Urteil des BGH vom 26.11.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Xa ZR 132/08 Verkündet
am:
26. November 2009
Anderer
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
FluggastrechteVO Art. 2 Buchst. b, Art. 5, Art. 7
Im Falle des Code-Sharing ist nur dasjenige Luftfahrtunternehmen, das den Flug tat-
sächlich durchführt, ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne des Art. 2 Buchst.
b FluggastrechteVO und damit im Falle der Annullierung des Fluges zu Unterstüt-
zungsleistungen und Ausgleichsleistungen verpflichtet.
BGH, Urteil vom 26. November 2009 - Xa ZR 132/08 - LG Köln
AG
Köln
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Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 26. November 2009 durch die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und
Keukenschrijver, die Richterin
Mühlens und die Richter Dr.
Berger und
Dr. Bacher
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 4. November 2008 ver-
kündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Köln aufge-
hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die beklagte Fluggesellschaft auf eine Ausgleichszah-
lung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung
(EG) Nr.
261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unter-
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stützungszahlungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annul-
lierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung
(EWG) Nr. 295/91 (ABl. EG Nr. L 46 v. 17.02.2004, S. 1; im Folgenden: Verord-
nung) in Anspruch.
Die Klägerin buchte bei der Beklagten einen Hin- und Rückflug von
Münster nach Florianopolis (Brasilien) über Frankfurt/München und São Paulo.
Der Rückflug war für den 9. März 2006 vorgesehen. Dabei sollte der Flug über
die Teilstrecke von São Paulo nach München nicht von der Beklagten, sondern
im Wege des Code-Sharing von dem brasilianischen Luftfahrtunternehmen
… durchgeführt werden. Auf diesen Umstand war seitens der Beklagten da-
durch hingewiesen worden, dass in den Buchungs- und Vertragsunterlagen der
Flug, der mit der Kennzeichnung "L. " und "R. " die IATA-Codes und
die Flugnummern beider Unternehmen enthielt, mit dem Zusatz "durchgeführt
von RG … " ausgewiesen wurde. Der Flug nach München wurde annulliert,
worüber die Klägerin bei Ankunft am Flughafen von São Paulo unterrichtet wur-
de. Stattdessen wurde der Klägerin ein Flug mit der Beklagten unter der Flug-
nummer L. nach Frankfurt am Main angeboten, der für den 10. März 2006,
15.05 Uhr, geplant war. Von dort sollte die Klägerin am 11. März 2006 um
9.00 Uhr nach Münster weiterfliegen. Der Abflug in São Paulo verzögerte sich
jedoch um 4 Stunden und 35 Minuten, so dass die Klägerin den Anschlussflug
nach Münster nicht mehr erreichte. Da der nächste Flug von Frankfurt nach
Münster annulliert wurde, flog die Klägerin schließlich nach Köln, wo sie um
14.45 Uhr eintraf.
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Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin eine Ausgleichszahlung in Höhe von
600 € von der Beklagten. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die
Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Kläge-
rin verfolgt mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, der die Be-
klagte entgegentritt, das Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefoch-
tenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe nach Art. 5
Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1, Satz 1 Buchst. c der Verordnung kein Anspruch
auf Ausgleichszahlung wegen der Annullierung des Fluges L. /R.
zu. Nach dieser Vorschrift sei passivlegitimiert allein das "ausführende Luft-
fahrtunternehmen". Nach der Begriffsbestimmung in Art. 2 Buchst. b der Ver-
ordnung sei somit nicht entscheidend, mit welchem Flugunternehmen der Flug-
gast einen Beförderungsvertrag geschlossen habe, sondern welches Flugun-
ternehmen den Flug durchführe. Dies bedeute jedoch, dass bei einem Code-
Sharing-Flug die verschiedenen in der Verordnung statuierten Verpflichtungen
nicht das beauftragte Flugunternehmen und damit die Beklagte als Vertragspar-
tei träfen, sondern dasjenige Flugunternehmen, das tatsächlich die Durchfüh-
rung des Fluges übernehme.
5
II. Dies hält der Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.
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1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht einen Anspruch der Klä-
gerin aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 der Verordnung wegen fehlender
Passivlegitimation der Beklagten verneint.
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a) Ein Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 der Verordnung richtet sich bei
Annullierung eines Fluges nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung nur ge-
gen das ausführende Luftfahrtunternehmen. Als "ausführendes Luftfahrtunter-
nehmen", für das die Verordnung nach der Regelung ihres Anwendungsberei-
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ches in Art. 3 Abs. 5 Satz 1 ausschließlich gilt, ist nach der Begriffsbestimmung
in Art. 2 Buchst. b der Verordnung das Luftfahrtunternehmen anzusehen, das
im Rahmen eines Vertrages mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen
- juristischen oder natürlichen - Person, die mit dem betreffenden Fluggast in
einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beab-
sichtigt. Indem sie auf die Durchführung des Fluges abstellt und hiervon die
zugrunde liegende Vertragsbeziehung abgrenzt, die der Fluggast auch zu ei-
nem anderen Unternehmen begründet haben kann, macht die Legaldefinition in
der deutschen Sprachfassung deutlich, dass für den Begriff des ausführenden
Luftfahrtunternehmens allein maßgeblich ist, welches Unternehmen mit dem
von ihm bereit gestellten Flugzeug und Personal die Beförderungsleistung tat-
sächlich erbringt, und nicht, mit welchem Luftfahrtunternehmen der Vertrag über
die Flugreise geschlossen worden ist (vgl. bereits Sen.Urt. v. 28.05.2009
- Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743). Diese Auslegung steht im Einklang mit der
Wortwahl etwa der englischen und der französischen Sprachfassung, die die
Durchführung des Fluges durch das als "operating air carrier" bzw. als "trans-
porteur aérien effectif" bezeichnete Unternehmen mit den Verben "to perform"
bzw. "réaliser" umschreiben.
Die mit dieser Auslegung einhergehende Differenzierung zwischen den
verschiedenen Luftfahrtunternehmen, denen sich der Fluggast bei einem Flug
gegenübersehen kann, ist nicht nur der Legaldefinition des "ausführenden Luft-
fahrtunternehmens" mit der dort beschriebenen Möglichkeit zu entnehmen,
dass der Flugreisevertragspartner des Fluggastes mit dem den Flug tatsächlich
durchführenden Luftfahrtunternehmens nicht identisch und dann auch nicht als
ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einzustufen ist. Die Unterscheidung
findet sich darüber hinaus in weiteren Bestimmungen der Verordnung wieder.
So sind nach der Regelung in Art. 3 Abs. 5 Satz 2 die Leistungen, mit denen
das ausführende Luftfahrtunternehmen seine Verpflichtungen aus der Verord-
nung gegenüber einem Fluggast erfüllt, mit dem es in keiner Vertragsbeziehung
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steht, als für das vertraglich verpflichtete Unternehmen erbracht anzusehen.
Nach Art. 13 der Verordnung kann das ausführende Luftfahrtunternehmen, das
Ausgleichszahlungen an Fluggäste leistet oder sonstige sich aus der Verord-
nung ergebende Pflichten erfüllt, den Vertragspartnern der Fluggäste gegen-
über Regress nehmen.
b) Dasselbe Verständnis vom Begriff des ausführenden Luftfahrtunter-
nehmens als des Unternehmens, das die Beförderung tatsächlich bewirkt, liegt
auch den internationalen Bestimmungen des Montrealer Übereinkommens vom
28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförde-
rung im internationalen Luftverkehr (ABl. EG Nr. L 194 v. 18.07.2001, S. 39;
BGBl. 2004 II, 458) zugrunde. Auf dessen Vorgaben zu den Verpflichtungen
des ausführenden Luftfahrtunternehmens bezieht sich die Verordnung, deren
Bestimmungen jene des Montrealer Übereinkommens ergänzen (vgl. EuGH,
Urt. v. 10.01.2006 - Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 = NJW 2006, 351 = RRa
2006, 127 Tz. 46 - IATA und ELFAA), in Erwägungsgrund 14 ausdrücklich. In
den Regelungen, die das Montrealer Übereinkommen in Kapitel V zur Luftbe-
förderung durch einen anderen als den vertraglichen Luftfrachtführer vorsieht,
wird einleitend mit den Legaldefinitionen in Art. 39 ebenfalls unterschieden zwi-
schen dem vertraglichen Luftfrachtführer, der mit einem Reisenden bzw. Ab-
sender einen Beförderungsvertrag geschlossen hat, und dem ausführenden
Luftfrachtführer, bei dem es sich um "eine andere Person" handelt, die aufgrund
einer Vereinbarung mit dem vertraglichen Luftfrachtführer berechtigt ist, die Be-
förderung ganz oder teilweise auszuführen. Aus dieser Abgrenzung und Wort-
wahl des Montrealer Übereinkommens ist in Übereinstimmung mit der hierzu im
Schrifttum wohl einhellig vertretenen Auffassung (vgl. Pokrant in Eben-
roth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., MÜ Art. 39 Rdn. 6 m.w.N.; Münch-
Komm./Tonner, BGB, 5. Aufl., Nach § 651 Rdn. 15 m.w.N.; Dettling-Ott in Gie-
mulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Bd. 3, 30. Aufl.
2007, Art. 39 MÜ Rdn. 7, 17 f.) für die Auslegung des Begriffs des ausführen-
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den Luftfrachtführers das Erfordernis abzuleiten, dass dieser mit dem von ihm
betriebenen Flugzeug die Beförderung tatsächlich durchführt.
11
c) Gestützt wird die Auslegung des Begriffs des "ausführenden Luftfahrt-
unternehmens", für den allein entscheidend ist, dass es den Flug tatsächlich
durchführt, auch durch die weitere Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 des Europä-
ischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2005 über die Erstellung
einer gemeinschaftlichen Liste der Luftfahrtunternehmen, gegen die in der Ge-
meinschaft eine Betriebsuntersagung ergangen ist, sowie über die Unterrich-
tung von Fluggästen über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens
und zur Aufhebung des Art. 9 der Richtlinie 2004/36/EG (ABl. EG L 344 v.
27.12.2005, S. 15; im Folgenden: Verordnung 2111/2005). Die Verordnung
2111/2005 verwendet ebenfalls den Begriff des "ausführenden Luftfahrtunter-
nehmens" mit derselben Legaldefinition in Art. 2 Buchst. e und grenzt ihn ab
von dem "Vertragspartner für die Beförderung im Luftverkehr", der in Art. 2
Buchst. c definiert wird als das Luftfahrtunternehmen, das einen Beförderungs-
vertrag mit einem Fluggast schließt. In Art. 11 der Verordnung 2111/2005 wird
der Vertragspartner für die Beförderung im Luftverkehr dazu verpflichtet, die
Fluggäste bei der Buchung über die Identität des ausführenden Luftfahrtunter-
nehmens zu unterrichten. Dass es sich dabei um das den Flug tatsächlich
durchführende Unternehmen handelt, wird in den Erwägungsgründen 11, 13
und 14 zu dieser Vorschrift ausdrücklich erwähnt. Mit der Regelung des Art. 11
der Verordnung 2111/2005 hat der Verordnungsgeber zudem gerade auf die
Praxis des Code-Sharing reagiert, wie Erwägungsgrund 13 der Verordnung
2111/2005 belegt. Dort wird unter beispielhaftem Bezug auf das Code-Sharing
die Branchenpraxis im Linienflugverkehr dargestellt, dass das Luftfahrtunter-
nehmen, das einen Flug unter seinem Namen verkauft hat, "diesen nicht tat-
sächlich durchführt". Hierzu wird in Erwägungsgrund 13 der Verordnung
2111/2005 weiter auf den Missstand hingewiesen, dass der Fluggast bisher
keinen Anspruch darauf hatte, über die Identität des Luftfahrtunternehmens,
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das ihn tatsächlich befördert, unterrichtet zu werden. Die Vorschrift des Art. 11
der Verordnung 2111/2005 ist nunmehr Grundlage dafür, dass in ihrem Gel-
tungsbereich - d.h. bei Verträgen über eine Beförderung, die in der Gemein-
schaft begonnen hat (Art. 10 Abs. 1 der Verordnung 2111/2005) - in den Bu-
chungsunterlagen das Luftfahrtunternehmen anzugeben ist, das im Rahmen
eines Code-Sharing den Flug auf dem betreffenden Streckenabschnitt tatsäch-
lich ausführt. Hierdurch wird dem Fluggast die Wahrnehmung seiner Rechte
gegen dieses Unternehmen ermöglicht.
d) Gegen das vom Wortlaut der Verordnung nahe gelegte Begriffsver-
ständnis lässt sich auch nicht das von der Revision unter Hinweis auf die Erwä-
gungsgründe 1 und 7 angeführte Ziel der Verordnung einwenden, ein hohes
Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Wie der Bundesgerichtshof unter
Bezugnahme auf die vorgenannten Erwägungsgründe und die Begründung des
Rates zum Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 27/2003 vom 18. März 2003
bereits im Hinblick auf die fehlende Passivlegitimation eines Reiseveranstalters
für Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach Art. 7 der Verordnung ausgeführt
hat (Beschl. v. 11.03.2008 - X ZR 49/07, RRa 2008, 175, 176), liegt dem Rege-
lungskonzept der Verordnung, dass sämtliche Ausgleichs- und Unterstützungs-
leistungen dem ausführenden Luftfahrtunternehmen auferlegt werden, die An-
nahme zugrunde, dass dieses aufgrund seiner Präsenz auf den Flughäfen in
der Regel am besten in der Lage ist, die Verpflichtungen zu erfüllen.
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Diese Erwägung des Verordnungsgebers kommt ebenfalls bei der Ko-
operationsform des Code-Sharing zum Tragen. Beim Code-Sharing teilen sich
die an der Vereinbarung beteiligten Fluggesellschaften die Kapazitäten des
betreffenden jeweils unter eigener Flugnummer geführten Linienfluges in der
Weise, dass neben den Fluggästen des den Flug ausführenden Unternehmens,
das die alleinige Verantwortung für die Durchführung des Fluges mit dem von
ihm eingesetzten Flugzeug behält, auch Fluggäste des Code-Sharing-
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Vertriebspartners eingebucht und befördert werden (vgl. zu Erscheinungsform,
Zweck und Voraussetzungen des Code-Sharing Schwenk/Giemulla, Handbuch
des Luftverkehrsrechts, 3. Aufl., S. 646 ff., 680 ff.; Dettling-Ott, aaO Rdn. 7,
20 f.). Auch bei dieser Kooperationsform des unter einer Doppelflugnummer
gemeinsam betriebenen Flugliniendienstes kann nur eine der daran beteiligten
Fluggesellschaften das Luftfahrzeug für den einzelnen Flug zur Verfügung stel-
len und ihn damit tatsächlich durchführen. Bei einer Fluggesellschaft, die für
einen Linienflug lediglich mit eigener Flugnummer im Rahmen des Code-
Sharing Plätze anbietet, die tatsächliche Beförderung aber einer anderen Flug-
gesellschaft überlässt, ist eine effektive Erfüllung der von der Verordnung vor-
gesehenen Unterstützungsleistungen nicht in gleicher Weise gewährleistet wie
bei dem Luftfahrtunternehmen, das den Flug selbst ausführt und deshalb am
Flughafen präsent sein muss. Auch die etwa aus den Erwägungsgründen 12
und 13 der Verordnung zu entnehmende Lenkungsabsicht des Verordnungsge-
bers, mit der Statuierung eines pauschalierten Ausgleichsanspruchs das in den
Erwägungsgründen 2 bis 4 angesprochene Ärgernis der Flugannullierungen zu
verringern, greift nur gegenüber den Luftfahrtunternehmen, die einen Flug
selbst in eigener Verantwortung ausführen und damit auf die tatsächliche
Durchführung überhaupt unmittelbar Einfluss haben. Demzufolge lässt sich mit
dem Schutzzweck der Verpflichtungen, die das ausführende Luftfahrtunterneh-
men treffen, nicht die Auffassung der Revision begründen, dass jeder an einer
Code-Sharing- Vereinbarung beteiligter Kooperationspartner als den Flug
durchführend anzusehen sei.
Für eine solche Ausdehnung des Adressatenkreises der Verordnung
spricht schließlich nicht der von der Revision angeführte Wortlaut des Erwä-
gungsgrundes 7 der Verordnung, in dem es heißt:
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"Damit diese Verordnung wirksam angewandt wird, sollten die
durch sie geschaffenen Verpflichtungen dem ausführenden Luft-
fahrtunternehmen obliegen, das einen Flug durchführt oder durch-
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zuführen beabsichtigt, und zwar unabhängig davon, ob der Flug
mit einem eigenen Luftfahrzeug oder mit einem mit oder ohne Be-
satzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchge-
führt wird."
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Dieser Erwägungsgrund erläutert zunächst im Sinne der vorgenannten
Lenkungsabsicht die Beschränkung des Geltungsbereichs der Verordnung auf
die ausführenden Luftfahrtunternehmen (Art. 3 Abs. 5 Satz 1 der Verordnung).
Mit dem Zusatz zur Form der Durchführung des Fluges wird lediglich klarge-
stellt, dass es für die Bestimmung des ausführenden Luftfahrtunternehmens auf
die Eigentumsverhältnisse an dem für den Flug eingesetzten Flugzeug nicht
ankommt und dass sich das ausführende Unternehmen im Wege der Miete o-
der in sonstiger Weise auch Dritter bedienen kann. Eine Erweiterung des Krei-
ses der Anspruchsgegner des Fluggastes ist damit ersichtlich nicht verbunden.
Vielmehr bleibt es nach dem klaren Wortlaut dieses Erwägungsgrundes dabei,
dass auch dann, wenn der Flug mit Hilfe eines Mietverhältnisses oder in sonsti-
ger Weise durchgeführt wird, ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne der
Verordnung immer nur ein Unternehmen sein kann.
e) Auch die Entstehungsgeschichte der Verordnung bestätigt das Ausle-
gungsergebnis, dass beim Code-Sharing nur das den Flug tatsächlich selbst
ausführende Unternehmen Anspruchsgegner des Fluggastes ist. Nach dem
ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom 21. Dezember 2001 (ABl. EG
Nr. C 103 E v. 30.04.2002, S. 225) sollte mit Art. 3 noch ausdrücklich geklärt
werden, inwieweit die Verordnung bei Code-Sharing gelten sollte. Diese Koope-
rationsform wurde in Art. 2 Buchs. g als der Fall definiert,
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"dass ein Fluggast mit einem Luftfahrtunternehmen, dem 'Ver-
triebsunternehmen', einen Beförderungsvertrag nebst bestätigter
Buchung hat, aber von einem anderen Luftfahrtunternehmen, dem
'Betriebsunternehmen', befördert wird".
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Nach dem Kommissionsvorschlag zum Anwendungsbereich sollte ge-
mäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 die Verordnung für alle Luftfahrt- oder Reiseunter-
nehmen gelten, mit denen ein Fluggast einen Vertrag hat. Hierzu war in Art. 3
Abs. 3 Satz 2 weiter geregelt, dass
"das Reiseunternehmen oder - bei Code-Sharing - das Vertriebs-
unternehmen mit dem Betriebsunternehmen die notwendigen Vor-
kehrungen (trifft), um die Durchführung der Bestimmungen dieser
Verordnung zu gewährleisten".
Gegenüber dem Kommissionsvorschlag einer ausschließlichen Haftung
der Reisevertragspartner des Fluggastes wurde im Standpunkt des Europäi-
schen Parlaments vom 24. Oktober 2002 sodann der Adressatenkreis der Ver-
ordnung erweitert durch folgende Neubestimmung des Geltungsbereichs der
Verordnung in den Sätzen 2 und 3 des Art. 3 Abs. 3:
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"Die darin vorgesehenen Verantwortlichkeiten und Pflichten wer-
den jedoch sowohl im Fall von Code-Sharing als auch in dem Fall,
dass das Reiseunternehmen logistisch nicht in der Lage ist, die
vorgesehenen Pflichten zu erfüllen, auch auf das Luftfahrtunter-
nehmen ausgedehnt, das als Betriebsunternehmen fungiert. Das
Reiseunternehmen oder - bei Code-Sharing - das Vertriebsunter-
nehmen macht alle Regressansprüche gegenüber dem Betriebs-
unternehmen geltend, wenn die Nichtbeförderung, Annullierung
oder Verspätung des Flugs in dessen Zuständigkeit fällt."
Der Verordnungsgeber hat diese ursprünglichen Vorschläge einer Haf-
tung des Vertriebsunternehmens beim Code-Sharing indes gerade nicht umge-
setzt, sondern aus Vereinfachungs- und Effizienzgründen sämtliche Ausgleichs-
und Unterstützungsleistungen allein dem Betriebsunternehmen auferlegt, das in
der endgültigen Fassung der Verordnung nunmehr als ausführendes Luftfahrt-
unternehmen bezeichnet worden ist (vgl. Begründung des Rates zum Gemein-
samen Standpunkt (EG) Nr.
27/2003 v. 18.03.2003, ABl. C
125
E v.
27.05.2003, S. 63, 70).
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f) Nach der sich am Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte der
Verordnung orientierenden Auslegung des Begriffs des ausführenden Luftfahrt-
unternehmens ist mithin in Fällen des - auch hier vorliegenden - Code-Sharing
eine Differenzierung vorzunehmen zwischen dem Luftfahrtunternehmen, das
tatsächlich mit dem von ihm bereit gestellten Flugzeug die Durchführung des
Fluges übernimmt, und dem Unternehmen, das im Vertragsverhältnis zu dem
Fluggast steht und den Flugdienst des anderen Unternehmens mitbenutzt. Nur
jener Code-Sharing-Partner ist ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne
der Verordnung (so schon AG Frankfurt a.M., Urt. v. 15.06.2007 - 31 C 739/07,
RRa 2008, 48; Schmid, NJW 2007, 261, 267; ebenso für die Qualifikation des
den Code-Sharing-Flug ausführenden Luftfrachtführers nach Art.
39 MÜ
MünchKomm./Tonner, aaO; Dettling-Ott, aaO Rdn. 20 ff.). Der von der Revision
in diesem Zusammenhang angebrachte Hinweis auf eine Genehmigungsbedürf-
tigkeit von Code-Sharing-Vereinbarungen führt nicht weiter, da die Erlaubnis-
voraussetzungen (vgl. Schwenk/Giemulla, aaO; VG Köln, Beschl. v. 01.10.1993
- 4 L 1236/93, ZLW 1994, 363) nicht die Frage berühren, welcher der Code-
Sharing-Partner die Flugstrecke im Rahmen des gemeinsam betriebenen Li-
niendienstes mit Flugzeugen seiner eigenen Flotte bedient und damit die Luft-
beförderung tatsächlich übernimmt.
Im vorliegenden Fall ist danach tatsächlich ausführendes Luftfahrtunter-
nehmen für den ursprünglich vorgesehenen Rückflug auf der betreffenden
Teilstrecke São Paulo - München das brasilianische Luftfahrtunternehmen …
gewesen, während die Beklagte als die für alle Flüge auf der Gesamtstrecke
verantwortliche Vertragspartnerin der Klägerin hinsichtlich dieses Streckenab-
schnittes allein einer - hier von der Klägerin nicht geltend gemachten - vertragli-
chen Haftung unterlegen hat.
21
g) Es besteht auch kein Anlass, den Gerichtshof der Europäischen Ge-
meinschaften um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Der Senat hat keine
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Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und ist überzeugt, dass
diese Auslegung auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedsstaaten eindeutig
ist.
2. Gleichwohl hält die Abweisung der Klage der revisionsrechtlichen
Nachprüfung nicht stand.
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a) Nach dem - nach Erlass des angefochtenen Urteils ergangenen - Ur-
teil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 19. November
2009 (C-402/07 u. 432/07 - Sturgeon/Condor und Böck/Air France) sind die
Art. 5, 6 und 7 der Verordnung dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäte-
ter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Flug-
gästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7
dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können,
wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden
oder mehr erleiden, d.h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach
der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit errei-
chen.
b) Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich, dass die
Klägerin im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung auf den Lufthan-
saflug L. "verlegt" worden ist. Der Abflug dieses Fluges hat sich um mehr
als vier Stunden gegenüber der planmäßigen Abflugzeit verzögert, so dass
auch die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung für Unterstüt-
zungsleistungen in Verspätungsfällen vorliegen. Schließlich hat die Klägerin ihr
Endziel weit mehr als drei Stunden später erreicht.
25
c) Ein aus der Verspätung des Ersatzfluges herzuleitender Ausgleichs-
anspruch nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung ist auch Streitgegenstand des vor-
liegenden Verfahren.
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Der Streitgegenstand wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich
die vom Kläger geltend gemachte Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebens-
sachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herlei-
tet. Zum Klagegrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen,
vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen
nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tat-
sachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbe-
gehrens dem Gericht zu unterbreiten hat (vgl. BGHZ 117, 1, 5;
,
- III ZR 53/98, NJW 1999, 1407; BGH, Urt. v. 24.01.2008 - VII ZR 46/07, MDR
2008, 500; BGH, Urt. v. 16.09.2008 - IX ZR 172/07, NJW 2008, 3570). Hier hat
die Klägerin ihren einheitlichen Klageantrag mit dem Lebenssachverhalt, den
sie zu den gesamten Umständen der Rückflugreise dargelegt hat, auch auf die
vom Berufungsgericht festgestellte Verspätung des Ersatzfluges L. gestützt;
diese Verspätung hat die Klägerin zur Begründung des geltend gemachten Zah-
lungsanspruchs als einen Teil der von ihr vorgetragenen Gesamtverspätung
dargestellt, mit der sie an ihrem Zielort angekommen ist.
III. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es ist
aufzuheben und der Rechtsstreit ist an das Berufungsgericht zurückzuverwei-
sen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu
übertragen ist.
28
Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob die "technischen Proble-
me", aufgrund deren sich nach seinen hierzu nicht näher ausgeführten Feststel-
lungen der Abflug des Fluges L. verzögerte, als außergewöhnliche Um-
stände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung anzusehen sind. Eine Ver-
spätung wie im Streitfall führt nach dem vorgenannten Urteil des Gerichtshofs
der Europäischen Gemeinschaften vom 19. November 2009 nämlich dann nicht
zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtun-
29
- 15 -
ternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche
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Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn
alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die
von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
Meier-Beck
Keukenschrijver
Mühlens
Berger
Bacher
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 12.11.2007 - 119 C 310/07 -
LG Köln, Entscheidung vom 04.11.2008 - 11 S 506/07 -