Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Veranstalters
ausfallen. Unter diesen Wortlaut der Vorschrift läßt sich der vorliegende
Fall nicht subsumieren: Denn Reiseleistungen sind nicht ausgefallen,
sondern bis zur Rückkehr erbracht worden; außerdem ist der Veranstal-
ter vor Abschluß der Reise nicht zahlungsunfähig geworden.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 28. März 2001 (aaO) in Be-
tracht gezogen, daß durch § 651 k BGB die Vorschrift des Art. 7 der EG-
Richtlinie über Pauschalreisen (aaO) in deutsches Recht umgesetzt wor-
den ist. Das Ziel des Art. 7 der Richtlinie hat der Senat unter Bezug auf
die Rechtsprechung des EuGH im Schutz des Verbrauchers gegen Risi-
ken gesehen, die sich aus der Insolvenz des Reiseveranstalters ergeben
(ähnlich BGH, Urteil vom 10. Dezember 2002 - X ZR 193/99 - NJW 2003,
743 unter II 4 c bb). Der Senat hat auf der Grundlage der Rechtspre-
chung des EuGH weiter ausgeführt, Art. 7 bezwecke den vollständigen
Schutz der in dieser Vorschrift genannten Rechte der Verbraucher und
damit den Schutz der Verbraucher gegen sämtliche in diesem Artikel ge-
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nannten Risiken, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveran-
stalters ergeben. Art. 7 lautet in der deutschen Fassung:
Der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist,
weist nach, daß im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des
Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rück-
reise des Verbrauchers sichergestellt sind.
Der vollständige Schutz, den Art. 7 der Richtlinie bietet, bezieht
sich mithin auf Ansprüche des Verbrauchers auf Erstattung gezahlter,
aber wegen entfallener Reiseleistungen nicht verbrauchter Geldbeträge
sowie auf seinen Rücktransport an den Ausgangsort der Reise. Ge-
schützt wird der Verbraucher hinsichtlich dieser Rechte durch Art. 7 nur,
soweit sie durch Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters gefährdet
sind (Kemper NJW 1993, 3293, 3295).
Zwar war in Art. 7 des der Richtlinie vorangegangenen Kommissi-
onsentwurf vom 23. März 1988 (ABlEG Nr. C 96/5 ff.) vorgesehen, daß
die Reiseveranstalter den versicherungsfähigen Teil der von ihnen nach
der Richtlinie überhaupt zu tragenden Haftung versichern sollten, womit
auch die in Art. 5 des Entwurfs vorgesehene Mängelhaftung umfaßt war
(so auch die 20. Begründungserwägung dieses Entwurfs). Demgegen-
über ist die Sicherungspflicht des Reiseveranstalters in der Richtlinie
gewordenen Fassung des Art. 7 in der dargestellten Weise einge-
schränkt worden. Diese Entstehungsgeschichte bestärkt die bereits aus
dem W ortlaut des Art. 7 der Richtlinie zu entnehmende Begrenzung der
Sicherungspflicht auf bestimmte Ansprüche und Risiken. Mehr oder an-
deres als eine Umsetzung des Art. 7 der Richtlinie war vom deutschen
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Gesetzgeber mit der Einführung von § 651 k BGB nicht beabsichtigt
(BT-Drucks. 12/5354 S. 9 und 11).
Vor diesem Hintergrund erscheint eine Auslegung des § 651 k
BGB ausgeschlossen, die von Wortlaut, Sinnzusammenhang und Entste-
hungsgeschichte abweichend zu einer Sicherungspflicht des Reisever-
anstalters auch für Gewährleistungsansprüche führen würde, die nach
abgeschlossener Reise wegen einer erst danach eingetretenen Insolvenz
nicht durchgesetzt werden können. Das entspricht der insoweit einhelli-
gen Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa LG Aachen RuS
1998,
342;
Staudinger/J.Eckert,
BGB
[2001]
§ 651 k
Rdn. 9;
MünchKommBGB/Tonner, 4. Aufl. § 651 k Rdn. 11; Soergel/K.H.Eckert,
BGB 12. Aufl. § 651 k Rdn. 8; Erman/Seiler, BGB 11. Aufl. § 651 k
Rdn. 6; Bamberger/Roth/Geib, BGB § 651 k Rdn. 6; Jauernig/Teichmann,
BGB 11. Aufl. § 651 k Rdn. 2; Führich, Reiserecht, 4. Aufl. Rdn. 456 d,
457; Seyderhelm, Reiserecht § 651 k Rdn. 10; Bidinger/Müller, Reisever-
tragsrecht 2. Aufl. § 651 k Anm. 1).
Danach kommt eine richtlinienkonforme Auslegung in der von der
Revision gewünschten Richtung schon deshalb nicht in Betracht, weil
§ 651 k BGB in der hier streitigen Frage einen unterschiedlicher Ausle-
gung zugänglichen Entscheidungsspielraum nicht eröffnet (zu dieser
Voraussetzung vgl. BGHZ 149, 165, 173 f.). Erst recht fehlt jeder An-
haltspunkt dafür, daß der Kläger dem Sicherungsschein der Beklagten
einen über § 651 k Abs. 1 Satz 1 BGB hinausgehenden Umfang des ihm
zugesagten Versicherungsschutzes hätte entnehmen können.
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b) Es kommt hinzu: In seinem Urteil vom 14. Mai 1998
(Rs. C-364/96 - Verein für Konsumenteninformation - NJW 1998, 2201)
hat der EuGH in Rdn. 19 festgestellt, die Garantie der "Erstattung der
gezahlten Beträge" betreffe die Fälle, in denen die Zahlungsunfähigkeit
oder der Konkurs des Veranstalters nach Vertragsschluß und vor Beginn
der Erfüllung des Vertrages eintrete oder in denen die Leistungen wäh-
rend der Vertragserfüllung eingestellt werden und dem Verbraucher der
Teil der Zahlung zu erstatten ist, der den nicht erbrachten Leistungen
entspricht. Was die Garantie der "Rückreise des Verbrauchers" angehe,
solle diese verhindern, daß letzterer während der Erfüllung des Vertra-
ges an seinem Aufenthaltsort deswegen festgehalten wird, weil der Be-
förderer sich wegen der Zahlungsunfähigkeit des Veranstalters weigere,
die der Rückreise entsprechende Leistung zu erbringen. Mit diesen Aus-
führungen hat der EuGH die beiden Tatbestände des Art. 7 der Richtlinie
so präzisiert, daß Ansprüche wegen Mängeln einer bis zum Abschluß
vom Veranstalter durchgeführten Reise, die wegen einer erst nach der
Reise eingetretenen Insolvenz des Veranstalters nicht durchgesetzt wer-
den können, nicht unter die Verpflichtung zur Sicherstellung des Ver-
brauchers fallen. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in einem Urteil
vom 15. Juni 1999 (Rs. C-140/97 - Rechberger - NJW 1999, 3181) bestä-
tigt. Dort heißt es in Rdn. 28, die Kläger jenes Falles seien den Risiken
ausgesetzt gewesen, denen Art. 7 der Richtlinie gerade begegnen solle.
Sie hätten sich nämlich erstens durch Zahlung von Beträgen vor Reise-
antritt dem Risiko des Verlustes dieser Beträge und zweitens im Fall der
Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Reiseveranstalters wäh-
rend der Reise dem Risiko ausgesetzt, am Aufenthaltsort festzusitzen,
wenn der Beförderer es aufgrund dieser Zahlungsunfähigkeit oder dieses
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Konkurses ablehne, die aus der Rückreise bestehende Leistung zu
erbringen.
Soweit der EuGH, wie die Revision hervorhebt, den umfassenden
Schutz des Reisenden betont, ist nicht zu übersehen, daß der Gerichts-
hof nur den Schutz der in Art. 7 der Richtlinie genannten Rechte der
Verbraucher und damit den Schutz des Verbrauchers gegen sämtliche in
diesem Artikel genannten, sich aus der Zahlungsunfähigkeit des Reise-
veranstalters ergebenden Risiken im Auge hat (so ausdrücklich Rdn. 61
im Urteil vom 15. Juni 1999 aaO; ferner Rdn. 59 im Urteil vom 8. Oktober
1996 - verb. Rs. C-178/94 u.a. - Dillenkofer - NJW 1996, 3141). Das hat
auch der Senat in seinem Urteil vom 28. März 2001 (aaO) zugrunde ge-
legt.
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Danach kommt eine Vorlage an den EuGH hier auch deshalb nicht
in Betracht, weil die streitige Frage vom Gerichtshof bereits geklärt ist.
Ein Anspruch gegen die Beklagte steht dem Kläger mithin nicht zu.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Felsch