Urteil des BGH vom 10.10.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 11/02
vom
10. Oktober 2002
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
ja
BGHR: ja
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1, § 542 Abs. 2, § 238 Abs. 2
Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluß, mit dem die Berufung als unzulässig
verworfen und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der
Berufungsbegründungsfrist versagt wird, ist im Arrestverfahren und Verfahren der
einstweiligen Verfügung nicht statthaft.
BGH, Beschluß vom 10. Oktober 2002 - VII ZB 11/02 - OLG Frankfurt a.M.
LG Kassel
- 2 -
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2002 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die Richter Hausmann, Dr. Kuffer,
Prof. Dr. Kniffka und Bauner
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Arrestbeklagten gegen den Beschluß
des 25. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am
Main vom 19. März 2002 wird verworfen.
Die Arrestbeklagten tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
nach einem Gegenstandswert von 639.114,85
Gründe:
I.
Die Arrestklägerin erwirkte einen Beschluß des Landgerichts, durch den
der dingliche Arrest in das Vermögen der Arrestbeklagten angeordnet worden
ist. Mit Urteil vom 6. Juli 2001 hat das Landgericht den Arrest bestätigt. Gegen
diese Entscheidung haben die Arrestbeklagten Berufung eingelegt. Die Beru-
fungsbegründung ging nach Ablauf der verlängerten Begründungsfrist am
5. Februar 2002 bei Gericht ein. Die Arrestbeklagten haben Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand beantragt. Das Berufungsgericht hat mit dem angefochte-
nen Beschluß die Berufung der Arrestbeklagten verworfen und den Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbe-
- 3 -
gründungsfrist zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die nicht zugelassene
Rechtsbeschwerde der Arrestbeklagten.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft, soweit die Berufung als un-
zulässig verworfen worden ist.
Nach § 574 Abs. 1 ZPO ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluß
statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist. Nach § 522 Abs. 1
ZPO findet gegen einen Beschluß des Berufungsgerichts, mit dem die Berufung
als unzulässig verworfen wird, die Rechtsbeschwerde statt. Zu Unrecht vertre-
ten die Arrestbeklagten die Auffassung, die Rechtsbeschwerde sei danach auch
im Arrestverfahren unbeschränkt statthaft. Ihnen ist allerdings zuzugeben, daß
der Wortlaut des § 522 Abs. 1 ZPO insoweit keine Einschränkung enthält. Diese
Einschränkung ergibt sich jedoch zwingend aus den Regelungen über das Re-
visionsverfahren. Nach § 542 Abs. 2 ZPO findet gegen Urteile, durch die über
die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einst-
weiligen Verfügung entschieden worden ist, die Revision nicht statt. Dies gilt
auch für Urteile, mit denen eine Berufung in einem Arrestverfahren oder einst-
weiligen Verfügungsverfahren als unzulässig verworfen wird (BGH, Beschluß
vom 20. Juni 1984 – IV b ZB 122/83, NJW 1984, 2368). Der Gesetzgeber hat
diese Regelung wegen des provisorischen Charakters und der vorläufigen Be-
deutung des Arrest- und Verfügungsverfahrens für notwendig gehalten. Diese
gesetzgeberische Wertung galt nach altem Prozeßrecht ohne weiteres auch für
den Fall, daß das Berufungsgericht durch Beschluß entschied. Nach § 519 b
Abs. 2 ZPO a.F. war eine sofortige Beschwerde gegen den Verwerfungsbe-
schluß des Berufungsgerichts im Arrestverfahren unzulässig. Denn eine Ent-
- 4 -
scheidung, die ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß erging, unterlag
der sofortigen Beschwerde nur, sofern gegen ein Urteil gleichen Inhalts die Re-
vision zulässig war.
Diese Regelung findet sich nicht mehr in der ab dem 1. Januar 2002
geltenden Fassung der Zivilprozeßordnung. Daraus kann jedoch nicht ge-
schlossen werden, daß die Rechtsbeschwerde unbeschränkt statthaft wäre.
Dem Gesetzgebungsverfahren ist nicht zu entnehmen, daß der Gesetzgeber
insoweit eine Abänderung der alten Rechtslage herbeiführen wollte. Vielmehr
wollte er nach der amtlichen Begründung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO an den
bisherigen § 519 b Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO a.F. anknüpfen, um einen weitge-
henden Gleichlauf mit dem Fall der Verwerfung durch Urteil, das
- gegebenenfalls im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde - der Revision un-
terliegt, zu erreichen. In beiden Fällen sollte der Bundesgerichtshof als Revisi-
ons- oder Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit erhalten, Einfluß auf die
Anwendung und Auslegung der formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die
Berufung zu nehmen (BT-Drucks. 14/4722, S. 96). Aus dieser Begründung er-
geben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber von seiner in
§ 542 Abs. 2 ZPO aufrecht erhaltenen Entscheidung, im einstweiligen Verfü-
gungsverfahren und Arrestverfahren von einer dritten Instanz abzusehen, für
den Fall abrücken wollte, daß die Berufung durch Beschluß verworfen wird. Ei-
ne derartige Entscheidung wäre auch nicht nachvollziehbar, weil sie sachlich
nicht gerechtfertigt wäre. Denn der provisorische Charakter des Eilverfahrens
ändert sich nicht dadurch, daß das Berufungsgericht nicht durch Urteil, sondern
durch Beschluß entscheidet. Es wäre nicht verständlich, wenn allein die äußere
Form der Entscheidung den Ausschlag dafür geben sollte, ob die Möglichkeit
einer Überprüfung durch den Bundesgerichtshof eröffnet wird. In welcher Form
das Berufungsgericht entscheidet, steht in seinem freien Ermessen. Seine Wahl
hat keine Auswirkungen auf den Inhalt der Entscheidung. Dem gesetzgeberi-
- 5 -
schen Anliegen, einen weitgehenden Gleichlauf der Rechtsmittelmöglichkeiten
für den Fall herbeizuführen, daß die Berufung als unzulässig verworfen wird,
wird nur dann ausreichend Rechnung getragen, wenn die Rechtsbeschwerde
im Arrestverfahren oder im einstweiligen Verfügungsverfahren unstatthaft ist.
Vergeblich berufen sich die Arrestbeklagten für ihre Auffassung auf die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30. September 1999 (V ZB 24/99,
NJW 1999, 3785). In diesem Fall ging es um eine etwaige Beschränkung des
Beschwerderechts aus § 17 a Abs. 4 GVG durch die Regelung des § 545
Abs. 2 ZPO a.F. Der Bundesgerichtshof hat die Zulässigkeit der weiteren Be-
schwerde im wesentlichen darauf gestützt, daß die Entscheidung über den
Rechtsweg aus der Hauptsache herausgelöst ist und die weitere Beschwerde
kein in der Hauptsache sonst unzulässiges Rechtsmittel ersetzt. Diese Erwä-
gungen gelten nicht, wenn es um die Anfechtbarkeit einer Entscheidung in der
Hauptsache geht.
2. Die Rechtsbeschwerde ist ebenfalls unstatthaft, soweit sie sich gegen
die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand richtet. Auf die An-
fechtung dieser Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die für die
Anfechtung der nachgeholten Prozeßhandlung gelten, § 238 Abs. 2 ZPO. Diese
Regelung ist dahin zu verstehen, daß der Beschluß, mit dem die Wiedereinset-
zung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt wird, in dem
Maße anfechtbar ist wie der Beschluß, mit dem die Berufung wegen Versäu-
mung der Begründungsfrist verworfen wird (vgl. Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl.,
§ 238 Rdn. 6). Ist dieser Beschluß im Hinblick auf die Regelung des § 542
- 6 -
Abs. 2 ZPO nicht anfechtbar, so gilt das auch für den Beschluß über die Versa-
gung der Wiedereinsetzung.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dressler
Hausmann
Kuffer
Kniffka
Bauner