Urteil des BGH vom 10.12.2007

BGH (antragsteller, gegenstand des verfahrens, befangenheit, beschwerde, besetzung, zulassung, verwaltungsgericht, zpo, antrag, ablehnung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 64/06
AnwZ (B) 73/06
AnwZ (B) 79/06
vom
10. Dezember 2007
in dem Verfahren
wegen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof.
Dr.
Hirsch, die Richter Dr.
Ernemann,
Dr. Schmidt-Räntsch und Schaal sowie die Rechtsanwältin Kappelhoff und die
Rechtsanwälte Dr. Wosgien und Prof. Dr. Stüer
am 10. Dezember 2007
beschlossen:
Die Ablehnungsgesuche des Antragstellers vom 12. September
2007 werden verworfen beziehungsweise zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller war zunächst als europäischer Rechtsanwalt im Sinne
des § 1 EuRAG zugelassen und begehrte die Zulassung zur deutschen Rechts-
anwaltschaft. Mit Bescheid vom 28. Oktober 2005 hat die Antragsgegnerin die
Zulassung abgelehnt. Den vom Antragsteller gegen den ablehnenden Bescheid
gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zu-
rückgewiesen. Gegen dessen Beschluss hat der Antragsteller sofortige Be-
schwerde eingelegt, die Gegenstand des Verfahrens AnwZ (B) 64/06 ist.
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Daneben hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 28. Oktober
2005 beim Verwaltungsgericht M. „Klage wegen Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft“ erhoben. Mit Beschluss vom 20. Januar 2006 hat das
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Verwaltungsgericht M. festgestellt, dass der Verwaltungsrechtsweg nicht
gegeben sei und den Rechtsstreit an den Anwaltsgerichtshof des Landes S.
verwiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Oberver-
waltungsgericht des Landes S. zurückgewiesen. Die gegen diese
Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde ist vom Bundesverfassungs-
gericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (NJW 2006, 3049). Der
Anwaltsgerichtshof hat den Antrag als unzulässig verworfen. Dagegen richtet
sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers in dem Verfahren AnwZ (B)
79/06.
Der Antragsteller begehrt außerdem die Zulassung zum Oberlandesge-
richt N. . Die Antragsgegnerin hat einen entsprechenden Antrag mit Be-
scheid vom 11. Juli 2005 abgelehnt. Dagegen hat der Antragsteller zunächst
Klage vor dem Verwaltungsgericht M. erhoben. Mit Beschluss vom
10. Januar 2006 hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Verwaltungs-
rechtsweg nicht gegeben sei und den Rechtsstreit an den Anwaltsgerichtshof
des Landes S. verwiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde
hat das Oberverwaltungsgericht des Landes S. zurückgewiesen.
Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurück-
gewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers in
dem Verfahren AnwZ (B) 73/06.
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Mit Schriftsatz vom 12. September 2007 hat der Antragsteller mitgeteilt,
er halte an allen bisher gestellten Befangenheitsanträgen fest. Zudem hat er
erklärt, er möchte zusätzlich RiBGH Dr. F. ablehnen und weitere neue
Gründe gegen Rechtsanwältin Dr. H. vorbringen.
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Mit inhaltlich gleichlautenden Schriftsätzen vom 14. Februar 2007 hatte
der Antragsteller sämtliche Rechtsanwälte, die dem Senat als ehrenamtliche
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Richter angehören, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begrün-
dung hatte er im Wesentlichen geltend gemacht, die Bundesrechtsanwalts-
kammer habe die abgelehnten Richter aufgrund „berufspolitischer und wirt-
schaftlicher Eigeninteressen der deutschen Rechtsanwälte“ in die Vorschlags-
liste für die zu berufenden anwaltlichen Beisitzer aufgenommen. Die abgelehn-
ten Richter seien als Rechtsanwälte und damit „erwerbswirtschaftlich im finan-
ziellen Eigeninteresse tätig“ und würden zum Antragsteller „im deutschen
Rechtsberatungsmarkt im direkten wettbewerbsrechtlichen Konkurrenzverhält-
nis“ stehen.
Überdies hatte der Antragsteller mit weiterem Schriftsatz vom 7. Mai
2007 einen der als ehrenamtlichen Richter tätigen Rechtsanwälte wegen Be-
sorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil dieser an dem Senatsbeschluss vom
19. September 2003 (BGH - AnwZ (B) 74/02, NJW 2003, 3706) mitgewirkt und
darin „unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt“ und „Tatsachen fehlerhaft
und willkürlich bewertet“ sowie „die Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofs in willkürlicher Weise offensichtlich unzutreffend wiedergegeben und
bewusst und gewollt missachtet“ habe.
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Die abgelehnten Richter haben sich zu den Ablehnungsgesuchen dienst-
lich geäußert.
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II.
1. Die im Schriftsatz vom 14. Februar 2007 enthaltenen Ablehnungsge-
suche gegen die ehrenamtlichen Richter des Senats sind als unzulässig zu
verwerfen.
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a) Die Gesuche sind rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig, weil
nach § 42 ZPO nur einzelne Richter, nicht aber das Gericht als solches oder ein
ganzer Senat abgelehnt werden können (vgl. BFH, Beschl. v. 2. März 1967
- VII R 42/66; BGH, Beschl. v. 7. November 1973 - VIII ARZ 14/73, NJW 1974,
55, 56 m.w.N.). Das gilt folgerichtig auch für die Ablehnung aller ehrenamtlichen
Richter dieses Fachsenats.
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Bei der Ablehnung eines Richters müssen ernsthafte Umstände ange-
führt werden, die die Befangenheit des einzelnen Richters aus Gründen recht-
fertigen, die in persönlichen Beziehungen dieses Richters zu den Parteien oder
zu der zur Verhandlung stehenden Streitsache liegen (vgl. RG JW 1935, 2894,
2895; BGH NJW 1974, 55, 56; BVerwG NJW 1997, 3327). Daran fehlt es bei
den Ablehnungsgesuchen des Antragstellers. Sie geben sich zwar den An-
schein, als sollten die einzelnen namentlich benannten Richter abgelehnt wer-
den, richten sich jedoch der Sache nach gegen alle ehrenamtlichen Richter, die
für den Senat ausgewählt worden sind oder ausgewählt werden könnten. Das
ergibt sich aus dem Umstand, dass der Antragsteller die Besorgnis der Befan-
genheit der abgelehnten Richter allein daraus herleitet, dass diese aus einer
Vorschlagsliste ausgewählt worden sind, in die sie zuvor von der Bundes-
rechtsanwaltskammer aus den Reihen der zugelassenen Rechtsanwälte aufge-
nommen worden waren. Dies entspricht jedoch der gesetzlichen Regelung. Der
Anwaltssenat beim Bundesgerichtshof ist ein Fachsenat mit besonderer Beset-
zung und als solcher Teil des Bundesgerichtshofs. Die Besetzung des Senats
ergibt sich aus § 106 BRAO, der die Mitwirkung anwaltlicher Beisitzer vorsieht.
Für diese ist in § 107 Abs. 1 Satz 1 BRAO bestimmt, dass sie vom Bundesmi-
nisterium der Justiz berufen werden, und zwar aus einer Vorschlagsliste, die
nach § 107 Abs. 2 Satz 1 BRAO das Präsidium der Bundesrechtsanwaltskam-
mer aufgrund von Vorschlägen der Rechtsanwaltskammern dem Bundesminis-
terium der Justiz einreicht.
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b) Auch in der Sache hätten die Ablehnungsanträge, wären sie zulässig,
keinen Erfolg. Entgegen der Ansicht des Antragstellers bieten die Regelungen
über die Zusammensetzung des Senats für Anwaltssachen beim Bundesge-
richtshof eine hinreichende Gewähr für die Unparteilichkeit der Richter (BVerfG
NJW 2006, 3049, 3050; Senat, Beschl. v. 7. Oktober 2003 - AnwZ (B) 38/02
n.v.; vgl. auch BVerfGE 26, 186, 195 f.; BVerfGE 48, 300, 315 f. zu den frühe-
ren anwaltlichen Ehrengerichtshöfen).
Das Vorbringen des Antragstellers, der sich auf die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs beruft, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der
erkennende Senat entscheidet in der Besetzung von vier Berufsrichtern und
drei Rechtsanwälten als Beisitzern (§ 106 Abs. 2 BRAO). Er entscheidet als
Beschwerdegericht in dem für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
geltenden Verfahren (§ 42 Abs. 5, Abs. 6 BRAO) mit der absoluten Mehrheit der
Stimmen (§ 196 Abs. 1 GVG) und ermittelt dabei als Tatsacheninstanz den
Sachverhalt in eigener Verantwortung (BGH, Beschl. v. 13. Oktober 2003
- AnwZ (B) 36/02 n.v.; Beschl. v. 17. Mai 2004 - AnwZ (B) 48/03 n.v.). Damit
unterscheidet sich das Rechtsbehelfsverfahren nach der Bundesrechtsanwalts-
ordnung in wesentlichen Punkten von dem Rechtsbehelfsverfahren, das der
Europäische Gerichtshof in der Entscheidung Wilson (EuGH, Urt. v.
19. September 2006, Rs. C-506/04, NJW 2006, 3697 Tz. 54 ff.) beanstandet
hat.
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2. Soweit dem Schriftsatz vom 12. September 2007 entnommen werden
kann, dass eine Ablehnung auch insoweit erfolgen soll, als die beiden dort be-
zeichneten Richter an einer früheren Entscheidung mitgewirkt haben, sind die
Ablehnungsgesuche jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen.
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Ein Sonderfall, in dem die Mitwirkung an einem früheren Verfahren ge-
gen den Antragsteller und an den damit verbundenen Ausführungen die Be-
sorgnis der Befangenheit begründen könnte, liegt nicht vor. Die Vorbefassung
als solche begründet - abgesehen von dem Ausschließungstatbestand in § 41
Nr. 6 ZPO - die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht (vgl. Kayser in
Saenger, ZPO 2. Aufl. § 42 Rdn. 16). Anders verhält es sich lediglich beim Hin-
zutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als
solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen sowie
die übrigen genannten Aspekte hinausgehen. Dies kann etwa der Fall sein,
wenn Äußerungen in früheren Entscheidungen nach der Sachlage unnötige und
sachlich unbegründete Werturteile über den Antragsteller enthalten oder wenn
ein Richter sich bei einer Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum
Nachteil des Antragstellers geäußert hat (BGH, Urt. v. 29.
Juni 2006
- 5 StR 485/05, NJW 2006, 2864).
Soweit die Befangenheitsanträge darauf gestützt werden, dass abge-
lehnte Richter an einer früheren, zum Nachteil des Antragstellers ergangenen
Entscheidung mitgewirkt haben, bei der aus Sicht des Antragstellers der Sach-
verhalt unzutreffend dargestellt und die rechtliche Würdigung unrichtig sei, ist
ein ausreichender Befangenheitsgrund ebenfalls nicht gegeben. Dass die Se-
natsmitglieder in Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags das Ergebnis der erho-
benen Beweise und die aufgeworfenen Rechtsfragen im früheren Verfahren
anders gewürdigt haben als der Antragsteller, begründet noch nicht ihre Befan-
genheit. Eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte vorangegangene
Entscheidung rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit.
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3. Der Senat ist zu einer Entscheidung über diejenigen Ablehnungsgesu-
che, die unzulässig sind, in der Besetzung mit den abgelehnten Richtern befugt
(vgl. BVerwG NJW 1988, 722 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 2. Dezember 2004
- I ZR 92/02). Über die weiteren Ablehnungsgesuche entscheidet der Senat in
der aus § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO in Verbindung mit § 45 ZPO analog (dazu
Senat, BGHZ 46, 195, 198) folgenden Besetzung ohne die abgelehnten Mitglie-
der.
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Hirsch Ernemann Schmidt-Räntsch Schaal
Kappelhoff
Herr Dr. Wosgien
Stüer
ist ortsabwesend
und an der Unterschrift
gehindert
Hirsch
Vorinstanz:
AGH Naumburg, Entscheidung vom 19.05.2006 - 1 AGH 14/05 -