Urteil des BGH vom 24.08.2007

BGH (beschwerde, zpo, bindungswirkung, rechtsfrage, begründung, antrag, norm, sache, abänderung, verfügung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZB 30/07
vom
12. März 2008
in dem Rechtsstreit
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 12. März 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Dr. Strohn,
Caliebe und Dr. Reichart
beschlossen:
1. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Senats für
Kapitalanleger-Musterverfahren des Oberlandesgerichts Mün-
chen vom 24. August 2007 in Verbindung mit dem Berichti-
gungsbeschluss vom 11. Oktober 2007 wird auf Kosten der Klä-
ger zurückgewiesen.
2. Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf
1.822,32 € festgesetzt.
Gründe:
I. Die Kläger machen gegen die Beklagte zu 1 - eine börsennotierte Akti-
engesellschaft - und die Beklagten zu 2 und 3 - ehemalige Mitglieder des Vor-
stands der Beklagten zu 1 - Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Ad-
hoc-Mitteilungen geltend. Im ersten Rechtszug haben sie mit Schriftsätzen vom
23. September 2006 und 18. Dezember 2006 zwei Musterfeststellungsanträge
i.S. des § 1 KapMuG gestellt. Das Landgericht hat diese Anträge durch Be-
schluss zurückgewiesen. Die Klage hat es durch Urteil vom selben Tage abge-
wiesen. Die Kläger haben gegen den Beschluss sofortige Beschwerde und ge-
gen das Urteil Berufung eingelegt. Mit der Beschwerde haben sie beantragt,
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den Beschluss des Landgerichts aufzuheben und festzustellen, dass die Mus-
terfeststellungsanträge zulässig sind. Das Beschwerdegericht hat die Be-
schwerde als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die von dem Be-
schwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Kläger.
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II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 ZPO statthaft und rechtzeitig, nämlich innerhalb der einmonatigen Frist
des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO, eingelegt worden. Dass in der Rechtsbeschwer-
deschrift vom 20. September 2007 als Rechtsbeschwerdeführerin eine Frau
S. T. genannt ist und erst am 14. November 2007 eine
Rechtsbeschwerde- und -begründungsschrift für M. und D. K. ein-
gereicht worden ist, steht nicht entgegen. Denn auch in dem Beschluss des Be-
schwerdegerichts vom 24. August 2007 ist als Beschwerdeführerin Frau T.
aufgeführt, und dieser Beschuss ist erst mit Beschluss vom 11. Oktober
2007 hinsichtlich der Personen der Beschwerdeführer berichtigt worden. Da-
nach kommt es nicht darauf an, dass durch die Zustellung eines Berichtigungs-
beschlusses grundsätzlich keine neue Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt wird
(BGHZ 89, 184; Zöller/Vollkommer, ZPO 26. Aufl. § 319 Rdn. 25, zur Ausnah-
me bei Parteiverwechslung aber BGHZ 17, 149). In entsprechender Anwen-
dung des Grundsatzes der Meistbegünstigung (Zöller/Gummer/Heßler aaO Vor
§ 511 Rdn. 30) hat eine Rechtsmittelschrift, die den in dem angefochtenen Be-
schluss genannten Namen verwendet, jedenfalls dieselben Wirkungen wie eine
unter der richtigen Parteibezeichnung erstellte Rechtsmittelschrift. Die Rechts-
beschwerde ist auch rechtzeitig begründet worden, da die Begründungsfrist mit
Verfügung vom 25. September 2007 gemäß § 575 Abs. 2, § 551 Abs. 2 Satz 6
ZPO bis zum 3. Dezember 2007 verlängert worden ist.
III. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
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Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde mit der Begründung zurück-
gewiesen, ein Musterfeststellungsverfahren könne nur im ersten Rechtszug in
Gang gesetzt werden, dieser sei aber durch das Urteil des Landgerichts been-
det. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
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Wie der Senat zwischenzeitlich mit Beschluss vom 3. Dezember 2007
(II ZB 15/07, ZIP 2008, 137, Tz. 7 ff.) entschieden hat, ist ein Musterfeststel-
lungsantrag u.a. dann zurückzuweisen, wenn der Rechtsstreit nach Einlegung
der Berufung nicht mehr in der ersten Instanz anhängig ist.
Ein Musterfeststellungsantrag kann gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG
nur im ersten Rechtszug gestellt werden. Er soll in einem möglichst frühen Sta-
dium des Prozesses dazu führen, dass eine verallgemeinerungsfähige Tatsa-
chen- oder Rechtsfrage i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG mit Bindungswir-
kung auch für andere, gleichartige Verfahren geklärt wird. Der Antrag ist nach
Wortlaut und Systematik der Norm unzulässig, wenn er erst in der Berufungsin-
stanz gestellt wird. Nach § 4 KapMuG muss nämlich auf einen zulässigen Mus-
terfeststellungsantrag hin die Sache, sofern mindestens neun weitere Anträge
fristgerecht gestellt worden sind, dem zuständigen Oberlandesgericht mit bin-
dendem Beschluss vorgelegt werden. Das setzt ein noch anhängiges erstin-
stanzliches Verfahren voraus.
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Hier haben die Kläger zwar die Musterfeststellungsanträge im ersten
Rechtszug gestellt. Über diese Anträge kann aber nicht mehr in jenem Rechts-
zug entschieden werden, nachdem der Rechtsstreit mittlerweile durch Einle-
gung der Berufung in der Rechtsmittelinstanz anhängig geworden ist. Auch eine
Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung im Beschwerde- oder Rechts-
beschwerdeverfahren kommt bei dieser Prozesslage nicht in Betracht. Denn
auch dafür gilt der Grundsatz, dass nach dem Ende der Anhängigkeit des
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Rechtsstreits in erster Instanz ein Musterverfahren nicht mehr eingeleitet wer-
den kann.
Goette
Kraemer
Strohn
Caliebe Reichart
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 19.06.2007 - 34 O 14261/06 -
OLG München, Entscheidung vom 24.08.2007 - W (KAP) 19/07 -