Urteil des BGH vom 02.07.1999

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 285/99
Verkündet am:
2. März 2000
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
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AnfG a.F. § 2; ZPO § 767, § 322 Abs. 1; BGB § 812 Abs. 1 Satz 2
Nimmt der Anfechtungskläger, der ein rechtskräftiges, vorbehaltloses Anfechtungs-
urteil erwirkt hat, nach Empfang des ausgeurteilten Betrages die Zahlungsklage ge-
gen den ursprünglichen Schuldner zurück, ist eine Klage auf Rückzahlung des Ge-
leisteten wegen ungerechtfertigter Bereicherung zulässig.
BGH, Urteil vom 2. März 2000 - IX ZR 285/99 - OLG Schleswig
LG Kiel
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. März 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und die Rich-
ter Stodolkowitz, Kirchhof, Dr. Fischer und Dr. Zugehör
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-
Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 2. Juli 1999
wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte erwirkte gegen den Architekten Sch. am 15. September
1991 einen Vollstreckungsbescheid über eine Schadensersatzforderung in Hö-
he von 33.108,08 DM nebst Zinsen. Gestützt auf diesen Titel, erlangte sie ge-
gen die jetzigen Kläger ein Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesge-
richts vom 20. Mai 1994 auf Zahlung des gleichen Betrages. Nach dem Inhalt
dieses Urteils schuldeten die Kläger den Betrag gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2,
§ 7 AnfG a.F., weil sie Grundvermögen von Sch. erworben und weiterveräußert
hatten. Die Kläger zahlten daraufhin 37.750 DM an die Beklagte.
Im Jahr 1995 legte Sch. gegen den Vollstreckungsbescheid vom
15. September 1991 Einspruch ein. Nachdem das Oberlandesgericht auf eine
Beschwerde hin den Einspruch für rechtzeitig befunden hatte, weil der Voll-
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streckungsbescheid nicht wirksam zugestellt worden sei, nahm die Beklagte
ihre Klage gegen Sch. - unter Hinweis auf die von den jetzigen Klägern gelei-
stete Zahlung - im Jahre 1996 zurück.
Nunmehr verlangen die Kläger von der Beklagten die Rückzahlung des
Betrages von 37.750 DM nebst Zinsen. Das Landgericht hat durch Zwischen-
urteil die Klage für zulässig erklärt, das Oberlandesgericht die dagegen einge-
legte Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren
vom Berufungsgericht zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Im angefochtenen Zwischenurteil
habe das Landgericht die Einrede der rechtskräftigen Entscheidung im Sinne
des § 322 ZPO und allenfalls seine Zuständigkeit - zutreffend - beschieden.
Insbesondere stehe die Rechtskraft des Urteils des Schleswig-Holsteinischen
Oberlandesgerichts vom 20. Mai 1994, das einen Vorbehalt im Sinne von
§ 10 AnfG a.F. nicht enthalten habe, der jetzigen Rückforderungsklage nicht
entgegen. Zwar sei § 826 BGB nicht verwirklicht. Jedoch könne das nach
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rechtskräftiger Verurteilung zur Abwehr der Zwangsvollstreckung Geleistete
gemäß Bereicherungsgrundsätzen zurückgefordert werden. Wenn die den Be-
reicherungsanspruch begründenden Tatsachen nach dem für die Rechtskraft
maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ent-
standen seien, werde die Rechtskraft des Leistungsurteils nicht berührt. Die
Kläger seien 1994 zur Zahlung nur verurteilt worden, weil die Beklagte damals
über einen Vollstreckungsbescheid gegen den Schuldner Sch. verfügt habe.
Das Oberlandesgericht sei irrig von der Rechtskraft des Vollstreckungsbe-
scheids ausgegangen. Das Bekanntsein eines erst vorläufig vollstreckbaren
Schuldtitels hätte zur Aufnahme des Vorbehalts gemäß § 10 AnfG a.F. in das
Urteil geführt. Dann hätten die Kläger nach der späteren Rücknahme der Klage
der Beklagten gegen Sch. eine geleistete Zahlung gemäß § 812 BGB zurück-
fordern können. Dieser Anspruch werde durch das Unterbleiben des Vorbe-
halts nicht ausgeschlossen. Denn eine wesentliche Voraussetzung für die
Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs sei weggefallen. Dafür sei es uner-
heblich, ob dies durch gerichtliche Wiederaufnahmeentscheidung oder durch
Klagerücknahme seitens des Gläubigers geschehe.
II.
Demgegenüber rügt die Revision: Die Klage, mit der das kontradiktori-
sche Gegenteil der rechtskräftigen früheren Anfechtungsentscheidung begehrt
werde, sei gemäß § 322 ZPO unzulässig. Sogar wenn man unterstelle, daß der
von der Beklagten erwirkte Vollstreckungsbescheid dem Schuldner Sch. nicht
ordnungsgemäß zugestellt worden sei, handele es sich um eine Einwendung
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gegen den rechtskräftig festgestellten Rückgewähranspruch gemäß § 7 AnfG
a.F., die schon im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozeß
hätte geltend gemacht werden können. Die Parteien hätten auch bereits im
Anfechtungsprozeß über die ordnungsgemäße Zustellung des Vollstreckungs-
bescheids und die damit verbundene Problematik der Rechtskraft dieses Titels
gestritten. Zudem könne die Rechtskraft eines Urteils, bei dem sich der titu-
lierte Anspruch auf ein anderes rechtskräftiges Urteil stütze, nur gemäß § 580
Nr. 6 ZPO durchbrochen werden, weil sonst die strengen Voraussetzungen
dieser Sondervorschrift unterlaufen würden. Die §§ 579 f ZPO ließen Gründe
für eine Nichtigkeits- oder Restitutionsklage abschließend zu. Solche Gründe
seien hier nicht vorhanden. Eine Gleichsetzung mit anderen Gründen sei aus-
geschlossen. Ferner seien weder der vermeintlich zulässige Einspruch des
Schuldners noch das Prozeßverhalten der Beklagten Gründe für die von den
Klägern geltend gemachte Unrichtigkeit des Anfechtungsurteils. Endlich hätten
die Kläger den "Anfechtungsgrund", nämlich das Fehlen eines Vorbehalts nach
§ 10 AnfG a.F., im Wege eines im Vorprozeß gestellten Antrags auf Urteilser-
gänzung (§ 321 ZPO) vergeblich - weil verspätet - geltend gemacht. Dieses
Fristversäumnis könne nicht durch eine neue Klage ausgeglichen werden.
III.
Die Rechtsmittel sind zulässig. Über die Zulässigkeit einer Klage kann
durch Zwischenurteil gemäß § 303 ZPO entschieden werden. Dann ist es nach
§ 280 Abs. 2 Satz 1 ZPO hinsichtlich der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen.
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Berufung und Revision dagegen finden also statt, wenn sie gegen das auf die
Klage zu erwartende Endurteil statthaft wären. Das ist hier der Fall.
IV.
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu
Recht für zulässig erachtet.
1. Die Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 1 ZPO verhindert, das durch
ein rechtskräftiges Urteil Zugesprochene mit der Begründung zurückzufordern,
der Rechtsstreit sei unrichtig entschieden worden, in Wahrheit werde nichts
geschuldet (BGHZ 83, 278, 280; 131, 82, 87 f; BGH, Urt. v. 28. Mai 1986 - IVa
ZR 197/84, NJW 1986, 2645, 2646). Die Rechtskraft hindert aber nicht daran,
sich auf Tatsachen zu berufen, die erst nach dem Schluß derjenigen mündli-
chen Verhandlung entstanden sind, in der diese Tatsachen spätestens hätten
geltend gemacht werden müssen (vgl. BGHZ 37, 375, 377; Urt. v. 24. Novem-
ber 1951 - II ZR 51/51, LM § 133 [A] BGB Nr. 2 unter II 4; v. 11. März 1983 - V
ZR 287/81, NJW 1984, 126, 127; Stein/Jonas/Leipold aaO § 322 Rdnr. 236).
Dies verdeutlichen § 767 Abs. 2 ZPO für einen besonders häufigen Anwen-
dungsfall nachträglicher Veränderungen und § 323 ZPO für Gestaltungen, in
denen schon das erste Urteil auf der Vorausschau einer künftigen Entwicklung
beruhte (vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 6. März 1987 - V ZR 19/86, WM 1987,
1048, 1049).
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Eine Klage, mit der vorgetragen wird, die für die frühere Entscheidung
maßgebenden Tatsachen hätten sich nachträglich geändert, ist deshalb je-
denfalls dann nicht unzulässig, wenn auf der Grundlage der für die neuerliche
Sachprüfung vorgebrachten neuen Tatsachen eine Änderung der materiellen
Voraussetzungen für das seinerzeit zugesprochene Recht eingetreten sein
kann, d.h. wenn die neu vorgebrachten Tatsachen möglicherweise eine abwei-
chende Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen, Einwendungen oder Ein-
reden rechtfertigen (Habscheid in Anm. ZZP 1960, 430, 431).
2. Eine solche Änderung der maßgebenden Tatsachen ist hier dargetan.
a) Die sachlichen Voraussetzungen für den ausgeurteilten Anfechtungs-
anspruch der Beklagten werden in § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG, diejenigen für die
Umwandlung in einen Wertersatzanspruch in § 7 Abs. 1 AnfG a.F. genannt.
Insoweit hat sich allerdings nach dem Vorbringen der Kläger nichts geändert.
b) Indem die Kläger sich in erster Linie auf einen späteren Wegfall des
Vollstreckungsbescheides gegen Sch. berufen, aus dem die Beklagte ihre An-
fechtungsberechtigung gemäß § 2 AnfG herleitet, bringen sie einerseits vor,
die frühere Anfechtungsklage gegen sie sei aus heutiger Sicht unzulässig ge-
wesen. Denn § 2 AnfG bestimmt, wann ein Einzelanfechtungsanspruch gericht-
lich verfolgbar ist (RGZ 145, 341, 342; Jaeger, Gläubigeranfechtung 2. Aufl.
§ 2 Rdnr. 1; Kilger/Huber, AnfG 8. Aufl. § 2 Anm. I 1; vgl. RGZ 155, 42, 45 ff).
Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf den Anfechtungsprozeß verfah-
rensrechtlicher Natur (RG JW 1898, 480 Nr. 17, vgl. auch BGHZ 90, 207, 209;
offengelassen von Gaul, Festschrift Schwab 1990, S. 111, 137 f), indem sie
dem Rechtsschutzbedürfnis des Anfechtungsgegners dienen (Jaeger aaO § 2
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Rdnr. 2). Fehlt eine der in § 2 AnfG genannten Rechtsschutzvoraussetzungen,
so ist eine Anfechtungsklage unzulässig (OLG Köln ZIP 1983, 1316, 1317;
OLG Stuttgart NJW 1987, 71 f; Jaeger aaO § 2 Rdnr. 5; Kilger/Huber aaO
Anm. II 1; vgl. RGZ 160, 204, 209 f).
Jedoch ist der Schuldtitel des Gläubigers zugleich für die Beurteilung
des Vorliegens der Anfechtungsvoraussetzungen nicht ohne Bedeutung (vgl.
RGZ 145, 341, 342 f). Denn zum Rechtsgrund des Anfechtungsanspruchs ge-
hört auch die - durch die anfechtbare Handlung beeinträchtigte - sachlich-
rechtliche Gläubigerstellung der Beklagten gegenüber Sch. Der Anfechtungs-
anspruch ist ein Hilfs- und Nebenrecht der befriedigungsbedürftigen Forderung
des Gläubigers gegen den Schuldner. Sein Bestand hängt vom Bestehen die-
ser Forderung mit ab (OLG Königsberg KuT 1939, 27, 28). Das Anfechtungs-
recht steht dem Gläubiger nur zu, wenn und soweit er eine Forderung gegen
den Schuldner besitzt (RGZ 122, 84, 87; Kilger/Huber, aaO Einf. II 3; vgl.
RGZ 39, 12, 13). Insoweit ist diese zugleich eine materielle Voraussetzung für
den Bestand des Anfechtungsanspruchs.
§ 2 AnfG soll den Anfechtungsprozeß vom Streit über das Bestehen ei-
nes Anspruchs des Anfechtenden gegen den Schuldner möglichst freihalten
(vgl. Gaul, aaO S. 123 f, 137). Einerseits soll nicht das Gericht im Anfech-
tungsprozeß selbständig prüfen müssen, ob ein solcher Hauptanspruch - hier:
gemäß § 635 BGB - besteht; diese Vorfrage soll vielmehr zwischen den unmit-
telbar Berechtigten und Verpflichteten des Hauptanspruchs geklärt werden.
Andererseits sollen auch Einwendungen und Einreden des Anfechtungsgeg-
ners dagegen grundsätzlich nicht den Anfechtungsprozeß belasten (BGHZ 55,
20, 28; 90, 207, 210; BGH, Urt. v. 5. Februar 1953 - IV ZR 173/52, LM § 2 AnfG
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Nr. 1; v. 26. April 1961 - VIII ZR 165/60, NJW 1961, 1463; v. 11. Dezember
1963 - VIII ZR 168/62, NJW 1964, 1277; v. 19. November 1998 - IX ZR 116/97,
WM 1999, 33, 34; RGZ 7, 188, 189; 68, 138, 139 m.w.N.; 96, 335, 337 f; 155,
42, 45 f; Kilger/Huber aaO § 2 Anm. VI 2; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungs-
recht 6. Aufl. Rdnr. 265; Gaul, aaO S. 130; Jauernig, Zwangsvollstreckungs-
recht 21. Aufl., § 31 IV 3, S. 141; a.A. Jaeger aaO § 2 Rdnr. 34 ff; G. Paulus
AcP 155, 277, 354 ff; Gerhardt, ZIP 1984, 397, 398). Wäre das anders, ließen
sich Anfechtungsprozesse, zumal mit zunehmendem Zeitablauf und entspre-
chendem Verlust von Beweismitteln, nur unter erheblich vermehrten Erschwer-
nissen sowie mit immer geringer werdenden Erfolgsaussichten führen. Endlich
soll aus Gründen einer geordneten Rechtspflege eine Vervielfältigung von
Rechtsstreitigkeiten über denselben Anspruch vermieden werden.
Daraus folgt umgekehrt, daß der gemäß § 2 AnfG vorzulegende Titel die
Prüfung der materiellen Begründetheit für den Anfechtungsrechtsstreit im Ver-
hältnis zu beiden Parteien formalisiert vorwegnimmt. Fällt er weg, hat das Ge-
richt des Anfechtungsprozesses - mangels eigener Prüfungskompetenz - vom
Nichtbestehen des Hauptanspruchs gegen den Schuldner selbst auszugehen.
Der Anfechtungsanspruch gilt dann auch materiell-rechtlich als unbegründet.
Im vorliegenden Fall ist der Vollstreckungsbescheid vom 15. September
1991, der Grundlage für das Anfechtungsurteil war, mit der Rücknahme der
Klage gegen den Schuldner gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos ge-
worden. Damit ist zugleich der Rechtsgrund im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 2
BGB für die auf das Anfechtungsurteil geleistete Zahlung der Beklagten nach-
träglich weggefallen. Die Rechtskraft des Anfechtungsurteils vom 20. Mai 1994
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schließt folglich die vorliegende Klage auf Rückforderung des Geleisteten nicht
aus.
3. Andere Gründe, die der Zulässigkeit der vorliegenden Klage entge-
genstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Das angefochtene Urteil ist somit
richtig.
V.
Für das weitere Verfahren folgt aus den vorangegangenen Ausführun-
gen, daß die Berechtigung des Rückforderungsanspruchs der Kläger nicht von
der Streitfrage der Parteien abhängt, ob der Beklagten der geltend gemachte
Schadensersatzanspruch gegen den Architekten Sch. nach materiellem Recht
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zusteht. Vielmehr gilt als Rechtsgrund für die Zahlung der Kläger insoweit - wie
ausgeführt (oben IV 2 b) - der Bestand des Vollstreckungstitels der Beklagten
gegen Sch. Solange die Beklagte nicht einen solchen Titel beibringt, ist auch
für den Rückforderungsprozeß ohne weiteres vom Wegfall des Rechtsgrundes
auszugehen.
Paulusch Stodolkowitz Kirchhof
Fischer Zugehör