Urteil des BGH vom 31.07.2006

BGH (rechtliches gehör, kenntnis, erwägung, stpo, verteidigung, verletzung, erlass, begründung, antrag, bundesverfassungsgericht)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 240/06
vom
31. Juli 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Juli 2006 beschlossen:
Der Antrag des Verurteilten, das Verfahren wegen Verletzung sei-
nes Anspruchs auf rechtliches Gehör in die Lage vor Erlass der
Senatsentscheidung vom 12. Juli 2006 zurückzuversetzen, wird
auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe:
Das Landgericht München I hat gegen den Verurteilten wegen Mordes
und zugleich wegen Raubes eine lebenslange Freiheitsstrafe festgesetzt und
die besondere Schuldschwere festgestellt. Mit Beschluss vom 12. Juli 2006 hat
der Senat die hiergegen eingelegte Revision des Verurteilten nach § 349 Abs. 2
StPO verworfen. Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte mit einem am
25. Juli 2005 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schriftsatz seines Vertei-
digers eine Anhörungsrüge nach § 356a StPO gestellt. Er trägt vor, mit dem
Beschluss des Senats vom 12. Juli 2006 sei sein rechtliches Gehör verletzt
worden, weil die durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 10. Juli 2006 ge-
machten Ausführungen zu den nicht widerspruchsfreien Darlegungen des Ge-
neralbundesanwalts in seiner Zuschrift vom 13. Juni 2006 vom Senat nicht be-
rücksichtigt worden seien. Es sei davon auszugehen, dass der Schriftsatz vom
10. Juli 2006, der erst an diesem Tag um 18.48 Uhr beim Bundesgerichtshof
eingegangen sei, an den zuständigen Senat erst im Laufe des Nachmittags des
11. Juli 2006 gelangt sei. Zwar sei in dem Beschluss des Senats vom 12. Juli
1
- 3 -
2006 vermerkt worden, "Der Schriftsatz der Verteidigung vom 10. Juli 2006 lag
vor". Nicht erwähnt worden sei jedoch, dass der Schriftsatz auch Gegenstand
einer Senatsberatung gewesen sei, zumal diese aufgrund der geschilderten
zeitlichen Abläufe und aufgrund der "Usancen im Rahmen der üblichen Senats-
beratungen nicht vor Erlass des Beschlusses stattgefunden haben kann". Somit
bleibe festzuhalten, dass der Senat zum Nachteil des Angeklagten bei der Ent-
scheidung das Vorbringen der Revision im Schriftsatz vom 10. Juli 2006 nicht
berücksichtigt hat und somit das rechtliche Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG
verletzt wurde.
Die Rüge ist unbegründet. Im Ausgangspunkt zutreffend geht die Vertei-
digung von der sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebenden Verpflichtung des Ge-
richts aus, die Ausführungen der Prozessparteien zur Kenntnis zu nehmen und
in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 42, 364
<367 f.
>; 58, 353 <356>; 69, 141
<143>; st. Rspr.). Nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
ist aber auch grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm
entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genom-
men und in Erwägung gezogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht
verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entschei-
dung ausdrücklich zu befassen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann
nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des
einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen
entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Ent-
scheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfGE 54, 86
<91 f.>).
2
Das Vorbringen der Verteidigung zum Eingang des Schriftsatzes beim
1. Strafsenat - das Faxgerät befindet sich auf der Geschäftsstelle in unmittelba-
rer Nähe des Zimmers des Vorsitzenden und des Berichterstatters -, zu den
3
- 4 -
"Usancen" der üblichen Senatsberatungen und zur Vorlage des Schriftsatzes
zur Senatsberatung ist nicht nur spekulativ, sondern schlicht unzutreffend. Des-
halb sind auch die in dem Vorbringen enthaltenen Unterstellungen zur Bedeu-
tung des Vermerks in dem Verwerfungsbeschluss vom 12. Juli 2006, der nicht
nur beim Bundesgerichtshof, sondern auch beim Bundesverfassungsgericht
üblich ist (vgl. Beschl. der Dritten Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni
2006 - 2 BvR 1349/05 - Umdruck S. 9), abwegig.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des
§ 465 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Beschl. vom 8. März 2006 - 2 StR 387/91; OLG
Köln NStZ 2006, 181).
4
Nack Wahl Boetticher
Hebenstreit Elf