Urteil des BGH vom 02.06.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 77/06
vom
15. März 2007
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 788 Abs. 1 Satz 1; RVG VV Nr. 1008
Lautet ein Titel auf die einzelnen Wohnungseigentümer einer Gemeinschaft, sind
nur diese berechtigt, aus dem Titel zu vollstrecken. Die Notwendigkeit der für die
Tätigkeit ihres Rechtsanwalts im Vollstreckungsverfahren entstehenden Mehrver-
tretungsgebühr kann daher nicht mit der Begründung verneint werden, die Gebühr
wäre nicht angefallen, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft als teilrechts-
fähiger Verband den Vollstreckungsauftrag erteilt hätte.
BGH, Beschl. v. 15. März 2007 - V ZB 77/06 - LG Frankenthal
AG Ludwigshafen am Rhein
- 2 -
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 15. März 2007 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof.
Dr.
Krüger, den Richter Dr.
Klein, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth
beschlossen:
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der
Schuldner.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens
beträgt 301,60 €.
Gründe:
I.
Die Gläubiger, die zusammen mit dem Schuldner eine Wohnungseigentü-
mergemeinschaft bilden, erwirkten gegen diesen im April 2005 einen Vollstre-
ckungsbescheid wegen rückständiger Wohngelder und betrieben daraus die
Zwangsvollstreckung. Im September 2005 beantragte der Rechtsanwalt der Gläu-
biger die Anordnung der Zwangsversteigerung des Wohnungseigentums des
Schuldners. Die Anordnung sollte sich auf die Anwaltskosten für die Beantragung
der Zwangsversteigerung und für eine vorangegangene Mobiliarvollstreckung ein-
schließlich der jeweiligen Erhöhungsgebühr für mehrere Auftraggeber gemäß
RVG-VV Nr. 1008 erstrecken.
1
- 3 -
Mit Beschluss vom 14. März 2006 ordnete das Vollstreckungsgericht die
Zwangsversteigerung der Wohnung an; es nahm jedoch die Erhöhungsgebühren,
die es für nicht erstattungsfähig hielt, von der Anordnung aus. Die hiergegen ge-
richtete sofortige Beschwerde der Gläubiger ist erfolglos geblieben.
2
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde haben die Gläubiger ihren Antrag,
die Zwangsversteigerung auch wegen der Erhöhungsgebühren anzuordnen, zu-
nächst weiterverfolgt. Nachdem eine andere Zwangsvollstreckungsmaßnahme
erfolgreich war, ist der Zwangsversteigerungsantrag von ihnen zurückgenommen
worden. Im Rechtsbeschwerdeverfahren haben die Gläubiger die Hauptsache für
erledigt erklärt und beantragt, die Kosten des Verfahrens entsprechend § 91a ZPO
dem Schuldner aufzuerlegen. Der Schuldner hat sich hierzu nicht geäußert.
3
II.
1. Aufgrund der unwidersprochen gebliebenen Erledigungserklärung der
Gläubiger ist über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens gemäß § 91a
Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu
entscheiden. Die Vorschrift ist anwendbar, da über die Kosten besonderer
Rechtsbehelfe im Zwangsversteigerungsverfahren nach den §§ 91 ff. ZPO zu be-
finden ist, wenn die Beteiligten - wie Gläubiger und Schuldner hier - in einem kon-
tradiktorischen Verhältnis zueinander stehen (vgl. Senat, Beschl. v. 25. Januar
2007, V ZB 125/05, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Die Rücknahme des
Zwangsversteigerungsantrags steht der Anwendung von § 91a ZPO nicht entge-
gen (Senat, aaO).
4
2. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind dem Schuldner auf-
zuerlegen, da die Rechtsbeschwerde erfolgreich gewesen wäre, wenn sich die
Hauptsache nicht erledigt hätte. Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht ange-
5
- 4 -
nommen, dass es sich bei den von den Gläubigern geltend gemachten Erhö-
hungsgebühren gemäß RVG-VV Nr. 1008 um nicht notwendige und daher nach
§ 788 Abs. 1 ZPO nicht erstattungsfähige Kosten der Zwangsvollstreckung han-
delte.
a) Richtig ist zwar, dass einem Rechtsanwalt, der von der Wohnungseigen-
tümergemeinschaft mit der Durchsetzung von Beitragsforderungen gegen einzelne
Wohnungseigentümer beauftragt wird, seit der Anerkennung der Teilrechtsfähig-
keit der Wohnungseigentümergemeinschaft durch die Entscheidung des Senats
vom 2. Juni 2005 (BGHZ 163, 154) keine Mehrvertretungsgebühr zusteht (zutref-
fend KG JurBüro 2006, 474; vgl. für die GbR: BGH, Beschl. v. 5. Januar 2004,
II ZB 22/02, NJW-RR 2004, 489).
6
Ist der Rechtsanwalt allerdings - wie hier - vor der Anerkennung der Teil-
rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft beauftragt worden, handelt
es sich bei der Mehrvertretungsgebühr grundsätzlich um notwendige Kosten der
Rechtsverfolgung. Solange die Wohnungseigentümergemeinschaft als nicht
rechtsfähig und damit auch als nicht parteifähig angesehen wurde, waren die
Wohnungseigentümer Gläubiger der Beitragsforderungen und daher gehalten,
diese selbst gerichtlich geltend zu machen. Die hierdurch ausgelöste Mehrvertre-
tungsgebühr (so zutreffend OLG Köln NJW 2006, 706; OLG Zweibrücken JurBüro
2006, 536; OLG Dresden ZMR 2005, 970; OLG Brandenburg JurBüro 2006, 475;
a.A. OLG Koblenz JurBüro 2006, 315; vgl. für die GbR: BGH, Beschl. v. 18. Juni
2002, VIII ZB 6/02, NJW 2002, 2958; Beschl. v. 21. September 2005, VIII ZB
35/04, NZM 2005, 941) war auch in Ansehung der Möglichkeit, einen Wohnungs-
eigentümer das Verfahren als Prozessstandschafter führen zu lassen (vgl. Senat,
Urt. v. 24. Juni 2005, V ZR 350/03, NJW 2005, 3146 m.w.N.), zur Rechtsverfol-
gung notwendig, denn es kann einem Gläubiger nur ausnahmsweise zugemutet
werden, aus Kostengründen einen Prozess nicht selbst zu führen (vgl. BGH,
Beschl. v. 18. Juni 2002, VIII ZB 6/02, aaO).
7
- 5 -
b) Haben die Wohnungseigentümer vor der Bekanntgabe der Entscheidung
des Bundesgerichtshofs vom 2. Juni 2005 einen vollstreckbaren Titel erwirkt, kann
ihnen bei der Prüfung, ob Kosten einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme notwen-
dig waren (§ 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO), entgegen der Ansicht des Beschwerdege-
richts auch nicht vorgehalten werden, dass keine Mehrvertretungsgebühr angefal-
len wäre, wenn statt ihrer der Verband vollstreckt hätte. Dem Verband wäre es
nämlich nicht ohne weiteres möglich, aus einem auf die einzelnen Wohnungsei-
gentümer lautenden Titel zu vollstrecken.
8
aa) Die Zwangsvollstreckung darf nur beginnen, wenn die Personen, für
und gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil oder der ihm beigefügten Vollstre-
ckungsklausel namentlich bezeichnet sind (§ 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Handelt es
sich bei dem die Vollstreckung betreibenden Gläubiger und dem Titelgläubiger um
unterschiedliche Rechtssubjekte, darf das Vollstreckungsgericht die Zwangsver-
steigerung daher nicht anordnen. Das gilt - da das Vollstreckungsgericht zu einer
materiellen Überprüfung des Titels nicht berechtigt ist (vgl. Senat, Beschl. v.
21. September 2006, V ZB 76/06, WM 2006, 2266, 2267) - auch dann, wenn zwei-
felsfrei feststeht, dass der titulierte Anspruch nach der materiellen Rechtslage dem
vollstreckenden Gläubiger zusteht (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 750
Rdn. 3; MünchKomm-ZPO/Heßler, 2. Aufl., § 750 Rdn. 29).
9
Aus diesem Grund hätte ein Antrag des Verbandes, die Zwangsvollstre-
ckung aus dem auf den Namen der einzelnen Wohnungseigentümer lautenden
Titel durchzuführen, mangels Identität zwischen Vollstreckungs- und Titelgläubiger
zurückgewiesen werden müssen. Bei den im Vollstreckungsbescheid einzeln auf-
geführten Wohnungseigentümern und der Wohnungseigentümergemeinschaft als
teilrechtsfähigem Verband handelt es sich nämlich um unterschiedliche Rechts-
subjekte. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat die Anerkennung
der Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümer nicht dazu geführt, dass die
Wohnungseigentümer mit der teilrechtsfähigen Wohnungseigentümergemein-
10
- 6 -
schaft (Verband) rechtlich identisch sind. Da das Sonder- und das Gemein-
schaftseigentum nicht Teil des Vermögens des rechtsfähigen Verbandes ist, son-
dern in den Händen der Miteigentümer bleibt (Senat, BGHZ 163, 154, 177), exis-
tieren mit dem - rechtsfähigen - Verband und der - nicht rechtsfähigen - Miteigen-
tümergemeinschaft vielmehr zwei unterschiedliche Zuordnungsobjekte von Rech-
ten und Verbindlichkeiten (vgl. Senat, BGHZ 163, 154, 177; Beschl. v. 30. März
2006, V ZB 17/06, NJW 2006, 2187, 2188; Wenzel, ZWE 2006, 2, 6).
bb) Die erforderliche Identität zwischen Titel- und Vollstreckungsgläubiger
lässt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts auch nicht damit be-
gründen, dass Rechtsprechung und Literatur es mit Rücksicht auf die geänderte
Rechtsprechung zur Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft teil-
weise für zulässig erachten, ein Rubrum gemäß § 319 Abs. 1 ZPO dahin zu be-
richtigen, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband an die Stelle
der einzelnen Wohnungseigentümer tritt (vgl. OLG München NJW-RR 2005, 1326;
OLG Düsseldorf NZM 2006, 182; Wenzel, ZWE 2006, 2, 10 f.; Briesemeister, ZWE
2006, 15, 19; siehe aber auch Demharter, NZM 2006, 81, 82 f.; Elzer, ZMR 2005,
730 f.; Abramenko, ZMR 2006, 409, 413 f.). Ob und unter welchen Voraussetzun-
gen eine solche Rubrumsberichtigung möglich ist (vgl. für die WEG BGH, Beschl.
v. 12. Dezember 2006, I ZB 83/06, NJW 2007, 518; für die GbR BGH, Urt. v. 15.
Januar 2003, XII ZR 300/99, NJW 2003, 1043), bedarf hier keiner Entscheidung.
Solange dem Vollstreckungsgericht keine berichtigte Fassung des Titels vorgelegt
wird, muss es - wenn Titelgläubiger und Vollstreckungsgläubiger nicht identisch
sind - die Anordnung der Zwangsversteigerung ablehnen. Eine eigene Entschei-
dung, ob der Titel berichtigt werden kann, ist dem Vollstreckungsgericht versagt,
da das Verfahren nach § 319 ZPO in die Zuständigkeit des Prozessgerichts bzw.
- hier - des nach § 43 WEG zuständigen Gerichts fällt.
11
c) Das Beschwerdegericht konnte die Erstattungsfähigkeit der Mehrvertre-
tungsgebühren auch nicht mit der Begründung verneinen, die Gläubiger hätten
12
- 7 -
sich zur Vermeidung dieser Kosten um eine Berichtigung des Vollstreckungsbe-
scheids durch das Prozessgericht bemühen müssen. Hierzu waren die Gläubiger
schon wegen der zeitlichen Verzögerung nicht verpflichtet, die mit der Beantra-
gung der Berichtigung und der erforderlichen erneuten Zustellung des (berichtig-
ten) Titels (vgl. dazu Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 750 Rdn. 32; Musie-
lak, ZPO, 5. Aufl., § 319 Rdn. 16) verbunden gewesen wäre. Der Grundsatz, dass
eine Partei die Kosten niedrig zu halten hat, die sie von der Gegenseite erstattet
verlangen will (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rdn. 12), darf nicht dazu
führen, dass sie in ihren berechtigten Belangen, wie ihrem Interesse an einer
schnellen Vollstreckung, beeinträchtigt wird.
Krüger Klein Stresemann
Czub Roth
Vorinstanzen:
AG Ludwigshafen am Rhein, Entscheidung vom 14.03.2006 - 3 K 248/05 -
LG Frankenthal, Entscheidung vom 24.04.2006 - 1 T 124/06 -