Urteil des BGH vom 15.01.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
II ZR 90/11
Verkündet am:
15. Januar 2013
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
AktG § 93; HypBkG i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. September 1998, BGBl. I S. 2674 § 5; BGB §
249 Ca
a) Ein Organ, das Geschäfte betreibt, die vom Unternehmenszweck nicht gedeckt sind, handelt
pflichtwidrig (Anschluss an BGHZ 119, 305, 332).
b) Der Abschluss von Zinsderivategeschäften, die nicht der Absicherung von Zinsrisiken aus dem
Hauptgeschäft oder dem zulässigen Nebengeschäft einer Hypothekenbank dienten, war bis zum
30. Juni 2002 vom Unternehmensgegenstand einer Hypothekenbank nicht gedeckt und ein für eine
Hypothekenbank unzulässiges Spekulationsgeschäft.
c) Wenn aus einer Reihe gleichartiger unzulässiger Spekulationsgeschäfte durch ein Organ sowohl
Gewinne als auch Verluste entstehen, muss sich die Gesellschaft auf einen Schadensersatzan-
spruch wegen der entstandenen Verluste grundsätzlich die Gewinne anrechnen lassen
BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 - II ZR 90/11 - OLG Frankfurt/Main
LG Frankfurt/Main
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Januar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann und
den Richter Dr. Strohn, die Richterin Dr. Reichart sowie die Richter
Dr. Drescher und Born
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2011 aufge-
hoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagten waren Vorstände der Klägerin, einer Aktiengesellschaft.
Gegenstand des Unternehmens war nach § 2 Abs. 1 der Satzung der Klägerin
der Betrieb einer Hypothekenbank im Sinne des Hypothekenbankgesetzes.
Zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 30. Juni 2002 ging die Klägerin auf
Entscheidung der Beklagten hin Zinsderivategeschäfte, u.a. Zinsswap-
Geschäfte und Forward-Rate-Agreements ein, deren Volumen das Volumen der
originären Hypothekenbankgeschäfte (Bilanzgeschäfte) der Klägerin weit über-
stieg.
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Prüfungen durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen gem. § 44
KWG kamen zu dem Ergebnis, dass für einen für das Jahr 2001 drohenden
Verlust in Höhe von 436,1 Mio.
€ keine Rückstellungen bei der Klägerin gebildet
worden waren und auch für drohende Verluste im Jahr 2002 Rückstellungen
fehlten. Die Hauptaktionäre der Klägerin mussten daraufhin Kapital zuführen.
Ein Gutachten im Rahmen einer Prüfung nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG
kam zu dem Ergebnis, dass sich bei den Hypothekenbankgeschäften in den
sogenannten Laufzeitbändern erhebliche Aktivüberhänge und bei den derivati-
ven Zinsgeschäften in der Mehrzahl der Laufzeitbänder Passivüberhänge erga-
ben. Im Vergleich zu den Überhängen aus den Bilanzgeschäften würden die
Überhänge aus den derivativen Zinsgeschäften insbesondere in den Laufzeit-
bändern 2001 bis 2012 wesentlich stärkere Schwankungen aufweisen, die Ge-
samtzinsbildungsbilanz der Klägerin weise außergewöhnlich hohe Überhänge
aus. Das verstoße gegen die Vorschriften des Hypothekenbankgesetzes
(HypBkG) und den Willen des Gesetzgebers, Zinsderivategeschäfte nur zur
Schließung oder Verminderung offener Positionen im Hauptgeschäft einsetzen
zu dürfen, nicht aber zur Erzielung von Einzelhandelserfolgen.
Mit der Klage hat die Klägerin von den Beklagten als Gesamtschuldnern
die Zahlung von 250.403.491,69
€ verlangt und die Feststellung begehrt, dass
die Beklagten verpflichtet sind, ihr den Schaden zu ersetzen, der ihr aus im Ein-
zelnen bezeichneten, im Zeitraum von 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2002 ge-
schlossenen und am 1. September 2004 noch nicht beendeten Derivatege-
schäften entstanden sei. Die Beklagten hätten entgegen § 5 HypBkG unzuläs-
sige Zinsderivategeschäfte abgeschlossen. Aus 52 vorzeitig aufgelösten Ge-
schäften habe die Klägerin Verluste in Höhe von 182.036.439,28
€ im Jahr
2001 und von 68.423.041,67
€ im Jahr 2002 erlitten.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin
Berufung eingelegt und die Verurteilung zur Zahlung nach Hinweisen des Beru-
fungsgerichts hilfsweise auf den erstrangigen Teil eines negativen Saldos in
Höhe von 335.763.252,58
€ aus Geschäften aufgrund eines Beschlusses des
Marktrisikokomitees der Klägerin vom 23. April 2002 und eines Vorstandsbe-
schlusses vom 30. April 2002 gestützt, in zweiter Linie hilfsweise auf den erst-
rangigen Teil eines negativen Saldos von 528.212.526,91
€ aufgrund von 65
Geschäften von sieben Geschäftstagen und hilfsweise in dritter Linie auf den
erstrangigen Teil eines Schadensaldos von 2.053.745.572,72
€ als des Saldos
aller 215 in den Rechtsstreit eingeführter, unzulässiger Derivategeschäfte.
Hilfsweise zu dem Feststellungsantrag hat sie die Verurteilung der Beklagten
als Gesamtschuldner zur Zahlung von 3.413.135.060,70
€ verlangt und die
Feststellung der Ersatzpflicht für Schäden aus zwei Derivategeschäften.
Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Dagegen richtet sich die
vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie ihre
Anträge aus der Berufungsinstanz weiter verfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung.
I. Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt, Urteil vom 22. März 2011
- 5 U 29/06, juris) hat ausgeführt, die Klägerin habe hinsichtlich des in der
Hauptsache gestellten Zahlungsantrags und der ersten beiden Hilfsklagegründe
einen Schaden nicht substantiiert dargelegt bzw. hinsichtlich des dritten und
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vierten Hilfsklagegrundes den Grund des erhobenen Anspruchs nicht hinrei-
chend bestimmt. Hinsichtlich des Feststellungsantrags habe sie nicht dargelegt,
dass der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich sei. Der dazu hilfsweise ge-
stellte Zahlungsantrag sei mangels hinreichender Bestimmtheit des Klagegrun-
des unzulässig, für den Feststellungsantrag bezüglich zweier konkret genannter
Derivategeschäfte fehle es an der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts.
Eine Vermögensminderung bei der Klägerin könne nicht mit dem isolier-
ten Ergebnis eines einzelnen derivaten Geschäfts gleichgesetzt werden. Viel-
mehr sei das Ergebnis eines ganzen Pakets in den Blick zu nehmen, da nur der
Saldo die vermögensrelevante Konsequenz der Entscheidung für den Ab-
schluss von derivativen Geschäften darstelle. Dabei handele es sich nicht um
einen Fall des Vorteilsausgleichs. Da die Entscheidung für die Einzelgeschäfte
beim von den Beklagten praktizierten Macro-Hedging in Bezug auf das Gesam-
trisiko getroffen würden, sei mit Rücksicht auf die Wechselwirkungen der Ein-
zelgeschäfte mit dem Gesamtrisiko zu fordern, bei der Frage nach dem Scha-
den sämtliche Konsequenzen in den Blick zu nehmen. Der Entscheidung könne
nicht zugrunde gelegt werden, dass die im Rahmen des Macro-Hedging prakti-
zierten Zinsderivategeschäfte grundsätzlich unzulässig gewesen seien, weil die
Beurteilung der Zulässigkeit des Zinsderivategeschäfts auch nach der Methode
des Macro-Hedging erfolgen könne.
Zur Darlegung des Schadens sei in einem ersten Schritt erforderlich,
dass die Klägerin für sämtliche Einzelabschlüsse vortrage, aufgrund welcher
konkreten Entscheidung der Beklagten welche derivativen Zinsgeschäfte abge-
schlossen worden seien, dann sei zu deren Beendigung vorzutragen und zu
den Ergebnissen der auf den jeweiligen Entscheidungen der Beklagten beru-
henden Geschäften, anschließend, ob sich bei einer Saldierung aller jeweils auf
einer Einzelentscheidung beruhenden und von ihr umfassten derivaten Ge-
schäfte („Pakete“) eine Zahlungsverpflichtung ergebe. Die Einzelgeschäfte wür-
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den durch die Beschlussfassung als natürliche Handlung miteinander verbun-
den.
Diesen Anforderungen an die Darlegungslast für einen negativen Saldo
nach einzelnen Beschlussfassungen habe die Klägerin bis auf die Beschlüsse
vom 1. August 2001 und 23. April 2002 nicht genügt. Ein Schaden sei damit
aber noch nicht dargetan. Er liege nur vor, wenn aufgrund der Ergebnisse der
genannten Pakete bei einem Vergleich mit der Vermögenslage der Gesell-
schaft, die sich ohne Abschluss dieser Geschäfte ergeben hätte, eine Vermö-
gensminderung festzustellen wäre. Da im Rahmen des Macro-Hedging eine
Einzelzuordnung von Sicherungsgeschäften nicht möglich sei, würden mit jeder
Entscheidung alle bestehenden Geschäfte berücksichtigt und beeinflussten die-
se. Das Ergebnis einer einzelnen Entscheidung sei als Summe der Wertände-
rung und des Einnahmen-/Ausgaben-Saldos der Gesamtheit aller Geschäfte,
die noch im Bestand seien, zu messen. Daher könne ein Schaden der Klägerin
nur darin bestehen, dass die Gesamtzinsbuchposition eine Verschlechterung
erfahren habe. Eines gerichtlichen Hinweises habe es nicht bedurft. Da nach
der Methode des Macro-Hedging die Entscheidung des Vorstands für die Deri-
vategeschäfte zulässig gewesen sei, weil die maßgeblichen Risikokennzahlen
reduziert worden seien, sei davon auszugehen, dass die Beklagten sich pflicht-
gemäß verhalten hätten.
Das Vorbringen der Klägerin biete auch keine Grundlage für eine Schät-
zung, weil im Rahmen des Macro-Hedging jeweils die Gesamtbanksituation und
das Ergebnis des gesamten zinstragenden Geschäfts in den Blick genommen
würden. In dieser Lage wäre eine Schätzung unzulässig, weil sie völlig in der
Luft hinge.
II. Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand. Die Klägerin hat zu dem in der Hauptsache gestellten Zahlungsantrag
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einen Schaden und hinsichtlich des Feststellungsantrags die Wahrscheinlichkeit
eines Schadenseintritts hinreichend substantiiert dargelegt.
1. Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG hat die Gesellschaft - ggf. mit der Er-
leichterung des § 287 ZPO - darzulegen und ggf. zu beweisen, dass ihr durch
ein Verhalten des Vorstandsmitglieds in seinem Pflichtenkreis, das möglicher-
weise pflichtwidrig ist, ein Schaden entstanden ist; das Vorstandsmitglied hat
dagegen nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG darzulegen und zu beweisen, dass es
seine Pflichten nicht verletzt oder jedenfalls schuldlos gehandelt hat oder dass
der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre
(BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 17; Urteil
vom 16. März 2009 - II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 42; Urteil vom 4. Novem-
ber 2002 - II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 283 ff.). Das schließt ggf. den Nach-
weis der Einhaltung seines - grundsätzlich weiten - unternehmerischen Ermes-
sensspielraums ein (vgl. jetzt § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; BGH, Urteil vom
4. November 2002 - II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284).
2. Die Klägerin hat einen Schaden und seine Verursachung durch ein
möglicherweise pflichtwidriges Verhalten der Beklagten ausreichend dargelegt.
a) Die Klägerin hat ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten der Be-
klagten dargelegt. Sie hat vorgetragen, dass sie unter der Leitung der Beklag-
ten näher bezeichnete Zinsderivategeschäfte abgeschlossen habe, die nicht als
Neben- oder Hilfsgeschäfte der Absicherung von Zinsrisiken aus dem Hypothe-
kenbankgeschäft dienten, und hat dies im Einzelnen ausgeführt. Der Abschluss
von Zinsderivategeschäften, die nicht der Absicherung von Zinsrisiken aus dem
Hauptgeschäft oder dem zulässigen Nebengeschäft einer Hypothekenbank
dienten, war vom Unternehmensgegenstand der Klägerin, dem Betrieb einer
Hypothekenbank, nicht gedeckt und ein für eine Hypothekenbank unzulässiges
Spekulationsgeschäft. Ein Organ, das Geschäfte betreibt, die vom Unterneh-
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menszweck nicht gedeckt sind, handelt pflichtwidrig (vgl. BGH, Urteil vom
5. Oktober 1992 - II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 332).
Eine Hypothekenbank durfte Zinsderivategeschäfte abschließen, wenn
sie absichernden Charakter für die zulässigen Geschäfte hatten und das Ver-
lustrisiko begrenzt blieb, dagegen nicht, wenn sie ausschließlich in Verbindung
mit anderen Derivategeschäften standen oder ihr Umfang den Hypothekenban-
ken als Spezialinstituten gesetzte Grenzen überschritt (Bellinger/Karl, HypBkG,
4. Aufl., § 5 Rn. 20). Hypothekenbanken durften nach § 5 Abs. 1 HypBkG i.d.F.
der Bekanntmachung vom 9. September 1998, BGBl. I S. 2674 außer den in
§ 1 HypBkG genannten Geschäften (Hauptgeschäfte) nur bestimmte Geschäfte
betreiben, zu denen Zinsderivategeschäfte nicht zählten. Der Abschluss von
Zinsderivategeschäften war nach § 5 Abs. 1 Nr. 4a HypBkG (i.d.F. des Art. 11
Nr. 1 Buchst. a dd des Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplat-
zes Deutschland [Viertes Finanzmarktförderungsgesetz] vom 21. Juni 2002,
BGBl. I S. 2010) erstmals ab 1. Juli 2002 erlaubt, und zwar über Derivate im
Sinne des § 1 Abs. 11 Satz 4 Nr. 1 bis 4 KWG mit geeigneten Kreditinstituten
oder Finanzdienstleistungsinstituten auf der Grundlage standardisierter Rah-
menverträge. In § 5 HypBkG a.F. nicht erwähnte Geschäfte waren zulässig,
wenn sie sich im Zusammenhang mit der Ausführung der Hauptgeschäfte erga-
ben (Bellinger/Karl, HypBkG, 4. Aufl., § 5 Rn. 8), also wenn sie einem Hauptge-
schäft oder einem nach § 5 HypBkG zulässigen Nebengeschäft dienten, das
Risiko von Verlusten begrenzt war und das Spezialinstitutsprinzip nicht aufge-
weicht wurde (Bellinger/Karl, HypBkG, 4. Aufl., § 5 Rn. 11).
b) Es war danach Sache der Beklagten, darzulegen und gegebenenfalls
zu beweisen, dass die im Einzelnen von der Klägerin bezeichneten Zinsderiva-
tegeschäfte der Absicherung von Zinsrisiken aus dem Hauptgeschäft oder dem
zulässigen Nebengeschäft dienten.
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Die Entscheidung der Beklagten für den Abschluss von Zinsderivatege-
schäften im Rahmen eines Macro-Hedging allein macht ihr Verhalten nicht
pflichtgemäß. Um die Zinsderivategeschäfte dem Hauptgeschäft der Klägerin
als Neben- oder Hilfsgeschäfte zuzuordnen, musste zwar nicht einem bestimm-
ten Geschäft oder Risiko jeweils ein Absicherungsgeschäft durch Zinsderivate
zugeordnet werden (Micro-Hedging); vielmehr war bei umfassender Erfassung
aller Einzelpositionen in richtiger Gewichtung sowie geeigneten Vorkehrungen
im Bereich der Dokumentation und der internen Überwachung, die zu einer Ri-
sikoverminderung führen, auch ein Macro-Hedging zulässig (Bellinger/Karl,
HypBkG, 4. Aufl., § 5 Rn. 20), bei dem das gesamte Zinsänderungsrisiko abge-
sichert wird. Die im Rahmen eines solchen Macro-Hedging abgeschlossenen
Zinsderivategeschäfte waren dann Neben- oder Hilfsgeschäfte, soweit das
Macro-Hedging der Absicherung der Zinsänderungsrisiken aus dem Hauptge-
schäft und zulässigen Nebengeschäften, aber nicht der selbständigen Gewinn-
erzielung diente.
Dass die einzelnen Zinsderivategeschäfte jeweils diesen Anforderungen
genügten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Soweit es zu den Vor-
standsbeschlüssen vom 1. August 2001 und 23. April 2002 ausgeführt hat, für
die Entscheidung wäre auf der Ebene der Pflichtgemäßheit, auf der die Darle-
gungslast bei den Beklagten gelegen hätte, davon auszugehen gewesen, dass
sich die Beklagten pflichtgemäß verhalten hätten, handelt es sich um hypotheti-
sche Erwägungen, die die erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen nicht
ersetzen können. Solche Feststellungen waren nicht entbehrlich, weil die Beur-
teilung, die Beklagten hätten sich pflichtgemäß verhalten, auf Befunden des von
der Streithelferin der Beklagten vorgelegten Parteigutachtens beruhen, nach
denen die beschlossenen Maßnahmen der Absicherung dienten und risikover-
mindernd waren. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der in ei-
nem solchen Parteigutachten liegende Sachvortrag der Beklagten der Ent-
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scheidung nicht schon deshalb zugrunde zu legen, weil die Klägerin ihn schlicht
bestritten und keine inhaltliche Auseinandersetzung stattgefunden habe. Da die
Vorstandsmitglieder nicht nur darzulegen, sondern gegebenenfalls zu beweisen
haben, dass sie ihre Pflichten nicht verletzt haben, konnte sich die Klägerin
grundsätzlich auf ein Bestreiten beschränken.
c) Die Klägerin hat auch einen durch den Abschluss der - unterstellt
pflichtwidrigen - Zinsderivategeschäfte verursachten Schaden dargelegt. Der
Schaden ist durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Er-
eignisses tatsächlich eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne
jenes Ereignis eingetreten wäre, zu ermitteln (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom
18. Januar 2011 - VI ZR 325/09, ZIP 2011, 529 Rn. 8 mwN). Die Gesellschaft
ist danach so zu stellen, als wäre das pflichtwidrige Geschäft nicht abgeschlos-
sen worden (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2008 - II ZR 62/07, ZIP
2008, 736 Rn. 8). Da haftungsbegründend nach dem insoweit nach § 93 Abs. 2
Satz 2 AktG ausreichenden Vortrag der Klägerin der Abschluss der einzelnen,
von der Klägerin aufgelisteten Zinsderivategeschäfte war, entsprechen die aus
den einzelnen Geschäften jeweils entstandenen Verluste der infolge dieser haf-
tungsbegründenden Ereignisse jeweils eingetretenen Vermögensminderung.
Haftungsbegründendes Ereignis war der Abschluss des jeweiligen
Zinsderivategeschäfts. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schei-
den Derivategeschäfte, bei denen die Klägerin nicht darlegen kann, dass sie auf
einem konkreten Beschluss des Vorstands beruhen, als haftungsbegründende
Ereignisse nicht von vorneherein aus. Vorstandsmitglieder verletzen ihre Pflich-
ten nicht nur dann, wenn sie eigenhändig tätig werden oder Kollegialentschei-
dungen treffen, sondern auch, wenn sie pflichtwidrige Handlungen anderer Vor-
standsmitglieder oder von Mitarbeitern anregen oder pflichtwidrig nicht dagegen
einschreiten. Da die Einhaltung des Unternehmensgegenstandes beim Ab-
schluss der Zinsderivategeschäfte nach dem auch insoweit ausreichenden Vor-
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trag der Klägerin im Ausgangspunkt den Pflichtenkreis aller Vorstandsmitglieder
betraf, müssen sie sich auch hinsichtlich ihrer individuellen Verantwortlichkeit
jeweils entlasten.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts müssen zur Darlegung
eines Schadens auch nicht die aufgrund eines Vorstandsbeschlusses abge-
schlossenen Geschäfte saldiert werden, weil die Vorstandsentscheidung infolge
des Macro-Hedging in Bezug auf das Gesamtrisiko getroffen worden sei. Ob
eine Vorstandsentscheidung für einzelne oder mehrere Zinsderivategeschäfte
in Bezug auf das gesamte Zinsänderungsrisiko zutreffend war, betrifft den
Pflichtenverstoß durch den späteren Abschluss der jeweiligen Zinsderivatege-
schäfte und die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der einzelnen Vorstands-
mitglieder, nicht die Entstehung eines Schadens.
Erst recht überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an die
Darlegung eines Schadens, soweit es von der Klägerin verlangt, darüber hinaus
die nachteiligen Auswirkungen der nach den Vorstandsbeschlüssen abge-
schlossenen Zinsderivategeschäfte auf die Gesamtzinsbuchposition vorzutra-
gen. Dass die Vorstandsbeschlüsse im Rahmen eines Macro-Hedging gefasst
wurden, macht weder die Gesamtzinsbuchposition zur geschützten Vermö-
gensposition noch vermag es sämtliche verbotenen Geschäfte zu einem ein-
heitlichen haftungsbegründenden Ereignis zu verknüpfen.
d) Die Klägerin musste zur Darlegung ihres Schadens schließlich nicht
einen Gesamtsaldo aus Verlusten und Gewinnen aller Zinsderivategeschäfte
bilden. Die Darlegungs- und Beweislast für anzurechnende Gewinne liegt bei
den Beklagten.
aa) Wenn aus einer Reihe gleichartiger unzulässiger Spekulationsge-
schäfte durch ein Organ sowohl Gewinne als auch Verluste entstehen, muss
sich die Gesellschaft auf ihren Schadensersatzanspruch wegen der entstande-
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nen Verluste grundsätzlich die Gewinne anrechnen lassen (Fleischer, DStR
2009, 1204, 1210; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 39;
Michalski/Haas, GmbHG, 2. Aufl., § 43 Rn. 212; Ulmer/Paefgen, GmbHG, § 43
Rn. 94; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., Vor § 249 Rn. 233; Lange/Schiemann,
Schadensersatz, 3. Aufl., S. 503). Das folgt aus einer entsprechenden Anwen-
dung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung. Die Grundsätze der Vorteils-
ausgleichung sind auf den Schadensersatzanspruch nach § 93 Abs. 2 AktG
anzuwenden (BGH, Urteil vom 20. September 2011 - II ZR 234/09, ZIP 2011,
2097 Rn. 31). Danach sind Vorteile bei der Berechnung des Schadens zu be-
rücksichtigen, soweit ein haftungsbegründendes Ereignis zu adäquat kausalen
Vorteilen für den Geschädigten geführt hat und deren Anrechnung nach Sinn
und Zweck der Schadensersatzpflicht entspricht, d.h. den Geschädigten nicht
unzumutbar belastet und den Schädiger nicht unbillig begünstigt (st. Rspr., vgl.
BGH, Urteil vom 12. November 2009 - VII ZR 233/08, NJW 2010, 675 Rn. 9
mwN).
Gewinne aus den in gleicher Weise pflichtwidrig abgeschlossenen
Zinsderivategeschäften können daher auf den Schadensersatzanspruch wegen
einzelner verlustbringender Zinsderivategeschäfte anzurechnen sein. Zwar be-
ruhen Vorteile und Nachteile auf unterschiedlichen haftungsbegründenden Er-
eignissen, so dass kein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen den Ver-
lustgeschäften und den Geschäften mit Gewinn besteht. Das Gebot der Vor-
teilsausgleichung beruht aber unter anderem auf dem Bereicherungsverbot. Die
Gesellschaft soll sich nicht aufgrund eines Fehlers der Organmitglieder auf de-
ren Kosten bereichern (BGH, Urteil vom 20. September 2011 - II ZR 234/09,
ZIP 2011, 2097 Rn. 31). Die Gesellschaft verhielte sich treuwidrig und wider-
sprüchlich, wenn sie das Organmitglied für einen Fehler ersatzpflichtig macht,
aber den Gewinn behält, wenn das Organ den gleichen Fehler erneut begeht.
Dass sich ein haftungsbegründendes Ereignis nach einer ersten fehlerhaften
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Entscheidung wiederholt, ist bei Dauerverhältnissen wie dem Organverhältnis
nicht selten und rechtfertigt es, gleichartige unzulässige Geschäfte hinsichtlich
der Anrechnung von Vorteilen miteinander zu verknüpfen. Eine solche Anrech-
nung von Gewinnen auf Verluste belastet die Gesellschaft nicht unzumutbar
und begünstigt das Organ nicht unbillig. Sie entspricht auch der gesetzlichen
Wertung für einen unberechtigten Geschäftsführer, der ohne Auftrag handelt
(vgl. Gregor, Das Bereicherungsverbot, 2012, S. 200). Dieser schuldet zwar
Schadensersatz (§ 678 BGB), kann aber auch eine Bereicherung des Ge-
schäftsherrn herausverlangen, § 684 Satz 1 BGB. Das Organ, das pflichtwidrig
Geschäfte außerhalb des Unternehmensgegenstandes abschließt, ähnelt inso-
weit einem unberechtigt ohne Auftrag handelnden Geschäftsführer.
Dagegen sind Gewinne aus pflichtgemäß abgeschlossenen Zinsderiva-
tegeschäften nicht anzurechnen. Der Verlust aus solchen Geschäften trifft die
Gesellschaft, der auch die Gewinne zustehen müssen.
bb) Die Darlegungs- und Beweislast für anzurechnende Gewinne tragen
aber die Beklagten. Der Ersatzpflichtige ist für die dem Geschädigten zugeflos-
senen Vorteile darlegungs- und beweispflichtig (BGH, Urteil vom 20. Sep-
tember 2011 - II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 34; Urteil vom 31. Mai 2010
- II ZR 30/09, ZIP 2010, 1397 Rn. 26). Diese Verteilung der Darlegungs- und
Beweislast ändert sich nicht, wenn wie hier die Grundsätze der Vorteilsausglei-
chung entsprechend angewandt werden.
e) Die Abweisung des in der Hauptsache gestellten Zahlungsantrags er-
weist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Insbesondere kann der
Senat nicht feststellen, dass sämtliche Verluste aus unzulässigen Zinsderivate-
geschäften durch Gewinne kompensiert wurden. Es steht schon nicht fest, wel-
che Geschäfte pflichtwidrig waren.
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3. Die Abweisung des Feststellungsantrags ist schon vom unzutreffen-
den Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts aus, dass der Schaden in einer
nachteiligen Veränderung der Gesamtzinsbuchsituation bestehe, rechtsfehler-
haft. Das Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO setzt voraus, dass ein Scha-
denseintritt wahrscheinlich ist (BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 - XI ZR 384/03,
BGHZ 166, 84 Rn. 27). Dazu bedarf es keiner Berechnung der Gesamtzinssitu-
ation. Wenn Einzelgeschäfte - auch die aufgrund eines Vorstandsbeschlusses
saldierten Einzelgeschäfte - zu Verlusten geführt haben und insgesamt mit De-
rivaten Verluste erwirtschaftet wurden, ist es wahrscheinlich, dass auch die Ge-
samtzinsbuchsituation negativ beeinflusst wurde.
Insoweit ist das Berufungsurteil auch nicht aus anderen Gründen richtig,
weil für die Schadensfeststellung anstelle der vom Berufungsgericht verlangten
Gesamtbetrachtung die einzelnen abgeschlossenen Zinsderivategeschäfte
maßgeblich sind. Dazu, ob für die im Feststellungsantrag aufgelisteten Einzel-
geschäfte jeweils ein Schadenseintritt wahrscheinlich ist, fehlen Feststellungen.
4. Auch die Hilfsanträge sind aus den dargelegten Gründen rechtsfehler-
haft abgewiesen worden. Das betrifft auch die Abweisung mangels hinreichen-
der Bestimmtheit des Klagegrundes, weil der geltend gemachte erstrangige
Teilbetrag des negativen Gesamtergebnisses aller 215 Geschäfte nicht eindeu-
tig dem saldierten Ergebnis eines oder mehrerer Beschlüsse zuzuordnen sei.
Auf die Zuordnung zu einem bestimmten Beschluss kommt es nicht an (II. 2. c).
III. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-
fungsgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist
(§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat - ggf. mit sachverständiger Hilfe
(vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 25) -
die bisher unterbliebenen Feststellungen dazu nachzuholen, ob die einzelnen
Zinsderivategeschäfte im Rahmen des Macro-Hedging ganz oder teilweise der
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Absicherung von Zinsänderungsrisiken aus dem Hauptgeschäft oder zulässigen
Nebengeschäften dienten.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass
ein pflichtwidriges Zinsderivategeschäft nicht allein deshalb vorliegt, weil sich
nachträglich feststellen lässt, dass es objektiv nicht zur Absicherung von Zins-
änderungsrisiken aus dem Hauptgeschäft erforderlich war. Da der Art und Wei-
se der Absicherung eine unternehmerische Entscheidung zugrunde liegt, sind
die Beklagten bereits dann entlastet, wenn sie - was sie zu beweisen haben -
vernünftigerweise annehmen durften, auf der Grundlage angemessener Infor-
mation zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (vgl. jetzt § 93 Abs. 1 Satz 2
AktG; BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 19;
Beschluss vom 3. November 2008 - II ZR 236/07, ZIP 2009, 223; Beschluss
vom 14. Juli 2008 - II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 Rn. 11; Urteil vom
21. April 1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253). Insoweit kann es von Be-
deutung sein, ob die Beklagten sich beim Abschluss der einzelnen Zinsderiva-
tegeschäfte an die betriebswirtschaftlichen und bankwirtschaftlichen Regeln zur
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Steuerung des Zinsänderungsrisikos für das Hauptgeschäft oder zulässige Ne-
bengeschäfte durch das Macro-Hedging gehalten haben und die Risikovorsor-
gesysteme wie z.B. das Limitsystem den Anforderungen genügten.
Bergmann
Strohn
Reichart
Drescher
Born
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 25.01.2006 - 3-9 O 143/04 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 22.03.2011 - 5 U 29/06 -